Otfried Preußler ist am 18. Februar gestorben. „Die kleine Hexe“, „Der Räuber Hotzenplotz“: Nicht nur für seine Kinderbuchklassiker muss man Preußler in Erinnerung behalten, sondern auch für seine kleine Rolle bei einem wichtigen Anstoß zu einer Rassismus-Debatte, wie sie lange Zeit in Deutschland nicht geführt wurde – vielleicht auch nicht geführt werden konnte. Seine Entscheidung, dem zuvor kritisierten Stuttgarter Thienemann-Verlag die Möglichkeit zu geben, seine Kinderbücher in zukünftigen Auflagen von rassistischer Sprache zu befreien, führte öffentlich zu mitunter sehr peinsamen, aber auch sehr wichtigen Diskussionen.
Die Entscheidung des Autors kommt jedoch natürlich nicht aus dem Nichts: Sie fiel zu Beginn dieses Jahres in eine Zeit, in der sich Aktivist_innen schon seit langem und zum Teil sehr organisiert gegen diverse rassistische Praktiken in Deutschland und explizit in deutschen Kulturbetrieben auflehnten. Die Entscheidung des Thienemann-Verlags brauchte Vorbereitung, und ebenso brauchten die vor allem die bildungsbürgerlichen Anteile der Zivilgesellschaft einen Diskussionsvorlauf, eine Punchline-Vorlage. Nur ein langer zäher Kampf, auf so vielen Kanälen geführt von Aktivist_innen, Künstler_innen, Wissenschaftler_innen und Autor_innen, konnte die Steilvorlage geben für die Resonanz des Thienemann-Verlags auf den Brief von Mekonnen Mesghena, in dem eben jene rassistische Kinderbuchsprache kritisiert wurde.
Die Qualität des Diskurses der Aktivist_innen war und ist hochwertig – und traf und trifft mitunter auf eine Uneinsichtigkeit, die gepaart mit Lernresistenz bisweilen unerträglich ist. Dennoch: Nur der stoischen Geduld sämtlicher Aktivist_innen ist es zu verdanken, dass nun langsam ein einer Bürgerrechtsbewegung ähnlicher Widerstand ins Rollen kommt, die Deutschland bisher bitter versäumt hat.
Chancen wurden verpasst, aus rassistischen Ausfällen und Publikationen (Sarrazin, Buschkowsky) wurden schnell (islamifizierte) Integrations- statt Rassismusdebatten, und so schaukelte man sich ganz entspannt durch nunmehr fast zweieinhalb Jahre Rechtfertigungsdiskurs – einer Matschpampe aus den Termini „Migranten“™, „Migrationshintergrund“™, „Islam in Deutschland“™ und „Integration“™.
Nicht der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft wurde damit lange Zeit primär zur Zielscheibe der Kritik. Vielmehr konzentrierte man sich auf das pseudo-anthropologische Sezieren der vermeintlichen Minderheiten-Kollektive und zudem auf einige Expert_innen qua Herkunft, die zwar wohlgesonnen waren, aber theoretisch und fachlich hinsichtlich der (rassistischen) Machtverhältnisse kognitiv weitgehend unberührt. Allein: Zum Glück konnten einige damit Geld verdienen.
Und nun: Vielen Aktivist_innen (unter anderem Der braune Mob, Bühnenwatch, Noiseaux, ISD, und viele mehr) und ihrer unermüdlichen und auch ehrenamtlichen Arbeit ist zu verdanken, dass die Kinderbuch-Debatte eben nicht eine empörte Schnappatmung, sondern tatsächlich viele verstörte Rassismus-Befürworter hinterließ. Weil kommuniziert wurde, dass Rassismus nicht nur Phrasendrescherei ist („Nazi-Morde“, „aus der Mitte der Gesellschaft“), sondern ein Machtmechanismus, der sämtliche Bereiche unseres Alltags durchzieht. Weil verdeutlicht wurde, dass die Zeiten der Akzeptanz von Alltagsrassismus vorbei sind, oder, wie Noah Sow so treffend zusammenfasste: „Was neuerdings wegfällt, und für viele Rassisten anscheinend schon unerträglich ist, ist lediglich das Recht, sich als Rassist bei 100% der Mehrheitsbevölkerung beliebt zu machen.“ Weil gezeigt wurde, dass der Wind nun eisiger weht. Weil nun auch die unintendierten Rassist_innen die harte Aufforderung bekamen, sich mal ordentlich an die eigene Nase zu fassen.
