Feminist Fun Friday: Die „Reiche Leute sind auch arm dran!“-Edition

Dieser Text ist Teil 10 von 15 der Serie Feminist Fun Friday

Manche Dinge kann Geld nicht kaufen. Was Mastercard schon lange weiss, beklagt nun auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem gestrigen Artikel, der uns „Robert Neunkirch“ (ein Pseudonym) vorstellt, einen „Spitzenverdiener,“ der es doch nie aus dem „guten Vorort von Frankfurt“ rein in die Millionenvillen des Taunus schaffen wird. Ab wann ist man reich?, fragt die FAZ, und sie und Neunkirch resümieren gleich, dass 10.000 Euro brutto im Monat schon nicht schlecht sind, da aber noch viel Luft nach oben bleibt, schließlich trifft uns dieser Kapitalismus letztlich ja alle. Neunkirch ist kein Bootsbesitzer und geht auch nicht jedes Jahr Skifahren, aber Steuern müssen er und andere trotzdem zahlen – es ist wie ein Fluch, der sich über Besserverdiener_innen gelegt hat.

Dass 60 Prozent des Vermögens in Deutschland auf zehn Prozent der Bevölkerung versammelt ist, bleibt bei solchen Qualen natürlich Nebensache. Der Artikel entlarvt den „Durch harte Arbeit zum_zur Millionär_in werden kann jede_r!“-Mythos einer vermeintlichen „Leistungsgesellschaft“, und doch wird Neunkirch, stellvertretend für gutverdienende (aber nicht tatsächlich speerspitzenverdienende, menno…) Menschen, als ein hart getroffenes Opfer des Systems und als eigentlich wohlmeinender Sündenbock für missgünstige, da ärmere Menschen dargestellt, als das schwer gegängelte Fundament der Gesellschaft. Kapitalismuskritik? Fehlanzeige. Wenn, dann ein Hauch von „schaffendem“ gegen „raffendes“ Kapital, dem latent antisemitischen Argumentationsmuster derjenigen, die Kapitalismus dann kritisch sehen, wenn sie selbst zu wenig erben; wenn sie dann doch nicht bei dem einen Prozent, dem wiederum fast ein Viertel des Gesamtvermögens gehört, dabei sind.

Die Einkommensschere, Hartz-4-Reformen und Ausbreitung des Niedriglohnsektors, Mindestlohn-Ausnahmen, Gender Pay Gap, Quotendiskussionen, besondere Armutsrisiken für Alleinerziehende und der Fakt, dass Asylbewerber_innen bis vor zwei Jahren 225 Euro pro Monat zum Leben zur Verfügung stand, müssen fast gänzlich unerwähnt bleiben in dieser Selbstmitleidsinszenierung einer weißen, deutschen Oberschicht, die keine Yacht besitzt. Natürlich ganz zu schweigen davon, dass man nicht umsonst zum Beispiel zwischen absoluter und relativer Armut unterscheidet und das wiederum Beschwerden über mäßigen bis großen (aber eben tragischerweise nicht größten) Reichtum in Relation setzt.

Trotz der harten Verhältnisse „gönnt“ sich Neunkirch aber auch mal was, sagt er – das beruhigt uns. Wir gönnen es ihm. Und uns gönnen wir eine bebilderte Kommentierung der schönsten Blüten dieses Artikels. Immerhin.

[Übrigens: Falls der Feminist Fun Friday bei euch GIF-Alarm auslöst, findet ihr hier eine Anleitung, um diese zu deaktivieren.]

„Seit Robert  Neunkirch weiß, dass er reich ist, schläft er schlecht. Nachts hört er  es manchmal knacksen im Haus, als stiege ein Einbrecher durchs Fenster  ein. Er streitet sich fast täglich mit seiner Frau, weil sie eine Sauna  im Keller will, er das aber für Geldverschwendung hält. Früher, sagt  Robert Neunkirch, war er eigentlich ganz entspannt. Dann kam vor drei  Jahren mit der neuen Stelle eine Gehaltserhöhung, und seitdem ist  Neunkirch reich, zumindest auf dem Papier.“

     

                                                                                                                

