Feminismus mit oder ohne Männer? Falsche Frage!

Ich wohnte neulich als Diskussionsteilnehmerin einer Veranstaltung bei, auf der unter anderem die Frage vor feministischem Publikum erörtert wurde, ob sich Feminismus mit Männern organisieren bzw. solidarisieren solle. Eine ziemlich alte Streitfrage, an der sich auch heutzutage die feministischen Geister scheiden. Je nach feministischer Politik wird sie sich mit guten Argumenten anders beantworten lassen. Ob Männer feministisch aktiv sein sollen, steht dabei nicht zur Debatte. Richtig so, denn der Kampf gegen (Hetero)Sexismus, Trans*phobie, Rassismus und andere Herrschaftsverhältnisse ist einer, der alle angeht, auch wenn Menschen unterschiedlich von unterdrückerischen Strukturen betroffen sind.

Vielmehr ging es während der Veranstaltung darum, Erfahrungen über feministischen Aktivismus, seine Organisierung und die Arbeit einzelner Gruppen auszutauschen. Dabei gilt es zunächst zu unterscheiden, von welcher Position diese Frage gestellt wird. Während der Slutwalks war von Journalist_innen öfter die gleiche Frage zu hören. Die Implikation ist relativ eindeutig: Antifeministische Klischees der „männerhassenden Emanzen“ sollen bitte nicht gefüttert werden. Feminismus heute muss sexy sein und männerfreundlich (was viele wohl unter „modern“ verstehen). Aber warum eigentlich?

Spannend an dieser Fragestellung, die der zuweilen antifeministische oder feministisch uninformierte Mainstream an Feminist_innen richtet, ist das zu Grunde liegende männerzentrierte (und gleichermaßen heteronormative) Denken. Die Gunst der Männer als Norm, an der sich der Erfolgsgrad feministischer Bewegungen messen ließe?! Mal abgesehen davon, dass Feminismus noch immer mit Politik von Frauen für Frauen gleichgesetzt wird, verwundert es angesichts fortwährender feministischer Kämpfe, warum gerade die Männerfrage immer wieder in den Mittelpunkt gerückt wird. Als ob es im Feminismus nichts Wichtigeres gäbe, als die Befindlichkeiten einer dominanten Gruppe zu berücksichtigen.

In feministischen Kontexten diskutiert es sich da schon auf ganz anderem Niveau. Hier geht es darum, Frauen/Lesben/Trans*-Schutzräume (FLT*) neben offenen Gruppen zu etablieren, Netzwerke auf- bzw. auszubauen, auf bestehende (autonome) Strukturen zurückzugreifen und diese womöglich von innen heraus zu verändern, um feministischen Aktivismus auf breitere Füße zu stellen. Dennoch machte es auf der Veranstaltung den Eindruck, als sei es „cooler“ in männeroffenen Gruppen zu arbeiten, als seien Schutzräume für FLT* überkommen, unnötig und teilweise einer breiten Solidarität sogar hinderlich.

Nach einigem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass es reichlich zynisch ist, darüber zu diskutieren, ob Männer mitmachen sollen/dürfen, solange feministischer Aktivismus nach wie vor anderen marginalisierten Gruppen den Zugang verwehrt oder die eigene homogene Zusammensetzung nicht mal bemerkt. Zumal es sich in einer männeroffenen Gruppe als Feminist_in auch nicht immer leicht arbeitet, wie feministische Aktivist_innen aus Wien vor kurzem mit scharfen Worten anprangerten.

Sollte nicht vielmehr darüber diskutiert werden, wie Feminismus möglichst inklusiv gestaltet werden kann unter besonderer Berücksichtigung der Repräsentation verschiedenster Gruppen und entgegen etablierter Machtstrukturen? Dann ließe sich nämlich sehr leicht feststellen, dass die Männerfrage nach wie vor unter weißen, heterosexuellen, cis- (und anderen normgerechten) Maßstäben besprochen wird und es nicht um die Bekämpfung der mitunter eigenen Dominanzkultur geht. Die Männerfrage positiv zu beantworten, bedeutet für Feminismus also nicht, per se selbstkritisch zu sein, sondern sich (auch) unter mehrheitsgesellschaftliche Erwartungen zu assimilieren.

