Wir freuen uns über diese Filmrezension zu „The last taboo – in bed, everyone’s able“ von Sophie. Sophie arbeitet zur Zeit in der Republik Moldau mit besonderen Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen. Neben Basisarbeit und Russisch lernen bastelt sie auch an einer Dokumentation von/mit/über diese.
In der Dokumentation „The last taboo“ (2012) wird über Sex aus behinderter* Perspektive verhandelt. Die sechs Protagonist_innen sprechen über Begehren, Liebe, Partner_innenschaft sowie Identitäts- und Geschlechtsverhandlungen behinderter Körper in einer Gesellschaft, die diese nur durch ein „kann nicht“ oder „ist nicht“ bestimmen. Neben identitären Strategien und subversiven Potentialen behinderter Körper zeigt der Film auch, was sogenannte „abled poeple“ von behindertem Sex lernen können.
Vielleicht doch etwas zu optimistisch gewählt, kündigt der Titel der Dokumentation an, sich mit dem letzten Tabu der (unserer ?) Gesellschaft auseinander zu setzen – der Sexualität von Menschen mit Behinderung. Der Regisseur, Autor und Co-Produzent Alexander Freeman – er lebt mit Zerebralparese – macht dabei seine eigenen sexuellen Erfahrungen zum Ausgangspunkt.
Der Film beginnt mit einem klassischen „Diagnosenouting“ der sechs Protagonist_innen. Sie sind Rollstuhlbenutzer_innen, ihre Körper als „körperlich behindert“ markiert. Sie sprechen über ihre Schwierigkeiten bei der Partner_innensuche, Normalisierungszwänge, ihr Leben mit Assistenz, über ihren individuellen (sexuellen) Werdegang und kollektive Erfahrungen als Teil einer diskriminierten Gruppe. Unterbrochen werden die Interviews von Alexander Freemans Schilderungen. Er erzählt in einem leeren, schwarzen Raum über seine erste sexuelle Erfahrung mit einer anderen Person – und das sehr bildlich. In dieser ästhetisierten Umgebung, die Kamera auf schwarz-weiß gestellt, sagt er, nüchtern betrachtet, nicht viel Neues. Er spricht darüber, wie gut sich Brüste anfühlen, wie schräg der erste Kuss sein kann und vor allem über Intimität. Das Potential dieser Bilder ist auch gleichzeitig das, was der Film sich zum Thema vornimmt.
Denn es ist ein behinderter Körper mit schwerlesbarer Mimik und unkontrollierten Armbewegungen, durch den über Sex gesprochen wird. Diese Bilder suggerieren dem_der Zuschauer_in Begehren und Behinderung endlich auch mal zusammen zu denken anstatt gegeneinander. In einer ableistischen Gesellschaft ist der behinderte Körper kein sexueller Körper, wie Lauren Heller, eine der Protagonist_innen, hervorhebt: „my hips don’t work, so I don’t want to have sex? I don’t get it“ [zu deutsch: „meine Hüften funktionieren nicht, also möchte ich keinen Sex haben? Das verstehe ich nicht“]. Fehlschlüsse wie diese sind auch als eine Strategie der Normgesellschaft zu deuten, mit der versucht wird Distanz aufzubauen – so Laurens Ex-Partnerin Erin Pfeifer, um so der Angst „aus dem Weg zu gehen“, die der unbekannte, behinderte Körper auslösen kann.
Was den Film auszeichnet, ist vor allem, dass es zwar auch um Begehren „trotz“ Behinderung geht, aber dass auch Begehren der Behinderung angesprochen wird, ohne dies auf einen Fetisch zu reduzieren oder gar zu pathologisieren. Während sich der gegenwärtige (und längst überfällige) Diskurs über sexuelle Assistenz für Menschen mit Behinderung eher im ersteren Kontext abspielt, wird in diesen Film Begehren auch als subversive Strategie thematisiert, der den „abled body“ dekonstruiert.
Der Queer-Performancekünstler Mazique Bianco von der Gruppe Sins Invalid expliziert den Zusammenhang von Männlichkeit und Ableismus. Seine Behinderung verunmöglicht es ihm, normative Männlichkeit zu performen, da sein Körper offensichtlich auf Assistenz angewiesen ist. Dadurch, dass die Abhängigkeit des behinderten Körpers eine exponierte ist, wird er feminisiert wie auch infantilisiert. Es sei sogar unmöglich in einer ableistischen Gesellschaft einen behinderten Körper ohne Rückgriff auf Negativfolien von Männlichkeiten zu beschreiben (mehr dazu bei Fiona Kumari Campbell – Contours of Ableism). Doch gerade in dieser konstituiven begrifflichen Abhängigkeit liegt für Bianco das subversive Potential seiner Erscheinung und seiner Performancekunst: in seiner Darstellung des „abject of the male body“ stellt er sowohl Ableismus wie auch normative Männlichkeit in Frage.
