Im Spiegel schreibt Eva Menasse gerade über die aktuelle Debatte zur Präimplantationsdiagnostik. Nach all dem Gerede über (vermeintliche) Tabubrüche in der letzten Zeit stellt sie fest:
[…] über Fehl- und Totgeburten und ihre Folgen redet man nicht. Es ist ein Tabu. Man redet in dieser Gesellschaft auch nicht darüber, dass man die Hilfe der Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen muss, wenn man auf normalem Weg keine Kinder bekommen kann. Das alles sind „Frauensachen“, die umgehend „weggesteckt“ werden müssen, das haben andere doch auch geschafft.
Die Qualen der Frauen in den Mühlen der Reproduktionsmedizin spricht sie daher explizit an.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war in den vergangenen sieben Jahren sechsmal schwanger und habe zum Glück ein gesundes Kind. Die anderen fünf Male endeten, nackt unter dünnem Hemd, auf gynäkologischen Operationstischen. Eileiterschwangerschaften, Fehlgeburten, schwarze Löcher, Tränen, Depressionen.
Ich wollte das nicht öffentlich machen, weil ich es, wie so viele andere Frauen, insgeheim und unabweisbar für meine eigene, höchst private Schande hielt. Doch wenn es vor 39 Jahren genützt hat, dass Frauen sagten, „Wir haben abgetrieben“, dann nützt es vielleicht heute, wenn Frauen sagen: Ja, ich bin auch so eine, die Schwierigkeiten mit dem Kinderkriegen hat. Und deshalb lasse ich mir helfen.
Leute, es ist 2010. Zeit, bei drängenden Fragen weibliche Perspektiven aus dem stillen Kämmerchen zu holen, zu respektieren und bei Entscheidungen zu beachten.
Zitat: „Leute, es ist 2010. Zeit, bei drängenden Fragen weibliche Perspektiven aus dem stillen Kämmerchen zu holen, zu respektieren und bei Entscheidungen zu beachten.“
Wie wahr !
Nur wann begreifen wir Frauen endlich, dass die welche reden nicht peinlich, nicht unangepasst und schon gar nicht belastend sind.
Da bleibt mir nur ein Zitat von Rosa Luxemburg: „Kein Mensch hat das Recht gehorsam zu sein !“
Marie
Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass es da ein Tabu gibt. Jedenfalls nicht bezüglich der Reproduktionsmedizin. Eher scheint es mir, dass da zu viele Leute mitquatschen. Leute mit ebensowenig Mitgefühl wie Ahnung und dazu noch mittelalterliche Moralvorstellungen.
Aber das Thema selbst wird doch eigentlich vergleichsweise oft medial behandelt, und die Leiden der Betroffenen kommen dabei schon aus voyeuristischen Gründen nicht zu kurz… wie das Publikum das aufnimmt, ist natürlich eine andere Frage. Aber das wäre bei einer Kampagne, wie Eva Menasse sie vorschlägt, ja auch nicht besser.
Ich habe mich beim Lesen des Artikels doch ziemlich geärgert. Die Frage was mit einer Gesselschaft passiert, die (tod-)kranke Embryos aussortiert wird meines Erachtens nicht durchdacht. Es wird lediglich polemisch darauf verwiesen, dass es den menschen nicht um Designerbabys ginge, sondern um gesunde Kinder. Der Wunsch ein gesundes Kind zu bekommen ist nachvollziehbar und menschlich. Dennoch gibt es meiner Meinung nach kein recht auf ein gesundes Kind. Es zeigt sich ja tatsächlich, dass immer mehr Kinder mit Down Syndrom abgetrieben werden. Dies scheint mir die Autorin auch nicht gut zu finden, schließt aber aus, dass dies eine konsequente Folge der Möglichkeit ist. Wenn nur noch gesunde Kinder auf die Welt kommen, sind wir dann nicht doch nah dran an einer Gesellschaft der Starken? Und geraten die Menschen mit Behinderung nicht immer mehr aus dem Blickfeld, je weniger es von ihnen gibt? Und hibt es nicht immer weniger, wenn erlaubt wird diese abzutreiben?
Ein Verbot erscheint mir danach nicht krank, sondern notwendig um die Würde jedes Menschen zu erhalten!
