Beziehungstat Mord: Feminizid durch das soziale Nahfeld

In der Süddeutschen Zeitung erschien gestern der Text „Tödliche Zweisamkeit“, in dem aus nicht veröffentlichten Zahlen des BKA zitiert wurde: „Bei fast jedem zweiten Frauenmord steht ein dem Opfer nahestehender Mann im Verdacht.“ 2011 gab es in Deutschland 313 weibliche Mordopfer. Bei 154 waren Ehemann, Freund oder Ex-Partner tatverdächtig. Auch in anderen Ländern sei die Situation ähnlich.

In Italien zum Beispiel gibt es ähnlich gelagerte Zahlen, woraufhin nun die Protestpetition „Nie mehr Komplizen“ gegen Feminizid und der politischen und gesellschaftlichen Apathie zum Thema gestartet wurde. Unterstützt wird der Aufruf unter anderem von den Musikerinnen Laura Pausini und Gianna Nannini – mehr als 40.000 Unterschriften sind bisher gesammelt.

Dass das BKA in seiner Statistik aufschlüsselt, in welcher Beziehung Opfer und tatverdächtige Person zueinander standen, ist ein Novum. Festgestellt wurde auch, dass Frauen seltener ihre Partner töten: Bei insgesamt 349 männlichen Mordopfern war in 24 Fällen Partnerin oder Partner des Getöteten verdächtig. Belegt wird also mal wieder die These der Gewaltforschung, dass Frauen Gewalt vor allem im familiären Umfeld erleben und die Täter dabei oft männliche Beziehungspartner sind.

7 Kommentare zu „Beziehungstat Mord: Feminizid durch das soziale Nahfeld

  1. Die Statistik ist mir noch gar nicht untergekommen, danke! Gibts auch Zahlen über die Verurteilten? Tatverdächtig hat das Beigeschmäckle eines wütenden Mobs, der einen Unschuldigen aus der Polizeiwache zerren und lynchen will…

  2. Hmm… wenn nur von tatverdächtig die Rede ist und nicht von schuldig bzw. verurteilt, dann sind Aussagen wie „Männer töten öfter…“ oder „Frauen töten seltener…“ ein wenig irreführend. Kann nicht auch Sexismus in die Ermittlungen mit hereinspielen? Zum Beispiel hört man ja immer, dass Frauen häufiger versteckte Mordmethoden wie Gift verwenden sollen, also werden in manchen Fällen schon anhand vom Geschlecht Verdächtige aussortiert.

  3. @STAin Sabine: Die Zahlen sind noch nicht veröffentlicht, sondern liegen bis jetzt nur der Süddeutschen vor. (Sagt zumindest die Süddeutsche)

    @Juu: Man hört ja auch immer wieder, dass Männer alles Vergewaltiger sind. Super Argument, Hut ab!
    Da das die erste Studie ist, bei der das BKA selbst nach Beziehungsstatus zum Opfer aufschlüsselt, gehe ich mal davon aus, dass es gerade darum geht, Gender-Bias auf die Schliche zu kommen. Und die Statistik mit irgendwelchen herbei imaginierten, von irgendwelchen genauso imaginären Giftmörderinnen Opfern aufzuhübschen, das geht nur im „Ich-mach-mir-meine-Statistik-einfach-selbst“-Land der VT.

  4. @Frau Doktor

    In die Richtung hatte ich es nicht gemeint. Ich meinte nur, dass bei Ermittlungen schon Stereotype Vorstellungen von Tätern mit hereinspielen können. Dass z.B. bei einer Gewalttat automatisch Frauen ausgeschlossen werden als Verdächtige, weil Frauen üblicherweise subtiler vorgehen. Ich hatte keine Absicht irgendwelche Dunkelziffern herbeizuzaubern.

  5. Die Zahl der Tatverdächtigen ist aus meiner Sicht leider belanglos. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich polizeilicher Ermittlungen ist die Operation Himmel:

    Die allein gegen Bewohner der Stadt Köln eingeleiteten etwa 500 Ermittlungsverfahren wurden ausnahmslos eingestellt.

    500 Tatverdächtige, davon 0 Täter.

    Viel interessanter wäre, wie vielen von den 154 Tatverdächtigen die Tat wirklich nachgewiesen werden konnte.

    @Frau Doktor:

    Die Zahlen sind noch nicht veröffentlicht, sondern liegen bis jetzt nur der Süddeutschen vor. (Sagt zumindest die Süddeutsche)

    StAin Sabine hatte nach den Zahlen über die Verurteilten befragt, soweit mir bekannt, hat das BKA diese aber gar nicht.

  6. „Belegt wird also mal wieder die These der Gewaltforschung, dass Frauen Gewalt vor allem im familiären Umfeld erleben und die Täter dabei oft männliche Beziehungspartner sind.“

    Das Frauen Gewalt vor allem(!) im familiären Raum erfahren wird durch diese Zahlen nicht gestützt. Die häufigsten Gewalttaten sind ja gar keine Morde.

    Ich finde es im Übrigen geschmacklos von „Feminizid“ zu sprechen jedenfalls in diesem Zusammenhang. Diese Frauen werden nicht getötet, weil sie Frauen sind sondern es handelt sich um Beziehungstaten. Das ist etwas grundsätzlich anderes als ein Genozid bei dem Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer religiösen oder gesellschaftlichen Gruppe systematisch ausgelöscht werden. Dieser Kommentar wird vermutlich gelöscht werden, aber gesagt werden musste das.

Kommentare sind geschlossen.

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