Das Gerichtsdrama (mir fällt kein anderes Wort ein) um Gina-Lisa Lohfink ist ein trauriges, wütend machendes Paradebeispiel, wie sehr Verharmlosung von Gewalt und Lächerlichmachung von Menschen, die Gewalt erleb(t)en – kurz: Vergewaltigungskultur – in den Köpfen der Justiz, der Medien, ja, des Durchschnittsdeutschen verankert ist.
„Mutmaßliche Vergewaltigung“ schreiben eifrige Journalist_innen und ich wundere mich, was „mutmaßlich“ an dieser Gewalttat ist, die auf Video mit Ton festgehalten wurde. Ich frage mich, wie ein mehrmals formuliertes und deutliches „Hör auf“ überhaupt Gegenstand von Diskussion sein kann, als verstünden deutschtümelnde und auf sprachliche Korrektheit beharrende EntscheidungsträgerInnen kurze Befehlsformen nicht mehr. (Wie undeutsch das wäre!)
Ich habe Kopfschmerzen, als ich gestern morgen aufstehe und zum Amtsgericht Tiergarten fahre. Meine Freund_innen und ich treffen uns um halb neun, mit Bauchgrummeln und Unwohlsein. Einige, weil dieser Fall eigene schmerzvolle Erinnerungen zurückholt, alle, weil wir #TeamGinaLisa sind und die feministischen Aktionen vor Ort trotzdem mit kritischem Abstand betrachten.
Manche (wenige?) der Organisator_innen, die zur Protestaktion aufriefen – so genannte „Abolitionistinnen“ – sind bekannt für ihre Sexarbeiter_innen und transfeindlichen Positionen, die ausgestattet mit Sklavereivergleichen an rassistischer Ignoranz kaum zu übertreffen sind. Das Bündnis #ausnahmslos rief bezugnehmend darauf zu einer „inklusiven Soliaktion für Gina-Lisa Lohfink“ auf, was ich begrüße, weil sie sich solidarisch in die Protestaktionen einreihen und trotzdem klar Position beziehen.
Gegen 8:45 Uhr erreichte Gina-Lisa Lohfink mit ihren Anwälten und einem guten Freund als Unterstützung das Amtsgericht Tiergarten in Berlin und war sichtbar gerührt von den geschätzt 50 Aktivist_innen, die zu dem Zeitpunkt schon vor Ort waren. Einige von uns schafften es ins Gebäude, aber die ziemlich mackerigen und respektlosen Boulevard-Journalisten sicherten sich die vordersten Plätze. Die Berichterstattung ist also beeinflusst davon, wer am schnellsten und besten die Ellbogen ausstrecken kann; andere, wie zum Beispiel Journalistinnen von Edition F, landeten auf der Warteliste.
Draußen vor dem Gerichtsgebäude kamen mehr und mehr Menschen, die ersten Redebeiträge wurden gehalten. Die Reden waren sehr explizit und schilderten gruselige Fälle der justizgestützten Vergewaltigungskultur. Mein Kopf hämmerte. Während ich den Beiträgen lauschte, fühlte ich mich ein wenig an Debatten erinnert, die vor den Sluwalks 2011 und 2012 geführt wurden; mir fehlten Bezüge auf die (kritischen) Impulse der letzten Jahre (eigentlich: Jahrzehnte), sprich intersektionale Analysen von sexualisierter Gewalt und dem Rechtsstaat. Die Feststellung, dass wir „nun endlich mal über diese Fälle und das Thema reden müssen“ verdeutlichte die Machtlosigkeit, die viele von uns fühlen angesichts des skandalösen Umgangs mit Betroffenen, exemplarisch vertreten durch Gina-Lisa Lohfink.
Manche der Beiträge wirkten irgendwie geschichtslos; als gäbe es nicht bereits jahrzehntelange feministische Kämpfe gegen sexualisierte Gewalt und gegen eine Kultur des Wegschauens, Ignorierens oder der Verharmlosung – vor einigen Jahren massenmedial zum Beispiel durch die Slutwalks besetzt. Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt war, ist und wird immer eines der Grundsatzthemen feministischer Bewegungen sein. Wir sollten nicht verschweigen, dass es diese Kämpfe gibt, gerade um die Dringlichkeit des Themas zu verdeutlichen.
Ein anderer Beitrag resümierte resigniert, dass frau „wohl lesbisch werden müsse“, weil der Umgang mit neuen Partnern nach erlebter sexualisierter Gewalt schwierig sei. Ich finde solche Kommentare unpassend, weil sie 1. nicht reflektieren, dass lesbisch leben keinen Schutz vor Typengewalt gewährt (schön wär’s!) und 2. weil es ignoriert, dass es auch innerhalb queerer Kontexte Gewalt gibt. Als ich meiner Freundin davon erzählte, zuckte sie mit dem Schultern: „Kannst du es ihr verübeln? Sexualisierte Gewalt als Thema bleibt heteronormativ besetzt.“
Ich verüble es nicht, es macht mich nachdenklich, inwiefern kritische Diskussionen der letzten Jahre weitergeführt und in die größere Öffentlichkeit getragen werden (können). Ich war nur vormittags da, und habe die späteren Beiträge nicht direkt mitbekommen; auf Twitter las ich, dass einige Reden am Nachmittag auch andere Realitäten von Gewalt ansprachen, zum Beispiel Gewalt gegen trans Menschen. Mein Eindruck bezieht sich also lediglich auf die ersten zwei Stunden der Veranstaltung. Einige meiner Bekannten teilten auf ihren Facebookseiten ihre Eindrücke: Sie fanden es empowernd, gemeinsam mit Gina-Lisa Lohfink zu weinen und zu wissen: Ich bin hier nicht allein. Die Durchhaltekraft der Aktivist_innen, den Protest über den ganzen Tag am Leben zu erhalten, finde ich bewundernswert.
