In einem kürzlich aufgezeichneten Interview beim Düsseldorfer Aufklärungdienst spricht Sarah Diehl, Autorin (u.a. „Deproduktion“) und Regisseurin des Dokumentarfilms “Abortion Democracy” über reproduktive Rechte weltweit, den christlich-rechtskonservativen Einfluss auf das Thema Abtreibung und illegalisierte Schwangerschaftsabbrüche. Diehl stellt fest, dass reproduktive Rechte heute leider nicht mehr sehr weit oben auf der Agenda vieler Feminist_innen stehen, getreu dem Motto “Das Thema interessiert uns nicht mehr so sehr, wir haben ja alles erreicht!”. Dass Abtreibungsrechte in Deutschland allerdings immer noch eingeschränkt sind, fasste Maria Wersig von Recht und Geschlecht letzte Woche anlässlich der „1000 Kreuze in die Spree“-Demonstration in einem Gastbeitrag beim Missy Magazin zusammen.
Fakt zum Thema Abtreibung ist: Jede dritte Frau weltweit nimmt mindestens eine Abtreibung in ihrem Leben vor. Geschätzt 70.000 Frauen sterben jedes Jahr an verpfuschten Schwangerschaftsabbrüchen, weil ärztlich durchgeführte Abtreibungen nicht erlaubt, verfügbar und/oder bezahlbar sind. Trotz der nie verschwinden Aktualität des Themas ist es tabuisiert und lebt von irreführenden Mythen und Unwissen, so Diehl.
Die im Beitrag erwähnte Frauenkasse, die z.B. illegalisierten Frauen hilft bei Bedarf einen Schwangerschaftsabbruch zu finanzieren, sucht noch Helferinnen. Interessierte können sich bei sarah.diehl[at]yahoo.de melden.
Vielen Dank, dass ihr die Frauenkasse verlinken wolltet. Problem ist nur, dass die webseite der Frauenkasse noch nicht steht und ihr zu der alten nicht mehr funktionierenden webseite verlinkt habt. Wir gründen die Frauenkasse jetzt neu und können erst richtig Anfang nächsten Jahres mit der Arbeit beginnen. Jetzt sind wir noch damit beschäftigt uns als gemeinnützigen Verein anerkennen zu lassen. Interessierte Leute können sich gerne bei mir melden, dann kann ich sie auf unseren email-Verteiler setzten
sarah.diehl@yahoo.de
@sonstwer:
Frauen zahlen ja auch höhere Beitragssätze weil die Kassen für Frauen mehr ausgeben. Meinetwegen können Abtreibung und Pille ruhig übernommen werden, nur dann bitte nicht über höhere Beiträge für Frauen wundern. Männliche Jugendliche Fahranfänger müssen schließlich auch 200% Kfz-Versicherung zahlen.
Wer glaubt das Versicherungen/Kassen vollsolidarische Systeme sind liegt schlicht falsch, es wird immer in Risikogruppen geteilt. Insofern könntest du dich auch nicht über eine Kostenübernahme beschweren.
@Nandoo: Wer glaubt das Versicherungen/Kassen vollsolidarische Systeme sind liegt schlicht falsch, es wird immer in Risikogruppen geteilt.“
Gib dir bitte ein Ruck und vergleiche ob Männer oder Frauen mehr in die Sozialkassen einzahlen. Und wenn du schon dabei bist von Risikogruppen zu schreiben dann schaue dir doch bitte die Rentenversicherung an. Frauen leben 5-7 Jahre länger. Das spiegelt sich aber nicht in den Beiträgen wieder.
Am Ende bleibt nur zu sagen, dass Männer deutlich draufzahlen.
@ sonstwer
Ich hoffe inständig, dass Dein erster Kommentar und meinetwegen Dein zweiter hier nicht allezu lange stehen bleiben, weil das alles so Ihgittpfuibahätzkram ist!!
Allein die Sichtweise, dass Frauen allein zuständig für ungewollte Schwangerschaften und andere Gründe für einen Abbruch sind, also sowohl in Sachen Verantwortung, als auch in Sachen Finanzierung oder sogar Prävention, ist angesichts der Tatsache, dass am Zeugungsakt nunmal ZWEI Menschen beteiligt sind, derartig bescheuert und reaktionär, dass ich mich frage, warum Du diesen Blog überhaupt liest (warst Du nicht auch der, der „dem Feminismus“ eh nicht so wohlgesonnen ist – na ist doch prima, dann lies und kommentier doch einfach woanders, wenn Du Dich eh nicht mit den Argumenten der Texte auseinandersetzen möchtest)….. Mal ganz abgesehen von der in diesem Zusammenhang hanebüchenen Verbindung von „Selbstbestimmung“ und „Verantwortung tragen“ und „Kosten selbst tragen“ und „Problemlösung“…. Ach, aber was reg ich mich auf wegen so ein wenig dummem Rumgetrolle… Wie gesagt: Ich hoffe, Du wirst hier gelöscht und kannst dann andernorts erzählen, wie schrecklich gemein die doofen Feministinnen mal wieder waren, weil sie Dich nicht haben mitspielen, äh sorry, mitdiskutieren lassen…
@ Betti: Fakt ist nun mal, dass die Frauen das alleinige Recht haben zu entscheiden ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird oder nicht. Väter haben nichtmal ein Auskunftsrecht ob eine Schwangerschaft besteht oder gar abgebrochen wird. Und aus Rechten entstehen nun mal Pflichten.
Diese Pflichten möchtest du aber der Allgemeinheit aufbürden.
Wenn du genau gelesen hättest, hättest du gelesen, dass ich für Kondome plädiere: Kondom=Verhütung für den Mann.
Und was gefällt dir am zweiten Kommentar nicht? Etwa das jemand die Wahrheit ausspricht, dass Männer bei den Sozialsystemen draufzahlen?
@sonstwer
du missverstehst da was. die frau hat wie der mann das recht, über ihren körper selbst zu entscheiden, d.h. hier findet keine bevorzugung der frau gegenüber dem mann statt (geht auch gar nicht, wir haben so nen gleichheitsgrundsatz:), also, keine sonderrechte für die frau und deshalb ist es auch unlogisch, da sonderpflichten für frauen einzuführen.
@ alex: Das ist falsch. Eine Frau kann die Schwangerschaft verschweigen. Sie alleine kann bestimmen ob ein Kind zur Welt kommt, obwohl beide an der Zeugung beteiligt sind. Der Mann hat nicht mal das Recht zu erfahren, ob eine Schwangerschaft zur Stande kommt. Warum hat ein werdender Vater absolut keine Rechte, nicht mal zu erfahren, dass eine Schwangerschaft zustande gekommen ist?
Ebenso kann eine Frau einem vorgaukeln, er sei der Vater des Kindes und ihm so ein Kind unterjubeln. Wenn sie nicht möchte muss sie die Identität des biologischen Vaters nicht angeben und den rechtlichen Vater zahlen lassen, bis dieser blaus wird.
Es ist keine Sonderpflicht für sich selbst und für sein tun verantwortlich zu sein.
@ Betti: habe noch mal über deine Reaktion nachgedacht, es kommt mir vor, als ob nicht in der Lage bist gegensätze Standpunkte auszuhalten. Und alles was dir nicht gefällt, soll gesperrt werden.
@sonstwer
zu erfahren, ob wer von einem schwanger ist, hat was genau mit dem recht, über seinen körper bestimmen zu dürfen zu tun?
Das sind zwei verschiedene Sachen. Die gesamten Rechte liegen bei den Frauen. Männer haben absolut keine Rechte, obwohl auch diese an der Zeugung beteiligt sind.
Die Frauen möchten alle Rechte haben, zu bestimmen was mit dem Kind passiert. Das Recht es dem Vater zu sagen oder eben nicht. Und egal wofür sie sich entscheiden, sie haben keine Pflichten.
@sonstwer Von solchen Generalunterstellungen an „die Frauen“ hier absehen und vor weiteren Kommentaren in die Netiquette schauen!
@ sonstwer
„Und was gefällt dir am zweiten Kommentar nicht? Etwa das jemand die Wahrheit ausspricht, dass Männer bei den Sozialsystemen draufzahlen?“
Dein zweiter Kommentar hätte meinetwegen gelöscht werden dürfen, weil ich ihn als klassisches Derailing einordnen würde. Es ging bei dem hier zu diskutierenden Beitrag nämlich weder um Kosten von Abtreibungen, noch um Sozialsysteme, noch um die Frage, ob Männer oder Frauen generell mehr davon profitieren. Nicht im Geringsten ging es um irgendwas davon. Und da das Thema Abtreibung nunmal extrem Derailing-anfällig ist, hätte Dein Kommentar meinetwegen eben gerne gelöscht werden dürfen, um ein Abdriften der Debatte zu verhindern. Ganz einfach.
„Fakt ist nun mal, dass die Frauen das alleinige Recht haben zu entscheiden ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird oder nicht. (…) Und aus Rechten entstehen nun mal Pflichten.“
Mal abgesehen von allem was Alex gesagt hat, finde ich es absurd, daraus eine Kostentragungspflicht für Frauen bei Abtreibungen zu konstruieren: Ich habe (zum Glück!) das Recht zu rauchen, Alkohol zu trinken, Berge von Fleisch zu essen, magersüchtig zu sein, bulemisch zu werden, übergewichtig zu sein, in der Nähe von Industrieanlagen und vielbefahrenen Straßen zu wohnen, Extremsport zu betreiben, Arbeitsstress zu haben, säuglingsbedingt Schlafmangel zu haben, trotz Krebsdisposition in der Familie Kinder zu kriegen, und und und – und aus alledem entsteht dann Deiner Meinung nach auch die Pflicht, die Folgen und Kosten der daraus entstehenden Krankheiten selbst zu tragen? Dann sag doch einfach gleich, dass Du das Prinzip der Solidargemeinschaft im Krankenversicherungssystem ablehnst.
„Wenn du genau gelesen hättest, hättest du gelesen, dass ich für Kondome plädiere: Kondom=Verhütung für den Mann.“
Hab ich, halte ich in dem Zusammenhang Deines ersten Kommentars aber für extrem missverständlich. Um mal in Deiner Logik zu bleiben („Frauen müssen Abtreibungen, Beratungen etc. selbst zahlen, dann löst sich das Problem von selbst, weil dann Kondome benutzt werden“): Damit bürdest Du die Verantwortung dennoch letztlich alleine der Frau auf, denn dann würde doch die ohnehin schon geringe Motivation vieler Männer, auf ein Kondom zu bestehen, noch mehr sinken – denn die Frau wäre ja verantwortlich (abzulesen an der Kostenanlastung). Oder glaubst Du wirklich, dass die Tatsache, dass Kondome über dem männlichen Geschlechtsteil zu tragen sind, das Kondom zu einer „Verhütung für den Mann“ machen?! Ich hatte schon wirklich viele Affären und One-Night-Stands und kann die Gelegenheiten an einer Hand abzählen, an der nicht ICH diejenige war, die aufs Kondom bestanden hat und es auch vorrätig hatte… Und wo ich grad beim Fragen bin: Glaubst Du denn WIRKLICH, dass Frauen primär deswegen abtreiben, weils so schön einfach und billig ist? Und dass es deswegen anders wäre, wenn die Frauen die Kosten tragen müssen? Dass es dann viele viele Frauen nicht einfach zu Pfuschern treiben würde?!? Ach, ich könnte jetzt noch so Vieles fragen, hätte ich das Gefühl, es würde der Diskussion hier was bringen…
Ich meine, jetzt mal ehrlich: Wenn Du Dich bisher auch nur EINmal ernsthaft mit dem Thema Abtreibung beschäftigt hättest, würdest Du hier nicht so krass reaktionäre Standpunkte vertreten. Und deswegen reagier ich auch relativ heftig darauf. Und tu doch bitte nicht überrascht, schockiert oder beleidigt, wenn Du auf einem FEMINISTISCHEN Blog solche Sachen schreibst und Du dann relativ deutlichen – und auch vielleicht mal etwas unhöflichen – Gegenwind kriegst. Wieder mal: ganz einfach eigentlich.
