Der folgende Beitrag erschien bereits auf Don’t degrade Debs, darling! – wir bedanken uns für die Erlaubnis zum Crossposting!
Teil feministischer Arbeit ist oft, neben dem Blick auf Gesellschaft, auch ein Blick auf sich selbst. Ein kritischer Blick, wie im optimalen Falle auch ein fürsorglicher. Ich habe an einem Workshop teilgenommen, der diesen fürsorglichen Blick im Fokus hatte. Es ging um Emotionen als Teil aktivistischer Arbeit und um Körperarbeit als Teil feministischer Arbeit.
Es war ein guter Workshop, dass möchte ich vorab deutlich sagen, aber verlassen habe ich ihn letztendlich aufgewühlt, hilflos und wütend.
Wenn eine Arbeit mit und über Körper nicht bedenkt, dass verschiedene Körper verschiedene Realitäten erleben, führt diese Auseinandersetzung für bestimmte Körper möglicher Weise zu dem erneuten Erleben von Gewalt. Es fängt bei Kleinigkeiten an. Wenn Übungen gemacht werden sollen, die nicht jede Person machen kann, zum Beispiel. Auch wenn es „okay“ ist nicht mitzumachen, wird häufig nicht bedacht, was ein Am-Rand-Stehen und als einzige nicht teilzunehmen auslösen und reproduzieren kann. Ein Beispiel aus dem Workshop: Es war eine „einfache“ Übung, die ich aber aufgrund meines Bandscheibenvorfalls nicht machen konnte. Ich musste abbrechen und stand dann daneben. Ich fühlte mich an Schulzeiten erinnert. Das dicke oder das „kranke“ Kind, dass im Sportunterricht nicht mitmachen kann. Weil es aus verschiedenen Gründen nicht springen oder über den Bock hüpfen kann. Es fühlt sich peinlich und unangenehm an. Ich weiß, was die anderen Schüler_innen und die Lehrer_innen denken. Es ist schließlich selbstverständlich, dass der dicke Körper „krank“ oder der „kranke“ Körper dick und egal wie rum unsportlich ist (der gesamte Satz ist sarkastisch zu verstehen). Sportlichkeit ist wichtig. Es nicht zu sein, ein Makel. Im Sportunterricht daneben zu stehen, weil ich aufgrund meines Körpers vieles nicht machen kann oder will und zu wissen bzw. zu hören, welches Bild das bei anderen produziert ist ein Trauma, dass tief sitzt und ich weiß, dass es vielen Menschen so geht, die mit bestimmten Körpern zum Sportunterricht gehen mussten, aber nicht teilnehmen konnten_wollten. Sportlich und fit zu sein, ist von klein auf ein menschliches Qualitätsmerkmal. Warum werden solche Sachen bei körperlichen Übungen nicht thematisiert? Warum ist es selbstverständlich, dass bei „einfachen“ Übungen alle mitmachen können? Warum glauben Leute, es ist okay, einfach nicht mitzumachen, wenn es nicht geht? Wissen sie, dass es oft nicht okay ist, weil es oft nicht okay war?
Diese Übungssituation hat das erste Mal an diesem Tag dazu geführt, dass ich mich unglaublich unwohl und ungesehen gefühlt habe.
Als dann der Körper als Aspekt der Selbstfürsorge tatsächlich in den Mittelpunkt gerückt ist, habe ich den Raum verlassen, weil Körperrealitäten und Gewalt im Bezug auf Körperwahrnehmung dabei oft nicht bedacht werden. Mein dicker und seit meiner Kindheit häufig „kranker“ Körper steht gegen meinen Willen ständig im Fokus. Und ständig glauben Menschen mir sagen zu müssen, was gut und wichtig für mich ist. „Selbstfürsorge“ wird von Außen verlangt, weil ein dicker Körper Menschen glauben lässt, mensch schätze sich selbst nicht genug und wer krank ist, muss schnell wieder gesund werden. Von dem Paternalismus anderer, was ich tun und lassen muss, mal ganz abgesehen.
Das Muss, sich mit dem eigenen Körper auseinander zu setzten, um fürsorglich sein zu können, empfinde ich als außerordentlich ignorant und gewaltvoll. Denn eine Zwangsauseinandersetzung erlebe ich tagtäglich. Online aktiv zu sein, war eine Möglichkeit meinen Körper aus dem Fokus zu ziehen. Beziehungsweise meinen Körper selbstbestimmt zu thematisieren.
Dabei verstehe ich sehr wohl, warum Körperarbeit als Teil feministischer Arbeit verstanden werden kann, aber bestimmte Menschen sind ohnehin ständig gezwungen sich mit ihrem Körper auseinanderzusetzten, weil der eigene Köper ständig Gegenstand der Betrachtung und Bewertung anderer ist. Die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zur Pflichtkür feministischer Auseinandersetzung zu machen, denkt das nicht mit.
