Bilder in Magazinen sind bearbeitet. Das ist kein Geheimnis. Ebenso neu ist die Erkenntnis, dass insbesondere Fotografien, auf denen Frauen dargestellt werden, durch Programme wie Photoshop einem dominanten Schönheitsideal angepasst werden. Da wird die Haut Schwarzer Frauen aufgehellt, Oberschenkel verkleinert und Taillen modelliert, die eigentlich nur mit Korsett möglich sind. All das wird zu Recht kritisiert, meistens mit einem Fokus auf die konkreten Fotostrecken und Zeitschriften, leider zu selten im Gesamtkontext aus Kapitalismus, Sexismus, Rassismus und Ableismus, der diese „Schönheitsideale“ und deren Vermarktung mitformt.
Um das Argument zu stärken werden Vorher-Nachher-Bilder gezeigt, die deutlich machen, wie (vor allem) mit Photoshop Fotos manipuliert werden. Die ersten dieser „Beweise“ fand ich noch sehr hilfreich, haben sie doch verdeutlich, was überhaupt möglich ist, einiges was die naive Vorstellungskraft sprengte. Sie ermöglichten das kritische Lesen von (Mode-/Star-)Fotografien und das Einordnen. Doch muss es immer mehr dieser Beispiele geben? Wem nützen sie dann noch? Ist die Aussage nicht irgendwann hinlänglich illustriert und die Kritik könnte sich breiter und tiefer aufstellen? Immer wieder stellt sich mir die Frage, wer denn nun eigentlich noch „enthüllt“ werden soll. Die Medien™ ? Oder nicht doch viel mehr die Frauen, die abgebildet und retouchiert sind?
Ein Beispiel, was perfekt mein über die Jahre gewachsenes Unwohlsein zusammenfasst: In der letzten Woche schrieb das sich selbst als feministisch positionierende Blog Jezebel ein „Kopfgeld“ von 10.000 Dollar aus auf die unretouchierten Vogue-Fotos von Lena Dunham. Die Begründung lautete: „Her body is real. She is real. And for as lovely as the Vogue pictures are, they’re probably not terribly real.“ (Ihr Körper ist echt. Sie ist echt. Und egal wie hübsch die Vogue-Bilder aus sind, sie sind wahrscheinlich nicht sehr echt.)
Doch auch wenn Jezebel versucht deutlich zu machen, dass es ja nicht um Dunham ginge, sondern eben um Vogue, wird dieses Argument nicht einleuchtender nur dadurch, dass es ausgeschrieben wird. Beim Bitch Magazine analysiert Kelsey Wallace sehr passend:
If this were really about Vogue, wouldn’t the offer extend to unretouched photos of any celebrity and not just Dunham? The last and only other time Jezebel offered cash for unaltered pics was in 2007, and that time it was for any magazine with any celebrity on its cover—because that time it really was about calling the fashion industry out for retouching women, not calling out the women themselves for being retouched.
(Übersetzung: Ginge es wirklich um Vogue, wäre dann das Angebot nicht ausgeweitet auf unretouchierte Fotos von irgendeiner Berühmtheit und nicht nur Dunham? Das letzte und einzige Mal, dass Jezebel Geld für unberarbeitet Fotos angeboten hat, war 2007, und zu dieser Zeit ging es um alle Magazine und alle Celebreties auf den Covern – Denn damals ging es wirklich darum die Fashion-Industrie dafür anzuprangern, dass sie Frauen retouchieren, und nicht die Frauen selbst dafür, dass sie retouchiert werden.