Den Rest, den Du seit Deinem an mich gerichteten Kommentar geschrieben hast, finde ich übrigens auch zum Kotzen. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich keine gegensätzlichen Standpunkte aushalte…. Und deswegen müssen wir ja auch eigentlich nicht weiter miteinander diskutieren. Ich zumindestens bin raus.
@ All:
Bin grad beim Zappen bei Dirty Dancing gelandet und da gehts auch grad um das Thema… :)
@all
Nur zur Info, warum hier gerade eine Reihe an Beiträgen verschwunden ist.
Die Threads unter den Postings sind keine Chaträume. Hier sollen sich möglichst alle wohl und willkommen fühlen, mitzudiskutieren.
Dazu gehört es auch, die Netiquette zu beachten. Inhalte, die das Selbstbestimmungsrecht von Frauen denen der Männer unterordnen, sind auf einem feministischen Blog ziemlich fehl am Platz.
Und: Don’t feed the trolls, please :)
@ Nadine und Mädchenmannschaft:
Angekommen!
Sorry.
:)
Zahlenfrage:
„Jede dritte Frau weltweit nimmt mindestens eine Abtreibung in ihrem Leben vor.“
Dies kommt mir sehr hoch vor. Wenn ich im verlinkten Artikel den verlinkten Report anschaue, so erhalte ich die Zahlen
– „About one in five pregnancies worldwide end in abortion“
– „For every 1,000 women of childbearing age (15–44) worldwide, 29 were estimated to have had an induced abortion in 2003“
Vielleicht sitze ich auf dem Schlauch, aber wäre es nicht eher „jede 30. Frau nimmt eine Abtreibung vor“ (grob für 30 pro 1000). Oder habe ich da einen falschen Blick, da ich von relativ wenigen Schwangerschaften je Frau in Europa ausgehe (Weltweit vermutlich mehr) und bei einem Abbruch davon ausgehe, dass die bei Frauen gehäuft sind, also einige mehrmals abbrechen, während andere dies nie tun.
@NW
Ich hoffe, dass ich das jetzt nicht alles durcheinander werfe, aber ich habe es so verstanden:
Zum Satz “For every 1,000 women of childbearing age (15–44) worldwide, 29 were estimated to have had an induced abortion in 2003″
Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003 und widersprechen sich so nicht mit der generellen Aussage, dass jede dritte Frau irgendwann in ihrem Leben eine Abtreibung vornimmt (auch jenseits der oben gesteckten Altersgrenzen).
Die Aussage, dass jede dritte Frau in ihrem Leben irgendwann mal eine Abtreibung hat, habe ich übrigens aus dem verlinkten Video von Diehl. Diese Aussage widerspricht sich auch nicht mit dem anderen Satz (“About one in five pregnancies worldwide end in abortion”), weil eine Frau ja mehrere Schwangerschaften haben kann, also z.B. dreimal in ihrem Leben schwanger ist, aber davon ein Kind nicht austrägt. So kann es zu der Statistik kommen, dass jede 5. Schwangerschaft abgebrochen wird, aber jede 3. Frau einmal in ihrem Leben einen Abbruch vornehmen lässt.
Ergibt das Sinn?
@Nadine:
Den ersten Beitrag hättest besser stehen gelassen, so is die Diskussion schwerer zu verstehen.
@sonstwer:
Ich lach mich kringelig das du die Rentenversicherungen anführst. Frauen zahlen da nur weniger ein WEIL SIE WENIGER VERDIENEN !
@Madga: Danke. Mein Denken setzte zu stark aud den schweizer Hintergrund wo mit 6.5 Schwangerschaftsabbrüchen pro Frau zwischen 15 und 44 wesentlich auch die niedrige Geburtenrate (aufgrund von Aufklärung und Verhütung) mit einspielt. Grob umgerechnet ein 12 der Frauen haben einen Schwangerschaftsabbruch (6.5/30 Abbrüche je Frau Schweiz gegen Weltweit mal 1/3 ~ 1/12 der Frauen brechen ab) erscheint mir durchaus möglich.
Ansonsten noch der Hinweis: Letztes Wochenende wurde in Lichtenstein die Einführung einer Fristenlösung für den Schwangerschaftsabbruch in einer Volksabstimmung abgelehnt, so dass dort weiterhin Abtreibungen im In- und Ausland strafbar bleiben.
Bei meiner oberflächlichen Verfolgung der Debatte schien das Hauptproblem die Furcht vor Abtreibung Aufgrund einer Behinderung bei den Kindern den Ausschlag zu geben. So zumindest der Fürst, der mit einem Veto bei Annahme der Vorlage gedroht hatte und dieses so begründete.
@Alex: Ich glaube die Sache ist nicht ganz so einfach. Gegenüber dem Interesse der Frau über ihren eigenen Körper zu Bestimmen steht das Interesse des Mannes an seinem noch ungeborenen Kind. Ich bin einverstanden, dass das Interesse über die Verfügung des eigenen Körpers stärker wiegt, doch es ist trotzdem eine Verletzung der Rechte des Vaters vorhanden. Viel gewichtiger in der Diskussion in der Vergangenheit war jedoch auch das Interesse am eigenen Leben des noch ungeborenen Embrios, das früher stärker gewichtet wurde als die selbstbestimmung der werdenden Mutter. Dieses Interesse des Kindes schlägt sich im deutschen (?ich glaube da ist es ähnlich zum Schweizerischen) Recht nieder, da der Schwangerschaftabbruch immer illegal, jedoch straflos ist. Dabei ist die Regelung der (aktiven) Sterbehilfe meines Erachtens parallel, da sie auch ein Recht auf das eigene Leben abspricht, was nach meiner Meinung unter das Recht am eigenen Körper fällt. Die zweite Parallele ist die pränatale Sterbehilfe, die Eng mit dem Schwangerschaftsabbruch verbunden ist und ein (wie in Lichtenstein gesehen) wichtiger Grund zur Ablehnung von Rechten zum Schwangerschaftsabbruch ist. Für mich ein (hier polemisiert dargestellter) Widerspruch: Wenn du aus dem Recht um den eigenen Körper abtreiben willst, geht das in Ordnung, wenn du den Embrio aufgrund einer zu erwartenden Behinderung abtreiben willst, nicht.
In Lichtenstein wurde das Totschlag-Argument Abtreibung sei Behindertenfeindlichkeit nur benutzt, um ein offenes Reden über die Bedürfnisse von Frauen unmöglich zu machen. Das ist die typische Aneignungsstrategie von Rechten, die linke Argumente benutzen, um ihre konservativen Wertvorstellungen hoffähig zu machen. 97% aller Abtreibungen finden bis zur 12 Woche statt (WHO), da geht es nie um die Behinderung des Embryos, das kann zu dem Zeitpunkt noch gar nicht festgestellt werden. Ich hab darüber mal einen Artikel in der taz geschriebe, als Kommentar über die Gesetzesänderung zu Spätabbrüchen in Deutschland 2009: Das eugenische Argument – ABTREIBUNGSGEGNERINNEN IN DEN USA EIGNEN SICH GESCHICKT LINKE DISKURSE AN
http://www.taz.de/!34599/
„Ich glaube die Sache ist nicht ganz so einfach. Gegenüber dem Interesse der Frau über ihren eigenen Körper zu Bestimmen steht das Interesse des Mannes an seinem noch ungeborenen Kind.Ich bin einverstanden, dass das Interesse über die Verfügung des eigenen Körpers stärker wiegt, doch es ist trotzdem eine Verletzung der Rechte des Vaters vorhanden“
Ich glaube, es ist sinnvoll, sich hier bestimmte Begrifflichkeiten noch einmal anzuschauen und sich ihre Konsequenzen klarzumachen: Auf Bestimmung über ihren eigenen Körper hat die Frau ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. Dem gegenüber steht das berechtigte Interesse des Mannes an dem von ihm gezeugten Kind.
Aus dieser leichten begrifflichen Änderung ergibt sich meines Erachtens nun aber einiges (unter anderem, dass kein „Recht“ des Vaters „verletzt“ wird, wenn eine Frau abtreibt). Nämlich zum ersten, dass die Frau die Einzige ist, die über Schwangerschaft und Geburt entscheiden kann, da beides eben in ihrem Körper stattfindet. Aber natürlich auch zum zweiten, dass es für den Mann ganz schrecklich sein kann, an einer solchen Entscheidung nicht zwangsläufig mitwirken zu können. Ich respektiere durchaus, dass die nach dem Zeugungsakt sehr passive körperliche Rolle, die die Natur dem Mann bei der Fortpflanzung zugedacht hat, für ihn sehr frustrierend sein kann und ihn ziemlich machtlos zurücklässt (ich kenne selbst einen Mann, dessen damalige Freundin gegen seinen Willen und heimlich eine Schwangerschaft abgebrochen hat und ich verstehe gut, wie furchtbar das für ihn war). Daraus kann nur eben keine Konsequenz für die Regelung solcher Entscheidungen abgeleitet werden, die die Frau nicht massiv in ihrem Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigen würde. Ich kann ja zum Beispiel andersrum auch nicht rechtlich von meinem Partner verlangen, dass er sich sterilisieren lässt, weil ich auf keinen Fall ein Kind will, die Pille nicht vertrage und Kondome mir zu riskant sind. Ich fände es vielleicht ganz toll, wenn mir ein solches Recht zustünde, weil es mir eine riesige Sorge nehmen würde, aber es liegt auf der Hand, dass das nicht ginge.
Frauen und Männer sind im Rahmen von Sexualität und Fortpflanzung eben mit unterschiedlichen Grundproblemen konfrontiert: Männer mit der Limitierung hinsichtlich der eigenen Entscheidungsmacht über ein in einem anderen Körper wachsenden Kind. Frauen mit der „Befruchtungssorge“, wenn sie – grundsätzlich, temporär oder mit dem jeweiligen Mann – kein Kind wollen und gleichzeitig verhindern wollen, eine so schwierige Entscheidung wie die zu einer Abtreibung treffen zu müssen. Denn selbst wenn mein Partner eigenmächtig das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft erhöht (Kondom-Anwendungsfehler, heimliches Entfernen des Kondoms während des Geschehens,…alles schon erlebt) – der Körper in dem entweder das Kind wächst oder an dem ein u.U. physisch und psychisch massiver Eingriff stattfindet, bleibt ja meiner. Und wie sollte irgendwer anders darüber entscheiden dürfen, als ich?
