Warum es hin und wieder solidarisch ist, das T-Shirt einfach mal anzulassen.

Vermutlich ist der ein oder anderen von euch in den letzten Tagen auch ein Link in die Timeline gespült worden, der einen absolut unterirdischen Text über einen Konzertabbruch der Punkband Feine Sahne Fischfilet im AJZ Bielefeld enthielt. Möglicherweise war dieser Textverweis garniert mit diversen empörten Kommentaren darüber, dass die armen, armen Bandmitglieder Opfer einer wahlweise sinnbefreiten, prüden oder gar repressiven Veranstaltungspolitik geworden seien. Denn: das Konzert war von einer der Veranstaltenden vorläufig beendet worden, nachdem der Drummer der Band auf der Bühne sein T-Shirt ausgezogen hatte.

Mir jedenfalls ist es genauso ergangen, ich bin sogar gleich mehrfach mit dem Link und entsprechenden Kommentaren konfrontiert gewesen. Was mir dabei sofort aufgefallen ist: keiner der Typen – und es waren wirklich allesamt Typen – die es als furchtbar ungerecht und unzumutbar empfanden, dass der Drummer trotz der schweißtreibenden Arbeit auf der Bühne sein T-Shirt anbehalten sollte, hatte sich jemals darüber aufgeregt, dass genau das eine geltende Regel für alle Menschen ist, die von Sexismus betroffen sind – und zwar immer und überall.

Die Verfasser(*innen?) des Artikels betonen, dass sich ihnen der Zusammenhang zwischen antisexistischer Politik und dem nackte-Oberkörper-Verbot auch nach „längerem Nachdenken“ nicht erschließen würde. Und weil wir Emanzen, wenn wir nicht gerade dabei sind, eine feministische Schreckensherrschaft™ zu verbreiten, hin und wieder auch ganz nett sein können, spiele ich an dieser Stelle jetzt mal die Erklärbärin.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Typen mit Privilegien ausgestattet sind. Eines davon ist, sich nach Lust und Laune und so gut wie immer und überall weitestgehend entkleiden zu können. Weiblich kategorisierten Personen wird hier schon allein rein rechtlich nicht so viel Entscheidungsfreiheit zugestanden; laut Gesetz müssen zumindest ihre Brustwarzen bedeckt sein. Doch auch in Räumen, in denen womöglich keine*r auf staatliche Rechtsprechung pochen würde, ist es beispielsweise für Frauen oder Trans* Personen nicht so einfach, mal eben ihr T-Shirt auszuziehen. Ihre Körper werden vornehmlich als gesellschaftliches Allgemeingut betrachtet. In so gut wie allen Kontexten, das heißt egal ob beim Einkaufen im Supermarkt, in der Vorlesung, bei der Betriebsversammlung oder eben auf einer Party, nehmen wildfremde Menschen es sich raus, ihr Körper zu kommentieren und zu bewerten. Frauen oder Trans* Personen, die ihr T-Shirt ausziehen, übertreten nicht nur gegebenfalls ein rechtliches, sondern auch ein gesellschaftliches Tabu. Die Zurechtweisung folgt meist ziemlich schnell in Form von Blicken, Bermerkungen oder körperlichen Grenzüberschreitungen, welche sich auch nochmal danach unterscheiden, inwiefern der Körper gängigen Schönheitsnormen und Vorstellungen von Geschlecht entspricht. Das heißt, das Privileg sich aus welchen Gründen auch immer weitestgehend entkleiden zu können, ist eines, was Menschen, die von Sexismus betroffen sind, nicht besitzen – auch dann nicht, wenn eine Gruppe entscheidet, es in ihren Räumlichkeiten „auch Frauen zu erlauben“, ihre T-Shirts auszuziehen. Und genau aus diesen Gründen ist es eine Zurschaustellung sexistischer Privilegien, wenn Typen in der Öffentlichkeit ihre T-Shirts ausziehen, und zwar so ziemlich egal wo und aus welchen Gründen. Und ja, auf Privilegien zu verzichten, solange sie nicht allen zuteil werden, ist ein solidarischer – und in diesem Falle antisexistischer – Akt. Aus ähnlichen Gründen ist es übrigens ebenso solidarisch, auf Hetenperformances zu verzichten.