Desweiteren bleibt ja die Möglichkeit der Adoption.
da haben die medien wieder ganze arbeit geleistet mit ihrer „designerbaby“ polemik. als würde etwas designt werden. desgn bedeutet bewusstes gestalten. davon kann natürlich gar keine rede sein.
die mutter hat auch eine würde! und sie ist bereits ein mensch. ein embryo in der petrischale ist noch kein mensch. er wird es erst, wenn er eingepflanzt UND ausgetragen wird, sofern er lebensfähig ist. um downsyndrom o.ä. geht hier auch gar nicht, sondern um schwerste gendefekte, mit denen der embryo nicht überleben würde, auch nicht behindert.
das ist ein totschlagargument, denn es kommen ohnehin nicht „nur noch gesunde kinder“ zu welt. sondern absehbar und sicher feststellbar nicht lebensfähige embryonen würden nicht implantiert werden. ebenso wie z.b. überzählige aber lebensfähige embryonen nicht implantiert werden.
die argumente der PID-gegner sind mehr als bigott: einen embryo zu testen und nicht einzupflanzen lehnen sie ab, obwohl die abtreibung eines nichtlebensfähigen fötus erlaubt ist. das verletzt m.e. ganz eindeutig die menschenwürde der frau, die erstmal eine schwangerschaft auf probe „anfangen“ muss, um dann per pränataldiagnostik den embryo untersuchen und ggf. abtreiben zu lassen. die verbrämung dieser problematik mit behinderungen im allgemeinen oder downsyndrom zeugt leider nur von mangelndem informationsgrad und fehlender sachlichkeit.
@ Maria: Deine Meinung, gut.
Du unterschlägst aber, was viele in der Diskussion um PID unterschlagen: Es geht NICHT darum, beliebig „behinderte“ Kinder zu verhindern oder gar darum, dass bei dieser Embryonen mit Trisomie 21 „aussortiert“ werden sollen – es geht gegenwärtig vielmehr darum, schwerste – ich wiederhole SCHWERSTE – Erbkrankenheiten auszuschließen, die nichts mit „Vielfalt der menschlichen Gesellschaft“ sondern mit großem Leid auf allen beteiligten Seiten zu tun haben.
Die (potentiellen) Eltern, die heute eine PID würden in Anspruch nehmen wollen, haben genug Leid erleben „dürfen“ und sind nicht einfach nur Egoisten, die ein vermeintliches „Recht auf ein gesundes Kind“ in Anspruch nehmen wollen, wie Du es zu unterstellen scheinst. Auch Spätabtreibungen sind ein ganz schwieriges Thema, das man aber auf keinen Fall mit einem pauschalen „Wer Kinder will, muss sich auch der Möglichkeit stellen, ein sehr krankes Kind zu bekommen, ansonsten hat er keine verdient“ vom Tisch fegen sollte.
Ich finde, dass in dieser Debatte viel zu viele Menschen ohne Hintergrundwissen was die derzeitigen Möglichkeiten und Verfahrensweisen angeht mitreden und viel zu viel „aus dem Bauch heraus“ argumentiert wird. Sicher, niemand hat ein „Recht“ auf ein „normales“ (bitte die Anführungszeichen beachten!!!) Kind, aber es hat auch niemand das Recht, anderen Menschen großes Leiden zu „verordnen“.
Ihr dürft mich jetzt verprügeln, ich bin innerlich vorbereitet. :)
Klingonische Oper, ich sehe, dass wir quasi zeitgleich dasselbe dachten. :)
Menschenwürde ist für mich ohnehin ein blöder Begriff. Aber ich oute mich als Ketzer, ich sehe das Problem nicht mal dann, wenn tatsächlich keine Kinder mehr mit Downsyndrom geboren werden.
auf downsyndrom wird da gar nicht getestet, denn das ist kein erblicher gendefekt, sondern ein sporadisch auftretender fehler bei der meiose.
http://de.wikipedia.org/wiki/Meiose
Dann denk‘ ich auch mal etwas radikal.
@Auralibby
Ah, das Leid. Schmerzhafte Erfahrungen kann man nicht durch eine pränataler Diagnostik vermeiden. Fehl- und Todgeburten auch nicht. Letztere Erfahrungen sind schmerzhaft und traumatisch, ich kenne persönlich einige Frauen mit Fehl- und Todgeburten.
