Deutschland ist sich einig.

Jedes Jahr klopft man sich zum Tag der Deutschen Einheit wieder auf die Schulter, dass es die DDR zum Glück nicht mehr gibt, wird sich „mmmmhhh“-nend zugenickt bei der Aussage, dass die Angleichung zwischen Ost und West noch nicht vollständig vollzogen ist und wird im Fernsehen mit Dokumentationen zugeschüttet von jubelnden Menschen an und auf der Mauer oder Genscher auf dem Balkon. Theoretisch kann feminist_in jedes Jahr zum 3.10. oder 9.11. May Ayim zitieren. Deutschland, eine Feier in weiß.

Und auch in diesem Jahr, wenige Tage nachdem das erste Mal seit der NS-Zeit wieder Nazis mit eigener Fraktion im Bundestag sitzen und man überall das Problem vermutet, nur nicht im gesamtdeutschen Rassismus, seiner Geschichte und dem unverantwortlichen Umgang damit. Deutschland ist sich einig.

Trotz aller (noch) bestehenden Unterschiede. Nach der Wahl haben alle Parteien bis auf die Linke beschlossen, dass man sich jetzt doch (endlich!!) den Problemen der „Flüchtlingsfrage“ und inneren Sicherheit zuwenden müsse. Deutschland schreit nach mehr Rassismus, Deutschland liefert ihn. Pflichtbewusst, ordentlich, pünktlich, effizient. Rassismus gegen Rechts und wem das aus der bürgerlichen Mitte an manchen Stellen dann doch etwas zu krass ist, der bemüht sich halt um einen positiven Heimatbegriff. Die Heimat der Aufrechten weißen statt die Heimat der Rechten. Sich aufrichtig den Problemen der Menschen widmen, die die AfD gewählt haben, die in Zukunft die AfD wählen könnten. Wie am 1. September 2019, wenn in Sachsen ein neuer Landtag zur Wahl steht und die AfD realistische Chancen auf den Wahlgewinn hat, während die christlich sächsische Union ein paar Tage Bedenkzeit und vielleicht eine Mitgliederbefragung einfordern wird, um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob man im Jahr 2019 eigentlich mit Nazis koalieren sollte oder nicht. Besonders in Deutschland…

… dem mächtigsten Staat der EU und in Europa. Doch das interessiert die Einwohner aus Dorfchemnitz nicht, der 1500-Menschen-Gemeinde aus Mittelsachsen, in der es „nichts gibt außer einen Fleischer und einen Bäcker“, in der sich die Menschen abgehängt fühlen in ihren (enteigneten) Häuschen auf ihren großen (enteigneten) Grundstücken, von denen jeder Zweite die AfD wählte, auf Nachfrage es aber niemand gewesen sein will. „Frau Petry war die Einzige, die sich hier hat blicken lassen“, lässt erahnen, dass die weiße deutsche Seele gestreichelt werden will. Rassistische Gesetze reichen nicht. Ökonomischer Aufstieg von weißen Deutschen dank Ausbeutung, Enteignung und Völkermord reicht nicht. Rassistische Terrorgruppen, die unbehelligt mordend durch Deutschland ziehen können reichen nicht. Rassistischer Alltag reicht nicht. Weiße Enklaven reichen nicht. Man will hören, wie sehr man Opfer ist, jammern können und Mitleid bekommen, politisches Unwissen als politischen Unmut zelebrieren. Deutschland ist sich einig.

…dass es noch mehr Studien und Analysen braucht, um herauszufinden, warum denn nun so viele Leute die AfD gewählt haben. Aber bitte nicht von extern, das sind maximal Gesprächsbeiträge. Nicht objektiv. Angst dagegen, die ist objektiv. Solange sie weiß ist. Deutschland ist sich einig.

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2 Kommentare zu „Deutschland ist sich einig.

  1. „Trotz aller (noch) bestehenden Unterschiede. Nach der Wahl haben alle Parteien bis auf die Linke beschlossen, dass man sich jetzt doch (endlich!!) den Problemen der „Flüchtlingsfrage“ und inneren Sicherheit zuwenden müsse.“
    Ich finde nicht, dass man die Linke da so rausnehmen darf – Siehe etwa Lafontaine- und Wagenknecht-Äußerungen nach der Wahl. Unter Linke-Politiker_innen gibt es durchaus auch rassistisches Gedankengut und opportunistisches Anbiedern an den gesamtgesellschaftlichen Rassismus (es sind schließlich viele Wähler_innen von der Linken zur AfD gewechselt). Vielleicht kann eins noch nicht von einem „Beschluss“ sprechen und klar, es gibt auch Gegenstimmen in der Linken. Ändert aber nichts daran, dass die Linke sich fleißig am Diskurs beteiligt.

  2. Hallo Jasper,

    danke für deine Anmerkung, die ich teile. Vielleicht als Ergänzung: ich bezog mich hier aber auf „offizielle“ Parteilinien. Den Aussagen von Wagenknecht und Lafontaine wurde noch am gleichen Tag begegnet, aus der obersten Parteiriege. Mit Bartsch hat sie einen Vizefraktionschef an ihrer Seite, der ihre Positionen nicht teilt und in seinem Wahlkreis in Meckpomm sehr eindeutig Flagge gezeigt hat. Dennoch lässt die Personalpolitik bei den Linken zu wünschen übrig. Wer die Stalinistin Wagenknecht als Fraktionschefin und Spitzenkandidatin aufstellt, wählt und zulässt, muss sich schon fragen lassen, wie ernst er_sie es meint mit antirassistischer Politik. Zusammen mit Lafontaine sind das für mich die beiden Köpfe, die ein bestimmtes Lager innerhalb der Partei spiegeln. Ich sehe allerdings derzeit nicht, dass das zur Infragestellung der beschlossenen Haltungen und Politiken der Partei insgesamt führt.

    Und nun ja, zur Wählerwanderung von Links zur Afd kann ich zumindest für den Osten sagen, dass die Partei schon immer mit Nazis und Rassisten zu tun hatte, die sich mal für NPD/AfD entscheiden und mal für sie. Genauso gibt es viele Wähler_innen, die von SPD und Grüne kommen. Wahlverhalten ist nicht unbedingt immer an bestimmte Personen gebunden. Das hat aus meiner Sicht eher damit zu tun, ob sich weiße Deutsche zum Zeitpunkt der Abstimmung von einer Partei vertreten fühlen, die von sich behauptet, Politik für Arbeiter_innen und Geringverdiener_innen zu machen.

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