Dieser Text erschien am Sonntag bei fuckermothers.
Eine Bemerkung zu der unsäglichen ‘O-My-God-unsere-Kinder-dürfen-das-N*-Wort-nicht-mehr-in-Kinderbüchern-lesen-Debatte’. Auslöser war die Ankündigung des Thienemann-Verlages, diskriminierende Sprache in Kinderbuch-Klassikern wie Die kleine Hexe auszutauschen
‘Zeter! und Mordio! Kulturverfall! Und Sprachpolizei! Und Säuberungskampagne! Und sowieso, Political! Correctness!’ regt sich die Presse von FAZ über Deutschlandfunk bis Spiegel auf. (Die Artikel wurden absichtlich nicht verlinkt, am harmlosesten ist noch dieses Interview mit Paul Maar.) In all dieser Aufregung, wird, so oft es sich irgendwie unterbringen lässt, genussvoll das diskriminierende N*Wort geschrieben, am besten schon in der Überschrift. Dabei offenbart sich, neben teilweise erschreckend reaktionärem Gedankengut, eine unglaubliche Ignoranz und Unsensibilität.
Erstens. Das N*-Wort kommt aus der Kolonialgeschichte, es war von Anfang an eine diskriminierende Bezeichnung, die mit Mord, Unterdrückung und Sklaverei verbunden war. Erinnert sei hier etwa an den deutschen Völkermord an den Herero und Nama Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.
Zweitens. Das Wort ist nicht nur auf Grund der rassistischen Geschichte ein Problem, sondern auch wegen dem andauernd grassierenden Alltagsrassismus. Weiterhin werden Schwarze Menschen mit dieser Bezeichnung beleidigt. Weiterhin sind als nicht-Weiß-klassifizierte Menschen hierzulande der Gefahr von Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Davor schützt nicht die deutsche Polizei, sondern ganz im Gegenteil. Fälle wie Derege Wevelsiep, der dieses Jahr – ohne auch nur das geringste Vergehen – von der Frankfurter Polizei verprügelt wurde, sind leider keine Ausnahme. Von den NSU-Morden oder dem brutalen Tod Oury Jallohs ganz zu schweigen.
Drittens. Kaum überraschend empfinden viele Schwarze Menschen dieses Wort als diskriminierend und wehren sich gegen seine Verwendung. Seit mehreren Jahrzehnten bringen Schwarze Deutsche dies immer und immer wieder zum Ausdruck. Die Gründe wurden lang und breit erklärt und sind in sehr vielen Büchern nachzulesen. Diese Stimmen zu ignorieren ist, besonders für Journalist_innen, überraschend uninformiert. In einem Artikel immer wieder und wieder ‘N*’ zu schreiben, bedeutet bewusst zu verletzen.
Viertens. Es handelt sich um Kinderliteratur. Deren Ziel ist gemäß Marion Gerhard, Kindern “hochwertige Literatur zu bieten, die ihnen Welterklärung, Poesie und Lesemotivation zugleich sein kann.” Der Aspekt der Welterklärung ist für die Debatte sehr wichtig: Kann es irgendwie erstrebenswert sein, Kindern eine rassistische Weltsicht zu vermitteln? Wollen wir Weißen Kindern beibringen, dass es selbstverständlich ist, nicht-Weiße Menschen zu beleidigen? Und sollen Schwarze Kinder lernen, dass sie N* sind? Dass ihre Perspektive und ihr Empfinden von Anfang an nicht zählen?
Fünftens. Sprache, Kultur und Einstellungen verändern sich. Immer. Und oft erfreulicher Weise. Viele Eltern lesen den ‘Struwwelpeter’ nicht mehr vor. Denn sie wollen ihren Kindern nicht beibringen, dass sie sterben müssen, wenn sie keine Suppe mehr essen. Und dass ihnen nicht die Finger abgeschnitten werden, wenn sie ihre Haare nicht frisieren. Statt dem Ausdruck ‘Weib’ sagen wir heute ‘Frau’. Statt ‘gefallenes Mädchen’ sagen wir ‘alleinerziehende Mutter’. So etwas bezeichnet man gemeinhin als Fortschritt.
Sechstens. Beim Argument ‘Wir-können-doch-beim-Vorlesen-mit-unseren-Kindern-über-das-Wort-diskutieren’ schliesse ich mich Dr Mutti an: “die begrenzte Zeit, den Kindern Toleranz und kritisches Bewusstsein beizubringen, sollte gut genutzt sein. Und der kleine Ausschnitt des Inputs, den ich selber auswähle, der sollte meine Bemühungen unterstützen, nicht konterkarieren.” Es lohnt sich deswegen eher, von vornherein ein Kinderbuch ohne rassistischen Inhalt zu wählen.
Eine antirassistische Haltung bedeutet nicht, eine Kerze auf einer Lichterkette anzuzünden, um ‘ein Zeichen zu setzen’ und sich dabei gut zu fühlen. Sie bedeutet, eigene Weltbilder und Vorstellungen zu hinterfragen und gegebenenfalls auf Zeichen zu verzichten. Auch, wenn es weh tut.
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Mehr zum Thema aus den Reihen der Mädchenmannschaft:
Nadia schrieb gestern auf Shehadistan:
Auch ich habe als Kind solche Bücher gelesen, und es stimmt nicht, dass sie nichts mit mir gemacht haben. Diese Bücher machen sehr viel mit einem. Auch wenn Leute, die von diesen Diskursen, Begriffen, Schimpfwörtern, von denen ich spreche, nicht mal mit einem Furzhauch betroffen sind, was anderes glauben. Oder zu wissen meinen. Und sich deswegen nun ins Gefecht stürzen.
Und Melanie hat heute noch einmal etwas zu (im Rahmen dieser Debatte vielzitierten) Authentizität gesagt.
Danke für den Text! Ich freue mich, dass die Kinderbuch-Klassiker überarbeitet werden, hab die als Kind gerne gelesen und dann als Erwachsene gemerkt wieviel Kackscheisze darin reproduziert wird…
In dieser Diskussion scheint es ja ständig um das „heilige Original“ zu gehen. Unter anderem, wenn es um Bücher geht, die im „Original“ in schwedischer bzw. englischer Sprache sind. Mich regt das ehrlich gesagt ganz schön auf, diese Verehrung von „Originalen“. Übersetzungen sind immer manipulativ und stehen in einem politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Kontext, auch wenn das ungern zugegeben wird. Es geht um dieses Thema in der Translationswissenschaft seit Jahrzehnten immer wieder. Grade in der feministischen Translationswissenschaft, da kommt bei gendersensiblen Übersetzungen auch gerne der Vorwurf, das „Original“ würde verändert werden und das wäre ja unauthentisch, verfälschend usw.
Eine Übersetzung ist immer auch eine Veränderung, meist gibt es keine eindeutig richtige oder falsche, sondern verschiedene Optionen.
Auch bei den Märchen der Grimms oder ähnlich alten Geschichten verstehe ich die Aufregung nicht, Märchen wurden immer wieder verändert und anders erzählt, es ist völlig „normal“, dass sich Geschichten der Gesellschaft anpassen. Das ist mit vielen Übersetzungen so, dass sie sich im Laufe der Zeit verändern, grade, wenn sie Jahrzehnte auseinander liegen und keine_r regt sich auf. Fragt sich nur, weshalb weisze Menschen sich so aufregen, wenn es um gewaltvolle, rassistische Begriffe geht, die rausgenommen werden sollen…
Anmerkung: Das Wort „Weib“, im mittelhochdeutschen „wip“ bedeutete meines Wissens nach, einfach nur „Frau“, ohne Standesbezeichnung, im Gegensatz zu „frouwe“ (neuhocheutsch = Frau) was soviel bedeutete wie adlige Herrin. Daher ist „Weib“ eigentlich das neutralere Wort, und war nicht abwertend konnotiert, da es einfach nur weiblicher Mensch bedeutete. Das hat sich natürlich in lezter Zeit geändert, finde ich aber interessant zu wissen.
Ein wirklich ganz hervorragender Text zu diesemThema, chapeau!
@Eleutheria: danke für die Anmerkung. Aber, wie Du auch schon geschrieben hast: Sprachgebrauch und – bedeutungen ändern sich; und gerade weil N* (und andere rassifizierte Bezeichnungen) zu keiner Zeit ein neutrales Wort war, ist eine Überarbeitung jener Ausdrucksweise die längst überfällige Konsequenz jahrzehntelanger Aufklärung antirassistischer Intiativen.
Ergänzung: Nichteheliche Kinder hießen früher auch Bastard.