Aber: Schwerste Erbkrankenheiten… Was ist bitte eine besonders schwere Erbkrankeit? Reine Defintionsfrage der Mediziner, irgendeiner Kommission. Marfan? UTS? Blutgerinnungstörungen? Mukoviszidose? Tri-21?
Kann eine wirklich glauben, dass die PID nicht ausgeweitet werden kann auf weniger schwere Erkrankungen? Machbar.
@klingonische oper
Ich bin auch gegen Spätabtreibungen.
Ich bin nicht bigott. Nur nicht aus Kruppstahl.
Ich frage mich nur, inwiefern sich nämlich PID und PD mit ihrer Machbarkeit eines gesunden Kindes auf eine Gesellschaft auswirken. Wo wird dann die Grenze gezogen, übertragen auf andere, was gesund und erwünscht ist? Wenn Kommissionen mit Medizinjuristen die Grenze bestimmen, ist die Frau in ihrer Freiheit und Würde, eine ihr erwünschte Schwangerschaft auszutragen, auch beschränkt. Das wiederum kann nicht angehen.
Wenn es nach der Würde einer Frau geht, sollte auch zugestanden werden, dass Embryos (bei PD) bzw. befruchtete Eier (bei PID) mit dem abweichenden Kariotyp 46,XY entsorgt werden dürfen. Das Leid, was durch dieses Kind und später der Gesellschaft entstehen könnte, kann nicht jeder Mutter zugemutet werden.
In jedem Fall würde ich eine solche Möglichkeit in Anspruch nehmen, denn ich finde es nicht psychisch zumutbar mich mit so einem Kind abzugeben und der Gesellschaft könnte es auch später mit antisozialen Eigenschaften schaden. Statistisch gesehen begehen nämlich Individuen mit einem solchen abweichenden Kariotyp vermehrt schwere Verbrechen, schädigen durch antisoziales Verhalten die Gesellschaft. Und ob es eine harmlose Ausprägung des Ganzen ist oder nicht, darauf kann ich es nicht ankommen lassen.
Würde ich aussortieren per PID oder PD, denn es beeinträchtigt meine Würde und Freiheit als Frau und die bestimme ich selbst. Und ich habe eine Verantwortung für die Gesellschaft, dass ich kein solches Kind austrage, das Leid über mich und andere bringen könnte. Logisch gesehen, möchte ich kein Kind mit einer sozialen Beeinträchtigung austragen müssen.
Oh, verdammt, das wäre ja sexistisch und durchgeknallt, das ist aber nur eine moralische Bewertung. So radikal und egoistisch darf eine Frau nun nicht agieren. Oder? Jedes männliche Kind hat ein Recht auf Leben. Nur weil Männer das so meinen? Weil eine moralische Kontrollinstanz das bestimmt?
Was kann und will sich eine Frau oder eine Gesellschaft leisten? Wer bestimmt da?
@ GwenDragon:
„Kann eine wirklich glauben, dass die PID nicht ausgeweitet werden kann auf weniger schwere Erkrankungen? Machbar. “
Das glaubt „eine“ keineswegs, jeglicher Fortschritt kann zu einer Bedrohung werden. Aber deshalb Messer verbieten, weil man damit mehr als Brot schneiden kann? Es wäre deutlich besser, eine offene Diskussion über Menschenwürde, Gesundheit und ein Recht auf beides zu führen, als anderen mal eben reinzudrücken, dass sie aus „Kruppstahl“ wären. Bin ich nämlich auch nicht.
Ach ja: Trisomie 21 ist KEINE Erbkrankheit und steht bei der PID überhaupt nicht zur Debatte. Ob das je so sein wird kann nur der kundige Blick in die Kristallkugel verraten.
Bitte können wir den ganzen Unsinn mit Designerbabys und Machbarkeitswahn ganz schnell vergessen? Das ist wirklich nichts als konservative Volksverdummung.