Nun finden mehr und mehr wichtige Stimmen den Weg in die Mainstream-Medien. Man sollte sich sehr über das Interview mit Sharon Dodua Otoo in der taz freuen. Oder darüber, dass Simone Dede Ayivi im Tagesspiegel ihren so klugen Kommentar veröffentlicht hat. Dass so hart vorgearbeitet wurde, dass selbst ein so durchgenudelter Sender wie ntv auf seiner Webseite auf einmal über Critical Whiteness spricht.
Die Debatte ist noch nicht vorbei. Aber sie wird zum Glück weiterhin dafür sorgen, dass sich Vertreter_innen bestimmter Positionen noch warm anziehen dürfen. Und dass das möglich ist, haben wir den Leuten zu verdanken, die sich jeden Tag aufs neue jede erdenkliche Art von Unkomfortabilität zumuten, um es anderen in ihrer ausgrenzenden Denkhegemonie ungemütlich zu machen. Und Otfried Preußler bleibt am Ende und zum Glück auch jemand von denen, die anscheinend begriffen haben, worum es bei all diesen Kämpfen geht.
[Dieser Text ist ein Crosspost.]
Vielen Dank für diesen Post, der mir nochmal die Hintergründe klarer gemacht hat. Und danke an alle, die hier erwähnt werden. Ich als Unwissende, nicht direkt Betroffene (zwar mit Migrationshintergrund, aber anscheinend ohne äußere „Merkmale“, die mich als „so Eine“ „identifizieren“) habe bei der Debatte viel gelernt, im privaten Kreis viel diskutiert und dabei einige Argumente besser vorbringen können, als ich es ohne Eure Hilfe gekonnt hätte.
Ich weiß, hier geht es nicht um mich, also höre ich auf mit dem Derailing und halte jetzt die Klappe. Macht weiter so, ich hoffe und bin zuversichtlich, dass Euer Einsatz noch viel bewegen kann.
Als die Entscheidung bekanntgegeben wurde, dass Preußler Änderungen in seinen Büchern zugestimmt hat, habe ich eine Dankesmail an ihn geschrieben. Umso mehr wundert es mich, jetzt vielerorts zu lesen, wie Leute meinen, die „Zensur“-Schreier hätten Preußler den Rücken gestärkt…
Danke für den Hinweis auf die vielen guten Dinge, die diese oft so ermüdende und frustrierende Debatte mit sich gebracht hat.
Ich bin als Kind ein sehr großer Fan von Preußlers Büchern gewesen. Meine kleinen Cousinen haben gerade angefangen, sie zu lesen, ich habe ihnen meine alten Ausgaben vermacht. Ich habe mich mit ihnen hingesetzt und gesagt: hört mal, in diesen Büchern steht ein Wort, dass böse ist. Und dann haben wir es getan: wir haben über Rassismus geredet, meine kleinen Cousinen und ich. Die ältere der drei lief hinaus und kam mit Tipp-Ex wieder. Und nachdem sie mir geschworen haben, dass das eine Ausnahme ist und nicht als Buchbeschmieren gilt, haben wir die Exemplare ausgebessert. Ohne dass ich es vorschlagen musste. Mein Onkel war baff und wollte nicht glauben, dass es nicht meine Idee war, die Bücher zu „zensieren“. Ha!