In den letzten Wochen habe ich mir wieder einmal über Hate Speech, also Hassrede, im Internet Gedanken gemacht. Anlass war die Veröffentlichung der Broschüre „‚Geh sterben!‘. Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“ durch die Amadeu Antonio Stiftung. Allerdings geht es mir hier gar nicht um die konkreten Inhalte dieser einen konkreten Publikation – sie brachte nur für mich dieses Konzept zurück in den Fokus und ich habe darüber nachgedacht, warum der Begriff so ein Unwohlgefühl bei mir auslöst.
Ja, ich mag Hate Speech nicht – also natürlich zum einen die Akte, die mit dem Konzept gemeint sind (wie überraschend, ich mag es nicht bedroht und beschimpft zu werden), aber eben auch den Begriff ‚Hate Speech‘ an sich. Mich stört, dass der Begriff schnell relativ entpolitisiert verwendet werden kann. Dann wird plötzlich über die ‚Debattenkultur‘ im Internet diskutiert und nicht mehr über Macht- und Diskriminierungsverhältnisse. Ich möchte dies einmal etwas ausführlicher erläutern:
Häufig wird von Hate Speech gerade dann gesprochen, wenn es um die Anerkennung von Gewalterfahrungen in ‚offiziellen‘ Kontexten geht, wie beispielsweise in juristischen Verfahren oder partei-politischen Diskussionen, wenn es um Gesetze oder deren Umsetzung geht. Manchmal auch dann, wenn es um die Verantwortung von kommerziellen Seiten-Betreiber_innen im Netz geht (Facebook, Twitter, etc.). Der Bezug ist nicht selten ein rechtsstaatlicher ohne jemals zu hinterfragen, welche Gewalt eigentlich vom Rechtsstaat ausgeht, welche Personen überhaupt auf Schutz durch den Staat realistisch hoffen können, für wen Anzeigen eine Möglichkeit wären. Dies ist eben auch gut möglich, da sich nicht immer genau angeguckt wird, wer eigentlich besonders von Hasskommentaren, Bedrohungen, etc. im Internet betroffen ist.
In einem Artikel beim Tagesspiegel, der die Debatte um Hate Speech aufnimmt, heißt es im Teaser: „Netz-Debatten sind oft von Drohungen und Hetze geprägt – und manchmal greift der Hass in die analoge Welt über.“ Auch wenn im Text dann einige Beispiele genannt werden, die weitere Strukturen sichtbar machen (bspw. Rassismus), so zeigt die Rahmung doch genau das, was ich immer wieder beim Thema Hate Speech beobachte. Ganz schnell können alle irgendwie gemeint sein, eigentlich könnte jede_r Opfer von Hate Speech werden. Die Diskussion ist anschlussfähig an liberale Vorstellungen, dass eben alle Personen von Hass betroffen sind. Alle sind gleich vor dem ‚Hate Speech‘-Paradigma. Und darüber hinaus werden Betroffene und Täter_innen gleichermaßen individualisiert: Betroffene dadurch, dass ein Blick auf die zugrundeliegenden diskriminierenden Strukturen auch ausbleiben kann und stattdessen dort die einzelne Person, die angefeindet wird, steht. Und die Täter_innen? Die hassen, sie leben eine Emotion aus. Auch etwas, was eher im Individuum verortet wird.