15 Kommentare zu „Feminismus mit oder ohne Männer? Falsche Frage!

  1. Klingt für mich zwar nach einer wichtigen, aber irgendwie auch ziemlich verkopften Frage. Ist die Antwort nicht eigentlich simpel? Feminismus (zu diesem Begriff gleich mehr) KANN doch nur mit allen Geschlechtern stattfinden, weil es sie nunmal gibt. Und gesellschaftliche Debatten können doch immer nur umfassend geführt werden, niemals nur in einem sich abschottenden Kreis. Noch dazu, da in meinen Augen allein schon der Begriff Feminismus zu kurz greift, da es doch, wie Du ja auch schreibst, um viel mehr geht als nur um Frauenrechte, nämlich um den „Kampf gegen (Hetero)Sexismus, Trans*phobie, Rassismus und andere Herrschaftsverhältnisse“. Insofern: Alle für alle oder gar nicht.

  2. Vor allem in deinem letzten Absatz wird klar, wo das Missverständnis passiert, aus dem heraus die Frage nach „den Männern“ an Feminist_innen gestellt wird.
    Feminismus heißt im Mainstream überhaupt nicht: Bekämpfung der Dominanzkultur sondern eher: irgendwas mit Gleichheit zwischen Mann und Frau (oder natürlich Schlimmeres).

    Ich gehe, wie du, Nadine, vom erstgenannten aus.

    Es ist zwar schwierig, diese Dinge nur in der schwebenden Theorie zu diskutieren, aber versuchen kann ich ja mal.
    Kann/darf/soll von einer privilegierten Person mehr/anderes erwartet werden als von den anderen Aktiven in der Gruppe? Also, ein weißer hetero cis-Mann, able-bodied & von sonstigen Privilegien betroffen, passt zB auf die Kinder der Aktivist_innen auf, damit diese sich der politischen Arbeit widmen können. Oder: Vom beschriebenen Mann erwarte ich zB auch, dass er sich in möglichst vielen alltäglichen Situationen offen feministisch positioniert und agiert, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, etc. Das erwarte ich von Feminist_innen, die marginalisierten Gruppen angehören nicht ohne Weiteres, denn das feministische Positionieren bringt häufig Nachteile mit sich, die, meiner Logik nach, ein hochgradig privilegierter Mensch gern mal ertragen kann.

    Ein Feminist, der wirklich nach der Bekämpfung der Dominanzkultur strebt, wird sich selbst sowieso kritisch beleuchten & darüber nachdenken, wie er mit seinem male privilege (und, falls er hat, anderen Privilegien) sinnvoll umgeht. Wer_welche dies nicht tut, strebt offenkundig nach anderen Dingen, aber nicht nach dem Abbau von Herrschaft & Hegemonien in der Gesellschaft. Auch wenn die Selbstglorifizierung häufig ein andres Bild zeichnet.

  3. @Trotzendorff

    Naja, so einfach ist es dann leider doch nicht. Wir sind ja nicht alle gleich und wurden nur noch nicht alle gefragt, ob wir beim Feminismus mitmachen wollen. Vielmehr geht es darum: Ist Feminismus eine privilegierte Veranstaltung, wenn ja, inwiefern? Und wie trägt die Inklusion dominanter Gruppen (in dem Fall hetero, weiß, abled, cis-männlich) dazu bei, dass sie noch privilegierter wird und andere Gruppen ausschließt. Abschottung heißt in erster Linie im Feminismus: Schutzräume vor Dominanz schaffen, politisch die einbeziehen, deren Kämpfe gefochten werden müssen und nicht darauf achten, dass bloß alle irgendwie mitmachen können.

    Ich bspw. bin nicht dafür, dass überall alle mitmachen können, weil sich Dominanz auch in emanzipativen Gruppen fortsetzt. Ich bin für offen und geschlossen, beides hat Vor- und Nachteile. Feminismus ist für mich keine Bewegung, die dominanten Gruppen zu politischer Partizipation verhilft, denn die haben sie eh. Männer können überall und jederzeit politisch aktiv sein und nahezu jeden Raum betreten, den sie möchten. Ausschlüsse finden für sie nur dann statt, wenn es sich um geschützte Räume handelt, in denen ihr Erscheinen aufgrund vielerlei Gründe nicht erwünscht ist. Dein Argument macht nur dann Sinn, wenn du dir eine durchweg liberale Gesellschaft vorstellst, in der alle gleiche Chancen haben: zu partizipieren, zu handeln, zu sprechen, zu denken. Dem ist aber nicht so. Deswegen ist es eher wichtig (für mich) im Feminismus darauf zu schauen, wer keine gleichen Chancen hat und diese Menschen mit einzubeziehen.

