Über die #EheFürAlle wird gerade im Bundestag abgestimmt. Das finden manche „unwürdig“ und „überstürzt“, zum Beispiel die CDU. Was seit fast 30 Jahren diskutiert wird, geht der CDU also ein bisschen zu schnell. Außer der Merkel natürlich, die ihre „Unsicherheiten“ und ihr bauchgefühliges „Unbehagen“ in Bezug auf die Öffnung der Ehe sowie der Gleichstellung im Adoptionsrecht anscheinend überwunden hat. Good for her! Die Grünen und die Linken feiern die Abstimmung als regenbogenfarbenen Erfolg. Die SPD, die bei der Bundestagswahl 2013 „hundert Prozent Gleichstellung“ versprach und bisher eher mit hundert Prozent Nichtstun und Abstimmungsvertagung auffällt, prescht nun vor. Martin Schulz verkündete vor wenigen Tagen in einem dramatischen Tweet: „Wir werden die Ehe für alle beschließen. Diese Woche.“
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Nun ist es kein Geheimnis, dass ich die Ehe für alle für keine emanzipatorische Forderung halte. Nadine formuliert es noch ein Stück schärfer und spricht von „Illusion von Antidiskriminierung, eine Täuschung“ . Ich bin ehrlich: Müsste ich abstimmen, würde ich selbstverständlich nicht gegen die Ehe für alle stimmen. Schon allein, um den konservativen Heten schlechte Laune zu bereiten.
Utopisch geträumt, gehört die Ehe und all ihre Privilegien allerdings abgeschafft. Der medienwirksame Hahstag #EheFürAlle ist ein rhetorischer Trick. „Alle“ sind nicht gemeint. Und der Freudentaumel sollte nicht überdecken, dass die dringendsten queeren Kämpfe auch mit der Ehe für alle bestehen bleiben: Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft, Ausgrenzung, physische und psychische Gewalterfahrungen. Manche mutmaßen sogar, dass diese Themen nun noch unsichtbarer werden. So nach dem Motto: Wir können doch jetzt heiraten! Endlich gleichgestellt! Was gibt’s da noch zu meckern?!
Ich habe fünf Wünsche. Jenseits von Ehe für alle. Wer lesbische, schwule und bisexuelle Lebensrealitäten mitdenken, respektieren, feiern und supporten will, kann das tun. Jeden Tag. Es sind die regelmäßigen Handlungen, die einen Unterschied machen. Meine Vorschläge, insbesondere für hetero-lebende Menschen, die solidarisch sein wollen, aber keine Ahnung haben, wie:
1. Gehe nicht davon aus, dass alle hetero sind (oder Beziehungen wollen).
Es ist nicht cool, anzunehmen, dass Frauen ausschließlich mit Männern und Männer ausschließlich mit Frauen zusammen sind bzw. zusammen sein wollen. Schon die Frage ist uncool. Manche wollen/können keine Beziehung haben. Und: Obwohl die Sexualisierung von Kindern kritisiert wird, spricht man selten von der permanenten Heterosexualisierung der Kids: „Ach guck mal, die Emma und der Adil sind ja ein süßes Paar. Na, warten wir mal ein paar Jahre ab, dann läuten die Hochzeitsglocken…!“ Vielleicht will Emma aber lieber mit Linh chillen. Oder mit niemandem.
2. Bitte nutze Sprache sensibel und sei solidarisch.
Schwul oder lesbisch sind keine Schimpfwörter, auch wenn so mancher Schulhof oder Jugendclub was anderes glauben lässt. Schön ist auch, zu intervenieren, wenn andere diskriminierende Sprache verwenden. Ein einfaches „Ich mag das nicht hören, das ist gemein“ kann schon sehr machtvoll sein. Und ein solidarisches Zeichen für diejenigen, die scheiß Sprüche oft hören müssen. Sprachkritik ist für manche müßig, aber ehrlich: Was sollen Kids und Jugendliche denn denken, wenn sie permanent hören, dass „schwul“ etwas schlechtes ist. Macht es nicht leichter, selbstbewusst zu sagen: Ich bin schwul. Oder lesbisch. Oder bi.
3. Vielfalt ist kein bloßes Lippenbekenntnis, sondern tägliche Praxis.
Es gibt tolle Bücher, Filme, Serien oder Musik, in denen unterschiedliche Lebensrealitäten vorkommen und nicht alle hetero sind. Oder weiß, oder cis. Für alle zu empfehlen. Schlage deiner Kita, Schule, Bibliothek oder deinem Jugenclub vor, ein paar dieser Medien bereitzustellen.
4. Bitte objektifiziere queere Paare nicht. Hinterfrage deine Sicht auf die Welt.
Nervige Sätze, in denen lesbische, schwule und bisexuelle Menschen auf ihr Begehren reduziert bzw. in eine heteronormative Weltsicht gequetscht werden, sind zum Beispiel:
„Hach, Gerrit und Sören sind ja sooo niedlich.“
„Mein schwuler bester Freund sagt immer…“
„Guck mal, da ist Azadeh. Die kann sich nicht entscheiden, ob sie mit Männern oder Frauen zusammen sein will.“
„Lara ist der Mann und Sina die Frau in der Beziehung, das kann ja jeder sehen.“
Not cool. Kannste sein lassen.
5. Put your money where your mouth is. (Lass Taten sprechen.)
Falls du es dir finanziell leisten kannst, unterstütze queere Projekte und Crowdfunding Kampagnen. Check mal aus, welche Initiativen in deiner Stadt existieren. Gibt es Projekte für queere Geflüchtete und/oder Jugendliche und/oder obdachlose LGBTQ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans & Queers) oder für jene, die Gewalt erlebt haben? Befasse dich mit den Themen, die diese Gruppen und Initiativen behandeln. Meine Vermutung: Die Ehe für alle ist gar nicht das Brennpunktthema. Vielleicht schaffen es irgendwann noch andere queere Forderungen auf die politische Agenda.
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Als Ergänzung zu 3. empfehle ich die tolle norwegische Serie SKAM, dort insbesondere die dritte Staffel, in der die Liebesgeschichte von Isak und Even (inkl. Isaks Coming Out) aus Isaks Perspektive geschildert wird. Leider ist SAKM mit der 4. Staffel aus der Perspektive der muslimischen Sana gerade zu Ende gegangen, zum Leidwesen vieler Fans aus der ganzen Welt.