Oft habe ich auch die Befürchtung, dass wenn der Körper im Fokus der Selbstfürsorge steht, der Gedanke entsteht: Ist der Körper gesund, stark, fit, ist auch die Aktivistin gesund, stark, fit. Das ist schon in diese Richtung falsch (ganz zu schweigen davon, warum gesund, stark, fit erstrebenswert sein muss), in die andere Richtung wird es noch fataler: Ist der Körper krank, schwach, nicht fit, ist es auch die Aktivistin (nicht).
Dies wird auch deutlich, wenn Sätze fallen, wie „sie (die Aktivistinnen) achten vor Stress nicht mehr auf sich und essen ’shitty things'“. Denn „shitty things“ essen kann für Menschen auch eine Errungenschaft und unglaublich empowernd sein. Wenn ich mich gut fühle, esse ich Pommes in der Öffenbtlichkeit und freue mich drüber. Wenn es mir schlecht geht, ertrage ich mögliche Kommentare nicht und lasse essen in der Öffentlichkeit häufig ganz. Handlungen und Ernährung, die im hegemonialen Diskurs als „gesund“ gelten, gehen gedanklich viel zu häufig Hand in Hand, wenn es um den Aspekt der Selbstfürsorge geht.
Als Grund, warum die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper so wichtig ist, hat die Workshopleitung immer wieder das Vergessen des eigenen Körpers benannt. Ganz ehrlich: Tage, an denen ich meinen Körper vergessen kann, sind Grund für Pommes und Champagner! Es sind gute Tage! Denn meistens kann ich meinen Körper nicht vergessen! Genauso wie viele andere Menschen das nicht können, weil sie aufgrund von fatshaming, trans*feindlichkeit oder Rassismus kommentiert, angestarrt und be_ver_urteilt werden. Überrascht es, dass dieses Beharren auf die Betrachtung des eigenen Körpers von einer weißen, schlanken, agilen Cis-Frau kommt? Eher nicht. Es macht mich wütend wenn ich merke, dass über Körper gesprochen, aber nicht an Körper gedacht wird.
Die Übung, die mich dann letztendlich vor Wut zum Weinen gebracht hat, war eine, bei der eine Silhouette gemalt wird und dann soll anhand von Schmerzen, Unwohlsein und Verspannungen nachgespürt und eingezeichnet werden, wo schlechte Gefühle und Emotionen sitzen. Warum soll ich noch mehr Negatives mit meinem Körper verbinden? Das empowert mich nicht! Als ich das angemerkt habe und gefragt habe, wie ich Positives in meinem Körper spüren und einzeichnen kann, wurde das so interpretiert, als würde ich so leiden, dass ich mich nach einem guten Körpergefühl sehne. Es wurde nicht verstanden, dass es gute Gründe gibt ,nicht zusätzliche Negativ-Verbindungen zum eigenen Körper aufzubauen, weil es die schon zur Genüge von Außen gibt. Statt dessen wurde es als wichtiger „Heilungsprozess“ betitelt und meine Bedenken, meine Tränen, meine Wut gegen diese Verkörperlichung von Selbstfürsorge und meine Kritik nicht verstanden. Warum fällt es so schwer zu verstehen, dass ich, wenn ich Gewalt aufgrund negativer Zuschreibungen in Bezug auf meinen Körper erfahre, es nicht als heilend empfinde den negativen Punkten meines Körpers nachzuspüren? Warum wird meine Frage nach den Orten der positiven Gefühle in meinem Körper abgetan als weniger reflektiert, weniger achtsam, weniger heilend, als Ausdruck meiner Verzweiflung meinem schmerzenden Körper gegenüber? Warum muss mein Körper Ort der Heilung sein? Warum wird nicht verstanden, dass ein dicker Körper ständig mit Angst, Abwehr, Trauer, mit negativen Emotionen assoziiert wird? Ich also wegen meines Körpers und gesellschaftlichen Vorstellungen früh gelernt habe negative Emotionen in meinem Körper zu verorten und ihn in seiner Erscheinung und seinem Wirken als Folge dieser schlechten Einflüsse und Gefühle zu sehen? Warum ist mein schmerzender Körper ein Aufgabenfeld, ein zu verhandelndes und zu bearbeitendes Politikum? Warum ist mein schmerzender Körper in seiner Berechtigung, in seinem krank_sein- und schwach_sein- und nicht_da_sein-dürfen KEIN Politikum? Warum sagen am Ende eigentlich alle wie toll und bereichernd sie es fanden, während ich weine und mich unverstanden und alleine fühle? Warum verstehen es am Ende dann doch noch viele aus der Runde, nur die weiße, schlanke, agile, sportliche Cis*-Frau, die Selbstfürsorge zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat und mit anderen dazu arbeitet scheinbar nicht. Tja… warum nicht… Weil für sie scheinbar bestimmte Körperrealitäten (k)ein Politikum sein können.