Um eine PID durchzuführen ist es zwingen notwendig, Eizellen zu entnehmen und wieder zu implantieren. Das ist eine sehr unangenehme Prozedur, die wohl kaum eine Frau nur aus Jux über sich ergehen lässt, oder um sicherzustellen, dass es ein blonder Junge wird statt eines braunhaarigen Mädchens. Es wird wohl nie dazu kommen, dass dieses Verfahren so breit eingesetzt wird, dass irgend eine ernsthafte Gefahr bestünde, damit die Gesellschaft zu verändern.
Wenn man die Debatte um Erbkrankheiten und Selektion führen will, dann sollte man sich auf die Pränataldiagnostik konzentrieren, die vollkommen legal und vergleichsweise weinig invasiv ist, daher häufig zum Einsatz kommt und, wie schon mehrmals erwähnt, zur (ebenfalls legalen) Spätabtreibung von behinderten Kindern führen kann. Das kann man als ethisches Problem sehen, da kann man meinetwegen sogar für ein Verbot sein. (Ich bin es nicht, aber es lässt sich so argumentieren.)
Aber wer wegen der Präimplantationsdiagnostik jetzt aufschreit, macht sich eigentlich wirklich nur lächerlich.
Sagen wir mal so: Wenn das Deine Überzeugung ist, dann sehe ich nicht, warum der Staat Dir vorschreiben sollte, den Jungen tatsächlich auszutragen. Denn wenn ausgerechet ein unerwünschtes und von vornherein als krank und asozial angesehenes Kind nicht später „schwere Verbrechen“ begehen und „durch antisoziales Verhalten die Gesellschaft“ schädigen würde, dann wäre das tatsächlich ein glattes Wunder.
Ich sehe tatsächlich das Problem nicht. Solange es noch kein Kind gibt, kann das Kind auch nicht in seiner Würde oder seinen Rechten betroffen werden, also geht es nur um die Eltern. Und ich sehe es so, dass ein ungewolltes und ungeliebtes, aber erzwungenes Kind nicht automatisch besser ist als kein Kind.
Nahezu jede Technologie, jeder Fortschritt wird auch missbraucht, aber darum hören wir ja nicht auf, ihn zu benutzen. Ich bin im Internet, obwohl es da auch illegale Inhalte gibt. Ich bin (bei aktuellem Forschungsstand) pro Atomkraft und kontra Atombombe. Es gibt Leute, die nehmen für jedes Kränkeln am liebsten Antibiotika und andere, die sich und ihre Kinder nicht impfen lassen, weil da geringe Nebenwirkungen entstehen könnten. Trotzdem benutzen wir weiter Antibiotika und Impfstoffe.
Spätabtreibungen sind ein sehr diskussionswürdiges Thema, aber vor allem deshalb, weil die Entwicklung des Kindes da schon weit fortgeschritten ist; weit genug, dass man diskutieren muss, wo seine Rechte zu berücksichtigen sind. Bei PID ist diese Frage klar zu beantworten, weil eben noch kein weit entwickelter Fötus existiert.
Letztendlich läuft diese Frage darauf hinaus, ob Leute versuchen dürfen Risiken zu kontrollieren oder nicht.
Das Grundproblem der PID und der PD ist der Umgang in unserer Gesellschaft mit Menschen die von der „Norm“ abweichen. In unserer momentanen Gesellschaft ist ein krankes Kind einerseits eine enorme Belastung für die Eltern, andererseits hat es schlechtere Chancen ein glückliches Leben zu führen. (Dies ist eine Zustandsbeschreibung, es ist schon klar, dass es nicht so sein sollte.)
Für dieses Problem gibt es zwei Lösungsansätze:
1) Die Zahlen von Behinderungen zu minimieren, indem alle technischen Möglichkeiten genutzt werden, um die Geburt kranker Kinder zu verhindern, oder um Behinderungen zu heilen.
Bei konsequenter Anwendung dieses Ansatzes wird die Gesellschaft vielleicht eher mitleidloser als sie jetzt ist, und je nachdem, wie sich die technischen Möglichkeiten entwickeln, steht am Ende vielleicht wirklich etwas wie GATTACA.
Vielleicht ist die Entwicklung aber auch genau andersrum: Wenn nur kranke Kinder geboren werden, für die sich die Eltern bewusst entschieden haben, werden diese Kinder vermutlich eher gefördert als Kinder, deren Behinderung in Form eines plötzlichen Schicksalsschlags einherkommt.