So lange es „der Wissenschaft“ nicht gelingt, Männer Kinder kriegen zu lassen und Frauen ohne körperliche Eingriffe ihre Fruchtbarkeit an- und ausknipsen zu lassen, bleibt der einzige Ausweg aus dem Dilemma eben Kommunikation, Offenheit und verantwortungsbewusster Umgang miteinander. Und manchmal gibt es eben leider auch keine allen gerecht werdende Lösung und der Mann bleibt entweder traurig (weil er gern Vater geworden wäre und die Frau sich FÜR eine Abtreibung entscheidet) oder wütend (weil er nicht gern Vater geworden wäre und die Frau sich GEGEN eine Abtreibung entscheidet) zurück. Das mag im individuellen Einzelfall für ihn sehr tragisch sein, lässt sich aber auf einer gesellschaftspolitischen/rechtlichen Ebene nicht ändern.
@sonstwer
es ist ihr körper, nicht seiner.
welcher teil von ihr es jetzt ist, der arm, der fuß, der uterus… egal, wo bitte wird der körper des mannes in irgendeiner weise davon berührt, was die frau mit ihrem schwangeren körper macht? nirgends. also, wenn alle menschen vor dem gesetz gleich sind und männer über ihren körper selbst bestimmen dürfen, dann ist es eine ungleichbehandlung, da sondergesetze für frauen zu machen und ihr das recht, über ihren körper selbst zu entscheiden, zu verwehren.
die antwort auf deine frage ist ganz einfach und die hab ich auch schon gegeben, genetische übereinstimmung ist nicht mein problem. wenn jemand sich einbildet, dass das irgendwas wichtiges wäre ist das sein problem oder ihres, nicht meines und auch nicht als grundlage geeignet, darauf ein gesetz aufzubauen, falls dir dieser gedanke schwierigkeiten bereitet: kuck mal, wie hoch die genetische übereinstimmung von menschen und affen ist.
das ist nicht das problem der frau, wenn andere den fötus oder die schwangerschaft emotional aufladen, es gibt auch menschen, für die ist „kein sex vor der ehe“ etwas besonderes und trotzdem würde ich mich weigern, danach gesetze für alle zu machen.
@nw
das interesse am ungeborenen kind… naja, also, da dürfte ich aber bei vielen mitentscheiden, was sie mit ihrem körper dürfen und was nicht, wenn in zukunft mein „interesse“ ausschlaggebend ist. ich verstehe nicht, wo da die „rechte des vaters“ verletzt werden.
ich verstehe eigentlich deinen ganzen kommentar nicht so richtig, ich will einfach nicht bevormundet werden, es ist mein körper, über den möchte ich selbst bestimmen und bisher konnte mir noch niemand so wirklich logisch erklären, warum das illegal jedoch straflos ist.
@ Alex
„(…)und bisher konnte mir noch niemand so wirklich logisch erklären, warum das illegal jedoch straflos ist.“
Ganz so einfach ist das juristisch auch nicht – wie so oft… :)
Der § 218 StGB und seine Ausnahmen/Einschränkungen in § 218a StGB sind in Sachen „Legalität“, „Rechtswidrigkeit“ und „Straflosigkeit“ relativ kompliziert und im juristischen Schrifttum auch umstritten. Das juristische Kernproblem bei der Ausgestaltung der rechtlichen Behandlung von Schwangerschaftsabbrüchen ist das von NW angesprochene Problem der Grundrechtskollision des ungeborenen Menschen und der Mutter. Ich weiß ja nicht, wie versiert Du bei diesem ganzen juristischen Kram bist, vielleicht bist Du da ja auch schon total belesen, aber als Einstieg finde ich den Wikipedia-Artikel zu „Schwangerschaftsabbruch“ und dort den rechtlichen Abschnitt gar nicht so schlecht: http://de.wikipedia.org/wiki/Schwangerschaftsabbruch#Geltendes_Recht
Grundsätzlich sollte man vielleicht noch bedenken, dass §218 den Schwangerschaftsabbruch zunächst einmal generell unter Strafe stellt, also nicht nur mit Perpektive auf Handlungen der Mutter, sondern auch mit Perspektive auf den Schutz der Mutter, je nach Konstellation (die Schwangere wird hier z.B. auch milder bestraft als ein anderer Täter, vgl. § 218 Abs. 3 und 4).
§ 218a regelt dann die Ausnahmen, wobei der „klassische“ Fall (Frau möchte den Abbruch, hat sich beraten lassen, geht zum Arzt und liegt in einer bestimmten Frist) nach § 218a Abs. 1 schon gar nicht den Tatbestand des § 218 erfüllt, das heißt, das ist dann quasi der Illegalität des §218 enthoben. Für andere Konstellationen (vgl. § 218a Abs. 2-4) wie Gefahr für die Schwangere, Schwangerschaft nach Verbrechen gilt das Konstrukt „tabestandserfüllend, aber nicht rechtswidrig“ bzw. Straffreiheitsmöglichkeit für die Schwangere auch bei einem Spätabbruch. Wie gesagt: es ist kompliziert und dann auch noch schwer umstritten, was das alles genau für die „Legalität“ der jeweiligen Handlung heißt…. ;)
Worum es mir geht: Das alles ist nicht auf die simple Formel „illegal, aber straflos“ herunterzubrechen. Die geltende Rechtslage ist ziemlich diffizil auf eine sehr schwierige Abwägung zwischen Rechten des Kindes und der Schwangeren hin ausgerichtet. Grundsätzlich halte ich eine Ausrichtung an dieser Abwägung auch für richtig, über Verbesserungen lässt sich aber sicherlich diskutieren (z.B. die Beratungs- oder die Fristenfrage).
Achja, und weil weiter oben die Sache mit den Kosten ja auch schonmal Thema war: Die Kosten bestimmter Abbrüche sind schon jetzt in der Regel von den Schwangeren selbst zu tragen, so das Familienministerium.
„Bei der Frage, wer die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs zu tragen hat, ist zu unterscheiden, ob es sich um einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Indikation oder um einen Abbruch nach der Beratungsregelung handelt. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs aufgrund einer medizinischen oder kriminologischen Indikation werden bei krankenversicherten Frauen von ihrer Krankenkasse getragen.
Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregelung sind grundsätzlich von der Frau zu tragen. Für Frauen in schwieriger wirtschaftlicher Lage werden die Kosten nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz übernommen.“
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=98262.html
Da sieht man auch (weiter oben in dem Text ausdrücklich), dass das BMFSFJ auch die Auffassung vertritt, die Abtreibung nach der „Beratungsregelung“ sei rechtswidrig. Das ist aber wie gesagt meines Wissens nach umstritten.
@Betti: Ganz herzlichen Dank für deine ausführlichen und gut verständlichen Erklärungen zu dieser schwierigen rechtlichen Materie. Find‘ ich toll!
@Alex: Betti hat mich zu recht korrigiert, dass es nicht Vaterrechte sondern Interessen des Vaters sind. Interessen, die nicht in legale Rechte gegossen werden können (anders als beim Sorgerecht). Sicher ist es dein Körper und du kannst über ihn selbst bestimmen, so lange du niemand anderes in seinen (Grund)Rechten verletzt. Beim Schwangerschaftsabbruch kommt dein Recht auf deinen Körper in Konflikt mit dem Recht des Embryos auf Leben. Daher ist es prinzipiell Verboten, jedoch mit Ausnahmen zur Straflosigkeit unter den Restriktionen durchführbar. In der Schweiz müsstest du für eine Abtreibung eine Notlage geltend machen, was die Einschränkung auf die Selbstbestimmung über den eigenen Körper deutlich macht.
Wenn du es ganz exakt mit illegal und straflos nehmen willst, so bin ich kein Experte/Jurist. Meines wissens kommt dies 1. davon dass es im Strafgesetz steht und 2. dass es eine „Nein, aber [Ausnahmen]“ Bestimmung ist. Was die exakten juristischen Konsequenzen daraus sind, ist mir nicht klar.
Mit der Fristenlösung spricht man dem Embryo ein wachsendes Recht am eigenen Leben zu. Während den ersten zwölf Wochen überwiegt dein
Selbstbestimmungsrecht, ab der 22. oder 24. Woche gilt nur noch dein (stärkeres) Recht auf körperliche Unversehrtheit als schwerwiegender. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, so ist zu diesem Zeitpunkt eine gewisse lebensfähigkeit des Fötus gegeben, es also nach dem Verlassen des Mutterleibs noch Leben könnte. Spätestens im neunten Monat der Schwangerschaft gehe ich davon aus, dass der Fötus soweit ausgebildet ist dass man ihn auch vor der Geburt als Mensch wahrnehmen sollte, und dadurch selbständig Rechte für den Fötus begründet werden.
Laut der neuesten Studie der Royal Society for Gynecology and Obstretics in England besteht vor der 24. Woche noch kein Bewusstsein oder Schmerzempfinden beim Fötus: http://www.rcog.org.uk/fetal-awareness-review-research-and-recommendations-practice
Deshalb ist in UK auch der Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Frau bis zur 24. Woche (und nicht wie hier nur bis zur 12. Woche) erlaubt. Nicht desto trotz haben die meisten Frauen auch dort eine Abtreibung um die 8.-9. Woche. Ich finde es vollkommen richtig, dass Frauen, die später mit der Entscheidung dran sind, aus welchen Gründen auch immer, ohne Hürden den Abbruch noch bis zur 24. Woche vornehmen lassen können. Das sind wenige, aber denen sollte es nicht schwerer gemacht werden.
Warum sollte ein Embryo/ein Fötus vor der 24. Woche Rechte haben, wenn es noch keine Subjektivität besitzt? Geht es wirklich um das Recht des Fötus oder ist das nicht einfach unsere Projektionsfläche, weil unserer (patriarchalen) Gesellschaft die Entscheidungsfreiheit der Frau Unbehagen einflösst?