Die große „Enthüllung“ durch Jezebel – es dauerte nur zwei Stunden bis sie Bilder vorliegen hatten – zeigte dann, dass die Fotos gar nicht so sehr bearbeitet worden waren. Nach Wallace enthüllt die Geschichte vor allem, dass „Jezebel Dunham ausgewählt hat aus dem gleich Grund wie ihre anderen Gegner_innen: Weil sie nicht glauben, dass sie in ein Modemagazin gehört.“ Und noch mehr: Dadurch das Dunham sich immer wieder körperpositiv äußert, wurde ihr durch Jezebel sämtliche Autonomie abgesprochen, stattdessen schien es ein Recht auf die „ungeschönte Wahrheit“ zu geben. Eine „Wahrheit“/ „Echtheit“, die an keiner Stelle hinterfragt wird und somit implizit ebenfalls alle normativen Vorstellungen von „Schönheit“ mitträgt.
In den meisten Fällen handelt es sich zu dem bei den abgebildeten Frauen um Personen, die auch unretouchiert sehr nah am Schönheitsideal sind oder es gar nahezu perfekt repräsentieren. Ein Fokus auf die Vorher-Nachher-Bilder hinterfragt selten, wer_welche überhaupt dargestellt wird. Also eben jene Punkte, die eine tiefergehende Analyse, wie oben angerissen, leisten sollte. Die Aussage bleibt dann unklar. Schöne ™ Frauen werden noch schöner ™ gemacht? Die unveränderte Schönheit aber ist erreichbar und erstrebenswert? Guck mal, selbst diese Frau, die für andere Schönheitsvorstellungen eintreten möchte, lässt sich ja retouchieren!? In jedem Fall bleibt der Fokus bei den involvierten Frauen, nicht auf dem System.
(Und dann denken wir alle noch einmal darüber nach, was für wundervoller, wichtiger feministischer Aktivismus mit 10.000 Dollar hätte finanziert werden können.)
Ihr habt den Artikel verfasst, der mir die ganze Zeit zu diesem Thema unter den Fingernägeln gebrannt hat. Danke dafür.
Sehr guter Denkanstoß.
Eben gegoogelt: „Die deutsche Frau schminkt sich nicht“. Geht aber noch weiter zurück als Hitler.
Ich denke, das Verlangen danach, gewisse Frauenkörper unretouchiert zu sehen ist nur 1 weitere Form von Körperkontrolle und der verbreiteten Idee, dass die Körper von Frauen allen zugänglich gemacht werden müssen. Dass diese Forderung dann als feministische Enthüllungspraxis verkauft wird ist ein Witz. Was soll daran empowernd sein, dass ich dieser oder jener Frau dabei zusehen darf, wie sie als „gar nicht so hübsch wie sie behauptet hat“ oder gar „total gekünstelt“ bloßgestellt wird?
Alle sollen wissen dürfen, wie jene Körper aussehen: Dahinter steht auch der Natürlichkeits-Fetisch (es gibt aber gar keine natürlichen oder nicht-natürlichen Körper…) und hier würde ich die Verbindung ziehen zu den dringlichen Fragen die viele (Medien und Personen) haben wenn es um trans und inter Personen geht:
Wie sah die Person „vorher“ aus, also „richtig“, also, äh „vor der Behandlung“, öhm das heißt „in Wirklichkeit“?
Wie sieht die Person ohne Schminke/andere scheinbar künstliche Aspekte der Geschlechterperformance aus?
Wie sehen die Genitalien der Person aus? Welche Gene besitzt die Person?
Nochmal zu deinem Text:
Wenn die Leute selbst das vorher/nachher Foto verbreiten, frage ich mich oft, wie ich damit dann umgehen soll: Ist das ein Betroffenenbericht, eine empowernde Erzählung über den Umgang mit dem eigenen Körper? Oder ist das jmd der_die die eigenen Privilegien (wie du schreibst, Charlott, dass die meisten „enthüllten“ Modelkörper ja eh sehr nah am geforderten Ideal liegen) mir unreflektiert ins Gesicht drückt?
Danke für den Text! Zum Thema passt diese Kampagne,die mir das Internet letzens angespült hat: http://www.huffingtonpost.com/2014/01/17/aerie-unretouched-ads-photos_n_4618139.html Ich finde da zeigt sich auch, dass es eigentlich keinen wesentlichen Unterschied macht, ob die Fotos retouchiert sind oder nicht.