„Robert Neunkirch, ein  Spitzenverdiener in einem guten Vorort von Frankfurt, bekommt seit  seiner letzten Gehaltserhöhung sogar noch mehr, rund 7000 Euro, bei  120.000 Euro brutto Jahreseinkommen. Ein Gedanke schoss ihm durch den  Kopf: Ich und reich? Das passt doch nicht! Er verdiente nicht schlecht,  das fand er schon, aber eben auch nicht übermäßig viel. Er hatte keine  Yacht, fuhr nicht zum Skifahren nach Kitzbühel.“

„Er sei solide  Mittelschicht, dachte er bis dahin. Aber dann war das Wörtchen reich  plötzlich da, und seitdem sieht Neunkirch die Tagesschau mit anderen  Augen, wenn von Steuererhöhungen die Rede ist.“

„Und er schaut mit anderen  Augen auf die neue Küche, den Schmuck seiner Frau, die Bilder an der  Wand. Neuerdings hat er eine Alarmanlage und Überwachungskameras am  Haus. […] Das Paradoxe, das  Neunkirch nachts schlecht schlafen lässt, ist, dass er reich ist, sich  aber nicht so fühlt.“

„Mit  dem Zeigefinger geht er die einzelnen Posten auf seiner  Gehaltsabrechnung von oben nach unten ab, seine Stimme wird von Zeile zu  Zeile lauter. Er rechnet vor: Als angestellter Ingenieur verdient er im  Monat rund 10.000 Euro brutto. Der größte Abzug ist die  Einkommensteuer: allein etwa 3000 Euro in der Steuerklasse 3. Bleiben  7000 Euro. Davon gehen noch die Beiträge für die Unfall-, Renten- und  Arbeitslosenversicherung ab. All dies ist Geld, das Neunkirch gleich  abgezogen bekommt und er nie in den Händen hält.“

„Vom Übrigen muss er als Alleinverdiener, weil seine Frau zu Hause bei  den fünf und neun Jahre alten Kindern bleibt, noch Folgendes bezahlen:  480 Euro für die private Krankenversicherung, 180 Euro für die  Krankenversicherung seiner Frau und Kinder, 470 Euro für den Baukredit  und nochmal so viel für Gas, Wasser, Strom und Rücklagen, 200 Euro für  das zweite Auto in der Garage (das andere ist ein Dienstwagen).“

„Mit  seinem Zeigefinger macht der Ingenieur einen Strich auf dem rustikalen  Eichentisch, der „zugegeben nicht ganz billig“ war, wie Neunkirch sagt.  In Summe seien es grob noch einmal gut 4000 Euro, die von seinem Gehalt  abgehen. Theoretisch müssten der Familie also, immerhin, knapp 3000 Euro  am Ende des Monats übrig bleiben. Theoretisch.“

„Zum Sparen bleibt trotzdem viel weniger übrig, auch in einem  Schwabenhaushalt. Ein guter Teil des Geldes rinnt so dahin, zwischen  Skifreizeit für die Söhne und neuen Sommerreifen. „Wir gönnen uns auch  mal was, na klar.“ Der Kühlschrank der Familie ist zwar neu, aber darin  liegt kein Champagner. Die beiden Jungs tragen meist Markenklamotten,  aber die wandern nach ein paar Jahren vom großen zum kleinen Bruder.  „Natürlich wäre jemand mit Hartz IV froh, in meiner Situation zu sein.  Aber es ist auch längst nicht so, dass ich große Vermögen mit meinem  Verdienst anhäufen könnte.““

„Robert Neunkirch blickt aus der von der Putzfrau gesäuberten Fensterfront im Wohnzimmer auf seinen in Belgien gezogenen Rollrasen, besonders  witterungsresistent: „Reich bin ich allenfalls auf dem Papier.“ Die  Neunkirchs haben keinen ausgeklügelten Vermögensplan bei der Bank, das  Geld, das sie monatlich sparen können, liegt auf einem Tagesgeldkonto,  ein paar tausend Euro haben sie in Aktien investiert – solide  Versicherungspapiere, keine exotischen Werte. Das Geld liegt fast  unverzinst da, während Neunkirch beobachtet, wie die Häuser und  Grundstücke immer teurer werden, und selbst jemand wie er müsste 20 oder  sogar 30 Jahre sparen, um sich hier im Vorort ein Haus kaufen zu  können, das wirklich etwas hermacht.“