„Geht es wirklich um das Recht des Fötus oder ist das nicht einfach unsere Projektionsfläche, weil unserer (patriarchalen) Gesellschaft die Entscheidungsfreiheit der Frau Unbehagen einflösst?“
Ich persönlich glaube, es kann um beides gehen – nur wird das eine eben gerne instrumentalisiert, um das andere zu kaschieren. Ich finde, es ist schon eine wichtige Frage, die auch offen diskutiert werden können muss, wie die Abwägung des Lebensrechtes mit dem Selbstbestimmungsrecht erfolgt. Denn aus Gründen, die hier jetzt wahrscheinlich den Rahmen ein wenig sprengen würden und in die Tiefen der Rechtsphilosophie führen würden denke ich schon, dass auch das künftige Leben – nicht nur der individuelle Embryo, sondern zum Beispiel auch die gern zitierten „künftigen Generationen“ – bestimmte (Grund- oder Menschen-)Rechte hat, die gegen Lebende wirken können (z.B. hinsichtlich Ressourcen- oder Klimaschutzinteresssen oder eben hinsichtlich des mutmaßlichen Interesses, nicht daran gehindert zu werden, auf die Welt zu kommen). Also auch unabhängig von seinem Entwicklungsstadium. Was natürlich nicht automatisch heißt, dass ein solches Recht absolut zu gewähren ist, also in einer Abwägung gegenüber einem Recht des/der Lebenden stets vorrangig zu behandeln ist. Solche Abwägungen, in denen unsere (Freiheits-)Rechte gegenüber den Rechten künftiger Menschen als vorrangig bewertet werden, machen wir und auch unsere Politik ja ständig, wir sagen es nur nicht so explizit (z.B. wenn wir gewisse Lebensstile und Wirtschaftsweisen leben und „erlauben“).
Strukturell ähnlich ist es für mich in der Abtreibungsfrage: Es ist in meinen Augen ein Abwägungsvorgang, der zwei kollidierende Rechtssphären in Ausgleich bringen muss. Dafür sind Erkenntnisse, wie die von Sarah Diehl geposteten natürlich wichtiges Tatsachenmaterial, um zu einer möglichst sachgemäßen Entscheidung zu kommen. Deswegen kann und sollte man über Fristen sicherlich auch immer wieder diskutieren, aber mir ist etwas unwohl dabei, dies an die Frage der Subjektivität zu knüpfen (falls ich Dich, Sarah Diehl, da jetzt richtig verstanden habe). Gleiches gilt für die für mich persönlich auch nicht total einfach zu beantwortende Frage der Pflicht-Beratung.
Und alles was ich jetzt geschrieben hab, ändert natürlich nichts daran, dass „der Embryo“ und dessen Rechte auch meiner Wahrnehmung nach gerne als Alias-Argument benutzt werden, um ziemlich unreflektiert und vorschlaghammermäßig Kritik gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen zu üben. Das ist natürlich höchst scheinheilig, denn wie gesagt: Für kommendes Leben ggf. letale, auf jeden Fall stark freiheitsbeschränkende und gesundheitsgefährdende Entscheidungen treffen wir in anderen Lebensbereichen ständig, ohne mit dem „heiligen Lebensrecht“ herumzufuchteln….
Ich würde also sagen: Rechte des Embryo ja – nur daraus folgt nicht zwingend „die eine richtige Frist“ oder gar ein generelles Gebot, nicht abzutreiben.
Ich glaube das eine Grenze nur gezogen werden könnte indem das Kind nicht mehr-wie bisher üblich- erst bei der Geburt zur Person mit allen Rechten wird, sondern rückwärts gesehen sagen wir 3 Monate vor dem errechneten Geburtstermin. Nur wer wollte das festlegen? Die katholische Kirche sagt das 3 (?) Wochen nach der Befruchtung die Seele in den Fötus fährt, die Medizin das sich das Nervensystem erst nach 12-24 Wochen Wochen entwickelt, die Technik ermöglicht ein Überleben außerhalb des Mutterleibes nach x Wochen? In dieser Sache, also speziell wann dem Fötus die Menschenrechte voll zuzuerkennen sind bin ich ganz unsicher…
@ MeA
Es würde mich wie gesagt freuen, wenn wir hier weiterdiskutieren könnten, ich hoffe, das ist Dir recht….
„Was ist denn bitte so falsch daran sich beraten lassen zu müssen bevor eine Abtreibung vorgenommen werden kann? Und wieso reicht es nicht dieses innerhalb der ersten drei Monate tun zu können.“
Wenn Du die bisherigen Kommentare gelesen hast, hast Du ja vielleicht schon gesehen, dass die Antwort auf diese Frage nicht so einfach ist und mit Sicherheit von vielen Menschen unterschiedlich beantwortet werden würde. Ich denke, wie gesagt, dass es eine Abwägungsfrage ist, die man durchaus auch anders beantworten könnte, als der deutsche Gesetzgeber es mit der Beratungs- und Fristenregelung getan hat. Über die Länge der Frist kann man diskutieren (siehe Sarah Diehls Kommentar weiter oben), über die Beratungspflicht kann man sich auch streiten. Ich bin da unentschlossen, weil ich wie gesagt auch denke, dass dem ungeborenen Leben bestimmte Rechte zustehen und es in meinen Augen schon auch gute Argumente für die Beratungspflicht gibt. Auf der anderen Seite steht natürlich die Bevormundung der Frau und die Frage nach der Qualität der Beratung. Aber da können Andere hier Dir vielleicht noch klarere und fundiertere Argumente gegen die Beratungspflicht liefern als ich.
„Natürlich gibt es viele Fälle indenen Abtreibungen gerechtfertigt sind, aber es gibt auch viele Fälle indenen eben dies nicht der Fall ist.“
Hm, das finde ich relativ schwierig: In welchen Fällen ist denn eine Abtreibung Deiner Meinung nach „nicht gerechtfertigt“? Und warum? Und wer entscheidet darüber nach welchen Kriterien? Und dann soll die Frau gegen ihren Willen gezwungen sein, ein Kind in ihrem Körper auszutragen und zur Welt zu bringen? Wie gesagt: Find ich sehr schwierig…
„Grundsätzlich sollte doch gelten, wer vögeln kann muss auch Verantwortung übernehmen können.“
Grundsätzlich und in dieser Allgemeintheit würde wahrscheinlich jedeR diesem Satz zustimmen, aber im Konkreten wirds dann eben doch wieder schwierig: Was heißt denn „Verantwortung übernehmen“? Wer legt dafür die Maßstäbe fest? Und was folgt daraus? Wieso ist ein Schwangerschaftsabbruch per se „unverantwortungsvoll“ – zumal nur die Frau von der Entscheidung für oder gegen das Kind körperlich betroffen ist. Und kann eine Abtreibung nicht auch eine sehr verantwortungsbewusste Entscheidung sein? Meiner Wahrnehmung nach wird das „Verantwortungsargument“ erstaunlicherweise meistens benutzt, um abtreibungswillige Frauen zu stigmatisieren. Im Zusammenhang mit zahlungsunwilligen Vätern oder kondomverweigernden Männern höre ich es dagegen eher selten. Geschweigedenn als Forderung an den zeugenden Mann, die Frau bei der Entscheidung, der Durchführung und der Verarbeitung eines Abbruches zu ünterstützen.
„Und eine Abtreibung als einen normalen medizinischen Eingriff zu betrachten der jederzeit vorgenommen werden kann, weil eine Frau dies möchte, halte ich auch für extrem schwierig. Ich hätte Angst, dass Abtreibung dadurch zu einer Art Ersatzverhütung verkommt.“
Ich habe da jetzt keine Zahlen parat, aber ich glaube, das ist ein Mythos. Nach allem was ich weiß und in Gesprächen erfahren habe, ist ein Schwangerschaftsabbruch für viele (nicht alle) Frauen ein einschneidendes Erlebnis in ihrem Leben, dass sie stark beschäftigt und manchmal auch traumatisiert oder körperliche Folgen hat. Ich glaube, dass viele Frauen auch eher Angst davor haben, eine solche Entscheidung treffen zu müssen, und deswegen eben viel Wert auf zuverlässige Verhütung legen (meiner ganz persönlichen und sicher nicht verallgemeinerbaren Erfahrung nach nicht selten auch mehr als die beteiligten Männer). Das ist das, was ich in einem Kommentar weiter oben als „Befruchtungssorge“ bezeichnet habe, die keineswegs dadurch gemildert wird, dass man ja so schön einfach abtreiben kann. Im Gegenteil.
„Ich glaube das eine Grenze nur gezogen werden könnte indem das Kind nicht mehr-wie bisher üblich- erst bei der Geburt zur Person mit allen Rechten wird, sondern rückwärts gesehen sagen wir 3 Monate vor dem errechneten Geburtstermin.“
Jetzt komm ich wieder mit meinem Standard-Satz: Ganz so einfach ist das juristisch auch nicht… ;)
Zumindestens stimmt es nicht, dass das Kind erst bei Geburt zur Person mit allen für diese Frage relevanten Rechte wird, vielleicht liegt hier ein Missverständnis vor mit dem Begriff der „Rechtsfähigkeit“ nach § 1 BGB.
Die – in der Abtreibungsdebatte zentrale – Frage nach der Grundrechtsfähigkeit und der Menschenwürde des Embryos ist verfassungsrechtlich schwer umstritten.
Es gibt verschiedene Positionen, wobei die sog. „herrschende Meinung“ im Groben vertritt, dass ab Verschmelzung von Samen- und Eizelle der Embryo als Mensch mit absolutem Menschenwürdeschutzanspruch anzusehen ist (was daraus folgt, ist dann allerdings ein ziemliches Rumgeeier). Andere bestreiten grundsätzlich die Grundrechtsfähigkeit des Embryos, statuieren aber trotzdem eine gewissen Schutzpflicht oder eine Abwägbarkeit seines Schutzes. Wieder andere (denen ich aus verschiedenen Gründen zustimmen würde), vertreten, dass dem Embryo eine Vorwirkung seiner subjektiven Grundrechte zukomme, die nicht zwangsläufig schwächer sein muss, als das jeweilige Vollrecht. Nur ist diese Rechtsposition nicht absolut, sondern eben abwägbar mit anderen Rechtspositionen (dazu schrieb ich ja schon ausführlich was).
Was aus alledem folgt, wie man die jeweiligen Positionen begründet und welche Argumente für das eine und gegen das andere sprechen, ist wie gesagt ziemlich komplizierter verfassungsrechtlicher und teils auch rechtsphilosophischer Kram. Wenn jemand Interesse daran hat, hier ist ein Text (16 Seiten), der das alles mal eingehend darstellt und auch die entsprechenden Literatur- und Rechtsprechungsnachweise erbringt (mit einem leicht anderen Fokus, nämlich der Embryonenforschung, allerdings mit vielen Parallelen und Verweisen auf die Abtrreibungsdebatte):
http://www.sustainability-justice-climate.eu/files/texts/Menschenwuerde.pdf
Leider werden Abtreibungen ja weiter tabuisiert, teils sogar stärker als früher, denn eine Frau die abtreibt, ist
1. eine Kindsmörderin, so die Kritik auf dem religiös-fundamentalistischen Bereich
2. unfähig zu verhüten, somit dumm oder ein Flittchen das ohne Verhütung mit jedem ins Bett steigt
3. asozial, da sie nicht die wirtschaftlichen Grundlagen hat, um für ein Kind zu sorgen.