Im übrigen bin ich angenehm überrascht, dass es nach einiger Suche -wie hier- einige wenn auch wenige Statements für den Verzicht auf das N-Wort gibt. Anders erlebe ich das bei den „linken“ Frauen wie die „Opalkatze“ Vera Bundes, Journalistin beim freitag. Da „Kaffee bei mir“ tobt der „arische“ Mob.
https://opalkatze.wordpress.com/2013/01/13/politisch-korrekt-und-mausetot/
„empfinden viele Schwarze Menschen dieses Wort als diskriminierend und wehren sich gegen seine Verwendung.“
Könntest du nicht auch die Differenz zwischen den beiden Positionen herausstellen, anstatt sie so zu übergehen? Nicht nur schwarze Menschen, sondern genauso weiße empfinden dieses Wort als diskriminierend und wehren sich dagegen, wenn individuelle Menschen so bezeichnet werden. Sei es im Bus, im Büro oder beim Fußball. Es gibt jetzt unter Schwarzen und Weißen einige, die nicht nur das Wort als Bezeichnung verbannen wollen, sondern dieses Wort aus der Sprache tilgen wollen. Also in Büchern oder Zeitschriften dieses Wort ersetzen, obwohl niemand Konkretes damit benannt wird. Die Welt soll gut werden, indem man einfach nur noch gut redet. Hierin liegt die Kontroverse, nicht darin, dass das Feuilleton jetzt umbedingt konkrete Menschen damit benennen und damit beleidigen möchte.
Diesen Unterschied könntest du, da du dir dessen bewusst bist, ruhig auch benennen, da sonst eine Debatte nicht viel bringt, wenn man die Argumente der Gegenseite völlig verdreht.
@ accalmie. Stimme sowieso zu. Wollte das nur anmerken, weil im Text eben steht, dass mittlerweile statt Weib eben Frau gesagt wird, und wollte herumklugscheißern, dass weib ganz ganz früher eine neutrale Bezeichnung war. :-)
@Marlene:
…? Mit diesem Ausdruck werden immer konkret Leute benannt, markiert und deklassiert. Wie die fuckermothers schrieben, handelt es sich eben um keine neutrale Ausdrucksweise – das scheint Dir auch klar zu sein, sonst würdest Du ja nicht schreiben, dass manche Zeitschriften ja niemanden konkret beleidigen wollten, wenn sie so allgemein von N* schrieben. Ob ich allerdings von XYZ, dem_der N*_in rede, oder von N* generell, der Ausdruck wird nicht weniger konkret und nicht weniger rassistisch als Bezeichnung einer so definierten Gruppe von Menschen.
Ach, wenn die Welt nur so einfach wäre… Die alltagstaugliche Benutzung rassistischer Ausdrücke einzuschränken und/oder zumindest die bislang recht sorglose Kinderbuchtradition zu überdenken, jenen Alltagsrassismus immer wieder auf’s Neue der nächsten Generation beizubringen, konstruiert leider noch keine „gute Welt“ oder „gutes Reden.“ Es ist aber tatsächlich ein Schritt zu weniger Alltagsrassismus – denn wer glaubt, er_sie sei Antirassist_in, aber es total OK findet, weiterhin von N* zu reden, macht sich schlicht was vor. Die fuckermothers haben ja einige Buchtipps verlinkt, in denen solche und andere Sprach-/Zensur-/Authentizitäts-„Argumente“ aufgegriffen und ihnen argumentativ begegnet wird. Ich fände ja schon einmal die Erkenntnis toll, dass der Umkehrschluss von „Alltagsrassismus verschwindet nicht allein dadurch, dass Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr N*könig heißt“ nicht „…deshalb können wir ihn auch weiter so nennen“ ist.
Die „Argumente der Gegenseite,“ also die Position, weiterhin von N* und ähnlichen Bezeichnungen für Menschen sprechen zu können, sind eben keine solchen – es ist vielmehr eine Aufzählung/Darstellung weiterhin salonfähigen Alltagsrassismus‘ und diffuser Angst vor (nicht nur sprachlichem) Hegemonieverlust.
@Eleutheria: Klar :)!
@accalmie: Wenn ich sage: „Otfried Preußler verwendet in seinem Buch den Begriff ‚N*‘ [editiert – ausgeschlossen, dass dieser Begriff hier ausgeschrieben steht], dann habe ich damit niemanden benannt, sondern nur eine Tatsache festgestellt und könnte jetzt durchaus fortfahren mit einer Kritik daran und der Forderung nach Anpassung seines Buches.
Es gibt jetzt Menschen, die finden rein diese Aneinanderreihung von Buchstaben schon rassistisch, abgesehen von jedem Kontext „und wehren sich gegen die Verwendung“.
Das ist für mich der Knackpunkt der ganzen Debatte.
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die der Meinung sind, wenn man nur Wörter nicht benutzt, dann werden damit auch ihre Ursachen und Hintergründe beseitigt und auf der anderen diejenigen, die glauben, dass man die Wörter braucht, um eben das gesellschaftliche Verhältnis, das sie hervorgebracht hat und -bringt benennen zu können.
Es geht also überhaupt nicht darum weiterhin „von N* zu reden“, sondern darum, ob es hilfreich ist, Begriffe, in denen die Schlechtigkeit dieser Welt zum Vorschein tritt, zu verbannen oder sie zu nutzen, um eben diese Schlechtigkeit deutlich zu machen.
Konkret: Macht es mehr Sinn, einem Kind die Original-Geschichte vorzulesen und auf die Nachfragen hin, zu erklären, was dieser Begriff meint, warum man ihn nicht nutzen sollte etc. Oder ist es besser, das Kind bis es 18 ist in einem Schöne-Welt-Haus einzusperren, auf dass es ja nicht mit irgendetwas Negativem konfrontiert wird.
Ich habe dazu eine klare Meinung, kann aber auch die andere Position nachvollziehen. Aber keine dieser Positionen ist die originär antirassistische! Beide haben nur eine andere Sicht auf die Welt und wie man ihrer Ungerechtigkeit am besten zu Leibe rückt.
@Marlene
Tilgen kann man sowieso nichts, denn ncihts hört einfach so auf zu existieren, auch kein Wort. Man wird „es“ sicher noch lange in Lexika finden, aber hoffentlich mit der Definition „ehemalige, heute nicht mehr akzeptierte, diskriminierende Bezeichnung für…“. Damit diese Wunschdefinition aber Realität werden kann, wäre es hilfreich, wenn Kinder nicht mehr lernen, dass das Wörter sind, die man einfach verwenden kann.
Zu dem Interview mit Paul Maar will ich nur kurz anmerken, dass ich es vor allem unmöglich geführt finde: „Wo soll das denn noch hinführen? Dann wird möglicherweise Otfried Preußlers Buch nicht mehr ‚Die kleine Hexe‘ heißen, sondern ‚Die kleine Göre’…“. Ja, klar, das fänd ich auch doof, aber das steht doch gar nicht zur Debatte, oder? Mit einem falschen Dilemma kann man natürlich leicht Ablehnung hervorrufen, aber vielleicht hätte man sich besser über die tatsächlich vorgeschlagenen Änderungen unterhalten — vielleicht sind die ja ganz sinnvoll.
Ich bin jedenfalls gespannt und werde mir eine der neuen Auflagen dann mal angucken.
@Mart: Im Duden z.B. ist (nach langen Antira-Kampagnen) seit längerem vermerkt, dass der Ausdruck N* „stark diskriminierend“ sei und deshalb „meist vermieden“ werde.
@Marlene:
So, dann nochmal von vorne:
N* ist keine blosse Aneinanderreihung von Buchstaben – sowohl Geschichte als auch Sprachpraxis machen deutlich, warum von N* zu sprechen rassistisch ist. N* ist unabhängig vom Kontext ein rassistisches Schimpfwort (das immer als N* definierte Menschen diskriminierend bezeichnet). Und jetzt befinden wir uns in der Welt der strawmen: ich persönlich würde also sagen, dass bereits die Aneinanderreihung der Buchstaben, wie Du es nennst, also das Wort N* rassistisch ist, und die Aussprache dessen, egal in welchem Kontext, ebenso. Die Gründe wurden im Artikel sowie in zahlreichen verlinkten Werken angeführt. Darum geht es ja aber nicht einmal in dieser Debatte – es geht hier allein darum, dass das Wort als Bezeichnung für Schwarze Menschen nicht weiterhin alltäglicher Teil von Kindergeschichten sein soll. Gegen diese simple Forderung wird sich hier mit Händen und Füßen gewehrt; und der Kulturpessimismus erreicht neue Höhen dadurch, dass manche Publikationen jetzt Schwarze statt N* schreiben. Diese Radikalität… *pearl clutch*
Da kann ich nur auf meinen letzten Kommentar und der Anmerkung zu falschen Umkehrschlüssen verweisen. Im übrigen ist die Benutzung dieses Ausdrucks ein Zeichen undurchdachter „Ursachen und Hintergründe“ von Alltagsrassismus, und reproduziert durch seinen unbesorgten Gebrauch jenes gesellschaftliche Verhältnis, täglich neu, täglich mehr oder weniger subtil (…und ein dezentes LOL zu „verbannen“ – als ob hier diejenigen, die von N*Bezeichnungen betroffen sind, in der gesellschaftlichen Position dazu wären…).