2) Bewusst die technischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen, wodurch es mehr Menschen mit Behinderungen gibt, in der Hoffnung, dass sich die „normale“ Gesellschaft daran gewöhnt und behinderte Leute nicht mehr ausschließt.
Wenn man das konsequent durchzieht, verurteilt man erst einmal einen Haufen Leute zu ernsthaftem Leid, wobei es nicht vorherzusagen ist, ob sich die Gesellschaft dann wirklich in die gewünschte Richtung verändert.
Ich persönlich bin nicht hart genug Eltern in spe zu sagen, dass sie ein krankes Kind bekommen müssen, weil die Gesellschaft sonst nie lernt Menschen mit Behinderungen zu integrieren.
Sicherlich kann und soll über „Qualen und Mühen“ der gegenwärtigen Reproduktionsmedizin offen gesprochen werden. Was ich allerdings noch sehr viel schmerzhafter in der Debatte vermisse, ist die Grundsätzliche Frage, ob es so etwas wie ein Recht aufs eigene Kind gibt. Würde es die gegenwärtige Reproduktionsmedizin nicht geben, würden Paare, die aus welchen Gründen auch immer, keine oder zumindest keine gesunden Kinder bekommen können, wahrscheinlich weniger oder keine Kinder bekommen, wahrscheinlich auch, weil sie nicht unbedingt behinderte Kinder haben wollen.
Wäre das so schlimm angesichts der weltweiten massiven Überbevölkerung, wenn Paare in Industrieländern auf eigene Kinder verzichten?
(und ja, da steht ein Fragezeichen – ich bin mir also nicht sicher, tendiere aber zu ’nein‘).
Neeva: warum geht nicht beides?
AndererSven: Gute Frage. Aus Weltbevölkerungssicht ist es sicher besser, die Vermehrungsrate klein zu halten – auch gut für so Sachen wie Klimabelastung. Aber dagegen steht der persönliche Kinderwunsch möglicher Eltern. Ich weiß nicht, es ist ja auch eine gute Idee, Vegetarier zu sein (u.a. auch wegen der Klimabelastung), aber darum kein Fleisch mehr anbieten ist schwierig. Ideal wärs halt immer, wenns freiwillig passierte, also die entsprechenden Anreize da wären.
@Sven: Danke für den Kommentar; darüber hatte ich auch schon nachgedacht. Sollten Paare oder Einzelpersonen, die nur unter schwierigsten Umständen oder überhaupt keine Kinder bekommen können, dies nicht zum Anlass nehmen, sich mit einer möglichen Adoption auseinanderzusetzen oder sich sozial zu engagieren? Die Gesellschaft müsste das natürlich unterstützen. Ich denke, es wird einem immer noch suggeriert, ohne eigene Kinder wäre das Leben inkomplett und man würde etwas Grundlegendes verpassen. Ich habe nichts gegen die PID, kann mir aber als Frau nicht vorstellen, diese Prozedur über mich ergehen zu lassen. Stattdessen könnte man Netzwerke aufbauen, durch die Familien und Personen ohne eigene Kinder einander unterstützen. Aber wahrscheinlich ist das zu „hippie“ für unsere individualisierte Gesellschaft.
Patrick: Aus einem Kinderwunsch wird aber noch kein Recht. Genauso wie aus einem Reisewunsch kein Recht wird, zumindest nicht ohne Zusatzannahmen. Aber wie sollen die im Bezug auf die Repoduktion sein? Das einzige was ich mir vorstellen kann, ist eine biologistische Rechtfertigung, die aber wiederrum im Gegensatz dazu steht, dass es sich bei der Repoduktionsmedizin und deren Nutzung um eine kulturelle Einrichtung handelt.
