Vom 17. bis 20. Mai hat das diesjährige GenderCamp stattgefunden, ein Barcamp für Feminismus in der Digitalen Gesellschaft. Zur Erinnerung: Das GenderCamp ist eine politische Bildungsveranstaltung rund um Feminismus – Queer – Gender – Netzkultur – soziale Netzwerke – Netzpolitik – digitales Leben. Es lehnt sich an das Prinzip des „BarCamps“ an. In diesem Jahr fand es zum dritten Mal im ABC Bildungs– und Tagungszentrum in Hüll bei Hamburg statt.
Nadine und ich waren unter den rund 60 Teilnehmer_innen, die im ländlichen Hüll mehr als drei Tage zu unterschiedlichen Themen diskutierten. Die meisten Session-Ideen wurden erst auf dem Camp entwickelt und in der morgendlichen Sessionplanung vorgeschlagen. Entstanden ist ein grandioser Mix aus Sessions, der viele Gelegenheiten bot, ganz neue feministische Felder oder Perspektiven kennenzulernen.
Diskutiert wurde über: feministische Projekte im Netz, dominantes Redeverhalten (dazu werde ich noch einen Text schreiben), Veganismus, Speziezismus, Körpernormen, Fanfiction, feministischer Aktivismus in nichtfeministischen Geek/MINT-Spaces, Trollbekämpfung, Elternschaft, Ehe, Identitäten im Netz, BDSM & Feminismus, Justiz und Machtstrukturen, Asexualität, Repro- und Erwerbsarbeit, Craftblogging, Synthetische Kultur, My Little Pony, Kinder(betreuung), Empowerment im Netz, Feministische Netzpolitik, Hierarchien im Netz, Spiritualität, feministische ‚Bubbles‘, Barrierefreiheit im Netz und auf dem Camp, Profeministische Männer*gruppen, Derailing, Netzfeminismus, Polizei & Sexismus und über die Gründung einer #hackerflauschkommune. Auch Bastel- und Rollenspielworkshops konnte mensch auf dem GenderCamp besuchen.
Eine Übersicht über (fast) alle Sessions findet ihr im Programm (da sind noch nicht alle Protokolle verlinkt), die Protokolle zu den einzelnen Sessions könnt ihr auf gendercamp.posterous.com nachlesen. Wer gute Linktipps sucht zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen und zu einigen Begriffen, die in queer_feministischer Praxis & Theorie eine Rolle spielen, freut sich über unsere Schmöker-Ecke.
Ich muss meine Gedanken noch sortieren, andere Teilnehmer_innen waren schneller und haben ihre Eindrücke bereits verbloggt:
- Antje Schrupp (@antjeschrupp): „GenderCamp: Nicht richtig satt geworden„
- Fiann (@fiann): „GenderCamp 2012„
- Glücklich Scheitern (@Dr_Indie): „Mein Gendercamp 2012: Awareness, Privilegien und viele tolle Menschen„
- Simon Kowalewski (@deBaer): „Warum Feminismus (für mich) so schwierig ist„
- Adrian Lang (@adrianlang): „GenderCamp 2012„
- Nadine Lantzsch (@nlantzsch): „GenderCamp 2012 – Review zur Reproduktionsarbeit„
Ich möchte tatsächlich in good faith nachfragen (weil ich selbst nicht da war, u.a. aus Sorge genau vor diesem vielleicht tatsächlich bestehenden Grund):
In Deiner Liste zu den Sessions, den Protokollen und den Resümees anderer Blogger_innen, die Du verlinkt hast (danke!), scheint schon hervorzugehen, dass das Gender Camp ein erstaunlich weißer, bürgerlicher, deutscher Raum war, in dem (das klingt jetzt gemein…) vor allem Blogger-Innen-Nabelschau betrieben wurde.
Gab’s auch Diskussionen zu intersectionality und/oder women of color in feministischen Zusammenhängen? Dass es ein Awareness-Team gab, klingt ja schon mal gut, aber man könnte ja schon diskutieren, ob Barcamps nicht letztlich immer in genau solchen Nabelschauen enden, weil man eben immer nur bis einem gewissen Grad über den eigenen Horizont hinauskommt, und wichtige Themen, die man privilegierterweise nicht sieht, dabei schlicht unter den Tisch fallen, wenn sie nicht vorher auf der Agenda stehen.
Vielleicht ist das hier aber auch der falsche Ort, das anzusprechen? Es interessiert mich aber tatsächlich, und vielleicht hab ich auch einfach übersehen, dass alles total diversity-mäßig war?
@accalmie
was genau meinst du mit „blogger_innen-nabelschau“? ich frage, weil mir nicht ganz klar wird, inwiefern du die bisherigen blogposts dazu und die protokolle dahingehend interpretierst.
Hm, warscheinlich klärt sich das sowieso, wenn das Protokoll zu „Marginalisierte Positionen 1“ online ist; ich war mir einfach nicht sicher, ob das Protokoll zu Derailing, das sich ja dezidiert mit „Ich habe eine_n schwarzen Freund_in, die_der das nix ausmacht“ schon das Höchste der Analyse war, was z.B. critical whiteness angeht.
Ich hab auch ganz erfreut gesehen, dass es einen Workshop zu Barrierefreiheit gab, aber Deine Berichte von a) Heteronormativität/Cis-Sexismus, b) Tweets, die sagten, das Gendercamp sei ein „weiß strukturierter Raum“, die ich gelesen hatte, und c) die schiere Anzahl an Workshops, die sich (in meinem Verständnis und nicht nur daher, sondern auch durch meine Nicht-Teilnahme offensichtlich sehr begrenzten Einblick) essentiell mit „Guckt mal, wir bloggen alle gegen das Patriarchat und so können wir’s vielleicht noch besser machen“ auseinandersetzen, haben bei mir dann die Frage hervorgerufen, ob ein Barcamp in dieser Form für alle ein produktives Format ist oder nur ein Mittel der Selbstbestätigung for wenige.