Ich musste dann zur Arbeit und verfolgte die Aktionen vor Ort weiterhin über Twitter. Besonders toll fand ich, dass die Protestierenden ab mittags die komplette Straße einnahmen und immer wieder mit lauten Sprechchören „Nein heißt Nein“ riefen, ein einfacher Grundsatz, der bis heute in dem sich als weltoffen und modern verstehenden Deutschland nicht gesetzlich verankert ist. Es gab wunderbare musikalische Beiträge, die die Gänsepelle mächtig anschwellen ließen.
Lady Gaga hat heute auch eine würdige Vertreterin zur Kundgebung vorbeigeschickt #TeamGinaLisa pic.twitter.com/XZn2dsupeY
— EDITION F (@EditionF_com) June 27, 2016
Die Unterstützung für #TeamGinaLisa ist ein tolles Beispiel dafür, dass Solidarität eine Waffe ist, twitterte @HollabackBerlin und hat damit Recht. #TeamGinaLisa liefert den besten Beweis dafür, dass feministische Gegenöffentlichkeit verdammt notwendig ist. Wenn Massenmedien versuchen sich an Verharmlosung von sexualisierter Gewalt zu übertrumpfen, sind feministische Aktivist_innen wachsam: Erst twitterte Julia Schramm #TeamGinaLisa, dann tippten sich feministische Blogger_innen die Finger wund – unter anderem Nadia erst auf ihrem Blog, dann auf der Mädchenmannschaft – bis endlich auch in größeren Medien Artikel erschienen, die nicht mehr ganz so grauselig sind. Die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt organisierte die öffentlichen Proteste und Katrin Gottschalk verkündete in der taz: #TeamGinaLisa ist ein Erfolg.
Die Kopfschmerzen bleiben leider, auch wenn gestern öffentlichkeitswirksam immer und immer wieder eine wichtige Botschaft an Betroffene von sexualisierter Gewalt gesendet wurde: „Du bist nicht allein.“ Das ist erst einmal, womit wir uns begnügen müssen, denn in Gina-Lisa Lohfinks Prozess (wie in so vielen anderen) ist noch nichts entschieden, der nächste Termin ist nun am 8. August 2016. Doch auf Gerechtigkeit kann mensch sich in diesem Rechtsstaat niemals verlassen.
#TeamGinaLisa Statement pic.twitter.com/ZdkFIQR1C8
— Hollaback!Berlin (@HollabackBerlin) June 27, 2016
Gute Aktion.
„Manche (wenige?) der Organisator_innen, die zur Protestaktion aufriefen – so genannte „Abolitionistinnen“ – sind bekannt für ihre Sexarbeiter_innen und transfeindlichen Positionen, die ausgestattet mit Sklavereivergleichen an rassistischer Ignoranz kaum zu übertreffen sind. “ Ich bin einige der Mitorganisatorinnen und wir mussten uns im Vorfeld viele Vorwürfe anhören, die kaum haltbar waren. Auch wenn wir uns grundsätzlich einen Dialog wünschen, ist mit dem Vorwurf des Rassismus für mich persönlich eine Grenze überschritten worden! Ich fühle mich beleidigt und verleumdet und wünsche mir einen Dialog.
Hallo Michaela,
dein Kommentar lässt einige Fragen offen:
Kennst du die vielen diskriminierenden Kommentare, die einige (nicht alle, aber: einige) Organisatorinnen der Protestaktion z.B. auf der Facebook-Seite der Mädchenmannschaft oder in Form von Twitter-Replies an einzelne Autor_innen der Mädchenmannschaft geschrieben haben? Falls nicht, schließt sich meine nächste Frage an:
Warum habt ihr euch innerhalb der Gruppe nicht über die (bekannten) sexarbeiter_innenfeindlichen Positionen einiger (!!) Organisatorinnen auseinandergesetzt? Die Mädchenmannschaft ist nicht die erste Plattform, die diese Positionen kritisch kommentiert, siehe #ausnahmslos.
Wieso fühlst du dich lieber beleidigt, als in deiner Orga-Gruppe nachzufragen, welche Positionen bezüglich z.B. Sexarbeit bei euch herrschen, um diese höchst problematischen Positionen, die sich einer rassistischen Rhetorik bedienen, kritisch zu diskutieren?
Zu guter Letzt: Ich habe von Minute 1 jede solidarische Aktion zu #TeamGinaLisa befürwortet, beworben und vor Ort unterstützt. Das kannst du auch in meinem Artikel lesen. Das ist der Grund, warum die Mädchenmannschaft auf die Aktionen vor Ort hingewiesen hat, obwohl *einige* der Organisatorinnen für ihre problematischen Thesen bekannt sind. Teilst du deren Positionen? Dann fühle dich von der Kritik mitgemeint. Bist du solidarisch mit Sexarbeiter_innen und bedienst dich nicht rassistischer Argumentation? Herzlichen Glückwunsch, you are a decent human being. Deine Kritik müsste sich nach innen richten, nicht an diese Adresse.