Noch besser (und ich wiederhole letztlich nur das, was bereits im Artikel der fuckermothers steht): warum nicht ein Buch (vor)lesen, das einen antirassistischen Anspruch hat? Warum nicht die Neu-Edition von Pippi Langstrumpf u.a. vorlesen? Warum stattdessen der Tatsache gleichgültig gegenüberstehen, dass nicht-weiße Kinder (und Erwachsene) durch solche Kinderbücher diskriminiert werden? Warum davon ausgehen, dass Kinder in einem Schöne-Welt-Haus leben würden oder auch nur könnten, wenn man ihnen keine N*-Geschichten vorliest (…mal ganz abgesehen von diesem künstlichen Kollektiv „Kinder,“ das Du hier stilisierst) und man Rassismus nicht anders thematisieren kann (z.B. mit einem jener Kinderbücher mit antirassistischem Anspruch? Oder einem Kinderbuch, das explizit für nicht-weiße Kinder geschrieben wurde? Da gibt’s nämlich einiges an Kinderliteratur, die sich explizit mit Rassismus auseinandersetzt, wenn auch – reiner Zufall natürlich – wenig im deutschsprachigen Raum…)?
Vor allen Dingen: warum davon überzeugt sein, dass es einer antirassistischen Erziehung zuträglich sei, Kindern vorzuleben, dass die Forderungen und Bedenken und Bedürfnisse von PoC (und anderer Marginalisierter) nebensächlich sind, wenn diese Worte wie N* kritisieren, aber man trotzdem meint, jene weiterhin benutzen zu müssen (…natürlich nur der Aufklärung über die Schlechtigkeit der Welt wegen, is klar…)?
Eine dieser beiden Positionen ist antirassistisch, nicht beide – Deine Position verniedlicht Ausmaß und Wirkung von Alltagsrassismus, ignoriert die Aufklärungskampagnen und -argumente von PoC und manifestiert hegemoniale Geschichtsschreibung und Sprachpolitik. Das rückt Ungerechtigkeit leider nicht zu Leibe, das zementiert sie.
Und vieles Weitere steht bereits im obigen Artikel der fuckermothers (sowie bei Nadia und Melanie), und weitere Informationen bekommt man auch, wenn man auf die Links klickt.
„Ernsthaft: Ich verstehe die Aufregung um die aktuelle Überarbeitung des Kinderbuchs “Die kleine Hexe” nicht. Als Otfried Preußler das Buch im Jahr 1957 geschrieben hat, hat er das Wort “wichsen” verwendet. Kinder sollen im Buch “ordentlich durchgewichst” werden. Das Wort “wichsen” hat drei Bedeutungen. Es steht für “polieren”, “verhauen” und “masturbieren”. Heute ist fast nur noch die letzte Bedeutung gebräuchlich. Preußler verwendete das Wort im Sinne von “verhauen”. Das wird in der aktuellen Fassung klargestellt und die Kinder werden nicht mehr “durchgewichst” sondern eben “verhauen”.“
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2013/01/15/achtung-die-sprachpolizei-kommt-die-kleine-hexe-wird-bedroht/
Ich habe die Hexe selber nie gelesen, aber beim Hinweis auf andere Worte, die der Überarbeitung zum Opfer fallen, habe ich ein wenig schmunzeln müssen. Hier geht niemand zur Rettung der unschuldigen Wörtlein auf die Sprachbarrikaden. Warum nur? Trennt der Deutsche sich lieber vom fröhlich-althergebrachten Wichsen voller schöner Jugenderinnerungen als vom N*?
Ist es nicht völlig lächerlich, dieses Wort nicht einmal auszuschreiben?
@roggen: :) – es ist in der Tat bemerkenswert, ans welche Worte sich manche verbissen klammern und an welche nicht. Reiner Zufall, natürlich.
@hurr: Nein. Aber danke für diesen äußerst argumentativen Input.
„Aneinanderreihung der Buchstaben, wie Du es nennst, also das Wort N* rassistisch ist, und die Aussprache dessen, egal in welchem Kontext, ebenso.“
Diese Behauptung ist aber nun einmal schlicht unwahr, sofern man keinen völlig ahistorischen Blick auf die Welt hat. Denn die Bedeutung eines Begriffs bestimmt sich nun einmal allein aus dessen Gebrauch, und gerade dieses Wort taucht nun (unkommentiert) in vielen rassismuskritischen Publikationen von vor etwa 50 Jahren auf. Etwa in denen von Hannah Arendt, der man Rassismus nun wirklich schwerlich vorwerfen kann. (Oder hatte nicht gerade auch hier in den Kommentaren jemand auf Martin Luther King verwiesen? Habe ich mir das nur eingebildet?) Die Bedeutung des Begriffes selbst war also historisch gerade nicht immer rassistisch. (Und das ist übrigens ein Punkt, der mich immer so ärgert an solchen Diskussionen: Wer diesen Punkt abstreitet und ahistorisch bleibt, gibt nicht nur einen Begriff preis und läßt zu, daß er zum Kampfbegriff des politischen Gegners wird (wobei bei „N*“ der Fall freilich ein wenig anders liegt als bei vielen anderen Begriffen); sondern es werden außerdem a posteriori plötzlich alle, die einmal so gesprochen haben, für rassistisch, ausländerfeindlich oder was auch immer erklärt.)
Und was die Diskussion um das Buch anbelangt: Für mich ist es gerade dieses Verschwindenlassen aller Geschichtlichkeit, die den Eingriff in die Kinderbücher so ärgerlich und schwer verzeihlich macht. Man macht die Welt absichtlich eindimensional statt etwa einfach eine Anmerkung zu setzen und die Sache auch für allein lesende Kinder zu erklären. Für mich macht das ein Buch ärmer und nicht reicher.
[TW: rassistische Begriffe]
@pqr:
Ist das wirklich so schwer, das zu verstehen? Es gab vor 50 Jahren Alternativen zu diesem Begriff (der im übrigen im Deutschen ein nie selbst-gewählter war, im Gegensatz zu „Negro“ in den USA, z.B.; ein Begriff, der somit 1. nicht vergleichbar ist, und 2. auch bereits seit den 1940er Jahren von einigen Civil Rights-Aktivist_innen kritisiert und spätestens seit den 70ern eingestampft wurde – so viel zum Thema ahistorisch, denn sich über Sprachgeschichte und -politik auch mal wirklich zu informieren, bevor man anfängt, MLK als Verfechter des deutschen N*-Begriffs zu stilisieren, wäre super; I can only repeat so often: Links klicken macht Sinn), und heute erst Recht. Ja, in den 1930ern wurde z.B. von der NAACP oder ACLU von „Negroes“ gesprochen. Und weiter? Das ist ein strawman, den du aufbaust: was ich geschrieben habe, ist, dass ich finde, dass N* auszuschreiben und zu sprechen in jedem Kontext rassistisch ist, als ich auf Marlenes Einwand, man könne ja N* sagen und/oder in Kinderbüchern/Magazinen/Zeitungen schreiben und trotzdem/dadurch dagegen sein/Rassismus bekämpfen, geantwortet habe. Daraus ergibt sich leider nicht (so schön es auch wäre, ich weiß…), dass ich MLK rassistisch finde, weil er 1963 von „Negroes“ gesprochen hat. MLK steht aber auch nicht als einziger für Ideen und Strategien des US-amerikanischen Civil Rights Movements, mal so am Rande erwähnt (…und ich finde es auch generell widerlich, ihn spontan einzuwerfen, wenn man für die Beibehaltung rassistischer Begriffe zu argumentieren versucht).
Der Begriff N* in deutschland hat kein ‚Wiederaneignungspotential‘, und N* war schon immer ein Terminus der Fremdbezeichnung und -markierung. Ich dachte, man könne sich gelegentlich auf gewisse Rassismus 101s verlassen – das scheint immer noch nicht der Fall zu sein.
Was für mich ahistorisch ist, ist die Aufklärungskampagnen von als N* bezeichneten Menschen zu ignorieren – wenn Menschen meinen, mich und andere trotzdem weiterhin so bezeichnen zu müssen, dann sind diese Menschen bereits politische Gegner_innen, und dann macht es erneut wenig Sinn, Rassismus nur „diesen Nazis da“ zuzuschaufeln, während man sich selbst für antirassistisch erklärt, aber weiterhin N‘ sagen möchte. Erneut befinden wir uns hier übrigens in der Welt der strawmen – in diesem Artikel geht es darum, dass heute, anno 2013, mittlerweile (fast) unbestritten rassistische Begriffe in Kinderbüchern, zum Teil selbst auf Wunsch der Autor_innen (wie bei Ottfried Preussler), verändert werden. Nicht mehr, nicht weniger. Nicht ich erkläre Ottfried Preussler für rassistisch, sondern Ottfried Preussler erkennt den Rassismus im N*-Begriff.
