Geschlecht: uneindeutig

Wie Gerda im Selbermach-Sonntag schon vermerkte, gibt es in Australien nun den ersten Menschen mit offiziell „nicht-spezifiziertem” Geschlecht. Norrie wurde nach der Geburt zunächst als „männlich” registriert, begann mit 23 geschlechtsangleichende Maßnahmen und bekam schließlich ein Zertifikat zur Anerkennung des Geschlechts als „weiblich” in Australien (neue Geburtsurkunden können Immigranten dort nicht bekommen). Nach einer Weile verzichtete Norrie allerdings auf die weitere Einnahme von Hormonen, so dass im Januar diesen Jahres Ärzte schließlich erklärten, Norries Geschlecht sei nicht mehr eindeutig festzustellen.

Norrie selbst schrieb:

The theorists who inform transsexual and intersexual medical intervention presume that everyone has one real gender identity at the core of their being, whether or not this is congruent with their anatomy. Even children biologically hermaphrodite are supposed to be ‚really‘ of one gender, with the surgically discarded sex declared the ‚false‘ one. […]

People seen by our society as having a gender opposite to the one sex they were born with are seen by other societies as simply having two genders. Bi-gendered. In this light, the permanent removal of the characteristics of one sex to allow the expression of the other seems a total waste.


Die Theoretiker_innen die transsexuelle und intersexuelle medizinische Eingriffe empfehlen, nehmen an, dass alle Menschen eine echte Genderidentität im Kern ihres Wesens haben, ob die nun mit der Anatomie übereinstimmt oder nicht. Sogar biologische Hermaphroditen-Kinder sollten tatsächlich ein Gender haben, wobei das chirurgisch entfernte Geschlecht zum Falschen erklärt wird. […]

Menschen, von denen unsere Gesellschaft denkt, sie hätten ein Gender, das dem Geschlecht in dem sie geboren wurden genau gegenüber steht, werden in anderen Gesellschaften einfach als Zwei-Gender gesehen. Bi-gendered. In diesem Licht erscheint das endgültige Entfernen der Merkmale eines Geschlechts, um das andere auszudrücken, wie die totale Verschwendung.

Bisher scheinen die Reaktionen auch positiv zu sein: “I went into the bank and the woman’s eyes lit up when she saw the certificate, and she said, ‚What a good option‘.“ („Ich ging zur Bank und die Augen der Frau leuchteten auf, als sie das Zertifikat sah und sie sagte: ‚Was für eine gute Option‘.”)

19 Kommentare zu „Geschlecht: uneindeutig

  1. Wer sich dafür interessiert, dem kann ich den Film XXY empfehlen.
    Außerdem hat er gute Kritiken bekommen.
    Kann auch online gesehn werden:

    http://kino.to/

    oben rechts in die Suche xxy eingeben.

    Gruß, Frank

  2. Den Film finde ich auch sehr empfehlenswert. Abgesehen vom Thema ist es ein sehr eindringlich inszeniertes Drama mit wunderbaren Schauspielenden. :)

    Weiterführend möchte ich eine sehr gute Dokumentation über Hermaphroditen empfehlen. Diese lief im Rahmen eines Themenabends auf arte und der Ankündigungstext spricht für sich:

    Hermaphroditen – Eindeutig Zweideutig
    Dokumentation von Ilka Franzmann, Deutschland 2002, Deutsche und französische Erstausstrahlung

    Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Meistens ist das die erste Frage nach der Geburt. Und niemand erwartet die Antwort: „Das kann man so nicht sagen.“ Tatsächlich kommt auf 2000 Neugeborene ein Kind mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen – ein intersexuelles Kind.
    Meist werden direkt nach der Geburt die Genitale mit dem Skalpell optisch korrigiert, der zweigeschlechtlichen Norm angepasst. Die Betroffenen haben also selbst keinen Einfluss in dieser existentiellen Frage, ob sie Junge oder Mädchen werden oder „dazwischen“ leben möchten. Die meisten Hermaphroditen, deren Geschlecht nach der Geburt genormt wurde, kämpfen ein Leben lang damit, sich mit dem einmal zugewiesenen Geschlecht zu identifizieren.