    Und: sich am „feminin“ im Feminismus aufzuhängen, naja, seitdem sind ja auch schon ein paar Jahrzehnte (sogar Jahrhunderte) vergangen :)

  4. Mir fällt gerade noch was ein:
    Ich habe den Eindruck, dass das Bemühen um Gruppen & Individuen manchmal dazu führt, dass allein schon die Einladungen oder die Bezeichnung einer Veranstaltung kompliziert und exklusiv ist.

    Ich weiß noch nicht allzu lange, was mit dem Wort Klassismus/classism gemeint ist, genauso ist es mit able-bodied und anderen Begriffen. Es gibt sprachlich ein Feminism-101, dass eine_r beherrschen oder zumindest zu lernen bereit sein muss, um überhaupt eine Einladung auf sich beziehen zu können. Andersrum muss ich verstehen, dass wenn da „FrauenLesbenTrans*“ steht, auch eine cis-Hetera kommen darf.
    Ich finde es wichtig, um Begriffe zu streiten und um Solidarität und Abgrenzung, aber das Ergebnis davon kann auch ganz schön nach hinten losgehen.

    Für mich ist eine große Frage zur Zeit: Wie Leute einschließen, die einer anderen als der geisteswissenschaftlich-akademischen Bildungssituation entstammen? Und da meine ich nicht bloß Klischee abgebrochener Hauptschulabschluss & geringe Lesekompetenz sondern auch Meisterschreinerin oder Abitur & Ausbildung zur Bankkauffrau.

    Feminismus ist manchmal wie das Fachgebiet von sich selbst. Das ist schade. In der Schule lerne ich im Deutschunterricht, über Gedichte zu diskutieren und im Germanistikstudium vertieft & verklausuliert sich diese Basis dann. So einen Basiseinstieg brauchen wir mit dem guten alten Feminismus auch.

    Ich fordere Feministische Theorie als Schulfach!

  5. @raupe

    du sprichst einen sehr wichtigen punkt an. nehmen wir die problematik mal von akademisch weg (weil ich nicht glaube, dass sich alle menschen, die sich irgendwie irgendwo feministisch verorten, eingängig mit der theorie dahinter befasst haben müssen und auch nicht haben), ist es eben doch noch ein problem: die menschen, die auf solche veranstaltungen gehen oder politisch aktiv sind, haben sich auch in irgendeiner weise mit sich selbst auseinandergesetzt. es ist immer irgendwie ein prozess, den ich zumindest in ansätzen durchlaufen haben muss, um mich persönlich angesprochen zu fühlen. ich kenne allerdings aus berlin, dass viele veranstaltungen und gruppen sehr niedrigschwellig organisiert sind, so dass sie möglichst vielen einen zugang verschaffen. es wird ja gar nicht erwartet, dass sofort so viele wie möglich diesen prozess abgeschlossen haben. es entwickelt sich halt. so dass mensch irgendwann andere veranstaltungen besucht, auf andere gruppen trifft und sich so über die zeit (ohne theorie gepaukt zu haben) seinen_ihren zugang zu themen findet. aber ja, es kann bereits viel früher anfangen.

  6. @Nadine: Aber ist es nicht auch so, dass Menschen, die sich relativ neu mit Feminismus etc. befassen, mit solchen Veranstaltungen wie z. B. der am Montag nicht viel anfangen können? Es hieß dort ja mehrmals „Leute wie ihr, die sich mit Themen xy befasst haben“ oder „diese Community“ – der Einstieg in eine solche Community ist imho relativ schwierig zu finden, gerade, wenn viel „Fachchinesisch“ benutzt wird.

    Ich will damit nicht die Vorgehensweise oder diese Veranstaltungen kritisieren, aber ich finde, es stimmt schon, dass noch-nicht-politisch/feministisch-aktive Menschen damit ausgeschlossen werden. Leider wüsste ich aber auch nicht, wie es anders funktionieren kann, als trotzdem hinzugehen, zuzuhören und danach selbstständig Nicht-Verstandenes in Erfahrung zu bringen (z. B. im Internet oder durch Nachfragen nach dem Vortrag, sollte es vertraute Personen geben). So, wie es in hundert anderen neuen Situtationen ja auch eigentlich ist.