Wie roggen bereits sagte: es ist erstaunlich, dass N‘ ein zeitgeschichtlich so wertvolles Wort sein soll, dass auch Fünfjährige es dringend mit der Gute-Nacht-Geschichte erlernen müssen. Zur Geschichtlichkeit von Dokumenten wird sowohl in diesem Artikel als auch in denen von Nadia und Melanie und in den Links geschrieben, das werde ich hier nicht wiederholen. Für mich persönlich ist es schwer verzeihlich, rassistische Begriffe, Diskriminierung gegenüber PoC und Gleichgültigkeit gegenüber deren Anliegen als bereichernd für Bücher zu definieren und zu finden, dass die Humanität und Würde von PoC nur eine „Anmerkung für allein lesende Kinder“ wert ist. Die Diskussion dreht sich tatsächlich im Kreis: solange es manchen wichtiger ist, ihren Kindern rassistische Begriffe beizubringen als Rassismus zu bekämpfen, werden wir immer wieder solche Diskussionen haben.
Wenn Kindheitsbücher dadurch schwer verzeihlich „ärmer“ werden, dass man das Wort N* ersetzt, dann war das Kindheitsbuch schon davor nicht viel wert, und es war dann schon immer nur ein Kindheitsbuch, das nur für weiße Kinder „reich“ war.
Es scheint einigen nicht klar zu sein, aber hier wird allen Ernstes essentiell darüber diskutiert, ob man Schwarzen Menschen auch in Kinderbüchern allein begriffliche Humanität zugestehen sollte oder nicht (…rassistische Tropen oder Muster sind hier ja noch nicht mal Thema). Für PoC ist das aber keine literarische Übung, sondern hier diskutiert man über Lebensrealitäten.
Mein Gott, ist es nicht verständlich, dass PoC (und auch Weiße) sich darüber aufregen, wenn ihre Kinder in der Literatur, die immer wieder neu gedruckt wird, immer noch N genannt werden? Gott sei Dank hat ja Martin Luther King dieses Wort verwendet! Dann können wir uns jetzt rechtfertigen und alle schön weiter beschimpfen. Und was würde den armen Kleinen da alles an historischem Diskurs vorenthalten werden, wenn sie nicht bei jedem zu Bett gehen das gleiche Wort hören, mit denen sie ja schon tagsüber in der Schule gehänselt oder wahlweise auch von Omis im Bus angekeift werden. Das geht natürlich vor die Würde und Integrität der PoC, die sollen sich da mal nicht so anstellen. Bei den Frauen an sich ist es ja schon anstrengend genug, die wollen ja jetzt auch immer korrektere Sprache, aber da kann man das ja verstehen, sind ja immerhin die Mehrheit der Bevölkerung. Marlene, vielleicht bist du ja gar nciht weiß, da nenn ich dich ab jetzt einfach K*n*ckin. Ist keine Beleidigung, ist nur die Bezeichnung der indigenen Bevölkerung von Neu-Kaledonien. Sonst nichts.
PS: Zur Rechtfertigung à la „Martin-Luther-King-hat-aber-auch-das-N-Wort-gesagt-deshalb-ist-es-erlaubt“ fällt mir nur noch die NRA ein: We are not obsessed with weapons, we only need guns to protect ourselves!
Diese Legitimationsversuche von pqr erinnern mich an ein sehr unangenehmes Erlebnis im Germanistik-Studium vor einigen Jahren; da gab es in einem Seminar auch eine Diskussion darüber, dass in einem Kinderbuch (ich glaube, bei Pippi Langstrumpf, bin mir aber nicht mehr sicher) N* entweder ersetzt oder zumindest mit einer erklärenden Fußnote versehen werden sollte. Was haben sich meine KommilitonInnen darüber empört, schließlich gehöre das doch zum historischen Kontext des Buches!! Das Schlimme daran: Das waren größtenteils Menschen, die später mal LehrerInnen werden wollten… :(
Unabhängig von dieser Erinnerung finde ich es generell hochgradig merkwürdig, dass sich so unglaublich viele Menschen – nicht selten solche, die sich sonst einen feuchten Kericht um (Kinder-)Literatur und Sprache an und für sich kümmern – urplötzlich in ihrer „Freiheit“ (dafuq?) eingeschränkt fühlen, weil N* in Neuauflagen von Kinderbüchern ersetzt wird, und irgendwas von „Sprachpolizei“ daherfabulieren. I don’t get it. :/
„Was für mich ahistorisch ist, ist die Aufklärungskampagnen von als N* bezeichneten Menschen zu ignorieren – wenn Menschen meinen, mich und andere trotzdem weiterhin so bezeichnen zu müssen, dann sind diese Menschen bereits politische Gegner_innen, und dann macht es erneut wenig Sinn, Rassismus nur “diesen Nazis da” zuzuschaufeln, während man sich selbst für antirassistisch erklärt, aber weiterhin N’ sagen möchte. Erneut befinden wir uns hier übrigens in der Welt der strawmen – in diesem Artikel geht es darum, dass heute, anno 2013, mittlerweile (fast) unbestritten rassistische Begriffe in Kinderbüchern, zum Teil selbst auf Wunsch der Autor_innen (wie bei Ottfried Preussler), verändert werden.“
Zunächst: Du baust hier viel mehr Strohmänner auf als ich. Ich habe nie dafür plädiert, „N*“ heute andauernd zu gebrauchen. Und was die Sache mit Ottfried Preussler anbelangt, so konnte man ja zur Genüge lesen, daß da doch wesentlicher Druck ausgeübt werden mußte und er sich lange gesträubt hat.
Zweitens (und nicht nur an Dich): Ja, ich empfinde es als Verarmung, wenn historische Werke verändert werden, weil anschließend niemand mehr wagen kann, Rückschlüsse auf die Welt zu ziehen, aus der sie stammen. Und ich empfinde es als nicht wünschenswert, wenn wir das genau vor denen verbergen, die gerade erst in unsere Welt finden. Daß sich unsere Diskussion im Kreis dreht, liegt dann wohl allein daran, daß Du (gemeinsam mit anderen) der Meinung bist, daß nichts die Beibehaltung bestimmter Wörter rechtfertigen kann, während ich (gemeinsam mit anderen) genau in einer solchen Veränderung eine Verfälschung sehe und eine dann nicht länger bestehende Möglichkeit, historische Bezüge zu erklären. Es handelt sich also (letztlich) um einen Streit um die Methode, nicht um das Ziel. Ich würde mir wünschen, daß das auch zur Kenntnis genommen wird, genauso wie ich mich bemühe, mich umfassender einzulesen.
@pqr:
So, letzte Runde:
Ja, ich bin diejenige mit den strawmen, klar – ich sehe, Du hast MLK hier jetzt schnell wieder fallen gelassen und ziehst Dich jetzt auf Historizität zurück… Du weißt also persönlich, dass Preussler sich erpresst fühlte? Man könnte hier auch anbringen, dass auch die Schwarze Bürger_innenrechtsbewegung „wesentlichen Druck“ ausüben musste, weil sich einige „lange gesträubt“ haben – d.h. nicht, dass ich Preussler mit Strom Thurmond gleichsetze, sondern, dass sich aus der der Langsamkeit oder Länge von Aufklärungskampagnen und dem Ausmaß an Widerstand keine Rückschlüsse über die Sinnhaftig- oder Richtigkeit ziehen lassen müssen. Man könnte auch sagen: Ottfried Preussler hat aber lange gebraucht. Es ist trotzdem seine aktuelle Entscheidung – der implizite Vorwurf, dass er dazu genötigt wurde, zeigt aber, dass Befürworter_innen der „Man darf es nicht ändern“-Position ganz schöne Schwierigkeiten dabei haben, anzuerkennen, dass selbst manche derjenigen, die rassistische Worte benutzt haben in ihren Werken, besser in der Lage dazu sind diese zu reflektieren als manche selbsternannten Verteidiger_innen, und sie ihre Werke nicht für entweder so nutzlos oder heilig halten, dass die Ersetzung eines Wortes jene unbrauchbar macht.
LOL! Erstmal frage ich mich, wie Leute darauf kommen, dass durch eine Sprachveränderung keine „Rückschlüsse auf die Welt“ mehr möglich seien, aus denen Literatur (!) stammt. Ich persönlich finde ja, dass sich auch „unverfälschte“ historische Bezüge zum Jahre 1957 außerhalb Der Kleinen Hexe (mit N*) herstellen lassen – but maybe that’s just me…?