Es gibt natürlich auch Beiträge, die dezidiert auf Strukturen achten, aber häufig erlebe ich eine Loslösung der Erfahrungen aus größeren Zusammenhängen und eine damit einhergehende Entpolitisierung der Diskussion. Als ich im Februar bei einer Podiumsdiskussion über „Gewalt im Netz“ sprach, betonte ein Diskutant, dass Menschen einfach daran erinnert werden müssten, dass an der anderen Seite der Leitung eben auch Menschen sitzen. (Dies würde der ‚Debattenkultur‘ zuträglich sein.) Doch genau da liegt das Problem, wenn ‚unfreundliche Formulierungen‘, schlecht gesetzte Emoticons und Hate Speech frei ineinander übergehen, dann können auch solche entpolitisierten Vorschläge eingebracht werden. Doch exisitieren die rassistischen_hetero_sexistischen_ableistischen Aussagen im Netz ja gerade weil Menschen wissen, dass andere Personen es lesen werden. Wie ein Kommentator mal am Ende seines Hass-Rants unter einen Artikel vermerkte: „Naja ihr werdet es nicht freischalten, aber wenigstens musstet ihr es lesen.“
Warum also brauchen wir überhaupt den Begriff Hate Speech, wenn dieser sich doch so sehr anbietet zum Verwässern? Warum Diskriminierungen nicht direkt benennen und die strukturellen Auswirkungen von Sprache in den Vordergrund heben? In einem anderen Kontext schrieb Sharon:
Mehr und mehr fällt mir auf, dass die Art, wie wir über rassistische Diskriminierung nachdenken, sprechen und schreiben, den Schwerpunkt auf bestimmte Merkmale der Betroffenen legt: “Er wurde von der Polizei angehalten, weil er Schwarz ist”, “Sie wurde angegriffen, weil sie einen Hijab trug” usw. Man bekommt den Eindruck, dass “Schwarz sein” oder “Hijab-Träger_in sein” irgendwie bedeutsamer für den Bericht über die geschehene Ungerechtigkeit ist als die Tatsache, dass der_die Täter_in rassistisch ist.
Bei Hate Speech bleibt zwar der Fokus auf dem_der Täter_in, allerdings auf der Emotion ‚Hass‘ und auch wieder nicht auf dem Rassismus, Sexismus, Klassismus etc. der sprechenden/ schreibenden Person.
Ich verstehe den Begriff Hate Speech als Versuch unterschiedlich motivierte Angriffe unter einem Überbegriff zu sammeln, doch für mich macht dies das Konzept oftmals unpräzise und erschwert die genaue Analyse. Wenn fast jede im Internet aktivere Person eine Hate-Speech-Geschichte zur Hand hat – was genau ist dann die Aussage? Statt diesem überstülpenden Begriff wünsche ich mir, dass doch häufiger konkret die diskriminierenden Strukturen und Rahmen beim Namen genannt werden, und nicht erst in der nachgeschobenen Erklärung, die auch schnell herausgekürzt werden kann. Bei Debatten über Gewalt im Netz (ob dabei konkret Hate Speech gesagt wird, oder dies nur implizit mitschwingt) sollte es selbstverständlich werden, dass Diskriminierungen und Anfeindungen aufgrund beispielsweise feministischer Positionen nicht im gleichen Atemzug wie unhöfliche Antworten in Foren zu Autoteilen diskutiert werden.
Du brauchst doch nur unter einen x-beliebigen Mainstream-Medien-Artikel zu schauen, um zu sehen, dass definitiv JEDE und JEDER Ziel von HateSpeech werden kann!
@Leonie: Genau, was ich argumentiere: Wenn Hate Speech als Begriff ohne sonstigen Unterbau verwandt wird, so wie du dies hier auch offensichtlich tust, dann wird er sehr beliebig und irgendwie sind alle ™ ein wenig betroffen, es findet keinerlei Differenzierung statt. Diese aber ist wichtig, denn wir bewegen uns ja nicht in einem Macht-Vakuum. Wenn ich, wie vorgeschlagen, unter die Kommentarspalten von Artikeln bei Spiegel Online, Süddeutsche u.a. gucke, dann sehe ich sehr viel Sexismus, Rassismus, Ableismus etc. Also auch nicht rein zufällige Richtungen von ‚Hass‘. Und darüber hinaus gibt es auch noch andere Formen, die weniger in diese Diskriminierungsstrukturen eingebunden sind, aber genau dazwischen will ja unterscheiden können. Deswegen mein Vorschlag präzisier und konkreter Dinge zu benennen.