Punkt 1 ist von alters her bekannt, zwei und drei treten zunehmend in den Vordergrund. Ein Abbruch ist nicht mehr, wie für die Frauen der Stern-Aktion, eine persönliche, starke, Entscheidung, sondern eine Verzweiflungstat, welche die Gesellschaft so knapp toleriert. Und wehe der Frau, die offen dazu steht. Welche Schwangere sagt heute noch: Ich will abtreiben? Nö, ich muss ist die Sprachregelung. Und selbst wenn man mit Betroffenen ins Gespräch kommt, versuchen sie sich zu rechtfertigen, zu rechtfertigen wie sie doch verhütet haben, sie erzählen Dutzende Gründe, weshalb eine Abtreibung für sie der einzige gangbare Weg ist. Hat aber überhaupt noch eine den Mut zu sagen: Ja, ich bin schwanger und ja, ich will jetzt kein Kind? Kaum. Aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung, aus Angst die Abtreibungsregelung könnte wieder verschärft werden, wenn man selbstbewusst zu dieser Entscheidung steht, wird über das Thema geschwiegen. Nur, wie kann eine für die Frauen günstigere Regelung geschaffen werden, wenn es scheinbar keine Betroffenen gibt? Nur Zahlen in der Statistik? Hat jemand schon eine Politikerin reden gehört: Ich habe abgetrieben und die Folgen der Beratungsregelung, der Wartezeitregelung, der engen Frist, dem „Werbeverbot“ waren für mich erniedrig, ändern wir doch das? „Man“ redet von Frauen die abtreiben immer in der dritten Person, sie, sie machen es. Was mir fehlt ist ein klares „Ich“! Damit kehre ich zum Titel dieses Beitrages zurück, Abtreibungen dürfen nicht tabuisiert werden. Sie dürfen nicht. Aber eben, alle beteiligen sich munter weiter an der Tabuisierung.
Ich weiß schon, dass sowas nicht immer jede Debatte total weiterbringt, möchte aber an dieser Stelle einfach mal einen ganz persönlichen Kommentar abgeben. Mir fällt es teilweise schwer, dieser Diskussion zu folgen, wenn ich hier Sachen lesen muss wie „Abtreibung wird als nachträgliche Verhütung benutzt“, „Abtreibung ist der leichteste Weg“, „Abtreiben ist immer unverantwortlicher als ein Kind auszutragen“. Ich wünsche mir, nein, eigentlich fordere ich, dass hier bitte von sowas Abstand genommen wird. Wie Betti und Kathleen sagen: Das ist ein Mythos. Mich als „potentiell Abtreibungsbetroffene“ – ich bin eine offenbar fruchtbare Frau, habe Sex mit offenbar fruchtbaren Männern, kenne ausschließlich Verhütungsmittel, die nur eine begrenzte Sicherheit bieten, kenne Leben mit (von Beginn an gewünschtem und geliebtem) Kind, habe einen Lebensentwurf, der nicht ausschließlich von Muttersein getragen wird und Abtreibung stellt seit Beginn meines fortpflanzungsfähigen Lebens eine auseinandersetzungsbedürftige Option dar – trifft er mitten ins Herz. Und was es in möglicherweise abtreibungserfahrenen Mitdiskutierenden auslösen mag, wenn sie hier mit sowas konfrontiert werden, mag ich mir gar nicht vorstellen. Ja ja ja: Wir können nie für alle sprechen, ja ja ja: für manche ist Abtreibung möglicherweise nichts wilderes als Beine rasieren oder whatever (wobei ich mich schon frage, wo bitte dieser Eingriff so hürdenlos und einfach herzukriegen ist). Doch selbst wenn, wäre damit die Frage, wie Abtreibung rechtlich-moralisch zu bewerten ist, noch lange nicht beantwortet!
Wir reden hier von einem medizinischen Eingriff, den die Schwangere über sich ergehen lassen muss, der extrem unangenehm sein und fiese Nachwirkungen haben kann. Und vor allem: Die Entscheidung für einen Abbruch ist für viele Frauen das Ergebnis eines gründlichen, schmerzhaften, konsequenzenbehafteten Abwägungsprozesses. Die richtigste Entscheidung ist längst nicht immer die leichteste und schmerzfreieste.
Als ich überraschend schwanger wurde, wusste ich sofort, dass ich das Kind bekommen wollte und daran hat sich bis heute trotz aller – nennen wir es mal: – Widrigkeiten, die Kind haben bedeuten kann (und ich spreche schon aus der privilegierten Position, wo die materielle Grundversorgung sichergestellt ist, keine nennenswerten körperlich-sozial-mentalen Beeinträchtigungen vorliegen, ein soziales Netzwerk Unterstützung bereit stellt), nichts geändert. Die Vorstellung, mich in ein Leben mit Kind begeben zu müssen, obwohl alles in mir und womöglich auch alles um mich herum sagt: es geht nicht – das ist für mich der pure Alptraum. Und wie es für ein Kind sein mag, die „Konsequenz“ zu sein, die nunmal „getragen werden“ muss, anstatt auch nur annähernd erwünscht oder ersehnt zu sein, das „lebensversauende“ Element – einfach nur gruselig. Die Entscheidung für einen Abbruch, vielleicht sogar gegen den eigenen emotionalen Impuls, kann so ungefähr das Verantwortungsvollste überhaupt sein. Seitdem ich Mutter bin, bin ich mehr ‚pro choice‘ denn je.
Ansonsten: alles, was Betti sagt.
@ Anna-Sarah
Zum großen Teil stimme ich dir zu. Aber der Vergleich mit der Rasur der Beine hinkt gewaltig. Natürlich ist eine Abtreibung ein operativer oder medikamentöser Eingriff. Sicher ist es sinnvoll, eine unerwünschte Schwangerschaft mit geeigneten Verhütungsmitteln abzuwenden. Aber wenn die Schwangerschaft eingetreten ist, stellt sich nicht mehr die Frage, ob schmerzfrei und ohne Blut die Beine behaart bleiben oder zur Rasur gegriffen wird. Die Option besteht da zwischen Geburt und Abtreibung. Die Betroffene hat die Wahl zwischen Verschiedenen Strapazen, nicht zwischen Operation und Leben wie vorher ohne Einschränkung. Deshalb würde ich die medizinische Seite nicht überbewerten, da die Frau so oder so einen Eingriff oder Geburt vor sich hat. Verstehst du was ich meine?
Abtreibung ist für mich eine Entscheidung der Frau, einer rechtlich -moralische Diskussion in der Öffentlichkeit kann ich nicht viel abgewinnen. Rechtlich sollte die Möglichkeit einer Abtreibung offen stehen, auch ohne die aktuellen Beschränkungen, moralisch sollte jede Betroffene sich die Frage selbst stellen.
Ich verfolge die Diskussion mit großem Interesse und könnte zu vielen Missverständnissen etwas sagen… Leider fehlt mir dafür gerade die Zeit.
Deshalb nur kurz etwas zur Beratungsregelung:
Der erste Satz aus §219 lautet: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“
Ich bin selbst Beraterin und als ich den Satz zum ersten Mal gelesen habe wurde mir übel.
Wenn ich arbeite tue ich das für die Person die vor mir sitzt. Meine Beratung dient dem Wohlergehen der Frau, die vor mir sitzen muss.
Ich bin gegen die Beratungsregelung.
Viele Argumente für die Beratung drehen sich darum, dass es doch wichtig und gut wäre wenn die Frauen Unterstützung bekommen. Der Zwang würde doch auch helfen, das alle sich beraten und „helfen“ lassen.
Das ist laut dem §219 aber nur ein nachrangiger Effekt. Der erste Satz lautet immer noch: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“
Da ich auch andere Beratungen anbiete und Frauen, die wirklich ambivalent sind und Unterstützung wünschen, mehrmals zur Beratung kommen (freiwillig!) kann ich aus Erfahrung sagen, dass es keine Zwangsberatung braucht, um Menschen in dieser Situation zu unterstützen.
Mal vom Sinn und Unsinn von Beratung abgesehen, kann ich eine Frau die aus Zwang vor mir sitzt auch gar nicht wirklich beraten. Wenn eine Frau nicht das Bedürfnis hat mit mir, der fremden Person die sie sich nicht aussuchen kann, zu sprechen, dann hat sie dieses Bedürfnis nicht. Andere Frauen wiederrum erzählen mir innerhalb der ersten 5 Minuten tausend Gründe dafür dass sie nicht schwanger bleiben „können“. Ganz offenbar haben sie Angst. Angst vor meiner Wertung, Angst das ich ihnen den Schein nicht gebe.
In solchen Augenblicken haben Berater_innen Macht, oder zumindest das Gefühl davon. Aus Erzählungen weiß ich auch, dass nicht wenige diese Macht auch „Schutz des ungeborenen Lebens“ ausnutzen und Frauen moralisch unter druck setzen.
Darum bin ich gegen Beratungszwang.
Und ich weigere mich die Bedürfnisse der Frau die vor mir sitzt bei meiner Beratung aus den Augen zu verlieren.
Dafür hat mir das Gesetz den ersten Satz aus dem SchKG gegeben: „Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen“
@Kathleen: Ich glaube, du hast mich missverstanden bzw. ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Ich wollte mitnichten einen Schwangerschaftsabbruch mit einer Beinrasur vergleichen. Ich wollte mit dieser Formulierung sagen: Selbst WENN eine Abtreibung für eine individuelle Frau eine pipifaxmäßige Bagatelle ist, heißt das nicht, dass damit die Abtreibung automatisch als moralisch-rechtlich fragwürdig delegitimiert werden sollte. Ich behaupte, fühle und weiß allerdings: Für ganz ganz viele Frauen ist eine Abtreibung eben KEINE Bagatelle. Ganz im Gegenteil.
Ganz genau.
@ Anna: Vielen Dank für deine Perspektive!
@ Anna
Volle Zustimmung. Bei einer freiwilligen Beratung wäre auch der Druck weg. Wie empfindest du es, glaubst du manchmal, bei der Beartung würden Frauen sich unter einem Rechtfertigungsdruck befinden?
Bei der Beratung wird ja der Schutz des werdenden Lebens verlangt, aber keiner Frau darf der Schein verweigert werden, wenn sie anwensend ist. Das ist blanker Unsinn und zeigt die Heuchlerei in unserer Gesellschaft.
Meine eindeutige Pro Choice Haltung hat zwei persönliche Hintergründe. Erstens habe ich als Teenie selbst erlebt, was eine ungewollte Schwangerschaft für Konsequenzen hat und wie bevormunedet man durch die gültige Regelung wird, auch wenn die Entscheidung klar und deutlich gefallen ist. Zweitens, das geschah mehr als Zufall, arbeite ich seit einiger Zeit in einer Einrichtung, in der Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Davon bekommt man noch eine ganz neue Perspekive, das die Tabuisierung für Folgen hat. Rein, raus und ja kein Wort zu irgendjemandem. Und immer dieser Schein in der Hand, den man sich bei der Beratung ergatert hat. Kommt man aber ins Gespräch, dann sieht man, wie meistens die wirklich wichtigen Fragen in der Beratung überhaupt kein Thema waren.
@ Anna
Total spannend, vielen vielen Dank!! Für Unentschlossene und auch bislang nur mäßig in dieser Frage Belesene wie mich sind solche Beiträge „aus der Praxis“ total bereichernd! Darf ich Dich mal was fragen, also wie Du aus Deiner Perspektive ein Argument werten würdest, das mir bislang immer noch recht einleuchtend erschien? Vielleicht hast Du ja irgendwann noch mal die Zeit, dazu was zu sagen, wenn Du möchtest.