„Mit dem ernüchternden Gefühl, trotz einer makellosen Berufskarriere niemals über ein  mühevolles Mittelschichtsdasein hinauskommen zu können, ist er  vermutlich nicht allein. Es sind Hunderttausende, die wegen ihres  Einkommens nur statistisch zur Oberschicht gehören. […] Warum  sie nicht lauter protestieren? Vielleicht, weil der Fiskalpatriotismus in Deutschland Tradition hat. Man zahlt eben seine Steuern. Und weil,  zweitens, die Reichen keinen besonders guten Ruf haben und sich kaum  jemand gern als Reicher ins Rampenlicht stellen mag.“

„Die meisten, die landläufig als reich gelten, schwimmen lieber im  Strom der braven Steuerzahler mit, als aus der Masse herauszuragen.  Deswegen ist auch der Name Robert Neunkirch ausgedacht, da der Mann  nicht im Fokus stehen will. Er möchte seinen echten Namen nicht in der  Zeitung lesen und lässt weder sich noch sein Reihenhaus fotografieren.  Dabei leisten er und seine Einkommenskollegen viel: Zehn Prozent der  Steuerpflichtigen tragen rund die Hälfte der gesamten Einkommensteuer  auf ihren Schultern. Gescholten werden sie von den weniger Betuchten  trotzdem oft.“

„Die Villen stehen  einige Straßenzüge weiter hangaufwärts, hier im Taunus. In der Siedlung  haben die Neunkirchs das kleinste Haus, immerhin mit Gästezimmer und  einem Fitnessraum.“

„In Neunkirchs Garage  steht ein sechs Jahre alter 3er BMW, Hemden kauft er im Dreierpack. Die  Neunkirchs führen ein gutes Leben, sie beschweren sich nicht. Das  Ehepaar wird im Alter, wenn die Rechnungen stimmen, genügend Rente, die  Kinder genügend Geld für eine gute Ausbildung zur Verfügung haben.  „Reich sein bedeutet für mich trotzdem etwas anderes“, sagt der  Familienvater. Nämlich: Dass das Einkommen aus Kapital und Vermögen  höher ist als das Arbeitseinkommen. Wie man einen solchen Zustand  erreichen kann, ist für den Ingenieur trotz seines hohen Einkommens ein  Rätsel.“

„Es geht ihm außerdem  heute besser als früher. Nach seinem Vater war er erst der Zweite in der Familie, der auf die Uni ging. Seine Mutter isst noch heute von dem  Geschirr, das sie und ihr Mann zur Hochzeit geschenkt bekommen haben,  nicht weil sie es unbedingt müsste, sondern aus Prinzip. Sparsame Leute. […] Dass es kein großes  Erbe gibt, unterscheidet ihn im Kern von denen, die er heute für reich  hält, zumal er den Eindruck hat, dass die Vermögenden unzählige  Möglichkeiten haben, Steuern zu sparen, während es vor der  Einkommensteuer keine Fluchtmöglichkeit gibt.“

„Neunkirch befürwortet im Prinzip eine Reichensteuer. Er sagt,  grundsätzlich sei er bereit, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.  Das habe für ihn etwas mit Verantwortung zu tun. Aber irgendwann sei  Schluss.“

 „Als er vor fünf  Jahren, zur Geburt seines zweiten Sohnes, einen Baum in seinem Garten  pflanzen wollte und sich zwischen Akazie und Wacholder entscheiden  musste, riet ein Nachbar, man müsse jetzt japanische Kirsche nehmen, das  sei was ganz Besonderes. Und Teures. Kostete fünfmal mehr als ein  Wacholder. Auch daran sehe man doch, wie unterschiedlich die Maßstäbe  seien, sagt Neunkirch.“

„Der Ingenieur Robert  Neunkirch hat viel über sich und sein Geld nachgedacht. Eigentlich, so  sagt er, wolle er dem Geld keinen großen Stellenwert in seinem Leben  einräumen, es gebe schließlich Wichtigeres, gell? Er entschied sich im  Garten für den Wacholderbaum.“

11 Kommentare zu „Feminist Fun Friday: Die „Reiche Leute sind auch arm dran!“-Edition

  1. You made my day! Danke schön, wunderbare Pause am Arbeitstag einer mittelprekären Selbständigen, der noch sehr lange dauern wird.

