Offener Brief: Rassismus und Sexismus am Theater an der Parkaue in Berlin

Dass die Arbeitsbedingungen an vielen deutschen Theatern geprägt sind von Angst, Druck und Überlastung, ist bekannt. Auch dass Rassismus an Theatern Alltag ist und keine Ausnahme, ist kein Geheimnis und wird seit Jahren diskutiert. Trotzdem hat sich bisher wenig an den Strukturen der Institutionen verändert.

Aktuelles Beispiel: Ein offener Brief ehemaliger Mitarbeiter_innen des Theaters an der Parkaue (TAP) in Berlin, in dem rassistische und sexistische Vorfälle detailliert beschrieben werden.

Verschiedenen Medien wie der taz und dem nd liegen der Brief vor, in dem die Verfasser_innen nicht nur den Umgang mit den diskriminierenden Vorfällen von Seiten der Leitung des Hauses kritisieren, sondern auch die all­gemeinen Arbeits­bedingungen am Theater an der Parkaue, wegen denen die Mitarbeiter_innen das Haus ver­lassen haben.

Diesen Brief veröffentlichen wir hier in gesamter Länge:


An die Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Senator Dr. Klaus Lederer
Brunnenstr. 188-190
10119 Berlin
Berlin, im Juni 2019

Sehr geehrter Herr Senator Dr. Klaus Lederer,

wir wenden uns an Sie, um auf die Arbeits­bedingungen am Theater an der Parkaue – Junges Staats­theater Berlin (TAP) in Berlin Lichtenberg aufmerksam zu machen. Wir sind eine Gruppe von zwischen 2015 und 2019 am TAP beschäftigten Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Abteilungen und Bereichen des Hauses. In dieser Zeit haben wir erlebt, dass zahl­reiche Mitarbeiter*innen aufgrund der für sie unzumut­baren Arbeits­bedingungen das Theater verließen. Auch wir tragen gesundheit­liche und psychische Konsequenzen aus der Arbeit am TAP.

Folgender Vorfall ist ein Beispiel der unzumut­baren Arbeits­bedingungen am TAP und gleichzeitig in seiner besonderen Schwere Anlass unseres Schreibens: Im April des vergangenen Jahres verließ eine Schau­spielerin wenige Tage vor der Premiere die laufende Proben­arbeit des Theater­stücks „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ in der Regie des theater­eigenen Schauspiel­direktors Volker Metzler. Sie begründete ihren Ausstieg damit, im Rahmen der Proben rassistisch diskriminiert worden zu sein. Am 14. April 2018 feierte das Theater­stück – ohne die Schau­spielerin – Premiere.

Über ein Jahr nach dem Vorfall wurde durch die rück­wirkende Absetzung des Stücks und die Beurlaubung des Regisseurs und Schauspiel­direktors die rassistische Diskriminierung von der Theater­leitung anerkannt. Trotz dieser Maß­nahmen befürchten wir, dass unter der Intendanz von Kay Wuschek Diskriminierungen auch in Zukunft nicht recht­zeitig angegangen und auf­gearbeitet werden. Um Ihnen unsere Befürchtungen zu erläutern, möchten wir hier die Arbeits­bedingungen am TAP, den Verlauf der Aufarbeitung der rassistischen Diskriminierung und auch den Umgang der Leitung mit zwei Förder­programmen für Diversität am TAP skizzieren.

1.) Arbeitsbedingungen:

  • Es herrscht ein Klima der Angst, das wir vor allem auf Kay Wuscheks Führungs­stil zurückführen: Er schreit regelmäßig in großen Runden Mit­arbeiter*innen an. Mit­arbeiter*innen fühlen sich häufig beleidigt und befinden sich in Sorge vor Wutausbrüchen durch den Intendanten. Weinende Mit­arbeiter*innen gehören zum Alltag am TAP. Z.B. steht Kay Wuschek in einer abteilungs­übergreifenden Besprechung auf und ahmt eine Abteilungs­leitung in Gestik und Mimik nach. Seine Darstellung muss von einer leitenden Mitarbeiterin unterbrochen werden. Ein weiteres Beispiel: Auf einer Voll­versammlung beginnt Kay Wuschek auf eine Rück­frage eines Mitarbeiters hin plötzlich minutenlang zu schreien. Wort­laut kann nicht erinnert werden.
  • Unklarheiten über Zuständig­keiten und Konflikte beherrschen den Arbeitsalltag.
  • Vertrauliche Informationen, wie beispiels­weise sensible Krankheits­daten, werden in großen Runden weiter­gegeben. Z.B. werden die Gründe für einen Krankenhaus­aufenthalt eines*r Mitarbeiter*in in einer Besprechung vor allen Anwesenden diskutiert und bewertet. Des Weiteren: Als eine Gruppe von Mitarbeiter*innen in einem vertrau­lichen Brief an die Theater­leitung ihre Über­lastung mitteilt, weiß schnell das ganze Haus davon. An den genannten Gründen der Belastung wird nichts verändert.
  • Befristete Verträge (Normalvertrag Bühne) werden als Druck­mittel eingesetzt. Dies führt im Zusammen­spiel mit dem hohen Arbeits­pensum zu starker psychischer Belastung.
  • Der Intendant toleriert Macht­verhältnisse, in denen sich Frauen unwohl fühlen: Es ist Alltag am TAP, Sprüche zu hören wie „Ihr sitzt nur auf euren hübschen Ärschen“.
  • Es gibt einen sehr hohen Krankheits­stand und massive Kündigungs­wellen, vor allem von jungen Frauen.

