Die Übereinstimmung von physiologischer und psychischer Erregung ist bei Frauen, im Gegensatz zu Männern, so eine Sache (und u.a. auch ein Problem bei der Suche nach dem Viagra für Frauen). In einer Meta-Studie haben sich nun Forscher_innen um Meredith Chivers angeschaut, wie die Unterschiede zwischen Männern und Frauen konkret aussehen. Und tatsächlich ist die Übereinstimmung in gemessener und selbst angegebener Erregung bei Männern deutlich höher als bei Frauen. Selbst wenn der weibliche Körper sich auf Sex einstellt, ist der Kopf noch nicht unbedingt erregt. Dazu gibt es schon eine Reihe von Erklärungen, etwa dass so Verletzungen bei Vergewaltigungen vorgebeugt werde.
Doch bereits der Blick in die Studie zeigt einige interessante weitere Erkenntnisse: So erhöht sich die Übereinstimmung, wenn Frauen verschiedene Stimuli präsentiert werden. Theoretisch sollten verschiedene Stimuli (Filme, Hörproben, Verwendung eigener Fantasien) besser auf individuelle Vorlieben passen – bei Männern gibt es jedoch keinen Effekt. Keinen Effekt bei den weiblichen Probandinnen hatte dabei das Verwenden von auf Frauen ausgerichteten Pornos im Vergleich zu Mainstreamproduktionen. Bei ersteren sank aber die Übereinstimmung unter Männern.
Interessant ist, dass Männer sowohl auf konventionelle, wie auch „frauen-spezifische“ Pornos körperlich reagieren, aber nicht unbedingt geistig. „Frauen-spezifisch“ bedeutete hier vor allem weniger und kürzere Darstellung von Geschlechtsverkehr, auch läge der Fokus nicht so explizit auf männlichem Vergnügen und Kontrolle über die Handlungen. Weitere Untersuchungen, wann die Übereinstimmung zwischen gemessener und angegebener Erregung bei Männern sinkt, sowie zu Sehgewohnheiten, fehlen leider bisher.
Abseits der Erklärungen von Chivers frage ich mich, ob Männer vielleicht einfach mehr ausprobiert haben und so ihre Reaktion auf Film vs. Fantasie einfach besser einschätzen können als Frauen. So gibt es zwar Studien, die Männern den Blick auf den Erektionsgrad des Penis nehmen und keine Unterschiede feststellen konnten – aber die meisten Männer werden in 10 bis 90 Jahren sexueller Aktivität sicher gelernt haben, den Grad der Erektion einzuschätzen, ohne darauf schauen zu müssen. Gerade mit (nicht zu) weiten Hosen käme es sonst immer wieder zu peinlichen Situationen.
Solange sich Frauen dagegen bei sexueller Erregung immer noch schuldig fühlen, später anfangen (und dann seltener) masturbieren, ist die Frage nach realistischer Selbsteinschätzung eine heikle. In der Sexualforschung ist zwar davon auszugehen, dass sich vor allem aufgeschlossene Probandinnen melden, explizite Fragen nach der eigenen Einstellung zur Sexualität, sexuellen Erfahrungen und „funktionierendem Sexualleben“ hat aber keine untersuchte Studie miteinbezogen.
Zum Weiterlesen:
Chivers, M. L. et al. (2010), Agreement of Self-Reported and Genital Measures of Sexual Arousal in Men and Women: A Meta-Analysis, in: Archives of Sexual Behavior.
DOI: 10.1007/s10508-009-9556-9
Paper über open access auf springerlink.com (PDF)
Super Stellungsnahme!:)
Channel 4 Dokumentation „The Truth about female desire“ – http://video.google.com/videoplay?docid=8713466496134688969# (Teil 1 von 4, die anderen Links auf der Seite)
Sehr interessant – ist auch ein solcher Pornotest dabei, ausgeführt vom Kinsey Institute.
Mich befremdet dieser Gedanke, dass Frauen „nicht merken, dass sie erregt sind“ und dass das eine Art Defekt von Frauen bei der Selbsteinschätzung sei. Ich hätte die Sache eher so interpretiert, dass körperliche Anzeichen von Erregung eben nicht unbedingt mit einem psychischen Erregungszustand einhergehen. Wenn man keinen psychischen Erregungszustand erlebt, dann bezeichnet man sich halt nicht als erregt. Warum ist die körperliche Erregung die „wahre“ Erregung?
(Gerade wenn die Vergewaltigungserklärung stimmen würde, würde das ja auch zutreffen – bei einer Vergewaltigung würde man ja nicht sagen, dass das Opfer „nicht merkte, dass es erregt war“, hoffe ich. Wenn diese Erklärung richtig ist, dann spricht das für eine Trennung von physischen und psychischen „Erregungsmerkmalen“).
Eine Nicht-Übereinstimmung von physischer und psychischer Erregung gibt es ja offenbar nach diesen Experimenten u.U. auch bei Männern (wenn Pornos als Stimuli gezeigt werden).