Also: Ich hab schon ein paar mal gehört, die Pflichtberatung sei insbesondere für die Frauen und Mädchen sinnvoll, die „normalerweise“ nicht den Zugang zu solchen Angeboten und Institutionen haben, also aufgrund von Milieu- oder Sprachbarrieren nicht über die Ressourcen und Kompetenzen verfügen, sich Hilfe/ Beratung zu suchen. Und dass diese Frauen und Mädchen sich häufig gar nicht umfassend informieren könnten/ würden, welche Optionen ihnen für beide Entscheidungsrichtungen zur Verfügung stehen würden, welche ihrer Bedenken gegen ein Kind möglicherweise ausgeräumt werden könnten, wie sie sich gegen ggf. in Richtung Abtreibung drängende Männer oder Familienmitglieder wehren können usw. Und da man diese Frauen nicht anders erreicht, wäre die allgemein verpflichtende Beratung sozusagen „das kleinere Übel“ – trotz der damit einhergehenden Bevormundung. Dann wird manchmal auch noch ergänzend gesagt, dass die Frauen, die sich selbstständig ein solches Angebot klarmachen könnten, auch in der Lage seien, nach einer „Zwangsberatung“ immer noch souverän zu entscheiden. Wie würdest Du das alles aus Deiner Sicht beurteilen?
Dass das „ungeborene Leben“ als primäres Schutzssubjekt der Beratung genannt wird, ist in meinen Augen übrigens deswegen zumindestens nicht total absurd, weil die Tatsache, dass der Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Frau überhaupt staatlich/gesetzlich geregelt wird (und verfassungsrechtlich überhaupt staatlich geregelt werden darf), eben auf der Anerkennung gewisser Rechtspositionen des ungeborenen Kindes beruht. Und da die Beratung in dieses Regularium eingebettet ist, dient sie letztlich dessen Schutz. Ansonsten bräuchte es ja die Pflichtberatung auch nicht, sondern man könnte sagen (wie es ja manche hier auch tun), es geht ausschließlich um Rechtspositionen der Frau, der die alleinige freie Entscheidungsmacht ohne rechtliche Barrieren zuzugestehen sei. Dann wäre natürlich sowohl das rechtliche Regularium als solches, als auch die Beratung als Teil dessen hinfällig.
Ich gebe Dir jedoch völlig recht damit, dass dieser Satz den Fokus „gegen die Frau“ verschiebt…
Ich habe die Diskussion mit großem Interesse erfolgt.
Unter Anderem auch, weil ich selber vor einem halben Jahr abgetrieben habe.
Und ja, es ist ein großes Tabuthema, bis jetzt habe ich niemanden persönlich kennengelernt, der selber mal in der gleichen Situation war. Interessanterweise höre ich aber immer wieder, wenn ich davon erzähle: „meine Mutter/ meine Schwester/ meine Mitbewohnerinnen hatten auch eine Abtreibung“.
Wichtig wäre es meiner Meinung nach, einen öffentlichen Raum zu schaffen in der es möglich ist ohne Scham über dieses Erlebnis sprechen zu können.
Ich persönlich habe die Beratung als sehr unterstützend und in keiner Weise bevormundend oder demütigend erlebt. Es ging vorrangig um mich und darum vollkommen zu dieser Entscheidung stehen zu können. Das geht vermutlich aber nicht allen Frauen so. Wichtig wäre es meiner Meinung nach, die Richtlinien in diese Richtung hin zu verschieben. Ich habe die Betreuung vor der Abtreibung als sehr gut und unterstützend empfunden.
Ich empfand eher danach die Schwelle als sehr hoch, zu einer Nachbesprechung zu gehen und habe keinen Gesprächkreis oder Ähnliches dazu finden können. Vermutlich auch deswegen, weil es ein gesellschaftliches Tabu ist. Dieses Klima kann in keiner Weise dazu beitragen, gut mit diesem Ereigniss umzugehen.
@Abtreibung= leichte Entscheidung Poster_innen: Es wird wohl immer eine schwer getroffene Entscheidung bleiben und ich glaube, dass die Befürchtung, dieser Eingriff könnte zur Routine verkommen VOLLKOMMEN grundlagenlos ist.
@ Jule
Zum letzten Absatz. Natürlich ist es eine schwere Entscheidung und keine Frau treibt gerne ab. Es ist aber eine gewählte Option, die im Vergleich zu anderen Optionen auch positiv gesehen werden kann.
Was du sonst schreibst, ist auch richtig. Bereits zweimal haben mir Bekannte, als ich entweder von meiner Arbeit oder eigenen Abtreibung erzählt habe, gesagt, eine gute Freundin hätte das auch durchgemacht. In beiden Fällen stellte sich erst viel später raus, die angeblich gute Freundin war die Frau selbst, die erst nach dem Abbau einer Hemmschwelle darüber berichet hat. Das ist natürlich traurig, denn nur wenn das Thema offen diskutiert wird, kann man sich gegenseitig helfen.
In deinem Fall war die Beratung vielleicht hilfreich und ich würde das auch nicht leugnen, die Beratung kann helfen. Es geht aber um eine Hürde bei der Entscheidung der Frau, die nicht autonom den Schritt zu einer Abtreibung unternehmen kann, sondern eine Beratung vorgeschrieben bekommt, selbst wenn sie keinerlei Beratung braucht. Auch sind nicht alle Beratungsstellen neutral, teilweise verunsichern sie die Frauen noch stärker.
@Jule
Bekannte von mir arbeiten gerade an einer webseite, wo Frauen über ihre Erfahrungen mit Abtreibungen schreiben können, ähnlich den http://www.theabortiondiaries.com/ oder http://www.abortionconversation.com/. Ich halte das für sehr sinnvoll, um den tatsächlichen Erfahrungen von Frauen Raum zu geben und das Thema nicht weiter zu mystifizieren. Es ist aber noch nicht online.
Ich kann Dir den Kontakt geben wenn Du magst.
@Betti
Ich schätze prinzipiell Deine differenzierten Ausführungen, aber was mir bei der ganzen Diskussion hier fehlt, ist eine Infragestellung dessen, ob diese ganzen Grundsatzdebatten, ob ungeborenes Leben Rechte haben sollte, für uns Frauen eine absolute Luxusdebatte ist, um sich ethisch auf der sicheren Seite zu fühlen.
Betti, du schreibst
dass auch das künftige Leben – nicht nur der individuelle Embryo, sondern zum Beispiel auch die gern zitierten “künftigen Generationen” – bestimmte (Grund- oder Menschen-)Rechte hat, die gegen Lebende wirken können (z.B. hinsichtlich Ressourcen- oder Klimaschutzinteresssen oder eben hinsichtlich des mutmaßlichen Interesses, nicht daran gehindert zu werden, auf die Welt zu kommen). Also auch unabhängig von seinem Entwicklungsstadium.
Gerade diese Vermischung halte ich für problematisch. Denn „künftige Generationen“ wird es tatsächlich geben. Aber der Embryo IST noch nicht der Mensch, dem diese Rechte zu teil werden sollten, da diese sonst die Rechte der Frau in Frage stellen. Der Embryo ist erstmal die Projektionsfläche an dem wir uns abarbeiten, aber es selbst hat noch keinen Willen zum Leben noch kein Bewusstsein. Wessen Rechte werden hier also beschränkt, wenn es noch keine Subjektivität, kein Wille, kein Bewusstein gibt? Das meinte ich, dass es hier mehr um das Unbehagen unserer Gesellschaft geht, die mit dieser Projektion umgehen muss. Die Zeche dafür müssen aber die individuellen Frauen weltweit bezahlen.
Deshalb will ich hier mal ein paar klare Worte sagen:
In meiner Arbeit bin ich seit Jahren mit der Lebensrealität von Frauen konfrontiert, die den Zugang zu sicheren Abtreibungen NICHT haben. Und eben hinter diesem Herumtheoretisieren um die Rechte des ungeborenem Lebens verstecken sich Politiker seit Jahrzehnten, um Abtreibung nicht zu legalisieren. Dahinter steckt aber tatsächlich, dass Politiker die Gebärfähigkeit von Frauen immer wieder benutzen wollen, um durch einseitige emotional aufgeladene Projektionen auf entstehendes Leben fundamentale Frauenrechte eben nicht anzuerkennen, auch in anderen Bereichen.
48.000 Frauen sterben deshalb jedes Jahr an selbstgemachten illegalen Abtreibungen, 5 Mio. tragen lebenslang Gesundheitsschäden davon. 220.000 Kinder werden zu Waisen, weil ihre Mutter an einer illegalen Abtreibung starb (alles WHO Zahlen).
Die Illegalisierung und Stigmatiserung von Abtreibungen führt nie zu einer Reduzierung von Abtreibungen, sondern dazu, dass Frauen zu Bleichmittel und Stricknadeln greifen. IMMERNOCH JEDEN TAG.
Ca. 68 Millionen Frauen werden jedes Jahr ungewollt schwanger und etwa 20 Millionen unsichere (da illegalisierte) Abtreibungen finden jedes Jahr statt.
Das ist der alltägliche Horror von Frauen, wegen unseren moralischen Bedenken bezüglich der Befindlichkeiten von Embryonen.
In Anbetracht dessen finde ich es irgendwie bedenklich, dass Frauen sich ebenfalls in diesem Gedankenspiel über die Rechte des werdenden Lebens verlieren, als die Lebensrealität dieser Frauen anzuprangern. Ich habe manchmal den Eindruck, wir haben vergessen was da auf dem Spiel steht, was tatsächlich passieren würde, wenn der Zugang zu sicheren Abtreibungen weiter in Frage gestellt wird.
Viel problematischer finde ich es, dass es immer mehr Ärzte gibt, die aus Angst vor Rufmord keine Abbrüche mehr machen wollen. Eben weil die Debatte über die Rechte des Embryos überwiegt und die Situation und Bedürfnisse von Frauen nicht anerkannt wird. Wenn wir an der Stigmatisierung von Abtreibung weiter mitmachen, weil wir ethisch auf der sicheren Seite, nämlich der massenkompatiblen, sein wollen, die den Embryo gerne personifiziert, weil es sich so einfach anbietet und wir unsere (sonst elementaren) Menschenrechtsdiskurse daran austesten wollen, drehen wir uns den eigenen Strick.
Abtreibung ist der sicherste chirurgische Eingriff den es gibt, die Komplikationen, Folgeschäden liegen unter 0,1 %. Emotionale Probleme haben m.E. mehr damit zu tun, wie gesellschaftlich heuchlerisch mit dem Thema umgegangen wird, mit der Dämonisierung und Falschinformation von Abtreibunsggegnern, mit der bereits erwähnten Personifizierung des Embryos, statt der Perspektive, dass es sich in den ersten Wochen, in denen 97% der Abbrüche stattfinden eher um einen biochemischen Vorgang handelt, bei dem sowieso 20% aller befruchteten Eizellen abgehen (oft ohne, dass Frauen überhaupt merkten, dass sie schwanger waren) und dass den Frauen ein Raum an Austausch und v.a. Selbstverständnis über ihre Rechte fehlt.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte ethische Diskussion um Menschenrechte für fundamental, gerade deshalb finde ich es so unverantwortlich, dass diese Betrachtung auf sich in Frauen befindliches werdendes Leben als in irgendeiner Form gleichwertig betrachtet wird, als tatsächlich lebende Frauen.
