Happy, happy Internationaler Anti-Diät Tag! Bereits die ganze Woche sind anlässlich diesen Tages beim Missy Magazin Texte zum Thema Diäten, Dicksein und Fat Empowerment erschienen, auf Twitter entstand der Hashtag #YesAllWampen. Auch ich steuerte einen Text bei: Mein epischer Körper, der hier noch einmal erscheint:
Meine erste Diät machte ich noch vor meiner Einschulung, das muss 1992 gewesen sein. Bereits in diesem Alter hatte ich so oft gehört, dass ich „zu dick“ sei, dass ich mir fest vornahm, bis zum Schulanfang einige Kilos zu verlieren. Insbesondere meine Mutter – auch dick – musste sich ständig vor Ärzt*innen und Schulpersonal rechtfertigen, die das hohe Gewicht ihrer Kinder „besorgniserregend“ fanden. So besuchte ich mein erstes Diätcamp. Bevor ich lesen oder schreiben konnte, zählte ich also Kalorien.
Ich diätete mich von der Grundschule in die Oberschule und führte penibel Gewichtstabellen. Im Hort bekam ich spezielles Diätessen und saß am Tisch der ebenfalls diäthaltenden Erzieherinnen. Das klingt jetzt furchtbar und traurig (und ist es auch), aber ich war kein unglückliches Kind und beschäftigte mich auch mit anderen, schöneren Dingen. Die ständigen Gedanken um mein Gewicht stressten mich zwar und suggerierten, dass das mein ultimativer „Makel“ sei. Es war allerdings ein Stress, den ich kaum hinterfragte. Er gehört(e) einfach zum Alltag.
Mein erstes Diätcamp sollte nicht mein letztes bleiben. Ich erinnere mich an eins, in dem wir jede Woche gewogen wurden. Wie eine Versagerin fühlte ich mich, weil ich in der ersten Woche „nur“ ein Pfund abnahm. Der einzige Lichtblick war meine dicke Tante E., die meinen kleinen Bruder und mich einmal vom Camp abholte und mit uns Erdbeerkuchen mit einem dicken Klecks Sahne aß. Noch heute denke ich mit Herzchen in den Augen an diese Tante, wenn ich genüsslich in ein saftiges Stück Erdbeerkuchen beiße.
Etwa zur gleichen Zeit, 1997, trafen sich wichtige AnzugträgerInnen in Genf zu einer Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das ist jene Organisation, die queeres Begehren bis 1992 als „Krankheit“ klassifizierte und bis heute Trans* und nicht-binäre Menschen pathologisiert. Nicht gerade sympathisch also.
Eine ExpertInnengruppe der WHO diskutierte angeregt darüber, wie die „weltweite Epidemie“ namens „Adipositas“ (auch „Fettleibigkeit“ genannt) eingedämmt werden könne. Wenn AnzugträgerInnen (meinen) Köper als „Epidemie“ oder „krankhaft“ beschreiben, horche ich natürlich kritisch auf. Epidemie klingt zwar wie episch, meint aber leider etwas anderes, nämlich „ansteckende Massenerkrankung“.
Um das „Ausmaß“ der frisch entdeckten Epidemie zu veranschaulichen, schufen die WHO und ihre Verbündeten der Pharmaindustrie bei dieser Konferenz eine einheitliche und weltweit verbindliche Definition für Körpergewichtskategorien und bemühten dafür den bereits existierenden Body Mass Index, besser bekannt als BMI. Bereits existierende Werte wurden einfach runtergesetzt und zu neuen Werten vereinheitlicht: Ab 1997 galt mensch mit einem Wert von 25 als „übergewichtig“ und ab einem Wert von 30 „krankhaft übergewichtig“ bzw. „adipös“. (Ich tippe dies übrigens mit meinen adipösen Fingern, die zu meinem adipösen Körper gehören.)
Innerhalb weniger Jahre übernahmen „weltweit praktisch alle staatlichen Gesundheitsministerien, -institute, -behörden und unabhängige Gesundheitsorganisationen die neuen Grenzwerte“. In den USA, in denen bis 1998 viel höhere BMI-Werte als Maßstab dienten, wachten eines morgens also 35 Millionen Menschen als so genannte „Übergewichtige“ auf, und das ohne auch nur ein einziges Pfund zugelegt zu haben. Das Runtersetzen der Werte folgte einem wirtschaftlichen Kalkül: Es braucht eben eine wachsende Zielgruppe für (sinnlose) Diätnahrung und (mitunter gefährliche) Diätpillen.
Dass die Angst vor der so genannten „Übergewichts-Epidemie“ und mein teilweise von Ärzt*innen verordnetes Diätverhalten nicht zufällig zeitlich zusammenfielen, verstand ich erst viele Jahre später. Über die politische Dimension von Körpergewicht nachzudenken, hat mir in den letzten Jahren sehr geholfen, nicht mehr meinen Körper, sondern lieber gesellschaftliche Verhältnisse zu dissen. Am Internationalen Anti-Diät-Tag feiere ich die Schritte, die ich in meinem Leben schon gegangen bin und respektiere die Unsicherheiten, die vielleicht für immer bleiben werden. Ich feiere meinen epischen epidemischen Körper.