  7. @Paula

    ja, sehe ich auch so. Es gibt ja überall „Anfänger_innen“ und „Fortgeschrittene“ ;) Und dass Fachvokabular benutzt wird, ist mEn schon ein Problem, zumal das irgendwie als niedrigschwellige VA angedacht war, für meine Begriffe. Es sei denn, im Ankündigungstext wird klar, dass sich das eben an ein Publikum richtet, das Wissen mitbringt. Und Verständnisfragen können ja jederzeit gestellt werden (allerdings sehe ich auch hier die Hürde: Angst haben, verlacht zu werden aufgrund von Wissenshierarchien). Aber wie @raupe bereits ansprach, es gibt zu wenige Einführungsveranstaltungen. Auf einigen Symposien oder mehrtägigen Workshopreihen wird versucht, dem Rechnung zu tragen, indem zumeist zu Beginn einführende Theorie-Slots angeboten werden (wenn die Diskussionen/Workshops/Panels) danach sich u.a. darum drehen sollen. Das finde ich sehr gut.

    ein anderer Punkt zum Vokabular ist auch noch ganz interessant: Inwiefern muss sich einer auf dem bisherigen Alltagswissen basierenden Sprache entzogen werden, um mit einer anderen Sprache Widerstand gegen das z.T. diskriminierende Alltagsvokabular zu leisten? z.B., wenn es um politische Selbstbezeichnungen wie Schwarz, People of Color, trans*, intersex geht oder um komplexe gesellschaftliche Phänomene oder Theoriestränge zu fassen. Wenn ich beispielsweise von „queer“ spreche, reicht es ja nicht aus, stattdessen homosexuell zu nutzen. Es sollte imho vorher klar sein, was das für eine Veranstaltung sein soll, dass Barrierefreiheit weiter gefasst wird und Verständnisfragen jederzeit erlaubt sind. Gerade wenn es um den Soligedanken geht.

  8. Ich werde für mein nächstes Mal bei einer Veranstaltung, die versucht, niedrigschwellig zu sein, als erstes simple Verständnisfragen aus dem Publikum heraus an die Speaker_innen stellen – oft bestimmen die ersten Fragen das Niveau der weiteren Diskussion. Das Niveau selbst muss ja nicht niedrig sein, aber vielleicht können ja Einzelne, die sich sicher fühlen, Icebreaker spielen? Wenn nämlcih die erste Frage allein schon eine halbe Seite füllt, bis das Fragezeichen ausgesprochen wird, und noch dazu aus 14 Fremdwörtern besteht, würde ich mich als Neuling gehemmt fühlen zu fragen: „Äh was meint ihr eigentlich immer mit diesen Schutzräumen? Was bedeutet queer? Gibt es jetzt biologisches Geschlecht oder doch nicht?“ etc

    Danke für die Beiträge bisher! Ich finde das Thema echt wichtig.

  9. Hui… dieser ganze Wissenshierarchiekram bringt meinen Kopf ganz schön zum Qualmen. Irgendwie geht es hier um dieses Grundproblem sozialer Bewegungen, dass in erster Linie die partizipieren, die es sich leisten können, und am Ende ein bildungsbürgerlich-akademisches Publikum im eigenen Saft schmort.
    Frontalunterricht und Nachhilfe finde ich da die falsche Lösung. Wichtiger finde ich, sich dem allgemeinen Herabschauen auf Anfänger_innen zu verweigern und offen für geanderte Diskurse zu bleiben. Dabei muss klar sein, dass wir Mainstream-Wissen als gemeinsame Sprache brauchen, genauso wie es wichtig ist, auch Fachsprachen zu haben, ohne die ja niemand aus dem Wissens-Mainstream herauskommt.
    Wer nicht akademisch gebildet, oder seit Jahren in eine Szene integriert ist, kann normalerweise gar nicht anders über Feminismus denken und sprechen, als in einer Sprache, die zurecht als sexistisch angesehen wird.
    Jetzt gibt es zwei typische Wege, damit umzugehen, denen eine gewisse Übergriffigkeit innewohnt. 1. Die Äußerung wird als dumm wahrgenommen: ein Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis wird angeboten. (Vergleiche die bisherige Diskussion) 2. Die Äußerung wird als antifeministisch wahrgenommen: Der Selbstdefinition der Sprecher_in wird aus privilegierter Position widersprochen und ein Ausschluss angedroht. (Vergleiche den Text aus Wien)