Zum einen existieren weiterhin Erstauflagen (und X weitere aus sage und schreibe 55 Jahren „mit N*“), die sowohl Dir als auch jenen „anderen“ natürlich rein historisch Interessierten als Primärquellen zum antirassistisch-literarischen Studium vorliegen werden; zum anderen handelt es sich hier um (Kinder-)Literatur, nicht um – Beispiel – die Bibel (die man im übrigen auch gelegentlich umgeschrieben/neu editiert hat – so viel zu sprichwörtlich heiligen Schriften, auf deren Worten Leute ganze vermeintlich unumstößliche Ideologien aufbauen – aber das führt woanders hin) oder Den Heiligen Gral Historischer Unikate (…und hier übermalt auch niemand Fresken, falls es da Bedenken gäbe).
Ich finde in der Tat, dass Nostalgie keinen Rassismus rechtfertigt – erstrecht, weil es sich hier nur um die privilegierte Nostalgie weißer Deutscher handelt. Ich bin recht erstaunt darüber, dass es nicht möglich sein soll, Kindern Rassismus und/oder Rassismus in früheren Kinderbüchern zu erklären, ohne dabei ohne Wenn und Aber rassistische Begriffe reproduzieren zu müssen, gar explizit zu wollen (The Greater Good und so). Mehr dazu (und warum ich es weiterhin absurd finde, so zu „argumentieren“) habe ich bereits in meinem Kommentar auf Marlenes Einwand geschrieben – und ich wiederhole nochmal: Artikel, Links und gar tatsächliche, „unverfälscht“ historische Quellen zu Rassismus lesen, hilft. Ich freue mich, dass Du Dich nun darum bemühen wirst.
Eins sei aber noch klargestellt: es handelt sich hier keineswegs nur um eine Divergenz in „Methoden“ (was schon Unterscheidung genug wäre, im übrigen – „sich im Ziel treffen“ reicht nämlich sehr selten). Wie ich bereits bei Marlene geschrieben habe: es handelt sich hier um Antirassismus vs. Inkaufnahme von Rassismus für ein (nicht näher definiertes, aber irgendwie historisch/sprachlich/rhetorisch/emotionales) vermeintlich höheres, antirassistisches Ziel (oder schlichter Gleichgültigkeit gegenüber Alltagsrassismus – das überschneidet sich auch gelegentlich, wenn man Rassismus als „das, was die anderen machen“ definiert). Warum man nicht mit Hilfe von Rassismus antirassistisch sein kann, wurde hier mehrfach erklärt. Dass eine solche Haltung nicht antirassistisch ist, sondern rassismusbefördernd, indem man die Forderungen von PoC als nebensächlich darstellt und im Namen von vermeintlicher Authentizität auf rassistische Sprache besteht (…die armen Kindheitserinnerungen…), habe ich ebenfalls bereits erwähnt, und ich fürchte, Du bist da keine Ausnahme, egal, wie oft Du Deinen Widerwillen als moralische Historiker_innenpanik verkleidest.
Und abschließend wiederhole ich mich aus dem vorhergehenden Kommentar: Es scheint einigen nicht klar zu sein, aber hier wird allen Ernstes essentiell darüber diskutiert, ob man Schwarzen Menschen auch in Kinderbüchern allein begriffliche Humanität zugestehen sollte oder nicht (…rassistische Tropen oder Muster sind hier ja noch nicht mal Thema). Für PoC ist das aber keine literarische Übung, sondern die Relativierung (und Lächerlichmachung) diskriminierender Lebensrealität.
„Ja, ich empfinde es als Verarmung, wenn historische Werke verändert werden, weil anschließend niemand mehr wagen kann, Rückschlüsse auf die Welt zu ziehen, aus der sie stammen.“
Das halte ich – aus Sicht einer Literaturwissenschaftlerin – ehrlich gesagt für Unfug. Das klingt ja fast schon so, als würden alle alten Editionen der Bücher verbrannt oder sonstwie entsorgt; aber sie werden weiterhin existieren und garantiert insbesondere (aber nicht nur) im (literatur-)historischen Kontext als Primärtexte thematisiert und allein dafür in unzählingen Bibliotheken etc. aufbewahrt. Genau so, wie es seit vielen, vielen Jahren mit anderen überarbeiteten Büchern der Fall ist. Verborgen wird da also gar nix (oder sind dir irgendwelche Bücher bekannt, bei denen das jemals passiert ist? Frage ist ernst gemeint, vielleicht besteht ja auch bei mir Nachhol-Bildungs-Bedarf.), es wird nur auf andere Kontexte übertragen. Kontexte, in denen es Sinn ergibt – bei der Lektüre der Bücher durch Kinder ist dieser Sinn m. E. nicht gegeben und hat allerhöchstens negative Auswirkungen, die ja bereits von den anderen bereits ausführlich dargelegt wurden.
@pqr, Kristin
#Verarmung
Ich empfinde es — in meinem Fall aus Sicht der Geschichtswissenschaft — als eine besondere Bereicherung, dass spätere Historiker_innen den kulturellen Fortschritt ihrer Vorfahr_innen (also unseren) unter anderem anhand von sich stetig verbessernder Kinderliteratur werden nachvollziehen können, der durch den Vergleich verschieden alter Auflagen sichtbar werden wird.
…um jetzt mal pathetisch zu werden. :) Sorry. Selbst wenn ich das nicht so empfände, würden die u. a. von accalmie angeführten Punkte immer noch schwerer wiegen — aber von Verarmung kann ich so oder so nichts erkennen.
“Ja, ich empfinde es als Verarmung, wenn historische Werke verändert werden, weil anschließend niemand mehr wagen kann, Rückschlüsse auf die Welt zu ziehen, aus der sie stammen.”
Ja, streng genommen war Pipi Langstrumpf wahrscheinlich als der privilegierten weißen Schicht angehörendes Kind ihrer Zeit auch Rassistin. Bzw, ihre Umwelt war rassistisch. Das wäre der einzige Rückschluss, den die Nennung dieses Wortes zulässt. Das ist dann aber nicht die Geschichte, die ich meinem Kind vorlesen will. Das ist wohl auch kaum die Essenz der Geschichte.
Das Argument „dass man das eben früher so gesagt hat und heute nicht mehr“ beinhaltet quasi selbst schon die Rechtfertigung für die Abschaffung dieser Ausdrücke.
Aber ich hab eigentlich gar keinen Bock, in dieser „Diskussion“ ernsthaft zu argumentieren, weil mir mal wieder klar wird, was für ein Stellvertreterkrieg hier tobt. pqr, du kannst ja vielleicht einfach mal so tun, als wärst du ein kleines Mädchen mit nichtweißer Hautfarbe und dann überlegen WIE SICH DAS SO ANFÜHLT! Diskriminierung und Rassismus. Erzähl mir doch nichts von „historischer Forschung im Kinderzimmer“ unter Inkaufnahme von Beleidigung anderer Leute.
Ich finde es bezeichnend, dass der Sturm der Entrüstung genau dann losgeht, wenn Leute „von außen“ (kann man auch wunderschön ersetzen mit „Fremde“/ „vermeintlich nicht deutsche“, „nicht urdeutsche“, und -oh Gott- Migranten!) einmischen und die deutsche Sprache zu IHRER Sprache machen, die sie nunmal auch ist!! Da könnt ihr euch einfach mal auf den Kopf stellen, wir machen diese Sprache genauso mit wie die wohlmeinenden Martin-Luther-Kings, die ja das N-Wort für alle erfunden haben (äh, nee). Und neben dem mahnenden historische Diskurszeigefinger, der hier wohl spricht, sprechen eben auch noch andere mit. Ich als Literaturwissenschaftlerin (LOL) empfehle jetzt auch mal was, diesmal sogar deutsche Hochliteratur, und zwar Paul Celan. Der stand genau vor dem Problem, wie es ist, mit der Sprache seiner schlimmsten Feinde sprechen zu müssen, weil sie zufällig auch seine eigene Muttersprache war. Hat er doch wunderbar gemacht.
(wird schon schlimm werden ohne die ganzen schönen Wörter wie K*n*cke, N*, Schl*, F**ze, W*chs*r in unseren Kinderbüchern, unsere schöne Sprache, wie bring ich das bloß meinen Kindern bei, was wir der aufgeklärten Welt damit antun..)
@Mart: Das finde ich überhaupt nicht pathetisch, sondern sehr schön gesagt – stimme dir da total zu. :) Ich frage mich sowieso gelegentlich, für wie rückständig man unsere gegenwärtige Gesellschaft in ~100 Jahren wohl halten wird, bei all der rassistischen, sexistischen, homophoben, etcpp Kackscheiße, die uns momentan noch so umgibt…
Danke fuer diesen Artikel, es tut gut nach 100ten rassistischen Kommentar mit Verstand und Menschlichkeit Geschriebenes zu sehen.
Abgesehen von den ganzen Stuermen an privilegierter Empoerung ist mir eines als schon komisch aufgefallen: Dass manche im ersten Satz die Heiligkeit der Sprache verteidigen und im folgenden solche unfassbaren erfundenen Kampfbegriffe wie „Genderisten“ einzubauen.
