Trotz Kritik von allen Seiten: Notfallverhütung bleibt rezeptpflichtig

Der Gesundheitsausschuss des Bundestags hat gestern beschlossen, dass die sogenannte „Pille danach“ auch weiterhin in Deutschland nur auf Rezept erhältlich sein wird. Das bedeutet: Wer Notfallverhütung braucht, muss sich dafür in eine (Notfall-)Praxis, am Wochenende oder abends ggf. in ein Krankenhaus begeben und nicht selten eine Untersuchung über sich ergehen lassen, deren Notwendigkeit mehr als zweifelhaft ist. Erst danach kann das Rezept – wenn es denn ausgestellt wird – in einer Apotheke vorgelegt und das Medikament erworben werden – jedenfalls sofern sich die_der Apothekerin nicht aus obskuren „ethischen“ Gründen weigert, es rauszugeben, was auch schon vorgekommen sein soll. Meiner Erfahrung nach werden da mindestens um die 20 Euro fällig, wenigstens kommt seit Anfang des Jahres keine Praxisgebühr mehr dazu.

Damit stellt sich der Bundestag gegen die Empfehlung verschiedener Expert_innengremien, unter anderem der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Begründung ist natürlich wieder mal in patriarchalisch-paternalistischer Manier der Schutz der Patient_in – fiele die Rezeptpflicht weg, so das Argument, sei es ja quasi vorprogrammiert, dass wir alle uns das Zeug wie Smarties reinpfeifen, leichtsinnig und uninformiert wie wir sind. Und was da nicht alles passieren kann… Komischerweise kriegen es potentiell von Schwangerschaft betroffene Menschen in anderen Teilen der Welt offenbar dennoch hin, ihren „Pille danach“-Konsum  halbwegs verantwortlich zu managen (und Mediziner_innen finden trotzdem ein Auskommen): In insgesamt 79 Ländern sind Notfallverhütungspräparate frei erhältlich, darunter sämtliche EU-Staaten außer Italien, Polen und eben Deutschland.

Wie es praktisch so laufen kann, wenn mensch sich in der Lage sieht, die „Pille danach“ zu benötigen, beschrieb vor wenigen Tagen Nicole von Horst – und stellt die Idee in den Raum, auf einer online einsehbaren Karte zu verzeichnen, bei welchen Krankenhäusern und Ärzt_innen der Versuch, die Pille danach zu bekommen, mit Problemen verbunden war. Tolle Idee – Unterstützung wanted! (Persönlich könnte ich zwei Stellen beisteuern, wo es damals außer den Kosten keine Probleme, auch keine Untersuchung gab, zum Glück.)

Charlott hat vor nicht allzu langer Zeit schon einmal die Problematik analysiert und stellt die wichtigen Fragen:

Es braucht also (mal wieder) eine großangelegte Kampagne zu reproduktiven Rechten, denn letzten Endes hängen all die in diesem Rahmen debatierten Probleme zusammen. Wir müssen uns fragen, wer_welche entscheidet über Zugänge zu Verhütung (und in dem Rahmen auch Notfallverhütung)? Wer_welche hat überhaupt Zugang? Welche Personen werden bei diesen Diskussionen häufg übersehen (zum Beispiel Trans*-Personen, denn nicht nur Cis-Frauen können schwanger werden)? Über wessen Sexualität wird in diesen Debatten ständig gerichtet?

Es bleibt bei dem Fazit, welches accalmie kürzlich schon hier gezogen hat: Reproduktive Rechte sind, auch in Deutschland, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wie restriktiv die Lage bereits ist und ohne kontinuierliche Kämpfe möglicherweise noch werden könnte, sollte nicht unterschätzt werden.

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Update: So schnell kann’s gehen, hurra – die interaktive Karte findet ihr hier, bestückt sie fleißig!

6 Kommentare zu „Trotz Kritik von allen Seiten: Notfallverhütung bleibt rezeptpflichtig

  1. Heysan,

    jaja hatten grad in trauter runde die diskussion. kam auch das argument mit, wenn ich drei tage zeit hab zur apotheke zu gehen, kann ich auch zum notfallazt gehen…
    [Anmerkung der Redaktion: Kommentar editiert, nicht alle verstehen den Sarkasmus]

  2. @tarka: Das Zeit-Argument ist natürlich ziemlich schwach, denn man sollte wissen, dass Notfallverhütung umso zuverlässiger wirkt, je schneller sie eingenommen wird. Außerdem ist ja der Zeitfaktor nicht das einzige Problem an der Rezeptpflicht.

  3. @nurso: In einem der hier verlinkten Texte schrieb ich auch zu dieser Online-Praxis. Ich zitiere mich mal selbst:

    Parallel dazu eröffnete die Online-Praxis DrEd die Pforte (selbst der Spiegel berichtete), wo Menschen aus Deutschland Rezepte für die “Pille danach” online erhalten können. Ohne den Besuch eine_s_r Arztes_Ärztin. Möglich machen das Gesetze, nach denen der_die Arzt_Ärztin in Europa frei gewählt werden darf. Einerseits kann dies für viele Betroffene hilfreich sein, erspart es doch in einer konkreten Situation die mögliche Moralpredigt im Untersuchungsraum, oder überhaupt das Aufsuchen einer Praxis.

    Aber: Die Kosten steigen gleich auf das doppelte an. Am Wochenende hat auch diese Online-Praxis geschlossen – und da es gerade bei der “Pille danach” um die Schnelligkeit der Einnahme geht, ist ein möglicher Vorteil gleich wieder weg. Und natürlich bringt das auch nichts für Betroffene sexualiserter Gewalt, falls sie in ein Krankenhaus zur Behandlung wollen und dann abgewiesen werden.

    Ich glaube immer noch, dass das für einige natürlich eine gute Lösung ist, gerade so wie der Stand der Dinge zur Zeit ist. Vor allem, wer_welche die finanziellen Resourcen hat, kann so auch sonst eventuell drohende vaginale Ultraschalle umgehen. (Wobei eben Menschen, die aufgrund sexualisierter Gewalt ein Krankenhaus aufsuchen, von diesem Vorteil wieder nicht profitieren können.)

    Aber ich finde es auch sehr schwierig für etwas „zu werben“, wo aus der furchtbaren Gesetzeslage zu Notfallverhütung Profit geschlagen wird. Denn genau das passiert bei „Dr. Ed“.

Kommentare sind geschlossen.

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