2.) Umgang mit der rassistischen Diskriminierung:

  • In den Proben zum Stück „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ ist es zu rassistischen Diskriminierungen gekommen. Zu der Schau­spielerin wurde im ungefähren Wort­laut unter anderem gesagt: Wenn du vor der schwarzen Wand sitzt, sieht man dich fast nicht. Außerdem: Sing mal was. Das könnt ihr doch ihr N*. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen.
  • Die Aufarbeitung der rassistischen Diskriminierung der Schauspielerin (interne Voll­versammlungen, Absetzung des Stücks „80 Tage“, Beurlaubung des Schauspiel­direktors) fand erst im Zuge von medialem Druck und über ein Jahr nach dem Vorfall statt.
  • Die Nachbereitung des Vorfalls hat sich im gesamten Jahr danach (März 2018 – März 2019) theater­intern auf zwei Aushänge bzw. E-Mails und ein einziges Treffen mit den Produktions-Beteiligten beschränkt, in dem sich jedoch weder Kay Wuschek noch Volker Metzler äußerten. Kay Wuschek räumte weder sich noch den Beteiligten Zeit für die Aufarbeitung der rassistischen Diskriminierung ein.
  • Die Schauspieler, die sich der Schauspielerin gegenüber ebenfalls rassistisch geäußert hatten, spielten weiter­hin das Stück und nahmen ohne weitere Sensibilisierungs­maßnahmen zu Alltags­rassismus an Publikums­gesprächen für Kinder und Jugendliche teil.
  • Obwohl der Vorfall in sozialen Medien sowie in Verteilern der Berliner Theater­szene längst bekannt war, gab es keine öffent­liche Entschuldigung und Stellung­nahme durch die Leitung des TAP weder nach innen noch nach außen.

3.) Umgang mit den Förder­programmen für Diversität am TAP (seit Juni 2018):

  • Am TAP sollten zwei Förder­programme für Diversität stattfinden (ein Organisations­entwicklungs­prozess von Diversity.Arts.Culture (DAC) und die Förderung 360° der Kulturstiftung des Bundes). Beide Förderungen wurden unabhängig von und zeitlich vor dem Diskriminierungs­vorfall in der Produktion „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“ von der Theaterleitung beantragt.
  • Kay Wuschek nahm sich für beide Förder­programme kaum Zeit und war nicht dazu bereit, ihre Umsetzung an seinem Haus möglich zu machen: Weder nahm er am Auftakt­workshop der Agentin für Diversität teil, noch war er am Workshop-Tag der Organisations­entwicklerinnen von DAC (31.10.18) am Haus. Durch seine Abwesenheit wurde der Beleg­schaft der Eindruck vermittelt, die Förder­programme seien unwichtig.
  • Kay Wuschek stellte die Agentin für Diversität der Belegschaft nie offiziell vor. Statt sie und die Förder­programme bei der Spiel­zeit­eröffnung 2018/2019 vorzustellen, diskreditierte er die Diversitäts­entwicklungen am Theater per se. Er sagte im ungefähren Wortlaut: Wir leben in schweren Zeiten, in denen es nicht mehr möglich ist, dass ein Schwarzer einen Indianer spielt, ohne dass man als Rassist diffamiert wird, oder dass ein nicht-Schwuler einen Schwulen spielt. Mehr sagte er zu den beiden anlaufenden Förderungen an diesem Tag und auch später nicht.
  • Er räumte auch der Belegschaft keine Zeit im Betriebs­alltag ein, um überhaupt an dem Prozess zu arbeiten. Wir befürchten, dass es am TAP unter der aktuellen Leitung und unter den von uns beschriebenen Arbeits­bedingungen wieder zu ähnlichen Diskriminierungen kommen wird und weitere Mitarbeiter*innen zu Schaden kommen. Es ist unser Anliegen, dass jetzige und zukünftige Mitarbeiter*innen vor weiteren Diskriminierungen geschützt werden und keine körperlichen oder psychischen gesund­heitlichen Folgen von der Arbeit am TAP davontragen müssen.

Das TAP ist ein staatliches Kinder- und Jugend­theater und eine von Ihnen geförderte Institution mit der Aufgabe, Theater an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. In unseren Augen kann unter der derzeitigen Leitung dieser Aufgabe nicht verantwortungs­voll nachgegangen werden.

Aus Angst vor beruflichen Nachteilen in der eng vernetzten (Berliner) Theater­szene haben wir uns dazu ent­schlossen, unseren Brief anonym zu verfassen.

2 Kommentare zu „Offener Brief: Rassismus und Sexismus am Theater an der Parkaue in Berlin

  1. Die deutschen Stadt- und Staatstheater sind voll von selbstgefälligen weißen Männern, die mit Machtspielen ihre fehlenden Eier kompensieren wollen. Erlebe ich selbst auch gerade.

Kommentare sind geschlossen.

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