Es gibt immer dieses kleine Zucken in meinem Gegenüber, wenn ich das B-Wort sage.
Es gibt kein Zucken, wenn ich davon spreche, dass ich mit Krampfanfällen, einem blinden Auge, einem spezifischen Cluster aus dissoziativer Selbst- und Umweltwahrnehmung lebe. Das ist irgendwie spannend. Ein bisschen komisch. “Aber irgendwie gehts ja. Ist ja kein Problem. Sie kommt ja klar”, denken manche nicht behinderte Menschen.
Doch das B-Wort verändert alles.
Für mich ist es wichtig geworden, mich auch als behinderte Frau* zu bezeichnen und die Symptome bzw. die Folgen meiner Gewalterfahrungen auch als die Behinderungen zu benennen, die sie für mich heute darstellen. Einfach, weil es noch viel zu wenig behinderte Frauen* gibt, die das tun (können).
Mir ist wichtig geworden meine Behinderung in den sozialen Kontext zu stellen, in der sie mir angetan wird und wurde.
Das wirkt sich in etwa so bequem aus, wie es das B-Wort für manche nicht behinderte Menschen ist.
BEHINDERUNG ist mit Wertungen belegt. Mit Bildern, die wiederum Bilder und Stereotype von (Menschen mit) Behinderungen in die Köpfe einbringen und einer bestimmten Haltung. BEHINDERUNG ist “sozial”, ist “etwas Gutes tun”, ist “menschlich”, ist “Barrieren wegschaffen”, ist “Förderung”, ist “irgendwas mit Power, Mut und ganz viel TROTZ.DEM”. Natürlich ist Behinderung auch “Leiden” und “an den Rollstuhl gefesselte Leute”, aber das sagt man heute nicht mehr oft, ohne dass an die Leidmedien verwiesen wird.
BEHINDERUNG ist für manche nicht behinderte Menschen aber vor allem: DIE ANDEREN
Auch für mich sind manche Menschen, die mit einer der mehreren Behinderungen leben, oft “die Anderen”, weil ich nicht mit dem geboren wurde, was sich später als meine Behinderung darstellte. Ich erlebe mich als besonders sozial und wohltätig, als menschlich stützend und Barrieren abtragend gelabelt, wenn ich auf dem Weihnachts-Oster-Partystand der Behindertenwerkstätten, handgemachte Topflappen kaufe. Nicht etwa, weil ich direkt mit den Menschen zu tun hätte oder eine Rampe gezimmert und ein ordentliches Blindenleitsystem in der Stadt installiert hätte, sondern, weil mein Handeln von den nicht behinderten Personen, die dieses Topflappenkaufen ermöglichen, in diesen Kontext gesetzt wird.
Letztlich sind sie es wieder, die besonders sozial, stützend und Barrieren abtragend sind, denn sie könnten ja auch alle Gelder für sich behalten. Könnten ihre Unterstützung einfach sein lassen.
So einen Verkaufsstand oder eine andere Aktion mal ganz ohne Nichtbehinderte machen? Kann klappen – wenn man weiß, wie es geht. Wenn man das Geld hat. Wenn man genug Power, Mut und ganz viel TROTZ.DEM in sich hat.
“Hab ich das?”, frage ich mich. “Muss ich das?”, frage ich in die Gesellschaft hinein.
Warum muss mein Engagement als behinderte Frau, mit so besonders viel Mut und Power und – wenn ich dann irgendwie ein bisschen dem Fuß in der Tür habe – ganz viel TROTZ.DEM einhergehen, um nicht von nicht behinderten Personen in meinem Handeln und seiner Wirkung abhängig zu sein?
Warum reicht es eigentlich nicht, wenn ich den Mut aufbringe, meine soziale Umwelt um Hilfe und Rücksicht zu bitten?
Meine Antwort an mich selbst:
Weil das Äußern von Unterstützungs- oder Hilfebedarf von behinderten Personen nicht als der mutige Akt gilt, der es ist, sondern als Selbstverständlichkeit, die man – wenn man ein ganz besonders mutiger, weil politisch inkorrekter Mann* Mensch ist – auch einfach immer wieder hinterfragen kann. Einfach weil mans kann und, weil die Welt ja nun mal kein Ponyhof ist und weil “die Behinderten” ja selber sagen, man soll sie nicht besonders machen.
Mit dem Äußern von Unterstützungsbedarf ist das ja sowieso auch so eine Sache.
Als “behindertengerecht” oder “barrierefrei” gelten viele öffentliche Gebäude bereits, wenn sie eine Rampe im Eingang haben. Induktionsschleifen für Hörgerätnutzer_Innen, Leitsysteme für Menschen, die sich haptisch oder auch gestützt auf die abstrakte Form im Boden durch Räume bewegen (etwa, weil das Heben des Blickes in selbigen hinein überreizen könnte) – geschweige denn eine Vielzahl von Optionen zur Kommunikation und Interaktion , sind bis heute etwas, das fehlt.