Auf dein Vegetarierbeispiel würde ich übrigens strikt paternalistisch antworten. Aber nicht wegen dem Weltklima oder ähnlichem, sondern weil das Leben eines jeden Lebewesens zu wertvoll ist, um auf dem Teller zu enden. Aber ich bin ja auch Vegetarier und damit in der Minderheit… ;)
Aber im Bezug auf die Freiwilligkeit ist das bei der Medizin nicht so einfach. Schließlich geht es hier einerseits um die Erzeugung von Lebewesen – es gibt also immer mindestens einen unmittelbar Beteiligten, dessen Willen nicht ermittelt werden kann. Und davon, dass die Allgemeinheit die Reproduktionsmedizin bisher mitfinanziert, ist damit noch gar nicht gesprochen…
@neeva
nein, da ist bei der PID eben nicht das grundproblem. die schweren gendefekte, für die PID in frage käme, lassen gar kein lebensfähiges kind entstehen. außerdem gibts keine „norm“. das ist ein strohmann. in sehr vielen bereichen ist unsere gesellschaft toleranter als je zuvor.
es kann doch nicht darum gehen, aus „pädagogischen“ gründen die möglichkeiten der medizin nicht zu nutzen, nur damit behinderte akzeptiert werden. mit solchen argumenten werden behindete instrumentalisiert. an dieser stelle könnte man ein genauso polemisches dammbruchargument andringen: wieso sollten wir eigentlich bei diabetikern auf die gefäßgesundheit achten, wo doch so ein amputierter bestens geeignet wäre, die gesellschaft zu verändern. zynisch? definitiv!
@der andere Sven
es kann gar kein recht auf dein kind geben. aber das ist eine ganz andere debatte.
Ist es ja gerade nicht. In der Debatte ist das Hauptargument der Befürworter bestimmter bio-medizinischer Maßnahmen (nicht nur der PID) der Kinderwunsch von Paaren (manchmal wird der Kinderwunsch sogar hauptsächlich bei den Frauen angesiedelt, was ich noch problematischer finde). Damit aber aus diesem Wunsch in irgendeiner Weise wirklich ein Grund gegen die ethischen Bedenken der Gegenseite ist, muss er als Recht aufgefasst werden.
als recht kann man das gar nicht auffassen. es gibt kein recht auf gesundheit und auch keins auf kinder. wer sollte dieses recht denn auch umsetzen? wo sollte man es geltend machen? es gibt genug fälle, wo die körperlichen voraussetzungen fehlen und medizinisch kein wirksames eingreifen möglich ist. das liegt sprichwörtlich in der natur der sache. darum wäre eine debatte über kinder als „recht“ absurd.
problematisch ist in der tat, den kinderwunsch hauptsächlich bei frauen anzusiedeln. das ist biologismus.
eine generelle debatte über reproduktionsmedizin könnte man führen, da es dabei – da stimme ich dir auch zu – viele offene fragen gibt. sie wird aber nicht geführt, weil das thema demografie ein viel zu wirksames politisches werkzeug ist. da wir nun also derzeit die reproduktionemedizin haben und vermutlich in den nächsten jahren auch keine grundsatzdebatte darüber führen werden, sollte wenigstens die ausgestaltung der jetzigen möglichkeiten nach einheitlichen grundsätzen erfolgen. und dazu gehört m.e. die PID. das verbot reiht sich für mich ein in populistische wissenschaftsskepsis und dient sich religiösen überzeugungen an, mit dem ziel die CDU wieder „christlicher“ zu machen.
„Sollten Paare oder Einzelpersonen, die nur unter schwierigsten Umständen oder überhaupt keine Kinder bekommen können, dies nicht zum Anlass nehmen, sich mit einer möglichen Adoption auseinanderzusetzen oder sich sozial zu engagieren?“
Vielleicht sollten sie das, aber wer wird denn sowas einklagen? Wollt ihr jetzt allen Ernstes in letzer Konsequenz therapeutische Zwangs-Maßnahmen für Menschen fordern, die sich nicht mit dem Gedanken abfinden wollen oder können, in diesem einen Leben, das sie haben, keine (eigenen) Kinder zu haben? Entschuldigt, wenn ich „gefühlig“ werde, aber so etwas können eigentlich nur Menschen fordern, die entweder bereits eigene Kinder haben (also – wie meine Frau Mama sagen würde- „ihr Heu ‚rein haben“) oder keinen Kinderwunsch verspüren. In beiden Fällen ist das Thema für diese Menschen „gegessen“ und sie sollten sich sehr mit der Bewertung des Kinderwunsches anderer Menschen zurückhalten.