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Mehr Zum Thema Dicksein & Fat Empowerment gibt es in unserer Serie Mein Fett ist Politisch. Außerdem versende ich regelmäßig den FAT STUFF Newsletter, einfach Mail an: magda(at)maedchenmannschaft.net.
Die Angaben zum Body-Mass-Index für diesen Text stammen aus dem Buch „Dick, doof und arm. Die Lüge vom Übergewicht und wer davon profitiert“ von Friedrich Schorb, erschienen 2009 bei Droemer Knaur.
Plötzlich wird jemand mit Kommentaren überhäuft. Wenn jemand keine ideale Figur hat (….oder selbst wenn) und aus irgendeinem Grund nicht in das normale Bild passt geht ein Gekreische über Gesundheit los oder sogar ein Hagel von Beleidigungen. „Übergewicht“ ist den Leuten die davon betroffen sind mehr als bewusst. Sie brauchen keine Ratschläge und keine Ermahnungen. Wenn sie sich wohl fühlen, dann ist es ihr gutes Recht in Ruhe gelassen zu werden.
ein wenig seltsam allerdings, daß eine positive Reaktion (im Attraktivitäts-sexuellen Sinne) leider dennoch gerne kritisiert wird (in diesem Fall als „Fetischisierung“ usw.).
Positive, anerkennende Reaktionen auf dicke Körper sind aber etwas anderes als Fetischisierung, die sich häufig dadurch kennzeichnet, dass (insbesondere Typen) dicke (Frauen-)Körper sexualisieren und objektifizieren. Insgesamt finde ich das Thema schwierig und schätze es auch kritisch ein, dass das Begehren von dicken Körpern immer sofort als „Fetisch“ eingelesen wird (und das Begehren von schlanken Körpern als total „normal“ empfunden wird). Allerdings gibt es in der Fat Acceptance / Empowerment Bewegung eine lange Geschichte der heterosexistischen Objektifizierung von dicken Frauen. Ich würde mir immer genau anschauen, wer da was bzw. wen kritisiert. Wenn eine dicke Person sich objektifiziert fühlt, ist die Kritik berechtigt und sollte ernst genommen werden. Wenn dünne Leute, die immer nur andere dünne Leute daten, jegliches Begehren für dicke Menschen als „Fetisch“ klassifizieren, ist das natürlich problematisch.
Ich denke es ist zu kurz gegriffen, das Runtersetzen der BMI-Werte einfach und direkt aus einem „wirtschaftlichen Kalkül“ der Diatindustrie abzuleiten.
Da haben auch andere, ‚weichere‘ Faktoren eine Rolle gespielt. Z.B. ein verändertes Schönheitsempfinden, das die zumeist männlichen, heterosexuellen Ärzte und Politiker in der WHo ganz sicher in ihrer Entscheidung, was als „gesund“ und „normal“ gelten soll, beeinflusst hat. Wenn eine es mit ökonomischen Überlegungen in Zusammenhang bringen möchte, dürfte da Gesundheits- und Fitnessdiskurse sowie Standort-, Krankenkassen- und Rentenüberlegungen eine mindestens ebenso große Rolle gespielt haben. Staaten wollen und brauchen fitte und gesunde Arbeitnehmerinnen und die Alltagsvorstellung und weite Teile des damaligen medizinischen Diskurses behaupten, dass dünne Menschen gesünder, disziplinierter etc. sein – also fleißigere Arbeiterinnen, billigere Krankenkassenmitglieder, bessere Rentenzahlerinnen und darum nützlichere Staatsbürgerinnen.
Mit der hier gegebenen Erklärung verfällt eine zu leicht in einen Ökonomismus, der die symbolisch-diskursive Ebene und ihre Macht aus dem Blick verliert und die Funktionsweise von Kapitalismus auch nur als Verschwörung verstehen kann. Auch wenn es selbstverständlich Lobbyarbeit gibt, funktioniert Kapitalismus zumeist nicht so, dass irgendwelche Industrievertreterinnen Politikerinnen, bzw. hier der WHO, Gesetze oder BMI-Werte diktieren.
Ansonsten Danke für den persönlichen und politischen Kommentar.
Hey, quamardt, völlig d’accord!
Ich hab schon so einige Artikel zum Thema geschrieben und nicht in jedem kann mensch alle Aspekte beleuchten. Hier sind noch zwei andere:
Die politische Dimension von Fett
Warum der BMI scheiße ist (und ich kein Sellerie mag)
Ich denke allerdings, dass der Schwerpunkt der Auseinandersetzung (in feministischen Szenen) häufig auf der symbolisch-diskursiven Ebene liegt und ich deshalb einen Fokus auf die ökonomische lege. Ja, Schönheitsnormen spielen immer eine Rolle, aber häufig fällt das Befassen mit ökonomischen Faktoren hinten runter und das finde ich schade, deshalb lege ich häufig einen Schwerpunkt darauf.