Nein, so etwas bezeichnet man gemeinhin als mangelndes Sprachverständnis.
@hedy: Und nochmal Nein: solch einen Kommentar wie Deinen bezeichnet man als kenntnislose Trollerei. Die ist besonders dann lustig, wenn der der Link, der jenes angeblich „mangelnde Sprachverständnis“ beweisen soll, die beanstandete Aussage nochmal belegt.
Als nicht-deutscher (Englander) finde ich diese Debatte schon interessant: das englische N-wort ist schon langer nicht mehr akzeptable, ob in Kinderbücher oder sonst wo. Aber damit ist die Sache nicht erledigt und präsentiert weitere Probleme auf die prachliche Niveau, indem mann sich fragt, ob Wörte wie Schwarze_r (also, „black“) auch nicht rassistisch sind. Interessant ist es dann, dass im England das Wort „black“ vollig geläufig und akzeptiert ist als Beziechnung für Menschen, während in den USA das selbe wort durch „African-American“, oÄ., ersetzt werden muss. Es ziegt nur, dass die Issue eher flussig ist, es gibt kein Wort, das an sich rassistisch oder diskriminierend ist* – sie sind bloss zusammengesetzte Buchstaben – aber wie schon mal gesagt, das N-wort wird und wurde immer ausschließlich als Beleidigung verwendet, und erst daran liegt der Rassismus – in der Verwendung eines Worts und der Meinung der Betroffenen.
@1rocks:
Du findest N* ist zwar eine klare Beleidiugng, alles andere aber „bloss zusammengesetzte Buchstaben“? Das sage ich Nein: Hinter Begriffen wie N*, „Black“ und „African American“ stehen sowohl soziale als auch politische Konzepte, und diese Bezeichnungen sind konkrete Ausdrücke materieller Machtverhältnisse. Ich würde vorschlagen, sich mal die Sprachgeschichte und -politik zu „Black“/“African American“ anzugucken, wie diese z.B. mit Schwarzen Bürger_innenrechtsbewegungen zusammenhängt, und welche vielfältigen Positionen zum Begriff „Black“ es (immer noch) gibt, auch im UK und in den USA. Wo ich Dir auf alle Fälle Recht geben würde, ist, dass diese Bezeichnungen flüssig sind – das ist aber kein Zufall, sondern liegt sowohl an der „Flüssigkeit“ von Rassifizierungen als auch an Formen und Zeiten des Aktivismus‘ gegen solche.
1rocks: Ich finde es super, dass du nochmal die Meinung der Betroffenen als Einfluss thematisiert hast. Hier liegt auch für mich der springende Punkt. Es geht darum, wer spricht, oder wer sprechen darf. Und ich habe das Recht, mit meiner Stimme gegen das anzugehern, was mir aus der Literatur entgegen schlägt. Die Argumente von der „Erhaltung der deutschen Sprache“ sind im Grunde genommen nur eine weitere Form des Silencing betroffener Personen, weil ihnen ein weiteres Mal das Recht (dagegen) zu sprechen aberkannt wird.
Vielen Dank für diesen erfreulichen Artikel! Es ist sehr erleichternd unter diesen ganzen Hassreden von Artikeln auch hin und wieder etwas Vernünftiges zu lesen und zu sehen dass es auch anders geht.
Gegen Rassismus in Medien und in Kinder- und Jugendbüchern
Ein offener Brief
Wie können in Kinderbüchern und anderen Büchern nicht verletzende Wörter und nicht-rassistische Gruppenkonstruktionen, sondern egalitäre, nicht-koloniale Beziehungsverhältnisse dargestellt werden, die nicht von indirekt konstruierter weißer, zivilisierter Dominanz und nicht von einer kolonial-rassistischen Konstruktion Schwarzer Menschen gekennzeichnet ist?
Die Debatte über die Benutzung des N-Wortes, alternative Bezeichnungen und koloniale Gruppenkonstruktionen wird in Deutschland seit einigen Wochen von verschiedenen so genannten Qualitätszeitungen geführt, u.a. da sich einige Verlage bereit erklärt haben, ihre Kinderbücher in diskriminierungsreflexiver Weise zu überarbeiten, was in einigen Medien sowie in Internetforen und den Kommentarfunktionen von Zeitungen mit einem medialen Sturm der Entrüstung beantwortet wurde.
Der Thienemann-Verlag, der einige seiner Bücher überarbeiten will, hat fachlich inhaltlich auf seiner Homepage Stellung bezogen (http://cms.thienemann.de/index.php?option=com_content&view=article&id=637:sprachliche-modernisierung-von-klassikern&catid=15:news-artikel&Itemid=29) , u.a. indem aufgezeigt wird, dass keinesfalls von „Zensur“ die Rede sein kann und dass Kinder unterschiedlicher Altersstufen etwas vorgelesen bekommen und auch alleine lesen. Dass keine Zensur vorliegt, wird u.a. durch die zigfache Verwendung des N-Wortes in den Zeit-Artikeln vom 17.01.2013 und in der Kolumne von Mely Kiyak in der Frankfurter Rundschau: „Liebe N.“ belegt. Mely Kiyak hat den interessanten Gedanken, nicht ausschließlich rassistische Wörter zu verändern, sondern die kolonialrassistischen Konstruktionen offenzulegen und solche Bücher nicht zu verwenden. Leider benutzt sie rassistische Begriffe in ihrer Argumentation und erweist rassismuskritischen Ambitionen, entgegen ihren sonstigen Artikeln, damit keinen guten Dienst, eher das Gegenteil.
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Ein lesenswerter und rassismuskritischer Artikel trägt den Titel „Koloniale Altlasten. Rassismus in Kinderbüchern: Wörter sind Waffen“ von Simone Dede Ayivi im Tagesspiegel/Berlin: http://www.tagesspiegel.de/kultur/koloniale-altlasten-rassismus-in-kinderbuechern-woerter-sind-waffen/7654752.html. In diesem wird auch thematisiert, um was es in der aktuell stattfindenden Debatte wirklich geht: dass die Mehrheit der deutschen Medien und Theaterbühnen in ihrem Sprachgebrauch immer noch nicht die Tatsache mitdenken, dass in Bezug auf das deutsche Lese- oder Zuschauerpublikum ein „wir“ und ein „uns“ auch Schwarze Menschen miteinschließt bzw. miteinschließen sollte. Dass der Thienemann-Verlag versteht, dass seine Medien den heutigen Realitäten – das deutsche Leser_Innenpublik besteht nicht nur aus weißen Personen – angepasst werden müssen, ist anerkennenswert und angemessen. Damit stellt er eine Innovationsfähigkeit unter Beweis, die die Autorin Simone Dede Ayivi zu Recht bei jenen vermisst, die sich scheinbar verzweifelt an die Bestimmungsmacht in Bezug auf medial zu verwendende Begrifflichkeiten klammern, unabhängig davon wie unzeitgemäß diese sind. Die Autorin Sabine Mohamed hat auf diesen gesellschaftlichen Missstand bereits letztes Jahr in einem Artikel und vor der aktuellen Debatte aufmerksam gemacht (http://www.publikative.org/2012/06/12/das-wort-das-wir-nicht-aussprechen-durfen). Zur historischen Kontextualisierung der Gegenwarts-Debatte: Die vorrangig in Black Community-internen Zirkeln geführte Begriffsdiskussion erreichte 2003 erstmalig publikumswirksam die „öffentliche“ Diskussion. Nachdem die Volksbühne eines ihrer Stücke aggressiv mit dem N-Wort beworben hatte, erschien in der Berliner Zeitung der Artikel von der Afro-Deutschen Albini Zöllner unter dem Motto „Ein Wort hat seine Unschuld verloren“ (http://kurzlink.de/th5YX2EFK). AFROTAK TV cyberNomads (Das Schwarze Deutsche Datenbank Archiv http://de.wikipedia.org/wiki/Afrotak_TV_cyberNomads) haben die damalige Diskussion durch den Artikel von Grada Kilomba „Don´t Call me N….“ in TheBlackBook aufgegriffen (AFROTAK TV cyberNomads mit ADB Koeln (Hrsg.) (2004): The Black Book, Köln und Berlin, Schwarze Präsens in Deutschland Mittelalter bis Gegenwart. IKO–Verlag). Und als Redaktion für ein Online-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung (Afrikanische Diaspora in Deutschland (http://www.bpb.de/wissen/B89NS4) der Nachwelt allgemein zugänglich gemacht. Auch historisch betrachtet war der Begriff zu keiner Zeit neutral. Im Gegenteil: Das mit dem N-Wort verbundene koloniale Konzept „Untermensch“
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war Teil einer moralischen Rechtfertigungsstrategie weisser, deutscher Menschen der Weimarer Republik, die Schwarzen Menschen das Menschsein absprach. Und 1904-1908 im Vernichtungskrieg/Völkermord fast 100 000 Menschen in der deutschen Kolonie (heute Namibia) umbrachten, noch bevor die Nationalsozialisten dies nach Deutschland importierten (siehe Adetoun und Michael Küppers-Adebisi, New Pan-African Images out of Germany: http://kurzlink.de/jqYguOFeM). Auch gegenwärtig können in der BRD weisse koloniale und rassistische Strategien und Kontinuitäten gegen Schwarz nachgewiesen werden. Wie z.B.: Institutionalisiertes „Racial Profiling“ (siehe AFROTAK TV cyberNomads Interview mit Hadija Haruna, 2012, http://www.youtube.com/watch?v=RWDm-Z_IEmk), Ausgrenzungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt (siehe Adetoun Küppers-Adebisi, Arbeitsmarktintegration Afrikanische Diaspora in Berlin, Dossier, http://kurzlink.de/PfOm8HjNr), sowie tendenziöse bis rassistische Berichterstatung in den vorwiegend weiss geprägten Mainstream-Medien (s. Michael Küppers-Adebisi, Producer: Balotelli – Colonial Stereotypes or Media Racism http://kurzlink.de/4bF9YPgAF).
