Münchener Polizei bedient Vergewaltigungsmythen

Ein Münchener Kulturzentrum, der örtliche Frauennotruf sowie das Jugend­kultur­werk wollen mit einer neuen Plakat- und Flyerkampagne auf sexualisierte Gewalt in Clubs und die Problematik von K.O.-Tropfen aufmerksam machen: „Nein meint Nein“, soll weibliche Gäste ermutigen „in heiklen Situationen ‚Nein‘ zu sagen und sich Hilfe zu holen“, so sueddeutsche.de.

Es lässt sich darüber streiten, warum sich eine Kampagne gegen sexualisierte Gewalt in erster Linie an (potentiell) Betroffene und nicht an (potentielle) Täter richtet, viel skandalöser ist allerdings die Tatsache, dass die lokale Polizei die Kampagne nicht unterstützt:

Man sei überrascht, sagt Rainer Samietz vom Kommissariat zur Be­kämpfung von Sexualdelikten. Er kennt die Problematik mit den K.-o.-Tropfen; eine Häufung der Fälle kann er aber nicht bestätigen. Samietz sagt, dass auch Frauen „wahnsinnig viel trinken und dann nichts mehr wissen“. Würde weniger getrunken, hätte man weniger Fälle von sexuellen Übergriffen.

Wir erinnern uns an die Aussage eines kanadischen Polizisten, der Frauen riet, sich nicht wie „Schlampen“ zu kleiden, damit sie nicht vergewaltigt würden. Dieses Victim Blaming löste die weltweite Protestwelle der SlutWalks aus. Auch Rainer Samietz bedient sich der gleichen Argumentation, wenn er Frauen rät, weniger Alkohol zu trinken. Schlimm genug, dass so jemand beim Kommissariat zur Be­kämpfung von Sexualdelikten arbeitet, wo sich die Polizei bei der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es scheint nach wie vor völlig legitim zu sein, den Fokus nicht auf eine konsequente Täterarbeit zu richten, sondern potentiell Betroffenen Ratschläge zu erteilen, um ihnen im Fall eines Übergriffs deren Nichtbefolgung vorzuwerfen und somit eine Mitschuld an sexualisierter Gewalt zu geben. Alkoholkonsum, Kleidung und Aussehen von Betroffenen zählen nach wie vor zu den beliebten Erklärungsmustern, wenn es um Vergewaltigung geht. Dass diese jedoch allesamt Mythen sind zur Verharmlosung sexualisierter Gewalt, davon scheint ein Polizist im Kommissariat zur Bekämpfung von Sexualdelikten noch nichts vernommen zu haben.

22 Kommentare zu „Münchener Polizei bedient Vergewaltigungsmythen

  1. Das Perfide daran ist ja die vordergründige und korrekte Logik.
    „Würde weniger getrunken, hätte man weniger Fälle von sexuellen Übergriffen“
    Rein empirisch mag dies stimmen oder auch nicht. Aber das Problem ist nicht, dass, wenn viele Frauen sich einer Gefahr aussetzen (um von den Hintergründen mal gar nicht zu sprechen), sich bei mehr Frauen die Gefahr in die Realität umsetzt. Das Problem ist, dass diese Gefahr überhaupt existiert!

  2. Mal abgesehen davon, dass die Aussage des Kommissars unbestritten völlig inakzeptabel ist, gefällt mir auch die Kampagne selbst nicht besonders. In den USA, an Hochschulen, gibt es eine Plakat-Kampagne, darauf steht „Consent (n.) – A clear and freely given yes, not the absence of a no. Always get consent.“ Finde ich einen sehr viel besseren Ansatz.
    Aber unabhängig von der Qualität der Kampagne ist natürlich die Einstellung des Kommissars mehr als nur ein bisschen erschreckend!

