Melinda Gates und Andrew Mitchell stehen auf der Bühne. Es ist das vorläufige Ende eines langen Tages (danach folgen nur noch geschlossene Diskussionsrunden) und sie verkünden nun, ob das London Summit on Family Planning ein Erfolg war. Mitchell hebt die Stimme:
„Wir haben nachgerechnet und ich freue mich verkünden zu können, dass wir die anvisierten 2 Milliarden Dollar aus den Entwicklungsländern* erreicht haben. Aus den Geberstaaten haben wir aber sogar 2,6 Milliarden erreicht.“
Applaus. Die Delegierten der verschiedenen Länder und Organisationen verlassen den Raum. Doch was war hier wirklich geschehen und was wird bleiben?
Das London Summit on Family Planning wurde initiiert von der Bill and Melinda Gates Foundation und der britischen Regierung. An einem Tag sollten bei dem Summit Regierungen, internationale Organisationen (wie die Weltbank, Afrikanische Union u.s.w.) und Nicht-Regierungs-Organisationen zusammenkommen, um zum einen das Thema Familienplanung auf die Tagungsordnung zu setzen und zum anderen konkret Gelder zur Verfügung zu stellen, um bis 2020 vielen Millionen Frauen, die bisher keinen Zugang zu Familienplanung haben, eben diesen zu ermöglichen.
Zu der Veranstaltung waren nur Länder zugelassen, die bereits im Vorfeld zusicherten, mit einer Selbstverpflichtung anzureisen und etwas zu dem geplanten Etat beizutragen, erzählt Gary Darmstadt von der Bill and Melinda Gates Foundation. Das ganze Programm am Mittwoch war also darauf ausgelegt, das abwechselnd Vertreter_innen verschiedener Länder ihren Beitrag und ihre Ziele verkündeten, dazwischen wurden in Form von Panels auch Menschen aus unterschiedlichen Organisationen zu einigen Themenbereichen gehört und es wurden Videoclips über Mütter in aller Welt gezeigt. Alles in allem gab es also Statistiken, Versprechen und Bilder für’s Herz. Eine sehr perfekte Inszenierung, die Mut machen soll.
Die Versprechungen der einzelnen Vertreter_innen sind natürlich das Herzstück der Veranstaltung. Für die Beobachtenden aber fühlte es sich als bald an, als würde es einen Wettstreit geben: Da wurde von 100% mehr Budget gesprochen, es folgten 200% und alle wurden übertrumpft von Dr. Muhammad Ali Pate, Nigerias Gesundheitsminister, der gar 300% Aufstockung des nationalen Etats für Familienplanung versicherte. Chido Onumah, Journalist aus Nigeria, sagt später zu mir, dass er nicht mal wisse, ob es zur Zeit irgendein signifikantes Budget gebe, da wären solche Versprechen natürlich einfach. Und so sind auch viele anderen Zusagen mit Vorsicht zu genießen. Immer wieder fragen auch die Journalist_innen und Blogger_innen, wie denn diese Verpflichtungen überprüft werden sollen. Vage wird berichtet, dass eine Gruppe eingerichtet wird, die in Zukunft, die Ziele überprüfen soll. Aber welche Macht hat eine solche Gruppe? Wie wird entschieden wer dort drin sitzt? Noch scheint einiges unklar, auch wenn oft betont wird, dass die Nachhaltigkeit entscheidend ist.
Eine weitere Kritik geht über die Zahlen und Zahlungszusagen hinaus: Das Thema war Familienplanung. Tatsächlich darunter verstanden wurde das Zugänglichmachen von Verhütungsmitteln, in erster Linie für (heterosexuelle) Frauen. In den Panels wurden zwar auch einige Verknüpfungen zu anderen Themenfeldern eröffnet, und auch in den Reden wurden je nach Land unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, aber es blieb alles gleichzeitig sehr konkret und sehr ungenau. Es ginge eben um Verhütungsmittel, aber auch um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und überhaupt um Frauenrechte. Das Gefühl blieb, dass viele einfach nur bemüht darum waren, die gemeinsame Basis der Arbeit nicht ins Wanken zu bringen.
Somit blieben Abtreibungen z.B. ein fast ungenanntes, aber über alles schwebendes, Thema. Denn wenn wir immer wieder rhetorisch die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und ihre Gebärfähigkeit heranziehen, ist es schwer Abtreibungen auszuklammern. Wenn Ban Ki-moon, Generalsekräter der UN, sagt, dass „ungewollt kein Kind geboren werden soll“, könnte mensch dies als pro Abtreibung auslegen, aber ausgesprochen wird das Wort nur von Wenigen. Eher wird so getan, als ob es nur genügend Verhütungsmittel geben muss und dann auch kein Bedarf mehr an Abtreibungen bestehen würde. Doch ist dies mitnichten der Fall. Wie so schön eine der Frauen, die ich in einer Klinik in Kenia traf, feststellte: „Manchmal wirken Verhütungsmittel aber nicht.“ Einen Bedarf für Abtreibungen wird es aus den verschiedensten Gründen immer geben.
Und die Frage ist dabei nie, ob Abtreibungen stattfinden, sondern allenfalls ob sichere oder unsichere Verfahren angewendet werden. Überraschend brachte Mitchell bei seinem Abschlussstatement sichere Abtreibungen nochmals auf den Tisch. Melinda Gates, die als gläubige Katholikin schon sehr viel Kritik für ihr Engagement für Verhütungsmittel einsteckte, schaute wenig begeistert. Und Lynn Schreiber, Bloggerin aus Schottland, merkt in ihrem Text zum Summit darüber hinaus vollkommen richtig an, dass wenn wir über Schwangerschaften bei 12-jährigen reden, das Thema auch nicht primär Verhütungsmittel sondern sexuelle Gewalt sein sollte.