Ich habe eine Assistenzhündin, die mir meldet, wenn ich einen Krampfanfall bekomme – zum Jobcenter, Versorgungsamt, Arzt, Einkaufen, ins Hotel oder die Jugendherberge durfte ich sie noch nie mitnehmen (weil Assistenzhunde noch immer nicht mit Blinden(führ)hunden gleichgestellt sind). Aber äußern, dass mich dieser Umstand behindert und von (nicht behinderten) Menschen, die wiederum bezahlt werden müssen, ausgeglichen werden muss, das darf ich.
Weil das ja so die Rolle “der Behinderten” ist und in meinem Fall zufällig auch gut zur Rolle als Frau* passt, die bekanntermaßen, ebenso auf eine bestimmte Art zu performen ist.
Ich erlebe das so, dass ich als behinderte Frau* ganz besonders freundlich und offensichtlich bedürftig sein muss, damit mir Unterstützungs- oder Hilfebedarf zugestanden wird. Damit dieser Bedarf gedeckt wird, muss dann das nächste Kriterium erfüllt sein: es muss simpel, in Normen festgehalten sein (am Besten nach DIN-Norm), kostenlos und fern vom üblichen Betrieb erfüllbar sein können.
Als ich in der Kunstschule, die ich gerade besuche, nach Unterstützung in meinem Selbstschutz durch zum Beispiel einen ruhigen Raum fragte, verwies man mich an die Rumpelkammer im Dachgeschoß. Wie jede_r weiß, der perfekte Platz um einen Krampfanfall zu haben – so zwischen Staub, Dreck, kaputten Bilderrahmen und anderen Materialien, nachdem man zwei Stockwerke die Treppen hoch musste. Nicht.
Für die nicht behinderte (von mir als Mann* gelesene) Person, der ich anvertraut hatte, dass ich mit etwas lebe, was potenziell lebensgefährlich und für mich nicht kontrollierbar ist, war das Thema damit durch.
Ich sehe zwar sehr wohl noch andere Möglichkeiten, sehe durchaus auch den Skandal und die Diskriminierung darin, kann das (gefühlt) aber nicht mehr anbringen, denn diese Person hat sich schon ihren “Haste fein gemacht dieses Inklusionsdings”-Keks genommen, statt nachzufragen, ob das denn wirklich reicht oder, ob wir vielleicht nochmal zusammen schauen. Vielleicht auch mit der Schulleitung – denn eigentlich ist so ein Ruheraum doch sicher nicht nur für eine lernende Person eine gute Sache.
Doch jedes Nachbohren würde die Person jetzt eher nerven und mir weitere verletzende Vermeidungstänzchen einbringen, wie sie in dem Gespräch schon passierten.
Ich bin in der “die nörgelnde behinderte Frau* bedrängt den total bemühten aber komplett überforderten Mann*”- Falle.
Ich könnte zu dieser Person hingehen und ihr sagen, dass sie Teil meines Lebens mit einer Behinderung ist und ich mir diesen Teil meines Lebens weniger schmerzhaft, anstrengend und demütigend wünsche.. Doch da ist das B-Wort und das meint für diese nicht behinderte Person noch immer nicht: “Meine Vermeidung – mein Othering – mein Anspruch an eine Person, die einen Bedarf äußert, ist behindernd”.
Diese Person wird jede meiner Bemühungen um Teilhabe am Schulbetrieb so erleben, als würde ich unverschämterweise sie in meine private Behinderung mit hineinziehen und damit eine persönliche Grenze von ihr übertreten.
Das exkludierende Element dieser Grenze, mit all ihren Implikationen für meine Lebensrealität als behinderte Lernende, wird dieser Person nicht klar. Denn Selbstbestimmung bedeutet für diese Person vor allem die Trennung zwischen sich selbst und den ANDEREN.
Das B-Wort hilft mir nicht diese Trennung aufzuheben.
Aber vielleicht das Stichwort: „MITEINANDER“ ?
„BEHINDERUNG ist für manche nicht behinderte Menschen aber vor allem: DIE ANDEREN“
Danke für den Text. Ich werde häufig als nichtbehinderte Person gelesen, was mir den zweifelhaften Einblick in die Denkmuster mancher Nichtbehinderter (also genauer: Meiner Freunde, Arbeitskollegen, oder einfach die, die in der Ubahn oder im Berghain neben mir stehen) verschafft. Die meisten haben gar nicht auf der Rechnung, dass in ihrer Mitte jemand steht, der nicht alle „Voraussetzungen“ erfüllt. Ich habe mir mittlerweile angewöhnt, sowas aktiv anzusprechen. Was man dann erntet: Nicht unbedingt Erkenntnis über die eigene Ignoranz. Ich habe gerade erst hier im Forum zum Thema Veganismus erlebt, wie man erst seine eigene Behinderung explizit ansprechen muss, häufig noch in Verbindung mit einem gewissen Rechtfertigungszwang, um gesehen und respektiert zu werden. Das macht mir dann auch mal wieder klar, dass dieses „euch gibt es selbstverständlich überall“ eigentlich ein „euch gibt es nur im Märchen, denn ich kenne ja keine von euch“ ist. Die Betonung, die immer darauf gelegt wird, dass Menschen mit Behinderungen ja Menschen seien wie alle anderen auch ist in den meisten Köpfen immer noch mit einem „wenn sie sich auch wie die anderen verhalten (können)“ verknüpft.