Wir haben neulich schon kurz über das UNICUM-Tüten-Ärgernis berichtet. Laura*, Studentin und studentische Hilfskraft an der Uni Marburg, hat dankenswerterweise nochmal aufgeschrieben, was das Problem ist – und was mensch dagegen tun kann und sollte.
Eine Tüte Sexismus bitte
Der Hörsaal sieht aus, als hätte hier ein Müllsturm getobt. Oder ein Kindergeburtstag bei McDonalds stattgefunden. Die Studis sickern in die Flure ab und auf den Klappstuhl- und Tischreihen bleiben Berge ausgepackter Papiertüten, zerknüllter Werbezettel und leerer 15g-Chipstüten zurück. Verwirrt und kopfschüttelnd packe ich meine Sachen zusammen und starre immer wieder auf die „Wundertüten“, die überall herumliegen: Eine halbnackte Frau, die gerade ihren Gürtel öffnet, blickt mich lasziv an und fordert mich auf „Mach deine Idee zu Geld!“. Worum es bei dieser Aufforderung gehen soll, kann ich anscheinend zwischen ihren Beinen erfahren: Die Facebook-Adresse zu einem Wettbewerb ist unten klein aufgedruckt. Er endet auf „moneybox“, direkt in ihrem Schritt.
Von der Vorlesung habe ich nicht viel mitbekommen; die hundertfache Kopie dieses anonymen, austauschbaren weiblichen ‚Norm‘körpers, der sich als Sexualobjekt anpreist und die umfassende Akzeptanz dieser Darstellung um mich herum … Wie soll ich da den Ausführungen zu „Klassen und Objekten“ folgen? Dass in der Programmierung eigentlich alles ein Objekt sein kann, demonstriert der Professor an dem Textstring „anna“. „anna“ ist ein Objekt. Ich schaue auf die Tüten. In welchem Film bin ich denn hier gelandet.
Was ist passiert?
Dienstagnachmittag, 20. November, Uni Marburg: Im Foyer werden zu Hunderten sogenannte Wundertüten von UNICUM verteilt. Die Wundertüten sind mit rosa und blauen Streifen markiert und werden dementsprechend an ‚Männer‘ und ‚Frauen‘ verteilt. Mit Grausen erinnere ich mich daran, dass sich Freund_innen von mir schon im letzten Semester darüber geärgert haben: In den Männertüten waren Rasierer und Energydrinks, in den Frauentüten Nagellack und: zuckerfreie Energydrinks.
Wir haben an unserer Uni ein Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung; Seminare, in denen es um Konstruktion von Geschlecht geht; Professorinnen, die zu feministischen Themen publizieren; Vorlesungen zur Kritik der Geschlechterverhältnisse… In geschlossenen Seminaren reden wir über Sexismus, über Reproduktion von Geschlechterverhältnissen. Und im offenen Foyer werden Materialien verteilt, die all diese Auseinandersetzungen nichtig scheinen lassen? Wozu über Selbstbestimmung, über Geschlechtergerechtigkeit reden – wenn doch eine Wundertüte besser weiß, in welche Kategorie ich gehöre (rosa), wie meine Bedürfnisse sind (Nagellack), wie ich zu sein habe (zuckerfrei) und wo meine gesellschaftlichen Möglichkeiten sind (der weibliche Körper als sexualisiertes Objekt) …?
Wer sich bisher nicht vorstellen konnte, was Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung von Bildung(sräumen) heißt: Genau das heißt es – den eigenen Raum Werbeträgern zur Verfügung stellen, welche sich nicht um ethische Grundsätze scheren. Bildung als gesellschaftskritisches Moment, als Möglichkeit zur Selbstbestimmung und als gemeinsame Auseinandersetzung mit Konflikten und Perspektiven? Davon bleibt wenig übrig, wenn Werbung Einzug in Bildungseinrichtungen hat. Denn ‚Sex sells‘, das ist bekannt, und in unmittelbarer Konsequenz eben ‚Sexism sells‘.
„UNICUM vom Campus kicken!“
Wie ging es weiter in Marburg? Ein offener Brief an das Präsidium der Uni, Forderung einer öffentlichen Stellungnahme, Kopien an die Frauenbeauftragten, Aufrufe an Freundinnen und Mailverteiler, Veröffentlichung des Briefs im Internet (nachzulesen hier).
Das Präsidium lässt für die Gestaltung der Tüten entschuldigen und gelobt Besserung – keine öffentliche Stellungnahme, nur eine Antwort an die Absender_innen der Beschwerdemails. Dezentral Diskussionen in Gremien und Univeranstaltungen. Solidaritätsbekundungen der Frauenbeauftragten. Unbekannte Frauen, die sich per Mail für die Beschwerde bedanken, weil sie auch längst die Nase voll haben.
Das Free Education Movement Marburg (freedumm) ruft eine Aktion ins Leben: „UNICUM vom Campus kicken!“. Die UNICUM-Magazine finden sich an zahlreichen (Fach-) Hochschulen und glänzen nicht nur bei ihren Werbegeschenken mit sexistischen Inszenierungen, Darstellungen von klischeehaften Mann-Frau-Beziehungen und allgemeinem Wettbewerbsgebrösel.
Was tun?
Hier findet ihr eine Petition (und lesenswerte Begründung), die sich gegen die weitere Verteilung von UNICUM-Produkten an (Fach-) Hochschulen wendet.
Ich kann vielleicht nicht jedes sexistische Plakat in der Stadt abhängen, nicht jeder frauenverachtenden Werbung Einhalt gebieten. Aber Sexismus ist ein System, das eben gestützt oder gestürzt wird. Sexistische Übergriffe, gesellschaftliche Hürden qua Geschlecht und herabwürdigende Darstellungen von Frauen hängen systematisch zusammen und müssen dementsprechend auf allen Ebenen angegangen werden. Einen Hersteller von sexistischer Propaganda bin ich nicht zu dulden bereit – nicht an einem Ort, auf den ich Einfluss nehmen kann. Wenn ihr auch nicht bereit dazu seid, dann setzt die Verantwortlichen eurer Uni unter Druck, UNICUM von eurem Campus zu verbannen. Als ersten Ansatz, gegen Kommerzialisierung und gegen Sexismus in euren eigenen Räumen vorzugehen.
Haha, ich finde es einfach nur der Wahnsinn, was so an einem als aufgeklärt geltenden Ort wie der Uni für reaktionäre Aktionen ablaufen. „Zuckerfreie Energydrinks“ für die Frauen! ich fasse es nicht!