    Achja… der Text aus Wien. So wirklich verstehe ich ihn nicht. Überrascht hat mich, dass die Begriffe Schutzraum und Freiraum hier im Westen völlig anders diskutiert werden. Schutzräume werden von allen Seiten bereitwillig zugestanden, aber niemand will sie so wirklich. Freiräume dagegen werden sehr stark idealisiert und scheitern oft an ihren Ansprüchen.

  10. Es sollte aber generell nicht aus den Augen verloren werden, was Veranstaltungen bzw. die Veranstalter_innen erreichen wollen. Um beim Beispiel von Montag zu bleiben: es ging dort um „Erfahrungen über feministischen Aktivismus“, also war es per se keine „Anfänger_innen“-Veranstaltung… vielleicht müsste so etwas noch deutlicher gekennzeichnet werden? Aber hier besteht dann wieder die Gefahr eines Ausschlusses.

    Das Problem ist, wie raupe bereits sagte, dass es so gut wie keine „Einführungsveranstaltungen“ gibt. Es ist, als würden sich Fliegenfischer_innen treffen und nur über Leinen- oder Köderwahl reden, ohne mal zu erklären, was Fliegenfischen eigentlich ausmacht und vom „normalen“ Angeln unterscheidet. Vielleicht würde dann aber bei einer solchen Veranstaltung dranstehen, die sei „für Anfänger_innen“, „für Fortgeschrittene“, „nur für Leute, die bereits drei Wettbewerbe im Fischen gewonnen haben“. (Das ist jetzt alles aus der Luft gegriffen, versteht sich, und es könnte dort ebenso Astrophysik oder Nähen stehen.)

    Mein Eindruck ist, dass gerade im queeren Bereich versucht wird, Ausschlüsse zu vermeiden (eben weil sie im Alltag so oft vorherrschen), dies aber nicht wirklich umgesetzt werden kann und dadurch unterschwelliger – also durch Verwendung einer bestimmten Sprache und eines bestimmten Vorwissens – passiert. Aber ich frage mich auch, ob die Klärung von Verständnisfragen, wie raupe vorschlägt, wirklich funktionieren würde; vor allem, wenn es sich um Veranstaltungen in Schutzräumen handelt. Zudem ist der Zeitrahmen ja oft sehr klein.

    Wenn zudem ein Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis „übergriffig“ ist, wie Galumpine meint, wie kann dann besser / inklusiver vorgegangen werden, ohne, dass dann viel auf der Stelle getreten wird?

  11. @Paula

    Ich finde es völlig legitim, dass es VA für Anfänger_innen und Fortgeschrittene gibt. Niemand hindert eine_n daran, jede VA zu besuchen und erstmal zuzuhören. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, woher der Wunsch kommt, immer alles auf Anhieb von allen so erklärt zu bekommen, dass jede_r es vollkommen verstanden hat. Ich kann doch erstmal akzeptieren, nicht gleich alles zu verstehen und mich dann ggf. nochmal selbst „schlau machen“. Ich kann sogar Menschen nach der VA direkt ansprechen, wenn ich das möchte. Unabhängig davon, dass wir ja hier schon übereinstimmend diskutiert haben, dass es etwas weniger Fachgesimpel auch tut und immer geschaut werden sollte: wen will ich erreichen und erreiche ich diejenigen, die ich erreichen möchte?

    Wissenshierarchien gibt es immer, sie liegen neben vielen anderen Dingen auch in der Natur der Sache, manch eine_r hat sich eben schon zeitlich früher mit Themen beschäftigen können. Ich denke, diese Unterschiede lassen sich nie ganz ausmerzen. Ich bin auch nicht bereit, solche Räume – die ja auch aus einem Schutz- und Sprechbedürfnis heraus entstanden sind – aufzugeben, weil alles so niedrigschwellig wie möglich organisiert sein muss. Ich würde mir wünschen, dass eben auch gesehen wird, dass hinter vielen Einwänden von „Ich verstehe das nicht, erklär‘ es mir“ auch eine konsumistische Haltung steht. Meistens von Menschen mit Privilegien, die sich einfach nicht mit Dingen auseinandersetzen müssen, die sie selbst nicht betreffen. Oder jene, die dann wieder marginalisierte Sprechpositionen und deren Kraft und Zeit nutzen, um zu lernen, statt sich selbst Wissen anzueignen, das gerade für Menschen mit Internetzugang jederzeit abrufbar ist.