  3. „Was ist an dieser Aussage “vordergründige und korrekte Logik”?“

    Bei anderen Delikten gibt die Polizei auch den potenziellen Opfern Tipps. Z.B: gegen Wohnungseinbrüche im Urlaub soll man den Urlaub nicht lauthals auf FB ankündigen, den Briefkasten leeren lassen usw. Im Urlaub soll man seine Wertsachen im Hotelsafe verstauen und Geld sicher am Körper verwahren. Niemand sagt den Dieben „klaut nicht!“. Irgendwie ist das doch ein generelles Problem und ein Skandal!

    Etwas OT aber nötig sage ich hier schon mal den mitlesenden Dieben:
    Nein heißt nein! Klau nicht!

  4. Ich denke, es geht den Clubbetreibern auch hauptsächlich darum zu zeigen, dass sexualisierte Gewalt in ihren Räumlichkeiten Ernst genommen wird.
    Dass sich also Betroffene an das Personal wenden können und dort ein offenes Ohr finden.

    Man muss also die Kampagne in diesem Kontext sehen und nicht nur den Slogan losgelöst. – um jetzt hier mal die Kampagne zu verteidigen ;-)

  5. @PoC

    abgesehen davon, dass meine Frage rhetorisch gemeint war, finde ich den Fakt interessant, dass Menschen wie Objekte behandelt werden. Ob Auto, Fernseher oder ein Mensch, der von sexualisierter Gewalt betroffen ist: In den Augen von Ermittlungsbehörden „alles eine Suppe“. Und wer nicht will, dass den Wertgegenständen was passiert, der_die muss sie eben nur sicher genug „verstauen“.

    Dass es Tätern herzlich egal ist, wie die betroffene Person gekleidet ist oder wieviel Alkohol sie getrunken hat: geschenkt.

  6. „Dass es Tätern herzlich egal ist, wie die betroffene Person gekleidet ist oder wieviel Alkohol sie getrunken hat: geschenkt.“

    Dann sagen wir ihnen einfach immer wieder, dass sie nicht zu Tätern werden sollen. Ich bin sicher, das wird mit etwas Geduld zu einer Welt ohne Täter führen. Reden hilft!

  7. Der Slogan „nein meint nein“ richtet sich doch nicht ausschließlich an die Frauen (die häufiger oder bewusster „nein“ sagen könnten), sondern inhaltlich auch an die Adressaten des „nein“.

    Einem OK-Tropfen-Verteiler ist mit Kampagnen aber nicht beizukommen: Der „nutzt die Situation“ nicht etwa aus, dass eine Person sich „auf ein Abenteuer einlässt“ (was ohne bewusstseinsverändernde Substanz und im Einvernehmen auch vollkommen OK ist), sondern führt eine Bewusstlosigkeit her. Dazu gehört Vorsatz und Vorbereitung, auch ohne jegliche Folgehandlung ist das Benutzen von KO-Tropfen meines Wissens schon eine Körperverletzung.

    Gegen solche Kriminellen hilft das Werfen mit Flugblättern direkt etwa so sehr wie das Werfen mit Wattebäuschen. Denen mit Appellen zu kommen ist witzlos, und den anderen männlichen Besuchern zu offensiv vorzuwerfen, sie liessen ein „nein“ nicht gelten, ist vermutlich wenig produktiv.

    Vielleicht kommt aber der Slogan soweit beim Diskopublikum an, dass eine benebelte Frau noch ein deutliches Nein äussern kann und ihr Umfeld das Bewusstsein hat, sie zu unterstützen. Oder der betäubten Person ist zumindest noch klar, dass sie immer die Option auf ein „nein“ behält, zu jeder Zeit, unter jeder Bedingung, weil eben der Slogan noch im Hirn herumspukt.

  8. lese gerade das buch: die entstehung des patriarchats von gerda lerner. sie schließt von erhaltenen gesetzes niederschriften aus dem nahen osten (z.b. sumer, babylon) von vor 5000 jahren auf die damalige stellung der frau:
    eine vergewaltigung wurde wie eine sachbeschädigung behandelt, der leidtragende war in dem fall der vater oder der ehemann.
    und immer noch sind die massnahmen gegen und der umgang mit vergewaltigung von diesen archaischen bildern geprägt. und viele finden es auch „normal“.

    die abwesenheit des täters kenne ich auch vom thema sexueller missbrauch von kindern. den täter anzusprechen ist anscheindend absolut tabu. es ist hier immer vom kinder selbstbewusst machen die rede und davon, dass mütter nicht weg schauen dürfen.