Natürlich ist es ein GENDERCamp und damit ganz klar und legitim ausgerichtet, aber ich frage mich einfach, wie sich das konkret ausgestaltet hat, was z.B. „race“ angeht – wird das sowieso automatisch mitdiskutiert bei den Themen, die behandelt wurden? Ich frage auch deshalb nach, weil mich interessiert, wie sich das in diesem unabhängigen Workshop gestaltet hat, denn meine Erfahrungen mit „offiziell“ organisierten sind gerade in diesem Hinblick nicht die besten. Das ist das, was ich mit Nabelschau meine: man redet über das, was man sowieso schon macht, und wie es verbessert werden könnte (was ich nicht in Frage stellen möchte und vollkommen legitim finde) – aber marginalisierte Positionen werden in einem oder zwei Workshops „abgehandelt“, bevor man sich den „eigentlichen“ Themen zuwendet.
Ist das irgendwie verständlich, was ich meine? Wie gesagt, es interessiert mich ehrlich und soll kein schier rhetorischer Punkt oder sowas sein, und war auch nicht nur als Frage an Magda oder Dich oder die Mädchenmannschaft gerichtet, sondern an alle Teilnehmer_innen oder ehemalige Teilnehmer_innen. Danke!
Hallo accalmie,
ich schreib mal was dazu, weil ich ja auch beispielsweise die von Dir genannten Tweets abgesetzt hab. Außerdem war ich Teil des Awareness-Teams, dass sich ja gegründet hatte, um das Camp angenehmer und themenvielfältiger in mehrere Richtungen zu machen.
Ich habe das GenderCamp als einigermaßen divers (aber wirklich nur einigermaßen) wahrgenommen und als strukturell sehr ausschließend. Sind für mich zwei Punkte: Dass bestimmte Leute aus bestimmten marginalisierten Gruppen (und auch längst nicht vielen) anwesend waren ist ja nicht gleichbedeutend mit der strukturellen Offenheit oder Veränderbarkeit des Raums.
Weißsein/Reflektionen zu Rassismus/race hatten keinen Raum. Mehrere andere Themen ebenfalls nicht. Was ich bis jetzt ausmachen kann, sind „keine Sicherheit, bestimmte Themen anzusprechen zu können / Unwissenheit bzw. noch fehlende Selbstreflektion bei einigen Anwesenden“, „wenig Zeit für/in Sessions“ und die Reproduktion raumeinnehmender privilegierter Themen, was die aktuelle Kinder-Debatte eigentlich ganz anschaulich beschreibt.
Ich glaube nicht, dass das Barcamp per se das falsche Format für mehr tatsächlich diskutierte Intersektionalität ist, allerdings müsste das Barcamp m.E. unter anderen Vorzeichen laufen.
Wenn der Großteil der Anwesenden versteht (oder die Möglichkeit hat, auf dem Camp zu lernen), dass Gender mit race, class/Bildung, Sexualität, Körperlichkeit und anderen Unterdrückungsverhältnissen sinnhaft verstrickt ist und gar nicht ohne die gedacht werden kann, dann könnte Intersektionalität auch unter einem Hauptfokus Gender wie beim GenderCamp stattfinden.
Danke für die Rückmeldung, Joke!
@accalmie
Habe ich dich richtig verstanden, dass du gerne erfahren möchtest, ob es auch People of Color auf dem Gendercamp gab?
Ja, die gab es! :)
Evtl. schaffe ich es, in den nächsten Tagen einen Blogpost dazu zu schreiben. Ich muss mich und meine Gedanken auch noch etwas sortieren.
Hallo Throy, nicht nur… Da halte ich es so wie Joke:
Natürlich ist es schon mal ein positives Zeichen, wenn PoC sich eingeladen und sicher fühlen, mitzumachen; leider ändert das aber ganz oft nichts daran, dass man sich trotzdem in Strukturen bewegen muss, die einen marginalisieren. Zum Beispiel bin ich *auch* nicht zum GenderCamp gefahren, weil meine Erfahrung mit dieser Art von thematischer „Offenheit“ keine positiven waren. Einerseits ist es super, wenn man übliche Hierarchien umgehen will durch Barcamps, andererseits führt das in meiner Erfahrung ganz oft dazu, dass, wenn nicht zumindest als essentiell deklarierte Themencluster „vorgegeben“ sind, entweder gar nicht über (weitere) marginalisierte Positionen geredet wird, oder genau die Leute (in meinem Fall: PoC), als (implizit oder explizit) verantwortlich gesehen werden (oder sich selbst verantwortlich sehen – das würde ich auch, macht aber keinen Spaß…), diese Themen als Serviceleistung anzubieten.
Das ist dann mit Sicherheit produktiv für die Leute, die sich damit noch nicht sonderlich auseinandergesetzt haben, aber für eben jene qua Hautfarbe (etc.) „Verantwortlichen“ ein ziemlich anstrengedes Erlebnis. Daher habe ich mich gefragt, wie das gelaufen ist und ob solche Themen auch angesprochen wurden (und von wem). Ich möchte damit nicht die Reflektion über das GenderCamp vereinnahmen, aber es ist für mich ein sehr wichtiger Punkt.