Da gerade die nackte-Oberkörper-Debatte alles andere als neu ist, verwundert es übrigens ein wenig, dass weder die sich selbst als gesellschaftkritisch verstehende Band Feine Sahne Fischfilet, noch die Verfasser*innen des Beitrages, welche sich in diesem schließlich als Expert*innen für Mackertum aufspielen, je etwas davon gehört zu haben scheinen. Besonderes Schmankerl ist hier der Satz, dass es den Autor*innen schwer falle zu glauben, „dass im Bielefelder „AJZ“ jemals eine Reflektion über Sexismus, Mackertum und patriarchales Verhalten stattgefunden hat“. Ihr seht, hier sind Kenner*innen am Werk gewesen.

Statt einen empörten Artikel zu schreiben, hätten die Autor*innen des Textes schlussendlich auch einfach mal nachfragen können, wenn es ihnen darum gegangen wäre, zu verstehen was an der behalt-dein-Shirt-an-Devise antisexistisch ist. Verschiedene Stellen im Text lassen jedoch darauf schließen, dass es viel mehr darum gehen sollte, dem eigenen Ärger Luft zu machen und dem AJZ Bielefeld einen Tritt zu verpassen. Bevor der Sinn hinter der Forderung überhaupt verstanden worden ist, wird deshalb bereits versucht, die Personen, welche die Forderungen hervorgebracht haben – und somit letzten Endes das Anliegen selbst – zu delegitimieren. Die Verfasser*innen warten deshalb relativ schnell mit einem altbekannten Klassiker auf: dem Ton-Argument. Die Person, welche den scheinbaren AJZ-Konsens an diesem Abend durchgesetzt hat, sei betrunken gewesen und habe geschrieen, so heißt es im Text. Sie wird mit Begriffen wie „mackerig“, „pöbelnd“ (Klassismus ahoi!) und „blöd“ (hello, ableism!) belegt. Ebenso wird ein merkwürdiger – und langsam wirklich wirklich ausgelutschter – Nazivergleich herangezogen. Doch damit noch nicht genug, nein, es muss nochmal ganz tief in die sexistische und rassistische Klischeekiste gegriffen werden: ein Burka-Vergleich! Denn klar, wer irgendwen dazu auffordert, irgendwas anzuziehen, ist prüde, und was ist prüder als eine Burka, und hey, waren wir nicht eh gerade beim Thema Repression, Unterdrückung und so? Ihr seht schon, wenn ihr es euch bisher noch nicht angetan habt, den so called Artikel zu lesen, solltet ihr vielleicht eure Nerven schonen und darauf verzichten. In den Kommentaren – aber das ist (nicht nur) auf Indymedia ja irgendwie so üblich – wird es nur noch schlimmer. Die Band hat zwar inzwischen auf Facebook ein Statement veröffentlicht, in der sie der Darstellungsweise des Indymediaartikels widerspricht – von Selbstkritik ist aber auch dort leider keine Spur zu erkennen. Alternativ könnt ihr euch deshalb lieber diese inzwischen auf einem Blog erschienene Analyse des Shitstorms gegen die Veranstaltungspolitik des AJZ Bielefeld durchlesen.

Zum Schluss hätte ich dann noch eine Frage an die Verfasser*innen des Artikels, weil sie sich laut eigenen Angaben ja gerne viele Gedanken machen: schon mal drüber nachgedacht, dass die Person, welche zuerst eingeschritten ist, womöglich betrunken war, weil sie an diesem Abend planmäßig gar nicht arbeiten wollte? Sie sich aber vermutlich als Erste/ Einzige dafür verantwortlich gefühlt hat, den antisexistischen AJZ-Konsens durchzusetzen, weil es für Betroffene von Kackscheiße eben keinen Freizeit, keinen Feierabend vom sexistischen Normalzustand gibt?

Es gibt da dieses Wort, ich erwähnte es bereits; it’s called Privilegien.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