[Inhaltshinweis: Rape Culture]
Es ist nicht auszuhalten. Wie tagesschau.de berichtet, haben „UN-Rechtsexperten“ die „jahrelange Botschaftszuflucht des Wikileaks-Gründers“ in der Botschaft Ecuadors in London als „unrechtmäßig eingestuft.“ Assange müsse sich frei bewegen können, so die „Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen,“ und Assange könne Schadensersatz für seinen „Freiheitsentzug“ fordern.
Darf ich kurz fragen: Wir vergessen dabei einfach, dass Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft „floh,“ um einer erneuten Befragung zu den Vergewaltigungsanzeigen gegen ihn in Schweden zu entkommen? Julian Assange ist also nun das eigentliche Opfer, obwohl er derjenige war, der Hals über Kopf Schweden verließ, um nicht noch einmal persönlich von der Polizei zu den Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen mindestens zwei Frauen befragt zu werden?
Vor über drei Jahren schrieb ich in einem Blogpost: „Es wurde noch nicht einmal Anklage gegen Assange erhoben bisher. Es geht darum, dass die Polizei ihn auffordert, sich noch einmal befragen zu lassen, woraufhin er eiligst Schweden verließ und nun seine Anwält_innen und Anhänger_innen ein sexistisches „Die CIA hat mich verführt“-Narrativ spinnen lässt in einer Situation, in der es darum geht, dass er zwei Frauen vergewaltigt haben soll. Assange soll gesagt haben, dass Schweden „das Saudi-Arabien des Feminismus“ sei und er das eigentliche Opfer.“
Man kann hier auch anmerken, dass Assange nie die Erzählungen der Frauen, die ihn anklagten, direkt verneinte. Ein Anwalt behauptete, es handele sich bei seiner Verhaltensweise zwar um „Respektlosigkeit“, aber nicht um sexualisierte Gewalt. Offenbar geht Assange (und Fans) davon aus, dass, wenn man einmal „Ja“ zu Sex mit ihm sagt, dieses Einverständnis für immer und für alles gilt, ob man dabei bewusstlos ist oder nicht, ob man dabei körperlich überwältigt wird oder nicht.
Dabei wird Wikileaks benutzt als Quasi-Absolution für seine Handlungen, statt zu erkennen, dass es hier nicht um sein politisches Projekt, sondern um die Person Assange geht; um seine persönlichen Entscheidungen, für die er verantwortlich ist. Weil eine Auslieferung in die USA drohe, dürfe man Assange also nicht für seine persönlichen Entscheidungen haftbar machen – es gehe um das große Ganze. Eine dieser Entscheidungen könnte allerdings gewesen sein, zwei Frauen zu vergewaltigen und dann aus Schweden zu fliehen, bevor er dafür – was, wie wir wissen, sowieso selten geschieht – rechtlich belangt hätte werden können. Eine weitere persönliche Entscheidung Assanges war, sich dann als das „Opfer“ eines „radikalen Feminismus“ zu stilisieren und so zu tun, als sei er ein politischer Geflüchteter aus Australien, der von dem rechtlosen Staat Schweden gejagt würde.
Das ist besonders widerlich im Kontext der Erfahrungen von Geflüchteten. Es ist besonders widerlich, da im Kontext der Begründung Ecuadors, Assange Asyl zu gewähren, Vergleiche zu „Kriegsflüchtlingen“ gezogen wurden. Es ist besonders widerlich, wenn man an Chelsea Manning denkt, die sonst in Vergessenheit gerät.
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Weitere Texte bei der Mädchenmannschaft, die sich mit Assange und Rape Culture auseinandersetzen, findet ihr hier.
Ich habe mir mal dieses Gutachten (zu finden hier: http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/A.HRC.WGAD.2015.docx) zu Gemüte geführt – für einen Juristen ein zweifelhaftes Vergnügen, denn es wird im Originaltext leider nicht besser als in den Zeitungsartikeln. Die Argumentation lässt sich zusammenköcheln auf Wenn ich mich lange genug der Strafverfolgung entziehe und es dabei unangenehm für mich wird, dann wird die Strafverfolgung willkürlich/rechtswidrig. Das ist nicht nur ein Zirkelschluss, sondern auch an Absurdität kaum zu überbieten.
Erfrischent ist da der Dissent des Ukrainischen Rechtsanwalts Vladimir Tochilovsky, der klar und deutlich schreibt, wie es ist:
Mehr gibt’s da eigentlich auch nicht zu sagen.
Hätte ich nicht eh schon Kopfschmerzen, nach dem Lesen des Mehrhsits-Dokumentes hätte ich sie in jedem Falle gehabt…