Sorry, aber das geht hier in ’ne Richtung…
@Klingonische Oper
Wie man an meinem Schlussatz sieht, stehe auch ich auf dem ersten der beiden von mir dargestellten Standpunkte. Du hast zusätzlich ein paar sehr gute Argumente gegen den zweiten Standpunkt gebracht.
Ein Gedanke, der mir im Laufe dieser Diskussion gekommen ist: Vielleicht ist das Ausschöpfen aller medizinischen Mögliochkeiten vielleicht sogar gut für die gesellschaftliche Stellung von Menschen mit Behinderungen.
Vor ein paar Jahrzehnten gab es noch eine deutlich höhere Intoleranz. Inzwischen gibt es weniger Behinderte, und auch die Intoleranz ist weniger geworden.
@Auralibby: Ich habe doch überhaupt nichts von Zwangsmaßnahmen erwähnt oder? Das waren alles Vorschläge, mit denen man sich in solch einer Situation persönlich auseinandersetzen sollte, was übrigens viele Menschen auch tun, wenn sie aus welchen Gründen auch immer keine eigene Kinder haben (wollen oder können). Man kann seine Motivation ja auch mal hinterfragen oder?
ich wills mal vorsichtig formulieren: der heutige akademische feminismus versucht ja, alles mögliche als gesellschaftliche konstruktion zu entlarven. beim kinderwunsch ist dieses besteben noch nicht angekommen, so viel ich weiß. aber nachfragen könnte man mal.
@ H.D.: Gut, das mit den Zwangsmaßnahmen habe ich jetzt nur eingeworfen, weil mich diese Bewertung fremder Lebensgestaltungswünsche aufregt, ich geb’s zu. :)
Du hast derartiges natürlich nicht eingefordert, ich finde Deine Alternativ-Vorschläge sogar gut und bedenkenswert, gar nicht „zu hippie“… Auch finde ich, dass Menschen öfter mal ihre Motivation, dies oder jenes zu wollen, hinterfragen sollen – aber bitte NUR die eigene! Keine Bewertungen fremder Entscheidungen, bitte, solange sie niemandem schaden. Finde ich.
@ klingonische Oper: Ich oute mich als Dummerle, aber mit Deinem letzten Post willst Du ausdrücken, dass sogar der Kinderwunsch möglicherweise als „nur von der Gesellschaft eingeredet“ bzw. “ anerzogen“ definiert werden soll?!?
„definiert“ nicht. etwas einfach zu „definieren“ bringt gar nichts. man muss es natürlich seriös erfoschen. denn immerhin gibts ja heute sehr viele frauen ohne kinderwunsch. wäre dieser also völlig zwangsläufig determiniert, wäre dann mit diesen frauen etwas nicht in ordnung? (rhetorische frage!)
auf lange sicht wird der mensch mit der heutigen weltweiten reproduktionsrate nicht überleben. also wäre das eine sinnvolle diskussion, die man nicht aus sentimentalität oder politscher korrektheit umgehen sollte.
allerdings bin ich schon der ansicht, dass reproduktionsmedizin, wenn man sie denn betreibt, auch möglichst sinnvoll von statten gehen soll, ohne frauen als versuchskaninchen zu missbrauchen. also pro PID.
Das ist etwas melodramatisch formuliert. Gerade mit einer hohen Reproduktionsrate wird die Menschheit sogar ziemlich sicher überleben. Es wird nur vielleicht ein bisschen ungemütlich.
„Die UNO erwartet bei mittlerer Projektion bis 2025 8,0 Milliarden und bis 2050 9,2 Milliarden Menschen. Falls sich die Fertilitätsrate (Schätzwert für die Zahl der Geburten pro Frau) – wie in der Prognose angenommen – langfristig bei 1,85 einpendelt, ist bald danach von einem Bevölkerungsrückgang auszugehen. In der oberen Variante (Fertilitätsrate 2,35) würde die Weltbevölkerung weiter wachsen; in der unteren hingegen (Fertilitätsrate 1,35 – was ungefähr dem Wert der letzten 20 Jahre in Deutschland entspricht) bereits nach dem Jahr 2040 zu sinken beginnen.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbevölkerung
man kann nur hoffen, dass die fertilitätsrate tatsächlich wieder sinkt.