Adetoun Küppers-Adebisi, die Präsident_in von AFROTAK TV cyberNomads, (http://afrotak.com) und Bündnispreisträger_in der Stiftung Demokratie und Toleranz berichtet: „Vor 30 Jahren habe ich als Reaktion zu der Beleidigung mit dem N-Wort durch andere Kinder den Yoruba-Begriff KOORA als Erwiderung eingeführt. (Und Ihr, – seid dann eben alle KOORA). Die damalige Reaktion im Ferienlager waren weinende Kinder. Daraufhin baten die Sozialarbeiter_innen mich, damit aufzuhören, die Kinder `fremdzubezeichnen´. Und, – ich solle sagen, was das bedeute. Das war vor 30 Jahren und als verbale Selbst-Empowernment-Strategie eines Schwarzen Kindes war das für Weisse Kinder und Erwachsene genauso belastend.“ (siehe auch: Adetoun Küppers-Adebisi, Schwarze Globale Befreiungsbewegungen des 20. Und 21. Jahrhunderts in: Nduka-Agwu, Adibeli; Lann Hornscheidt, Antje (2010): Rassismus auf gut Deutsch, Frankfurt, Brandes & Apsel)
Eine weitere kluge und engagierte Kommentierung der Schriftstellerin, Bloggerin, Aktivistin und Edutainerin Noah Sow findet sich unter: http://www.noahsow.de/blog/2013/01/19/zur-aktuellen-n-wort-debatte-stimmen-der-vernunft/. Noah Sow thematisiet die Debatte u.a. als Streiten von weißen Mehrheitsangehörigen, um ihr angebliches Recht, Menschen auch auf verletzende Weise zu benennen und so zu diskriminieren, wie sie wollen. Und sie schreibt
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vom verloren gegangenen Gewohnheitsrecht, keinen Widerspruch gegen Rassismus von der Dominanzgesellschaft zu erhalten, da sich wenige Prozent Mehrheitsangehörige gegen die Selbstverständlichkeit des Rassismus wenden. Ebenso wie Simone Dede Ayivi kommt sie zu dem Schluss, dass Sprache zu Recht ein Spiegel der Gesellschaft sein muss und schlussfolgert, dass es die Aufgabe der weißen Mehrheitsgesellschaft ist, sich daran zu gewöhnen, Schwarzen Menschen in der aktuellen Debatte auf Augenhöhe zu begegnen. Denn letztendlich geht es um sie.
Maisha Eggers schreibt im Sammelband „Afrika und Europa. Koloniale und postkoloniale Begegnungen“ aus dem Jahre 2006 in einem Artikel zu rassisfizierten Figurationen und Identitäten darüber, wie schon dreijährige Kinder Geschlecht, erlernte Hautfarbenkonstruktionen und Arbeitsmarktpositionen/Einkommensverhältnisse gelernt haben, wahrnehmen UND zusammen denken in hierarchisierender Weise, wie es auch segregierten, gegenderten Arbeitsmarktverhältnissen entspricht. Kinder wissen, wer den Müll weg macht, als Kinderbetreuerin in Haushalten arbeitet usw. In einem anderen Artikel mit dem Titel „Pippi Langstrumpf – Emanzipation nur für weiße Kinder? Rassismus und an (weiße) Kinder adressierte Hierarchiebotschaften“ (vgl. http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2008/10/pippi_langstrumpf-emanzipation_nur_fuer_weisse_kinder.pdf ) weist Maisha Eggers darauf hin, „wie die Geschichte „schwarze Kinder als stumme, handlungsabhängige Figuren konstruiert“ und so das koloniale Bild vom unterwürfigen „Eingeborenen“ bis heute am Leben erhält. Diese Botschaft verstehen alle Kinder – weiße wie schwarze. Ersteren wird dabei beigebracht, wer N* sind und dass man sie damit beleidigen kann und Letzteren wird vermittelt, dass sie die N* sind. Beide fühlen das Machtverhältnis subtil, das mit dem Wort und der Botschaft verbunden ist.“ (Hadija Haruna: http://mediendienst-integration.de/artikel/wer-ist-hier-empfindlich.html)
Ein weiterer wichtiger Artikel ist der von Grada Kilomba zum Thema Trauma und Rassismus, in dem sie Rassismus als sich stets wiederholdende traumatisierende Reinszenierung kolonialer Figurationen beschreibt. Und Eske Wollrad schreibt in einem Artikel zu Rassismus in Kinderbüchern, dass Schwarze Kinder in der Regel als geschichtslose, nicht in Familien- und Freundschaftsnetzwerke eingebundene Personen gesehen werden, die „eigentlich nicht“ in das als weiß imaginierte Territorium der so genannten normalen Einheimischen, der
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Weißen, gehören. Beide Artikel finden sich im Buch Rassismuskritik Band I aus dem Jahr 2009.
Die oben genannten Artikel stehen in der Tradition einer lang existierenden Forderung zahlreicher Menschen in diesem Land, Schwarzen und weißen, die durch die aktuell stattfindende Debatte hoffentlich in dem lang erwarteteten Ergebnis mündet: der Abschaffung von Begriffen in der deutschen Sprache, die durch eine koloniale und von Rassismus geprägte Vergangenheit gekennzeichnet sind (siehe u.a. Nduka-Agwu, Adibeli; Lann Hornscheidt, Antje (2010): Rassismus auf gut Deutsch, Frankfurt, Brandes & Apsel, S. 32; Oguntoye, Katharina; Opitz, May; Schultz, Dagmar, Hrsg. (1986): Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin, Orlanda Verlag, S. 127; Bärbel Kampmann: Schwarze Deutsche. Lebensrealität und Probleme einer wenig beachteten Minderheit in Mecheril, Paul; Theo, Thomas, Hrsg. (1994): Andere Deutsche, Berlin, Dietz Verlag). Schwarze Menschen in Deutschland, die auf eine jahrhundertelange Geschichte in diesem Land zurückblicken, versuchen seit langem diesen Missstand, der von der Problematik des Alltagsrassismus, den sie erfahren, nicht getrennt werden kann, öffentlich zu machen. Nun ist sie da, die Debatte, und es bleibt zu hoffen, dass sie jetzt endgültig geführt wird und in konstruktiver Weise dazu beiträgt, dass die deutsche Medienlandschaft ihre Sprache endlich an die deutsche Realität anpasst.
Dass wir heute leider davon noch entfernt sind, zeigen die Artikel der Wochenzeitschrift die „Zeit“ von Ulrich Greiner und Axel Hack vom 17.01.2013. Sie sind entgegen den oben genannten kritisch reflektierenden Artikeln gekennzeichnet durch
– fehlende Genauigkeit im Sprechen über Rassismus
– und eine fehlenden Beschreibung dessen, was unter Rassismus verstanden wird. Um eine Definition vorzuschlagen: Als ein Herrschaftsverhältnis kann Rassismus definiert werden als „als ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren. Rassismus im modernen westlichen Sinn basiert auf der „Theorie“ der Unterschiedlichkeit menschlicher „Rassen“ aufgrund biologischer Merkmale. Dabei werden soziale und kulturelle Differenzen naturalisiert und
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somit soziale Beziehungen zwischen Menschen als unveränderliche und vererbbare verstanden (Naturalisierung). Die Menschen werden dafür in jeweils homogenen Gruppen zusammengefasst und vereinheitlicht (Homogenisierung) und den anderen als grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenübergestellt (Polarisierung) und damit zugleich in eine Rangordnung gebracht (Hierarchisierung). Beim Rassismus handelt es sich also nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um die Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der so konstruierten Gruppen basieren. In diesem Sinn ist Rassismus immer ein gesellschaftliches Verhältnis.“ (Rommelspacher 2009, in Melter/Mecheril: Rassismuskritik Band I). Es geht also um Gesellschaftsstrukturen, Macht, Zuschreibungen und ideologische Rechtfertigungsmuster, die sich auch in Begriffen und Gruppenkonstruktionen niederschlagen. Wie wer einen Ausdruck intendiert ist dabei oftmals unerheblich hinsichtlich der verletzenden und abwertenden Wirkung, wie Berichte von Schwarzen deutschen Kindern eindrücklich zeigen, wie der von Dialika Neufeld_ http://www.spiegel.de/international/germany/why-racism-should-be-removed-from-books-for-children-a-879628.html
– In den Texten von Greiner und Hack wird nicht ausführlich auf die Verbrechen des Kolonialismus eingegangen. Insbesondere der Völkermord an den Herero und Nama 1904 und auch die rassistischen Benennungs- und Abwertungspraxen gegenüber afrikanischen Menschen seitens Philosophen wie Kant und Hegel, der den Kolonialismus offensiv befürwortete, sowie die Verbrechen im Zeitalter des Nationalsozialismus sind ja in Deutschland die historische Folie, in der das N-Wort gesprochen und geschrieben wurde sowie in diskriminierender gewaltvoller Intention und Wirkung angewandt wurde und wird, teils auch nicht beabsichtigt, jedoch trotzdem potentiell abwertend.