  9. PoC: „Dann sagen wir ihnen einfach immer wieder, dass sie nicht zu Tätern werden sollen. Ich bin sicher, das wird mit etwas Geduld zu einer Welt ohne Täter führen. Reden hilft!“

    …ja, victim blaming macht auf alle Fälle viel mehr Sinn. Völlig gleichgültig, wie oft Untersuchungen zeigen, dass Vergewaltiger(innen) Mehrfachtäter(innen) sind, die sich durchaus bewusst sind, dass sie keinen expliziten Consent haben, aber gewisse Situationen bewusst und zielgerichtet ausnutzen. Sich mit dieser Problematik, die ich persönlich ja vordergründig logisch und korrekt finde, auseinanderzusetzen und Kampagnen zu entwickeln, statt immer wieder und immer wieder sinnlos bei den Opfern anzusetzen und Frauen* zu sagen, was sie gefälligst zu lassen haben, wenn sie nicht vergewaltigt werden „wollen“ (nicht, dass das Sinn machen würde, weil die Mehrzahl der Vergewaltigungen, suprise, im Bekanntenkreis stattfindet), macht dann natürlich auch keinen Sinn. Weil: man redet ja nur für eine bessere Welt. Beim victim blaming ist man ja ganz aktiv dabei und das bringt auch total was. /sarcasm /nerv

  10. PoC: “Dann sagen wir ihnen einfach immer wieder, dass sie nicht zu Tätern werden sollen. Ich bin sicher, das wird mit etwas Geduld zu einer Welt ohne Täter führen. Reden hilft!”

    Es würde auf jeden Fall mehr helfen als indirekt oder direkt die Opfer zu beschuldigen! Z.B. sehen zu viele Männer betrunkene Frauen immer noch als Freibrief sie abzuschleppen. KO-Tropfen waren da nur die logische Weiterentwicklung nach dem Motto „Wenn sie sich selbst nicht bewusstlos trinkt, dann helfen wir halt nach!“ Und genau deswegen reicht „Nein heißt Nein“ mittlerweile nicht mehr aus, denn nach der Logik dieser Männer wird das dann zu „Wenn sie nicht nein sagt bzw. sagen kann, dann meint sie ja!“ umgedeutet. Und der Clou an der Sache ist dann, dass dieses Verhalten nur selten deutlich als Vergewaltigung gebrandmarkt wird. Stattdessen wird davon geredet, dass die Opfer wohl zu betrunken waren und deswegen leichtfertig mit dem Täter mitgegangen sind oder weiß der Geier was getan hat, um die Situation herbeizuführen.

    tl;dr: Es geht nicht darum nur zu sagen „Vergewaltigung ist schlecht! Tut das nicht!“ sondern auch deutlich zu machen, dass der vermeintlich harmlose One-Night-Stand, mit jemandem, der viel zu betrunken ist, eben auch eine Vergewaltigung ist. Ja heißt ja, alles andere heißt nein. Betrunken sein heißt nein. Bewusstlosigkeit heißt nein.

  11. „…ja, victim blaming macht auf alle Fälle viel mehr Sinn.“

    @accalmie
    Meinst du das erst? Ich finde das schon eine ziemliche schräge Haltung.

  12. Die Kampagne finde ich ziemlich fehl am Platz, wenn es um K.O.-Tropfen geht. EineR wird ja schließlich nicht gefragt, ob sie eine geschmack-/geruchlose und so gut wie nicht nachweisbare Droge in den Drink haben will.
    Da hilft ein Nein dann auch nicht mehr.

