Katrin bloggt bei Reizende Rundungen über Plus Size Fashion, Fat Acceptance und alltäglichen Flitterkram, und twittert auch unter @fresheima. Mit ihrer freundlichen Genehmigung dürfen wir ihren Blogpost hier zweit-veröffentlichen.
Ich habe den ganzen Tag überlegt, ob ich das jetzt wirklich zerreden will, oder es einfach ad acta lege, aber irgendwie lässt mich diese Mail, die heute in mein Postfach flatterte nicht los. Nicht, weil ich mich davon persönlich beleidigt fühle, sondern weil hinter der Annahme ein ganzer Rattenschwanz an Dingen steckt, die mir total quer gehen. Ich schaute also in mein Blog Postfach, und sah etwas mit dem Titel „Anfrage für Fernsehproduktion“, meine Erwartungen waren dank verfangender Erlebnisse recht tief, und ach was solls, ich kopiere es eins zu eins und versehe es gleich mal mit meinen Korrekturgedanken.
Liebe Katrin
ich schreibe Dich an, weil wir Dich gerne für eine Fernsehsendung gewinnen würden. Es geht um folgendes: wir produzieren für das Deutsche Fernsehen eine Real Live Reportage.
Aha. Für welchen Sendern denn? Und Real Live Reportage, das klingt wie ein Wort, das gerne nach mehr klingen will als es ist… Mitten im Leben und so, das waren bestimmt auch Real Life Reportagen. oder?
Wir zeigen die Menschen so wie sie sind – ihre Ziele, ihre Schicksale, ihre Erfolge oder ihr Scheitern. Die Reportage eröffnet dem Zuschauer einen unverstellten Blick auf das Geschehen – intensiv und informativ.
Ha, ich wusste es doch. Intensiv und informativ klingt definitiv nach RTL!
Für eine kommende Folge möchten wir Singles begleiten, die auf der Suche nach einem Partner sind. (aha?!) Hierbei geht um Singles mit erschwerten Bedingungen. So haben wir für die Folge z.B. bereits einen Mann aus dem Allgäu begleitet,…
… Moment mal eben. Erschwerte Was? Erschwerte Bedingungen? Ich gucke in diesem Moment irritiert von meinem Handy hoch und blickte kurz meine Mama an, weil ich mich frage, ob ich nicht versehentlich in irgendeine Paralellwelt abgedriftet war.
…der sehr abgeschieden lebt und für den es daher schwer ist jemand neues kennenzulernen. Nun möchten wir für diese Folge auch eine übergewichtige Frau begleiten, die Single ist. Unsere Reporterin wäre dabei an ihrer Seite.
Danach ging die Mail noch ein bisschen weiter. Dies das Ananas, wie toll mein Blog wäre, dass ich Mut mache, und bestimmt total ausgebucht bin, wenn ich keine Zeit hätte, wäre es toll „wenn Du (also ich) uns bei der Suche nach Protagonistinnen unterstützen könntest“ – Interesse anyone? Ich weiß immer noch nicht so genau, was ich sagen soll, weil so vieles an dieser Mail so un-fass-bar ist. Fangen wir mal damit an, dass ich die Produktionsfirma googlte und diese zwar auch für WDR oder NDR produziert, ich aber nicht glaube, dass dieses Format für die Öffentlich Rechtlichen, sondern eher für andere Kunden wie RTL oder Sat1 produziert wird. Ich meine, jede_r die_der schon mal „Schwiegertochter gesucht“ oder „Schwer verliebt“ geschaut hat, kann sich ein ungefähres Bild davon machen was einen bei dieser Produktion wohl erwartet. Und überhaupt, was ist das eigentlich für ein Thema? Schaut euch die Freaks an, auch sie brauchen Liebe?