    Zum Beispiel Jürgen/Claudia: Bei einer geplanten Kieferoperation im Alter von 19 Jahren stellte sich heraus, dass Jürgen einen weiblichen Gesichtsmittelteil hatte, während sein übriger Schädelbau männlich war. Deshalb wuchs sein Kiefer nicht zusammen.
    Erst jetzt klärt man ihn auf: Er ist ein sogenannter echter Hermaphrodit, ein Mensch, der ursprünglich mit den kompletten Anlagen beider Geschlechter zur Welt gekommen ist. Plötzlich macht für ihn alles einen Sinn: die vielen Krankenhausaufenthalte und Operationen in seiner Kindheit, die dauerhaften Unterleibsschmerzen, seine sexuellen Erregungsstörungen im Jugendalter. Jürgens mühsame Nachforschungen ergeben, dass die Ärzte – auf Wunsch der Eltern – sein Geschlecht nach seiner Geburt auf männlich festsetzten und alle weiblichen Anlagen entfernten. Heute, mit 44, lebt Jürgen als Claudia, doch seine Identität hat Jürgen/Claudia auch damit nicht gefunden: „Mein Körper ist mir so fremd wie früher auch. Ich bin ein Hermaphrodit, doch diesen Urzustand kann mir niemand zurückgeben.“

    „Lasst uns aufwachsen, wie wir zur Welt kommen“ fordern mit Claudia viele Intersexuelle in Deutschland und anderswo. Ihr Ziel: Keine Genitalkorrekturen an Kindern. Doch der gesellschaftliche Druck ist enorm. Neben den Hermaphroditen Claudia, Anna und Julian sowie Nadine und Roger Klingauf, Eltern eines intersexuellen Kindes, kommen die Endokrinologin Prof. Dr. Annette Grüters zu Wort, die die Methoden erläutert, nach denen Körper männlich oder weiblich normiert werden. Auch die führende französische Chirurgin Prof. Dr. Claire Nihoul Fékété, die Genitalkorrekturen an Kindern befürwortet und vornimmt, erklärt den Grenzgang zwischen den beiden Geschlechtern.

    arte Archiv

    Wer den Film in Gänze sehen will, muss sich wohl direkt an arte wenden. Ausschnitte gibt es hier .

  3. @Judith: Danke, ich habe das im Artikel geändert. Ich hatte das bem Schreiben zwar schon vage im Kopf, aber leider nicht noch mal nachgeschaut.

  4. Den Eindeutig-zweideutig Film fand ich nicht schlecht, aber auch nicht soooo toll, denn die/der Protagonist geht davon aus ein „ursprüngliches“ Geschlecht zu haben, dass jedoch umoperiert wurde.
    dabei gibt es kein „richtiges“ geschlecht oder Geschlecht im Kopf, wie oben schon erwähnt wurde.
    Die Doku kann man natürlich trotzdem mal ansehen und dabei kritisch mitdenken, besser alls die meisten zum Thema ist sie schon.
    Noch eindrucksvoller: Oliver Tolmein / Bertram Rotermund: Das verordnete Geschlecht.
    http://www.das-verordnete-geschlecht.de/

    Gibt noch mehr, lief auch schon einiges bei Arte. Das muss ich aber noch mal irgendwann ordnen…

  5. Es gibt sicherlich (noch) bessere Filme zum Thema, aber wenigstens wird hier sehr gut dargestellt, dass die medizinische/biologische Geschlechtszuordnung ein sehr willkürlicher Akt ist, der sich kategorisch auf Frau oder Mann beschränkt. Ich denke, dass dies vielen noch nicht klar ist.

    Eine gute Filmliste findet sich hier. Über den Link ist es anscheinend auch möglich, an die Filme heranzukommen. Von den dort genannten Filmen kenne ich nur „Gendernauts“, der sich eher mit dem Thema Transsexualität beschäftigt.

    @BigA: Mit „Urgeschlecht“ – Jürgen/Claudia spricht von Urzustand – ist in dem Film aber schon Hermaphrodit gemeint. Meinst Du mit Deiner Kritik, dass sich auch Hermaphroditen auf eine Geschlechterdiskussion einlassen, die „nur“ eine dritte Kategorie eröffnet?

  6. Ich finde die „Other“ Regelung gut und es war nur möglich, weil TG Gruppen und Intersexuelle zusammen gearbeitet haben.

    Was hier aber daraus konstruiert wird, lässt mir die Haare zu Berge stehen. Eine Dokumentation, bei der eine Intersexuelle Person berichtet, wie ihr ihr Geschlecht genommen wurde, ist nicht gut, denn sie passt nicht in das politische Konzept?

    > dabei gibt es kein “richtiges” geschlecht oder Geschlecht im Kopf, wie oben schon erwähnt wurde.

    Das mag für einige Intersexuelle und Transgender zutreffen, aber das ganze ist ein Kontinuum und gerade für Transsexuelle ist das richtige Geschlecht im Kopf (Sprich Gehirn) das nicht zum Körper passt, das eigentliche Problem.