    Ich weiß nicht, ob wir vom gleichen „queeren Bereich“ sprechen, ich habe da etwas andere Erfahrungen gemacht. Es hat sich immer wer gefunden, der_die mir Dinge erklärt hat, auch wenn ich noch so „reingerotzt“ bin. Wenn ich dafür sanktioniert wurde, musste ich lernen damit umzugehen, es hat mir mitunter viel mehr gebracht, weil ich mit der Kritik auf Dinge gestoßen wurde, die mir vorher nicht aufgefallen wären. Nehmen wir uns jetzt mal nur die Wissenshierarchien als Barriere vor, dann gibt es gerade in Berlin unglaublich viele Räume und Möglichkeiten, niedrigschwellige (und regelmäßige) Angebote wahrzunehmen, bspw: Ladyfest, tCSD, Faq-Laden, zahlreiche Vorträge und Diskussionsveranstaltungen.

    Das Ganze ist ein zweischneidiges Schwert und kann auch nur so betrachtet werden, um allen Perspektiven und Erfahrungen gerecht zu werden. Ich finde nicht, dass „Erfahrene“ in der Pflicht sind, Anfänger_innen zu teachen, genauso wenig wie mensch nur nach dem „Friss oder Stirb“-Prinzip verfahren sollte. Auf einem bestimmten Level politisch aktiv zu sein und zu sprechen ist für viele, die das tun, ihr eigener Schutzraum, ihre mitunter einzige Möglichkeit Politik zu machen, ohne Ausgrenzung zu erfahren und/oder andere zu diskriminieren. (Ich schrieb ja weiter oben schon von exkludierender Alltagssprache). Hier gilt es mMn schon zu differenzieren.

    @Galumpine

    So pauschal von privilegierten Positionen zu sprechen, finde ich schwierig. Erstmal geht es im Text der Wiener_innen ja auch darum, sich gegen Sexisten in den eigenen Reihen zu wehren. Von privilegierter Position kann da mMn keine Rede sein. Es bleibt zu akzeptieren, dass Sexismus, egal ob absichtlich oder aus Unwissen heraus, Sexismus ist. Es geht nicht nur um die individuelle Nicht-/Absicht, sondern auch um das Macht- und Gewaltsystem, das damit erneut reproduziert wird. Wenn ich allen unterstellen würde, ihnen fehle Wissen und deshalb seien sie diskriminierend unterwegs, verunmögliche ich damit Kritik an Diskriminierung und individualisiere die strukturelle, sozialhistorisch gewachsene Komponente dahinter. Die Frage ist doch vielmehr: Wem wird hier Definitionsmacht zugesprochen und wer kann sie für sich in Anspruch nehmen? Und muss ich immer mit meinem Unwissen „hausieren“ gehen, wenn ich mich safer spaces aufhalte und damit womöglich andere triggere/verletze? Es ist doch etwas anderes, wenn ich sage: „Sorry, ich habe diesen Punkt nicht verstanden, aber ich möchte es gern. Ich möchte jetzt hier zuhören und verstehen.“ oder wenn ich sage: „Erklär es mir, aber ich sage dir trotzdem, wie ich es sehe“.

  12. @ Nadine:

    Klar sind das zwei ganz unterschiedliche Strategien. Das erste ist ein personales Herrschaftsverhältnis, bei dem Wissen erst preisgegeben wird, wenn das Gegenüber sich unterordnet. Das zweite ist ein offenes Konkurrenzverhältnis, in dem um die Hegemonie gekämpft wird. Der dritte Weg, den ich bei internen Diskussionen bevorzugen würde, wäre „Erklär es mir, dann äußere ich meine Kritik, und dann schauen wir, wo wir an gemeinsamen Zielen arbeiten können und wo wir unterschiedlicher Meinung bleiben werden.“

    „Die Frage ist doch vielmehr: Wem wird hier Definitionsmacht zugesprochen und wer kann sie für sich in Anspruch nehmen?“ Word!

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