Viel schwerer wiegen allerdings die Annahmen, die hinter dieser Mail stecken. Ich bin mir nicht ganz sicher wann ich das letzte Mal auf dem Blog etwas zum Thema Dating oder Beziehung geschrieben habe, und ganz bestimmt lässt sich, wenn man etwas tiefer gräbt, meinen Twitter Account anschaut, oder etwas ältere Posts ließt heraus finden, dass ich Single bin, aber es steht hier nirgendwo expliziert gesagt. Ich könnte drei geheime Beziehungen oder ein ganzes Harem in meinem BDSM Keller sitzen haben, und das hier niemals erwähnen, woher wird also die Annahme gezogen, dass ich ersten Single und zweitens auf Partnersuche bin? Ach stimmt, ich bin ja fett, deswegen habe ich natürlich keine_n Partner_in, keinen Sex und bin total verzweifelt, da lässt sich bestimmt ne tolle Story draus machen. Ganz davon mal abgesehen, dass es eine absolut furchtbare, erniedrigend und stereotypische Unterstellung ist. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen, da schreibt euch jemand fremdes, die_der von euch etwas will, und schlotzt euch das einfach mal so vor den Latz. Wirklich, dass ist total nett und so. Und ja sehr abgeschieden Leben ist so ungefähr das gleiche wie fett sein, da hat man ja bei beidem nicht viel mit Menschen zu tun, erschwerte Bedingungen halt.
Ein bisschen witzig wäre es allerdings schon, wenn man mich bei meiner „Suche“ begleiten würde, beim Nichtstun quasi. Denn Schockschwereatemnot, ich bin nicht aktiv auf der Suche. Außer ein bisschen rechts und links swipen auf Tinder oder einmal die Woche in meinen OKCupid Account zu schauen, tue ich nämlich grade nichts.
So ein Blödsinn, der mich wirklich geärgert hat. Dieses Klischee, dass dicke Menschen es schwerer haben zu Daten kann mit einem Blick in die zum größten Teil vergebenen Plus Size Blogger Szene so schnell widerlegt werden. Und selbst wenn mein Körper oder mein Gewicht mein persönliches Liebesleben beeinflussen würde, zeugt diese Mail nur von einem: Stigmatisierung von fetten Menschen ist alltäglicher Wahnsinn, dem man manchmal nicht entgegen kann. Auch wenn es nicht explizit gesagt wird, gehe ich außerdem davon aus, dass ganz heteronormativ davon ausgegangen wird, dass sich meine Partnersuche auf männliche Konterparts beschränkt. Und wo wir grade schon bei dem besagten Rattenschwanz sind, wer zu Hölle hat eigentlich fest gelegt, dass so lange wir nicht in einer Beziehung sind, wir alle immer und ständig einen Partner suchen?
Na ja, ich hab mir übrigens schon mal ein bisschen Off Text für die Folge überlegt, vielleicht sollte ich also doch noch zu sagen?
Die kreative Katrin hat heute ein Blind Date mit dem mitfühlenden Metzger Martin; eine Sache haben sie schon mal gemeinsam, die Leidenschaft für Fleischsalat…
Ein in meinen Augen sehr guter Text, der die Einordnung von Leibesfülle als Merkmal einer Einschränkung durch Andere gut herausstellt. Dabei ist „Dicksein“ nur eine weitere Form von einer betrachteten Merkwürdigkeit, die mittels eines Fernsehformats zur Schau gestellt werden sollen. Menschen werden nicht als Individium wahrgenommen, sondern reduziert auf ein Merkmal oder mehrere Abweichungen von der „Normalität“ und daraus werden Einschränkungen konstruiert, ohne die eigene Erwartungshaltung zu hinterfragen.
@ Karsten: Genau das hat Katrin ja hier beschrieben, aber vermutlich kann man es nicht oft genug sagen ;)
Die bottom line deines Kommentars, dass Dicksein „nur eine weitere Form von …“ sei, finde ich an dieser Stelle überflüssig weil relativierend/derailend, denn genau um diesen Punkt – um die Rahmung und Bewertung von Dicksein – geht es hier und nicht um irgendwelche anderen vermeintlichen/zugeschriebenen „Merkwürdigkeiten“. Fat Shaming und die Diskriminierung dicker Menschen sind mit ganz spezifischen Abwertungen verbunden und nicht 1:1 mit anderen Diskriminierungsformen (die ebenfalls spezifisch sind) vergleichbar.
Ich habe Katrin für mein Fotoprojekt #StarkeFrauen portraitiert und sie einen Nachmittag mit meiner Kamera begleitet. Dieser Post bestätigt hier ganz eindrucksvoll ihre enorme Stärke und ihren Mut! Danke dafür!
Wer mag kann sich das Portrait hier anschauen: http://www.erdmannulrike.de/starke-frauen-ich-brauche-fat-acceptance/
Viel Spaß beim anschauen der Fotografien…
Gruß Ulrike