    Hier wird Pauschal die Geschlechtlichkeit von Menschen geleugnet, um ein politisches Ziel zu verwirklichen.

    Macht euch endlich frei von dem Gedanken, das Geschlechtsidentität, das Wissen um das eigene Geschlecht, ein Teil von Gender, der gesellschaftlichen Geschlechtsrolle, ist.

  7. und wer „middlesex“ noch nicht gelesen hat: machen!

    ansonsten: supersache. wurde auch zeit.

  8. Habe zum Thema hier noch einen interessanten Artikel gefunden :

    http://www.stern.de/gesundheit/geschlecht-so-entstehen-maenner-frauen-und-alles-dazwischen-1511555.html

    „Das Volk der Bugi kennt fünf Geschlechter
    Manche Kulturen kennen schon von schon lange mehr als nur zwei Geschlechter. Bei den nordamerikanischen Indianern gibt es die „Two-Spirit-People“, meist biologische Männer, die aber auch typisch weibliche Verhaltensweisen zeigen und die mit anderen Männern Sex haben können, ohne als homosexuell angesehen zu werden.

    Das Volk der Bugi auf der indonesischen Insel Sulawesi unterscheidet fünf Geschlechter. “

    Der klassische Streit der Wissenschaften wird natürlich auch angesprochen :

    „Ob Verhaltensweisen, die als typisch männlich oder weiblich wahrgenommen werden, angeboren sind oder erlernt werden, sorgt noch immer für Diskussionen unter Wissenschaftlern. Sicherlich spielen viele Faktoren eine Rolle, die sich gegenseitig beeinflussen: Gene, Erziehung und die Erwartungen der Gesellschaft formen in einem sehr komplizierten Zusammenspiel Männer und Frauen.“

    Diese Erkenntnisse finde ich ebenfalls bemerkenswert :

    http://www.stern.de/gesundheit/2-geschlecht-so-entstehen-maenner-frauen-und-alles-dazwischen-1511555.html

    Die Hirnforschung finde ich auf S. 3 etwas ausgelutscht und wurde von Prof. Hüther bereits als soziokulturell variierbar erkannt.

    Wichtig ist diese Schlußaussage :

    „Das alles sind aber nur geringe Unterschiede, die noch sehr umstritten sind und die man nicht in allen Fällen findet.“

    S. 5 ist hervorragend analysiert : Das soziale Geschlecht :

    „Menschen behandeln Babys vom ersten Tag je nach Geschlecht anders, auch wenn ihnen das nicht bewusst ist. Das spätere typische Rollenverhalten kommt auch auf diese Weise zustande. So kann man durch Experimente zeigen, dass Kleinkinder besonders jene Spielzeuge bevorzugen, die ihnen als passend für ihr Geschlecht suggeriert werden – auch wenn sie es eigentlich nicht sind.“

    Markant :

    „Die Entwicklung setzt sich in der Schule fort. Lehrer reagieren auf Jungen anders als auf Mädchen. Zudem spielen Jungen und Mädchen meist getrennt. Mädchen haben zwar im Durchschnitt die besseren Schulnoten, Jungen sind tendenziell aber erfolgreicher in Mathematik und Physik. Allerdings ist die Begabung für Mathe im Kindesalter nur geringfügig stärker ausgeprägt, die Unterschiede werden erst ab der Pubertät deutlicher. Psychologen von der Universität von Arizona haben nachgewiesen, dass Frauen ihre Schwierigkeiten bei Matheaufgaben plötzlich überwinden, wenn sie glauben, einfach nur ein Problem zu lösen und ihnen die mathematische Natur der Aufgabe nicht bewusst ist. Ebenfalls verschwanden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, als die Psychologen die Frauen zuvor eingehend darüber aufklärten, dass ihnen vielleicht nur ihr Selbstverständnis als Frau bei den Matheaufgaben im Weg steht.“

  9. Hallo Thomas…
    > S. 5 ist hervorragend analysiert : Das soziale Geschlecht :

    Und warum sind transsexuelle Kinder offenbar immun gegen diese Sozialisierung? Von wegen hevorragend analysiert.

  10. Und warum sind transsexuelle Kinder offenbar immun gegen diese Sozialisierung? Von wegen hevorragend analysiert.

    du willst doch nicht etwa von transsexuellen auf alle anderen schließen, oder wie ist dein einwand zu verstehen?

  11. Hallo!

    Mir gefällt die Tatsache sehr, dass Australien in dieser Angelegenheit so tolerant ist.
    Da können sich andere Länder ein Beispiel nehmen. Schade das es nicht mehr so einfach ist nach Australien auszuwandern.

    gr Switched

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