Manchmal wünsche ich mir wirklich das Selbstbewusstsein der Frauengesundheitsbewegung aus den 70er Jahren zurück. Die wussten noch worum es geht, deren Freundinnen und Anverwandten sind nämlich tatsächlich noch bei illegalen Abtreibungen draufgegangen.
Tschuldigung, hab gerade wieder so’n Fall erlebt, da ist mir jetzt der Kragen geplatzt.
@betti
wenn eine verpflichtende beratung für alle das kleinere übel sein soll dem gegenüber einige fehlentscheidungen oder zwangsentscheidungen von individuen stehen, dann frage ich mich, warum es keine verpflichtenden elternkurse für alle gibt, die wären auch das kleinere übel zu verhaltensauffälligen, adipösen kindern. eine stärkere überwachung im netz wäre demnach auch das kleinere übel zu kinderpornographie.
@nw
„Beim Schwangerschaftsabbruch kommt dein Recht auf deinen Körper in Konflikt mit dem Recht des Embryos auf Leben. “
nein, da kommt gar nichts in konflikt, denn ein recht auf leben des embryos ist eine annahme, der ich nicht zustimme. kannst du für dich so sehen, ich sehe das anders. und weil es eben sehr viele sehr unterschiedlich sehen bin ich dafür das so zu regeln wie die religiöse geschichte: religion- und glaubensfreiheit, jede so wie sie meint, dass es richtig ist.
Für die die das Thema weiter interessiert, hier gibt es aktuelle updates über den Kampf um reproduktive Rechte v.a. um Abtreibung international.
Da kann man sehr gut ablesen, wie umkämpft und prekär das Thema ist
http://europeanprochoicenetwork.wordpress.com
Als Ergänzung zu oben: Ich finde es im Übrigen ebenfalls verantwortungslos, Frauen einzureden, dass sie eine Verantwortung gegenüber Embryonen haben und sie dann mit diesen Schuldgefühlen allein zu lassen. Schuldgefühle wurden schon immer benutzt, um Frauen für die Reproduktionsarbeit zu disziplinieren.
@Sarah: Ich verstehe und teile total deine Wut über die Gewichtung bestimmter Aspekte des Abtreibungsthemas im allgemeinen/politischen Diskurs. Ich hab nur das Gefühl, die kriegt hier grade so ein bisschen „die Falsche“ ab: Wenn ich das richtig sehe, argumentiert Betti hier ja überwiegend nicht normativ oder gar ‚im Zweifel pro Embryonenschutz‘, sondern analysiert juristische Aspekte, die hier berührt werden. Sie weist doch auch immer wieder darauf hin, dass derartige Überlegungen NICHT wie oft üblich gegen Frauen instrumentalisiert werden dürfen. Jedenfalls verstehe ich ihre Ausführungen ganz deutlich so.
Und @Alex: Das „kleinere Übel“-Argument vertritt nicht Betti, sondern sie zitiert da diese Positionen und bittet die Praxisexpertin um ihre Einordnung dieses Arguments. Ich möchte dich auch bitten, andere Auffassungen nicht so nonchalant „abzubügeln“ wie in deinem letzten Kommentar.
@anna-sarah
ich sehe nicht, wo ich betti normatives argumentieren unterstellen würde, auch nehme ich keinen bezug darauf, wer das argument ins feld führt, ist mir ziemlich egal, wer so argumentiert. falls jemand so argumentiert ist es einfach sehr kurz gedacht.
ich bügle in der regel dummes ab und das werde ich auch weiterhin tun, wobei sich mir nicht erschließt, was du an meinem kommentar jetzt nonchalant findest, was ich schreibe ist einfach logisch, und ehrlich gesagt interessiert mich deine meinung jetzt nicht mehr.
ganz ehrlich, wenns dir nicht passt, dann beschwer dich und lasse löschen oder lösche selber, falls du diese möglichkeit hast, aber bitte, ich hab eine mama, mein bedarf ist ausreichend gedeckt. aber danke für das angebot, voll lieb von dir.
@alex: Huch. Welches Angebot denn jetzt? Und der erste Teil meines Kommentars war doch gar nicht an dich gerichtet…
Weil du es anders siehst, gilt es nicht? Das wirkt auf mich ziemlich lässig-beiseiteschiebend, nonchalant eben. Ebenso, andere Perspektiven als deine „dumm“ zu nennen.
Ich kann übrigens natürlich hier alles löschen, wenn ich will, fänd aber schöner, wenn es ohne das ginge und wir hier einfach alle sachlich, respektvoll und höflich miteinander kommunizieren könnten. Das wünsche ich mir von allen, die hier kommentieren, und auch von dir.
sehr richtig, liebe anna-sarah. weil das eine nicht zu beweisende annahme ist kann ich ganz einfach eine andere annahme treffen ohne sie begründen zu müssen. das ist so, wie wenn jemand davon ausgeht, dass es gott gibt. da es weder zu beweisen ist, dass es ihn gibt, noch dass es ihn nicht gibt, brauche ich gar nicht sachlich zu argumentieren und kann einfach auch meinen glauben verkünden und der ist nun mal, dass der embryo kein recht auf leben hat.
„Weil du es anders siehst, gilt es nicht?“
kontext. ich zitiere mich mal selber: „und weil es eben sehr viele sehr unterschiedlich sehen bin ich dafür das so zu regeln wie die religiöse geschichte: religion- und glaubensfreiheit, jede so wie sie meint, dass es richtig ist.“
du kannst für dich gelten lassen was du magst.
@ Sarah Diehl
Vielen Dank erstmal für Deine ausführliche Antwort, bzw. Deinen ausführlichen Kommentar.
Ich habe jetzt grad ein wenig ein Problem, wie ich darauf reagieren soll. Denn ich finde eigentlich fast alles was Du schreibst absolut nachvollziehbar, wichtig und richtig. Insofern sehe ich uns – von einem Punkt abgesehen, nämlich der Frage der Rechtsfähigkeit von Embryonen – gar nicht wirklich auseinander. Ich verstehe, dass für Dich und andere unmittelbar mit dem Thema Befasste und für Menschen, die ständig mit der Realität dessen konfrontiert, was Abtreibung heute noch für viele Frauen (insb. weltweit) heißt, dieser ganze rechtshintergründige Diskurs nicht immer zentral ist – weil die Realität ganz andere Probleme hat, die Du in Deiner Arbeit und in Deinem Kommentar ja auch sehr anschaulich sichtbar machst. Und auch, dass solche theoretischen Diskurse immer Energien und Räume binden, die vielleicht auch teilweise besser für andere Aspekte der Debatte genutzt wären, um die Dramatik und das ganze Ekelhafte, was die politischen Hintergründe betrifft, aufzudecken, zu bekämpfen und ins Bewusstsein (zurück-)zuholen. Und dennoch würde ich sagen: Das alles widerspricht meiner Position nicht. Es sind nur einfach andere (vielleicht auch wichtigere) Aspekte des gleichen riesenhaften und beschissenen Problems.
Mit einer (rechts- und gerechtigkeits-)theoretischen Herleitung löst man natürlich kein Problem in irgendeiner Praxis, aber ich sags jetzt mal so ganz doof: Das ist auch nicht „mein Job“ bzw. besser: meine selbstgewählte Rolle. Ich bin eben Rechtswissenschaftlerin und aufzuzeigen, warum der gängige rechtswissenschaftliche Diskurs zum Thema Abtreibung in Deutschland an vielen Stellen verfehlt ist und deswegen auch zu teils hanebüchenen Ergebnissen kommt, wäre eben mein „Beitrag“. Außerdem denke ich, dass eine gut begründbare Herleitung bestimmter Positionen diese stärken kann, auch wenn sie per se wie gesagt keine Praxis ändert. Insofern kann man das natürlich als Luxusproblem bezeichnen, aber ich denke, auch solche eher grundsätzlichen Debatten haben ihre Daseins-Berechtigung. [Persönliche Perspektive: Zum Beispiel eben auch in Sachen Neu-Belebung von Positionen und Kämpfen – für mich ganz persönlich ist z.B. das Thema Abtreibung und die häufige Absurdität der entsprechenden (rechtswissenschaftlichen) Debatten dadurch erst wieder richtig auf den Bildschirm gerückt, als ich mich mit theoretischen Begründungsmustern von „Nachhaltigkeitsrechten“, Menschenrechten im Klimaschutzdiskurs und der Frage nach der Begründbarkeit intergenerationeller Rechtswirkungen befasst habe.]
Und nun noch kurz zu unserem – so weit ich das sehe einzigen – Dissens-Punkt:
Du schreibst:
„Gerade diese Vermischung halte ich für problematisch. Denn „künftige Generationen“ wird es tatsächlich geben. Aber der Embryo IST noch nicht der Mensch, dem diese Rechte zu teil werden sollten, da diese sonst die Rechte der Frau in Frage stellen.“
Vielleicht verstehen wir uns auch falsch, aber GENAU diese Formulierung („die Rechte der Frau in Frage stellen“) trifft nicht meine Position, bzw. verzerrt sie ein wenig. Ich sage, ganz vereinfacht: Dem künftigen Leben (erstmal ganz generell, egal ob individueller Embryo oder „zukünftige Menschen“) können bestimmte Grundrechtspositionen zukommen. Diese sind aber – wie ALLE anderen Rechte auch – abwägbar und durchaus auch komplett wegwägbar. Das heißt, die Rechte der Frau können in einer Abwägung (oder mit anderen Worten: einer möglichst umfassenden Diskussion aller relevanten Aspekte) auch komplett „gewinnen“. Es könnte durchaus sein, dass dabei am Ende als die richtige (evtl. sogar verfassungsrechtlich gebotene) Entscheidung herauskommt, Abtreibung komplett zu legalisieren, ohne jegliche Einschränkung. Ich selbst fühle mich allerdings argumentativ bei Weitem nicht gerüstet, eine solche Abwägung selbst komplett vorzunehmen, ich sage nur etwas zu dem in meinen Augen richtigen verfassungrechtlichen Rahmen. Ein entscheidender Unterschied zum Generationen-/Nachhaltigkeits-/Klimaschutzthema, der die Position der Frau aber in meinen Augen massiv stärkt, ist natürlich, dass der fragliche Vorgang in IHREM Körper stattfindet.