Dass sich die Übereinstimmung bei Frauen erhöht, wenn verschiedene Stimuli gezeigt werden, könnte auch daran liegen, dass diese verschiedenen Stimuli einfach geistig anregender sind und daher die psychische Erregung direkt fördern. D.h. es könnte sein, dass die Frauen eine höhere Erregung angegeben haben, als ihnen die verschiedenen Stimuli gezeigt wurden, ohne dass sie ihre körperliche Erregung besser bemerkt hätten als vorher.
@Sappi: Da steht nirgendwo etwas von einem Defekt.
Das körperliche Erregung eben nicht zwangsläufig mit Erregung im Kopf einhergeht, ist ja genau das Ergebnis der Studie. Die Frage die sich mir stellt ist „Warum ist das so?“ und das über den Schutz vor Vergewaltigungen hinaus. (Vergewaltigungen sind als Fortpflanzungsstrategie eigentlich völlig ungeeignet, aber das ist wirklich ein anderes Thema). Weil es einfach so biologisch bedingt ist oder weil noch andere Faktoren am Werk sind? Habe eben noch ein wenig in der Studie gestöbert und tatsächlich ist bei Frauen, die angeben regelmäßig zu masturbieren, die Übereinstimmung größer, ebenso gibt es eine Korrelation zum Alter. Außerdem könnte es sein, dass Frauen ihre Angaben danach ausrichten, was sie als richtige Antwort ansehen. Dies könnte auch eine Rolle bei der Frage nach „Männer bzw. Frauenpornos“ und männlicher Erregung spielen.
Dazu haben wir im August letzten Jahres auch schon einen Artikel geschrieben: „Was wollen Frauen?“
http://femininelesbians.wordpress.com/2009/08/20/heterosexualitat-das-letzte-naturreservat/
so eine dissonanz zwischen kopf/aussage und körper scheint aber auch bei männern nicht unbegwöhlich zu sein. im text oben wird ja das frauenporno-beispiel genannt (wurde den probandInnen da eigentlich angekündigt „so, als nächstes zeigen wir ihnen jetzt einen frauenporno“ oder einfach unkommentiert gezeigt?) und außerdem gibt es noch diese studie zu homophobie, dernach homophobe männer verstärkt körperlich auf schwulenpornos reagierten, im gegensatz zu heterosexuellen nicht-homophoben (ka, wie seriös die studie ist). http://de.wikipedia.org/wiki/Homophobie#Wissenschaftliche_Untersuchungen
möglicherweise hängt die dissonanz geschlechterübergreifend davon ab, WAS für bilder einem/r da vorgesetzt werden?
Sehr interessant, dass die übereinstimmung bei frauen, die regelmäßig masturbieren größer ist….
Wurde eigentlich auch die Art der Verhütung bei der Studie angesprochen bzw. in welchem Zeitpunkt ihres Zyklus die Frauen waren?
.. und wie Illith schon schrieb, denke ich auch das viel damit zu hat, WAS für Bilder vorgesetzt wurden.
vielleicht sollte man die hübschen schilder (link!) einfach überall aufhängen, so als pädagogische maßnahme.
http://www.rebelart.net/diary/wp-database/uploads/2010/01/4256154983_32bab2c991_b.jpg
@ Helga
Wenn ich richtig gelesen habe zeigen aber nur Männer eine höhere Übereinstimmung mit dem Alter auf.
@ Steve
Die Pille hat keinen statistisch Relevanten Einfluss auf die Ergebnisse. Allerdings unterscheidet nur eine untersuchte Studie diesen Faktor und die AutorInnen sehen dort Forschungsbedarf.
@Philipp Ne, da wurden Frauen vor und nach der Menopause verglichen. Männer haben zwar auch Wechseljahre, aber die Menopause kommt da nicht vor. Oder du meinst noch eine weitere Studie, wo stand denn das in dem Paper?
@ Helga
Ich meine auf S. 41 unter Age:
„Men showed a positive relationship between age and concordance,
but contrary to our prediction, no relationshipwas found
for women. This cannot be attributed to a sampling bias, as the
age range was similar for male and female samples.“
Kann sein, dass ich falsch liege ich hab die Studie nur überflogen.
Dafür steht auf S. 7:
Following a similar logic, older participants would be
expected to produce greater subjective-genital agreement, espe-
cially older female participants, because they have more expe-
rience with attending to their genital sensations across different
sexual experiences. Consistent with this hypothesis, Brotto and
Gorzalka (2002) found that age was positively correlated with
subjective-genital agreement among older pre-menopausal
women.
Sollte bei Mannern mit den Jahren nicht eigentlich die Übereinstimmung zwischen körperlicher Erregtheit und geistiger Erregtheit abnehmen.
Nicht böse gemeint, aber je älter werden umso weniger gut steht er doch. (Jedenfalls meine ich, dass für „Genital arousal und Phallometry“ der Ständer beim Mann gemeint ist , S. 4)
.. Ach: Gerade auf S. 36 gefunden: Die Manner waren zwischen 19 und 38,5 und die Frauen zwischen 19 und 48.
danke steve, the pirate!
und was sagt uns das nun über männliche über 38,5? gibt’s die nicht? haben wir es da mit ‚forever young‘ zu tun?