Dieser offene Brief erschien zu erst beim Missy Magazine. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.
“It is not enough to have women in top positions of power, it depends upon what kind of women they are and what they are going to do when they get there.” (Nina Power)
[Übersetzung: Es reicht nicht Frauen in Machtpositionen zu haben, es kommt darauf an, was das für Frauen sind und was sie in diesen Positionen machen werden.]
Liebe Kolleginnen.
Im März diesen Jahres antwortete Giovanni di Lorenzo auf den Aufruf von “Pro Quote” mit dem Versprechen, binnen der nächsten fünf Jahre 30 Prozent der Führungspositionen bei der Zeit mit Frauen zu besetzen. “Was also, wenn guter Wille und gute Frauen allein keine guten Ergebnisse erzielen? Dann ist eben doch die Zeit für eine Quote gekommen.”
Begründet hat er diesen Schritt damals nicht nur als eine Frage der Chancengleichheit und Gerechtigkeit, sondern vor allem mit dem Argument, dass nur eine divers aufgestellte Zeitung auch eine gute Zeitung sein könne. “Verschiedenheit, das ist etwas, woran es gerade in Zeitungen mangelt. Merkwürdig, wie homogen und hermetisch Redaktionen oft noch sind, und das in einer Branche, die von der Neugier und der Verschiedenheit lebt,” und: “Wir müssen den besten Journalismus machen, der uns möglich ist. (…) Mit Sicherheit fördert eine Quote die Qualität von Zeitungen.”
Jetzt wird klar, was die Zeit unter dieser Diversifikation versteht: Wie der Verlag am Freitag bekannt gab, steigt Sabine Rückert als erste Frau in die Zeit-Chefredaktion auf. Eine Journalistin also, die sich während ihrer gesamten Karriere nur mit antifeministischen Positionen profilierte. Die die feministische Bewegung diskreditierte, wo sie nur konnte. Die im Fall Kachelmann die Zeuginnen auf zutiefst frauenfeindliche Weise verhöhnte und mit dem gängigen Vorwurf “selbst schuld” für unglaubwürdig erklärte. Die für diese und andere unsägliche Kampagnen, in denen sie sich stets auf Seiten der vermeintlichen männlichen “Opfer” von Vergewaltigungsprozessen stellte und Zeuginnen/Klägerinnen als rachsüchtige Lügnerinnen vorverurteilte, zurecht in den Foren von Maskulisten gefeiert wird.
Jetzt geht es um die Wurst, liebe Kolleginnen. Reicht euch das? Gebt ihr euch damit zufrieden, einfach mehr Frauen in leitender Position in den Redaktionen installiert zu sehen? Oder steht ihr mit “Pro Quote” für eine tatsächlich feministische Kritik, die dann zwingend auch beinhalten müsste, für einen Journalismus einzutreten, der Sexismus und Ungleichbehandlung anprangert und für bessere Lebensbedingungen von Frauen eintritt? Falls letzteres, so hoffen wir sehr, dass ihr euch zu dieser Personalentscheidung kritisch verhaltet.
Wir freuen uns auf eure Antwort,
Chris Köver und die Missy-Redaktion
„Pro Quote“ hat sich zu dem offenen Brief bei Twitter und auf ihrer Facebookseite geäußert. Dabei wurde leider nicht auf eine wirkliche Debatte gesetzt, sondern sich auf „den kleinsten gemeinsamen“ Nenner bezogen und den Kritikerinnen vorgeworfen, sie würden die Gesinnung prüfen wollen. Helga schrieb folgerichtig bei Drop the thought: Bloß keine kritische Mediendebatte – warum ich Pro Quote nicht mehr unterstütze.
Das Rückert nun stellvertretende Chefredakteurin ist hat mich auch erschüttert. Ich vermute ihre patriarchalischen Seilschaften und gerade ihre nicht auf Frauenthemen bezogene Berichterstattung ( sondern mysogyne Einstellung!) hat ihr geholfen den Posten zu bekommen. Bei Merkel ist das doch ähnlich, Frauenthemen als Führungskraft? Pfui, lieber nicht! Es gibt dumme Frauen die in Chefetagen sitzen und gar nicht daran denken einen Unternehmen frauenfreundlciher zu gestalten, deshalb keine Oquote zu fordern halte ich für falsch. Mehr Frauen, mehr Vielfalt, da sind dann auch ein paar Gute dabei.
Hm. Also ehrlich gesagt, stand ich der Frauenquote schon immer skeptisch gegenüber und fühle mich dadurch nur noch mehr in meinen Zweifeln bestätigt. Natürlich meine ich damit nicht, dass ich es gut finde, dass in den Chefetagen nur Männer sitzen, ganz im Gegenteil. Ich denke aber, dass eine Frauenquote nur eine Reform des patriarchalen Systems darstellt, das es doch eigentlich abzuschaffen gilt. Damit meine ich, dass darüber nachgedacht werden sollte Chef_innen ganz abzuschaffen und dazu übergegangen werden sollte sich selbstverwaltet, basis- und konsensorientiert und möglichst hierarchiefrei zu organisieren.
Also praktisch eine ganz neue Form der Organisation anzunehmen und nicht alte, verstaubte, patriarchale Strukturen einfach zu übernehmen. Dann kann es nämlich auch nicht mehr so einfach passieren, dass antifeministisch eingestellte Menschen plötzlich ganz viel Macht haben.
hier eine studie, die zum thema passt (auf englisch):
frauen*, die schwierigkeiten mit der vereinbarkeit von familie und karriere am eigenen leib erfahren sehen dahinter strukturelle mechanismen. Frauen*, die durch gute Beziehungen erfolgreich sind, glauben dagegen eher an das Funktionieren von Meriokratie.
http://gender.stanford.edu/news/2012/seeing-through-glass-ceiling-1
Meine Überlegungen zu dem offenen Brief und zur Fraunequote habe ich auf meinem nagelneuen Blog festgehalten: http://nur-miria.blogspot.de/2012/11/quotensalat.html