– In den zwei Artikeln in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ vom 17.01.2013 von Greiner und Hack wird das angeblich unangemessene Benannt-werden als „Rassist“ beklagt. Hilfreich ist hier das Gerichtsurteil vom 15. Juni 2000 am Amtsgereicht Schwäbisch-Hall (Geschäftsnummer 6 C 154/ 00), in diesem wurde entschieden, dass, wer das N-Wort öffentlich benutzt, „Rassist“ genannt werden darf (vgl. http://www.derbraunemob.info/deutsch/content/archiv/Gerichtsurteil.pdf).
– Allerdings geschieht es häufig, dass die Aussage „diese Bezeichnung kann als rassistisch eingeordnet werden“ umgedeutet wird in, „ich werde als Rassist benannt“. Es wird nicht getrennt zwischen der Kritik an Handlungen und an der ganzen Person. Diese Behauptung (und vielleicht auch das eigene Erleben) als ganze Person angegriffen, ist real ein Abwehrmechanismus, um sich nicht differenziert mit dem Vorwurf bzw. der beschriebenen Fragestellung auseinanderzusetzen.
– Es wird im Zeit-Haupartikel von Greiner geschrieben, dass in Kinderbüchern, die damals von Ottfried Preussler und Astrid Lindgren geschrieben wurden, die Verwendung des N-Wortes eine übliche neutrale und nicht abwertend rassistische Bezeichnungspraxis war. Doch auch damals haben diese Begriffe Menschen gekränkt, verletzt und abgewertet. Diese Einsicht ist übrigens keine Neue. Bereits 2002 wurde auf Initiative der Anti-Diskriminierungsstelle der Stadt Hannover durchgesetzt, dass Agatha Christies Krimi „Zehn kleine N*lein“ in Deutschland einen neuen Titel erhalten wird. In Anlehnung an den englischen Originaltitel „And Then There Were None“ wurde beschlossen, dass das Buch in zukünftigen Auflagen den Titel „Und dann gab’s keines mehr“ tragen wird (SPEX March 2002)
– Die KRITIK an der Verwendung des N-Wortes wird in den genannten Artikeln der „Zeit“ vom 17.01.2013 als unangemessen, unwissenschaftlich und als ein Angriff auf Literatur und Menschen („Kleine Hexenjagd“, so die Überschrift über den Leitartikel, als gegen eine Gruppe gerichtete Verfolgungs- und Mordpraxis gegen Frauen) gedeutet. Hier ist zu entgegnen, dass die Kritik am N-Wort sehr wohl wissenschaftlich fundiert und belegt ist [vgl. die Artikel von Grada Kilomba 2009, und Eske Wollrad 2009 sowie die Belege im Blog von Noah Sow und dem Internetauftritt von der braune mob: http://www.derbraunemob.info/download“ sowie das Buch von Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus (2008), Mark Terkessidis: Die Banalität des Rassismus (2004)].
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– Kindern wird schon sehr früh BEIGEBRACHT nach Kriterien wie „Gender“, konstruierten „Hautfarbengruppen“, Alter usw. zu unterscheiden und z.B. typische Berufsgruppen entsprechend gegebener Arbeitsmarktstrukturen einzuteilen (siehe Artikel von Maisha Eggers in „Afrika und Europa. Koloniale und Postkoloniale Begegnungen“, Bechhaus-Gerst/Gieseke 2006). Dass Kinder in Deutschland sehr früh mit rassistisch geprägten Begriffen in Kinderbüchern konfrontiert werden und dass dies mit schmerzhaften Folgen für Schwarze Kinder einhergeht, beschreibt die Autorin ManuEla Ritz in ihrer Autobiographie. Darin erläutert sie anschaulich, wie Eltern Schwarzer Kinder in Deutschland oftmals ihren Kinder helfen müssen, frühzeitig Erlebnisse zu verarbeiten, in denen sie aufgrund ihrer Hautfarbe negative Zuschreibungen oder Ungleichbehandlung erfuhren (ManuEla Ritz: Die Farbe meiner Haut (2009).
Gegenüber den genannten „Zeit“-Texten positiv hervorhebenswert ist der letzte Artikel von Ijoma Mangold, in dem geschrieben wird, dass das Bedürfnis, im Wissen um die Problematik des N-Wortes auf deren Nutzung zu bestehen, ein bewusstes Abwerten-Wollen seitens der so Sprechenden ist und eine Diskriminierungsabsicht enthält. Wünschenswert wäre gewesen, wenn auch in diesem Text nicht ständig das N.-Wort wiederholt worden wäre und auch ohne Anführungszeichen (was es allerdings auch nicht wesentlich besser gemacht hätte). Eine weitere Begründung gegen die Nutzung des N-Wortes ist, dass es – egal ob beabsichtigt oder nicht – vielfach verletzend, kränkend und beleidigend wirkt. Angemessen ist Ijomas Mangolds Auseinandersetzung mit dem Leser_innenbrief eines 9-jährigen Mädchens, das nicht N. genannt werden will: http://www.zeit.de/2013/04/Kinderbuch-Sprachgebrauch. Hier noch in der Süddeutschen ein Leserbrief des Mädchens: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/564840/Ich-finde-es-total-scheisse .
Uns erscheint entgegen den tendenziell Rassismus verharmlosenden und koloniale Denkmuster bestärkenden und gleichzeitig Kolonialismus nicht thematisierenden Artikeln von Greiner und Hack ein ernsthaftes und behutsames Ringen um rassismuskritische Kinderbücher notwendig, die egalitäre Beziehungen schildern und die Normalität Schwarzer Deutscher und migrantischer Deutscher, kurzum von Vielfalt (z.B. auch in Bezug auf Menschen, die behindert werden), als selbstverständlich ansehen und danach streben, nicht diskriminierend, nicht verletzend, zu sein. Verbunden sein sollte dies sowohl mit einer
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Diskussion über gegenwärtigen körperlich gewalttätigen, institutionellen und eben auch verbal-diskursiven Rassismus, der auch das Verhältnis zu Kolonialismus und Nationalsozialismus in Deutschland thematisiert sowie den Umgang damit.
Sinnvoll erscheint somit eine Debatte über Rassismus als Gesellschaftsverhältnis, das sowohl in machtvollen Ausgrenzungs- und Benachteilungspraxen, physischer und diskursiver sowie institutioneller Gewalt und Diskriminierung ausgedrückt wird und mit ideologischen Legitimierungsbestrebungen arbeitet als auch die rechtliche Diskriminierung von Flüchtlingen und Personen mit Migrationsgeschichte ohne deutsche Staatsbürger_innenschaft beinhaltet.
Wir haben die Erwartung und den Anspruch an Journalist_innen und die Presse sowie an Literatur- und Theaterschaffende ihr Publikum mit ihren Texten und Begriffen auf nicht diskriminierende Weise zu informieren und keine rassistischen Begriffe und Gruppenkonstruktionen zu verwenden. Die Verantwortung der Presse und der Medien ist es, Rassismus zu thematisieren und ihm entgegen zu treten. Es ist nicht Aufgabe der Medien, durch Artikel und andere Beiträge die Verwendung von rassistisch geprägter Sprache zu rechtfertigen.
Medienvertreter_innen müssen (!) nach unserer Auffassung aufgrund der eigenen ethischen Richtlinien auf nicht-diskriminierende, nicht verletzende Sprache achten, Begriffe herrschaftskritisch und historisch kontextualisieren und damit beitragen, Rassismus zu hinterfragen anstatt ihn zu (re-)produzieren!!
Tina Bach, Josephine Jackson, Adetoun Küppers-Adebisi, Michael Küppers-Adebisi,
Claus Melter, Farah Melter