    Und gerade in dem Kontext finde ich die Aussage des Polizisten _der im Bereich Sexualstraftaten arbeitet_ noch viel abstruser und ekliger! „Trink nicht so viel, dann wirst du nicht vergewaltigt“ – Sicher. Abgesehen davon, dass es total schnurzpiepegal ist, was und wie viel eine Person trinkt – k.o.-Tropfen kann man auch wunderbar in nicht alkoholische Getränke kippen.
    (Und als nächstes wird Menschen vorgeworfen, dass sie nicht sexualisierte Gewalt erfahren hätten, hätten sie mal mehr getrunken und wären nicht orientierungseingeschränkt wg. Dehydration gewesen…)

  13. KHK Samitz hat gut reden, natürlich nehmen die Fälle nicht zu, weil sie entweder nicht angezeigt oder mehr nachweisbar sind.

    GHB ist innerhalb 8-12 Stunden unnachweisbar abgebaut. Davor lässt sich die Substanz nur im Urin oder Blut nachweisen. Die Proben müssen gekühlt werden und können nur mit speziellen Massenspektrometern nachgewiesen werden. Zudem hat nicht jeder Bezirk, in dem eine Tat stattfindet, ein Institut für Rechtsmedizin, die sind nämlich aus Kostendämpfungsgründen stark ausgedünnt worden. Da werden die Proben auch wieder wenn einer Pech hat, stundenlang weiter gereicht. Und ohne Anzeige müssen die teuren Untersuchungen selbst bezahlt werden.

    Alles nur ein feministisches Gerücht? Schön wär’s. Wer sich mal wirklich mit Opfern von GHB-Anwendung unterhält, erfährt dass Straftäter oft davonkommen, weil die Gabe der Substanz fast unnachweisbar ist und den Opfers stattdessen Alkoholexzess angedichtet wird.

  14. ad L: Außerdem knocken KO-Tropfen auch nüchterne Menschen aus, da braucht mensch nicht extra vorgeglüht zu haben. ^^

  15. Meine zum Glück einzige und relativ (!) harmlos abgelaufene Erfahrung mit dem Dreckszeug war an nem Abend wo ich aufgrund von Auto-vor-der-Tür völlig nüchtern war.

    Herr Samietz, sie können mich mal sonstwo!

  16. @ alle:

    ihr schreibt hier viel von vergewaltigungen und scheint dabei zu vergessen, dass sexualisierte übergriffe schon viel früher beginnen zb. beim an den po grabschen. (um genau zu sein fangen sie da an wo die betroffene person eine persönliche grenze überschritten sieht).
    die kampagne „nein heißt nein“ (no means no), setzt genau dort an. sie will betroffene personen ermutigen, sich das nicht gefallen zu lassen, dem täter deutlcih zu vermitteln, dass frau (*) das nicht will. und gegebenenfalls sich an die clubbesitzer (türsteher, barpersoneal, im idealfall antisexistische ansprechgruppe) zu wenden.

    wobei die kampagne klar vom definitionsrecht der*des betroffenen ausgeht. bedeutet: die betroffene person definiert selbst wie schlimm (od. harmlos) die situation und das verhalten des täters für sie war. und nach dieser definition wird darauf reagiert. wenn betroffene person also wünscht, dass der täter rausgeschmissen wird, wird dieser eben rausgeschmissen.
    dabei ist wichtig, dass der betroffenen person kein rechtfertigungs oder beweisdruck vermittelt wird, solche dinge belasten die person nur noch mehr.

  17. @blubbblubb: Dass Übergriffe nicht nur Vergewaltigungen sind, bestreitet ja niemand. Es ist auch immerhin ein Anfang, endlich Betroffenen zu glauben – aber nicht genug. Denn es verhindert ja nicht, dass Übergriffe weiter begangen werden, es bedeutet nicht ein Umdenken in der Kultur, dass Übergriffen zu ächten sind. Es ist ein Minischritt zu etwas hin, das Selbstverständlichkeit sein müsste. Nach all den Jahren Frauenbewegung eigentlich eine Unverschämtheit, dass wir nicht weiter sind.

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