Im letzten Teil des Filmes geht’s dann tatsächlich um Sex. Und zwar um die Frage, wie denn Leute mit Behinderung Sex machen. Welche Stellungen, welches Equipment – es geht um technische Details, aber auch darum, was es bedeutet, seinen Körper zu kennen und anderen zu erklären. Auf das Faktum, dass sich der behinderte Körper eben nur dadurch definiert, dass er von einer sogenannten Norm abweicht, folgt die Konsequenz, dass auch „normaler Sex“ nicht möglich ist. Also was tun mit einer unbeweglichen Hüfte, wohin mit dem Rollstuhl. Die Lösung: Kreativität, Gespräche, Zeit und Rücksichtnahme. Ka bumm! Gar nicht so abgefahren, oder?
Natürlich, die Schilderungen nähren in der gewisser Weise einen Voyeurismus, der aus diesem „letzten Tabu“ entspringt. Aber es geht nicht nur darum „Leuten mit Behinderung ins Bett zu schauen“, sondern auch darum, was es heißt, Konsens-Sex zu haben. Ebenso – oder vielleicht – besonders für Leute, die die Sphäre der Ability nie verlassen haben. Es scheint, als wird gerade dem behinderten Körper seine Einzigartigkeit öfter zugestanden als dem „abled body“. Einen „normalen“ Körper zu haben, kann nämlich auch bedeuten, sich in einer Normalität zu verfangen, die gewisse Körpererfahrungen suggeriert.
Die Schlussworte bilden noch einmal Antworten auf die Frage nach Behinderung. Doch dieses Mal wird nicht, wie im Anfangsstatement die Diagnose runtergerattert, sondern es werden persönliche Definitionen gegeben. Besonders interessant ist dabei der Kommentar von Mazique Bianco, der auf das Identifikationspotential von „Disability“ zu sprechen kommt. Im Gegensatz zu race oder gender ist die Differenzkategorie der Behinderung zunächst rein negativ formuliert and „can’t be dressed up“. Es müssen Strategien entwickelt werden, die es zulassen sich positiv auf Behinderung zu beziehen und sie nicht nur als etwas „zu ueberwindendes oder zu heilendes“ fassen. Die Analyse eines als behindert markierten Körpers durch Begehren erweist sich nicht nur als fruchtbar, die Mechanismen von Dis/Ableism näher zu bestimmen, sondern trägt auch dazu bei, zu erklären, wie „normale, gesunde und schöne“ Körper produziert werden.
Leider beschränkt sich der Film in Tradition der US-American Disability Studies auf körperliche Behinderung und lässt damit ein tatsächliches Tabu aus. Nämlich, wie sich sogenannte „geistige Behinderung“ mit Sexualität zusammendenken lässt. Weiter wird das Thema Schwangerschaft nicht mit einem Wort angesprochen. Doch wäre es gerade notwendig, den behinderten Körper auch als „zukünftigen Körper“ thematisieren, um gegen Zwangssterilisationen und Assistenzverweigerung anzukämpfen oder endlich (vollständig) mit den Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuräumen, die gerade Überführung jener Körper in die Zukunft verhindern woll(t)en.
Aber Kritik soll ja immer in Sandwichform präsentiert werden. Deswegen: ich schliesse mit den Worten – Spannender Film, der durch ein bisschen Queerglitzer hier und da, Klaviergeklimper, Humor und seinem universitären Rahmen leicht verdaulich ist. Gerne mehr davon!
* Zwischen den Zeilen gelesen, ist der Artikel auch als Schrei nach einer Ausseinandersetzung mit der Terminologie zu verstehen. Während das Wort Behinderung in der deutschen Sprache sehr etabliert ist, stellt sie keinen Begriff bereit, um den nicht behinderten Körper zu benennen. Der Diskurs verläuft einseitig und arbeitet sich nur am Begriff der Behinderung ab, anstatt auf die konstituive begriffliche Abhängigkeit einzugehen.