  2. [Inhaltshinweis: Ähm, vieles… Aber einfach mal für Katastrophentourismus freigeschaltet!]

    Frau kann sich natürlich lustig machen.

    Frau könnte auch mal versuchen, zu verstehen, wo die Probleme von dem Mann liegen (der mit 5.000 Euro netto aussteigen wird, was natürlich ein schöner Batzen Geld ist, aber gleich etwas weniger, wenn man in einem teuren Wohnviertel ein Reihenhaus abbezahlt.). Und mal versuchen, eine Meile in dessen Schuhen zu gehen, voreingenommen, nur um zu verstehen, wie Leute in Deutschland AUCH ticken können, die nicht links und frauenbewegt sind (oder wie man das momentan nennt). Damit man mal kurz aus seiner Filterbubble rauskommt.

    Frau könnte auch überlegen, dass der Typ offenbar nicht Soziologie oder Germanistik oder sonst irgendein brotloses, überfülltes Fach studiert hat, sondern ein Ingenieur ist – ein Arbeitsmarkt, auf dem Kräfte gefragt sind und deshalb hohe Einkommen erhältlich sind.

    Frau könnte auch daran denken, dass da sich einer tagtäglich in die Arbeit setzt, dort wahrscheinlich lange Tage verbringt, und damit Steuereinnahmen generiert, die z. T. einer sozialen Umverteilung zugeführt werden. Oder von denen auch ein bisschen was bei einem Frauenprojekt landet, als Förderung.

    Oder frau kann sich einfach lustig machen, haha, ist der Typ blöd, und halblustige gifs dazuhängen. Whatever. Ich vergaß, wer hier nicht schwarz und arm ist, hat automatisch kein Anliegen, das man zumindest durch Nachdenken würdigen könnte.

  3. WOW. :D Ich sehe, die gute Tradition, dass in den Kommentaren zum FFF nochmal genau die gleiche Realsatire, die zuvor in GIFs kommentiert wurde, wiederholt wird, bleibt auch bestehen. Danke, Anita :)! #YouSeemNice

    fun

    your head

    Pro-Tipp: Wer findet, dass Anita sich nicht selbst entlarvt, darf gerne nochmal die Einleitung lesen, auf die Links klicken (quasi eine Meile in empirischen Schuhen laufen!) oder gar die Kategorie „Ökonomie“ angucken. Man könnte da gar zum Nachdenken angeregt werden, sogar, wenn man nicht „schwarz und arm“ ist – quasi mal aus der eigenen Filterbubble heraustreten und die plötzlich gefundene Empathie testen… Ich schreibe indes dem heimlichen Philantrop Neunkirch – mein Germanist_innen-Reverse-Racism-Misandrie-Frauenprojekt spart schon ewig auf eine japanische Kirsche (und wir wissen ja, dass weisse, reiche, männliche Empathie gegenüber allen anderen extrem gut funktioniert).
    #NobodyKnowsTheTroubleIveSeen
    #ImmerDieseOpfermentalität
    #ItsTheWacholderStupid

  4. [blockquote] „Reich sein bedeutet für mich trotzdem etwas anderes“, sagt der Familienvater. Nämlich: Dass das Einkommen aus Kapital und Vermögen höher ist als das Arbeitseinkommen.[\blockquote]

    Auch bekannt als „Fuck-you-money“. Der Betrag liegt momentan bei so ca. 10Millionen €. Damit kriegt man aber dann „nur“ den Lebensstandard von nem Normalbürger.

    [blockquote] Wie man einen solchen Zustand erreichen kann, ist für den Ingenieur trotz seines hohen Einkommens ein Rätsel.”[\blockquote]

    Firma gründen und entweder groß rauskommen oder einen guten exit abgreifen (also von Google gekauft werden oder so).

Kommentare sind geschlossen.

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