Und wie kann den ganzen Tag über Frauen- und Menschenrechte gesprochen werden, aber ein Präsident wie Ugandas Museveni wird mit Applaus empfangen, wo doch sein Land und seine Regierung vor allem mit der starken Homosexuellenverfolgung Schlagzeilen machte. Um wessen Rechte geht es also? Diese Frage lässt sich einfacher beantworten, wenn mensch darüber nachdenkt, welches Interesse viele der westlichen Länder an dem Thema haben könnten. Nicht umsonst fand das Summit am Weltbevölkerungstag statt, denn letzten Endes geht es nicht nur um die Rechte von Frauen, sondern auch um das Eindämmen von Bevölkerungswachstum. Wie David Cameron, britischer Premierminister, richtig in seiner Rede sagt, können westliche Länder nicht einfach fordern, dass Frauen in Afrika und Asien weniger Kinder gebären (er lässt natürlich auch nonchalant aus, dass es dort bereits eine einschlägige Geschichte gibt), aber mensch könnte den (gebärfähigen) Frauen Wahlmöglichkeiten lassen, dann würden sie schon von selbst weniger Kinder bekommen. Mit diesem Fokus verkommt aber natürlich der „Rechte“- und „Wahlfreiheit“-Ansatz zu einer Rhetorik, die es ermöglicht Frauenrechte nicht wirklich Ernst zunehmen.
Trotz allem sollte das Summit nicht einfach ad acta gelegt werden. Vielen der anwesenden Menschen, gerade vielen NGOs und Stiftungen, liegt wirklich etwas an Frauenrechten. Dass eine Veranstaltung solches Ausmaßes zu diesem Thema stattfinden konnte, ist auch ein wichtiger Schritt. Im Nachhinein müssten aber gerade NGOs und die Zivilgesellschaft auf die Ziele pochen, sich auf die verkündeten Zahlen beziehen und Druck machen. Denn auch wenn es viele Probleme mit den geführten (oder eben nicht geführten) Diskussionen gibt, bedeutet für viele Mädchen und Frauen weltweit der Zugang zu Verhütungsmitteln einen erheblichen realen Gewinn an Lebensqualität.
*Ich benutze den Begriff „Entwicklungsländer“ nur, da er eine direkte Übersetzung des Zitates ist. Ich lehne den Begriff aber ab, da er impliziert, dass es einen „guten“, westlichen Standard gäbe und es Ziel sein aller Länder sein müsste genau diesen zu erreichen.
Danke für deine Berichterstattung, Charlott. Ich sehe das Ganze ähnlich kritisch wie du, weil es dem immer gleichen Muster solcher Veranstaltungen folgt. Zunächst wird viel angekündigt, aber die Ergebnisse sind dann oft eher bescheiden, siehe z.B. zuletzt Rio+20.
Es ist natürlich begrüßenswert, wenn das Thema Geburtenkontrolle wieder mehr Raum bekommt, vor allem wenn es aus der Perspektive der Rechte von Mädchen und Frauen diskutiert wird. Allerdings sind Geburtenkontrolle, bzw. Zugang zu Verhütungsmitteln alleine nicht ausreichend und da sich die Gates-Stiftung v.a. auf technische Lösungen von Entwicklungs“problemen“ konzentriert (z.B. Entwicklung, Produktion und Bereitstellung von Verhütungsmitteln), besteht die Gefahr, dass kein wirklich umfassender Ansatz erarbeitet wird. Dabei kann ja Geburtenkontrolle nicht unabhängig von vielen weiteren Faktoren gesehen werden, etwa dem Ausbau der allgemeinen Gesundheitsversorgung, der Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen, der Integration von Sexualaufklärung in Bildungssysteme, etc.
Auch scheint die Arbeit zumindest im Vorfeld des Gipfels eher top-down gelaufen zu sein. Laut der Präsidentin der International Woman’s Health Coalition waren Frauenorganisationen nicht genügend mit einbezogen. Im gleichen Beitrag werden auch weitere Bedenken bezüglich der Ausrichtung der möglichen Programme diskutiert.
Wie du schreibst, wurde nicht gesagt, was genau mit den zugesagten Mitteln Geld geschehen soll. Auch ist nicht bekannt, ob das wirklich zusätzliche Mittel sind, oder ob sie an anderer Stelle eingespart werden müssen. Wäre auch mal interessant zu erfahren, denn leider wird oft mit Rechentricks gearbeitet, durch die Zusagen größer erscheinen, als sie eigentlich sind.
Amanda Glassman merkt im Guardian an, dass noch nicht klar ist, wer die zugesagten Mittel überhaupt koordinieren wird und bringt einige Ideen, wie das aussehen könnte.
Trotz allem kann das Ganze aber zumindest dazu beitragen, die Diskussion über die Themen Frauenrechte, Verhütung und auch (sichere) Abtreibung voranzubringen, denn die besten Programme bringen ja nichts, wenn sich Einstellungen und Verhalten aller Beteiligten nicht ändern (wovon durchaus auch wir westlichen Planer_innen und Schreiber_innen betroffen sind!). Dazu braucht es aber lange Zeit und viele Diskussionen, wäre schön, wenn das jetzt wieder etwas Drive bekäme.