„Der Embryo ist erstmal die Projektionsfläche an dem wir uns abarbeiten, aber es selbst hat noch keinen Willen zum Leben noch kein Bewusstsein. Wessen Rechte werden hier also beschränkt, wenn es noch keine Subjektivität, kein Wille, kein Bewusstein gibt?“
Wie gesagt: Ich würde künftigem Leben keine sog. Vollrechte zugestehen, aber eine Vorwirkung der „in ihm angelegten“ Rechtspositionen, die aber eben auch in eine Abwägung einzustellen ist. Und das gilt eben genauso, wenn ich begründe, warum ich Klimaschutz für zwingend geboten halte, wie wenn ich sage, dass der individuelle Embryo bestimmte „Rechte“ hat, die aber ja nicht absolut (gegen die Frau) wirken. Alles andere ließe sich m.E. auch nur schwer begründen: Ich kann nicht einerseits sagen, dass ich in Ausübung meiner Grundrechte die der kommenden Generationen massiv beschneide und deswegen für fundamentale politische Neuausrichtungen in der globalen Umwelt- und Sozialpolitik votieren, wenn ich gleichzeitig nicht auch die „manifeste“ Form des Embryos (sozusagen zwischen kommendem Leben und geborenem Menschen) genauso einsortiere. Und das alles knüpft sich in meiner Position eben nicht an vorhandene Subjektivität, sondern ans potenzielle Menschsein.
„Das meinte ich, dass es hier mehr um das Unbehagen unserer Gesellschaft geht, die mit dieser Projektion umgehen muss. Die Zeche dafür müssen aber die individuellen Frauen weltweit bezahlen.“
Uneingeschränkt: JA! Das ist zweifelsohne so. Ich kann aber eine in meinen Augen richtige Position nicht deswegen verlassen, weil sie ekelhafterweise und doppelmoralisch bis zum Anschlag instrumentalisiert und verdreht wird. Das ist aber vielleicht auch ein Problem der Debatte, die sehr kontradiktorisch angelegt ist: ENTWEDER negiert man Rechtspositionen des Embryos, um die Rechtsposition der Frau zu stärken. ODER man bejaht die Rechtsposition des Embryos, um die Rechtsposition der Frau zu schwächen. Ich würde aber eben sagen, man kann die Rechtsposition des Embryos bejahen, auch OHNE automatisch die Rechtsposition der Frau zu schwächen.
@ alex
„wenn eine verpflichtende beratung für alle das kleinere übel sein soll dem gegenüber einige fehlentscheidungen oder zwangsentscheidungen von individuen stehen, dann frage ich mich, warum es keine verpflichtenden elternkurse für alle gibt, die wären auch das kleinere übel zu verhaltensauffälligen, adipösen kindern. eine stärkere überwachung im netz wäre demnach auch das kleinere übel zu kinderpornographie.“
Hmmm, also erstmal war das in erster Linie eine Frage „an die Praxis“, weil ich es interessant fände, wie jemand, die tagtäglich mit Frauen über Abtreibung spricht, diesen Punkt einschätzt. Zum ersten werden beide Fragen die Du in den Raum stellst und offenbar für Dich schon völlig geklärt hast (und wenn ich Dich richtig verstehe auch ein wenig absurd findest) ja durchaus immer mal wieder diskutiert – mit stärkeren und schwächeren Argumenten, aber anscheinend gibts ja auch dort Menschen, die das etwas schwieriger finden als Du, dazu eine Position zu finden. In dieser leicht sarkastischen Kurzform kann ich jetzt nicht wirklich sagen, ob ich Deinen Einwurf für die Beantwortung meiner oben gestellten Frage inhaltlich weiterführend finde oder nicht. Deswegen bin ich ein Fan von ausführlichen Begründungen: So fällt es mir jetzt sehr schwer, nachzuvollziehen, wo ich da jetzt Parallelen sehe und wo nicht, wie ich mich dazu positionieren würde und wieso das von mir zur Diskussion gestellte Pro-Pflichtberatung-Argument anscheinend so völlig absurd und „dumm“ ist. Vielleicht gäbe es da ja durchaus auch noch mehr Positionen als ja/nein, z.B. sowas wie: Umstrukturierung und inhaltliche Neuausrichtung der Beratung, besser/anders ausgebildete Berater und Beraterinnen, dafür aber weiter Beratungspflicht oder sowas… Wie gesagt: Ich weiß es nicht, es war eine Frage.
@ alex
„weil das eine nicht zu beweisende annahme ist kann ich ganz einfach eine andere annahme treffen ohne sie begründen zu müssen. das ist so, wie wenn jemand davon ausgeht, dass es gott gibt. da es weder zu beweisen ist, dass es ihn gibt, noch dass es ihn nicht gibt, brauche ich gar nicht sachlich zu argumentieren und kann einfach auch meinen glauben verkünden und der ist nun mal, dass der embryo kein recht auf leben hat.“
Da auf dieser Seite häufiger mal und in meinen Augen meistens zu Recht auf die Notwendigkeit der Belesung in komplizierten und geschichtsträchtigen Wissenschaftsdiskursen hingewiesen wird, mach ich das jetzt einfach auch mal: Die Frage der Grundrechtsfähigkeit ungeborenen Lebens und der entsprechenden Einzelheiten ist eine alte und intensiv geführte Debatte in den Rechtswissenschaften und der (Rechts-)Philosophie. Hier werden verschiedene Erkenntnis- und BEGRÜNDUNGS-Muster diskutiert, die weit über „ich glaube daran oder auch nicht“ hinausgehen. Als Einstieg empfehle ich nochmal den Text, den ich weiter oben verlinkt habe. Ich finde, Du machst es Dir hier wirklich etwas zu einfach, wenn Du Dich in so einer hochkomplexen Angelenheit auf „naja, is doch alles Glaubenssache“ zurückziehst. Wäre das so, bräuchten wie hier nix zu diskutieren, was über Naturwissenschaften hinausgeht.
@ Sarah Diehl:
Zwei Punkte sind mir noch wichtig, auch weil ich mich tatsächlich ein wenig missverstanden/ fehleinsortiert fühle:
1. Viele der furchtbaren Probleme, die Du schilderst entstehen doch gerade durch die Illegalität und Stigmatisierung von Abtreibung. Deswegen bleibt es doch aber auch gerade wichtig, verfassungsrechtlich tragfähige Begründungen zu entwickeln, warum Abtreibung NICHT illegal sein darf, wieso es vielleicht sogar verfassungs-/menschenrechtswidrig ist, wenn sie es ist. Und genau solche Überlegungen habe ich hier versucht, zu schildern – da die gängigen Antworten im Rechtsdiskurs mich nicht überzeugen und in meinen Augen zu falschen Ergebnissen führen.
2. WENN man dem Embryo die Grundrechtsfähigkeit abspricht, muss man sich in meinen Augen schon auch fragen lassen, wie/warum dieser vor ANDEREN Handelnden als der Schwangeren geschützt sein soll. Wäre z.B. die gegen den Willen der Frau vorgenommene Abtreibung dann „nur“ eine „normale“ Körperverletzung der Frau? Ist Embryonen- und Stammzellenforschung etc. dann auch automatisch ganz unproblematisch? Und was macht man, wenn Naturwissenschaftler irgendwann rausfinden, dass der Embryo doch schon ab einem viel früheren Stadium eine gewisse Subjektivität hat? Müssen dann alle Frauen, die später abgetrieben haben, sich dann die Frage gefallen lassen, ob sie nicht dann doch schon einen Grundrechtsträger illegalerweise „getötet“ haben? Und wie bestimmen wir, wer festlegt, ab wann Leben auch grundrechtsfähig ist, also ab wann der rechtlose Embryo ein Mensch wird?
Ich möchte hier nicht derailen oder den Thread verstopfen, sondern mehr deutlich machen, dass jede Festlegung in dieser sehr grundsätzlichen Frage in anderen Konstellationen zu ganz unterschiedlichen Konsequenzen führen kann. Und das alles umgeht man mit der von mir dargestellten Auffassung, nach der man in jeder einzelnen Konstellation über die Abwägung der jeweiligen Belange zu ganz unterschiedlichen Antworten kommen kann.
Etwa nach einem Drittel des Threads diskutierten @NW und @Magda Zahlen zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Zahlen kamen mir etwas gar hoch vor. Ich habe sie mal für die Schweiz für 2010 beim Bundesamt für Statistik nachgeschaut.
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/14/02/03/key/03.html
Am besten kann ich mir was unter der Zahl Anzahl Abbrüche pro Geburten vorstellen. Da heissts 133/1000, das macht 7.5. Das BFS macht allerdings keine Angaben über Fehlgeburten, und diese Zahlen liessen sich auf die schnelle nicht auftreiben. D.h. weniger als jede 7.5 Schwangerschaft wird mit einer Abtreibung beendet. Bei im Moment 1.5 Geburten pro Frau heisst das weniger als jede 5. in der Schweiz wohnhafte Frau hat einmal im Leben einen Schwangerschaftsabbruch. Das kommt mir jetzt schon viel vernünftiger vor…
@betti
du meinst, die einschätzung bezüglich der einschränkung MEINER freiheit der praxisfrau ist interessanter als meine meinung, mir nicht mit dieser billigen „es geht ums allgemeinwohl“-polemik schuldgefühle einreden lassen zu wollen, ich mir MEINE freiheit nicht gewillt bin einschränken zu lassen, weil hier ein paar herum laufen, die zu dumm sind oder sich in abhängigkeitsverhältnissen befinden, diese entscheidung ohne beratung treffen zu können und ich weiters nicht gewillt bin, das ausbaden zu müssen, dass die zu dumm sind, weil sie nicht richtig aufgeklärt wurden, weil sich die selben leute, die MEINE freiheit einschränken wollen, auch dagegen wehren, den nachwuchs vernünftig aufzuklären, und gleichzeitig auch diejenigen sind, die zwang auf die frauen ausüben und auch die, die das thema abtreibung tabuisieren? warum wird nicht die „freiheit“, die diese leute sich heraus nehmen, eingeschränkt, die solche unaufgeklärten frauen produzieren oder frauen unter druck setzen und dazu beitragen, strukturen zu erhalten, die ungewollt/ ungeplant schwangere in notsituationen bringen, sondern meine?
ich mache es mir nicht einfach. es ist nicht leicht, zu akzeptieren, dass andere einen weg gehen, den man selbst für falsch hält.
Aha, ihr habt natürlich die Zahlen weltweit angeschaut, und da sind die Zahlen vielleicht höher. Das kann sein, dass es weltweit sogar jede dritte Frau einmal im Leben eine Abtreibung vornimmt.
Es ist offensichtlich, dass die Zahl der Abtreibungen umgekehrt abnimmt zum Grad der Aufklärung über Verhütungsmethoden, dem Zugang zu Verhütungsmitteln und der sexuellen Selbstbestimmung und restlichen Unabhängigkeit der Frauen… Ich frage mich, ob wir wirlklich en Detail die Argumente der Gegner eines legalen Schwangerschaftsabbruchs diskutieren müssen, wenn so klar ist, mit welchen Mitteln diese Zahlen tatsächlich sinken. Denn empirisch ist längst gezeigt, dass ein gesetzliches Verbot genau nichts ausrichtet gegen Schwangerschaftsabbrüche. Vielleicht gibt es etwas weniger Abbrüche mit einem Verbot, und dafür steigen die Todesraten der Frauen, die illegal einen solchen vornehmen. Da ist ja überhaupt nichts gewonnen. Und gleichzeitig ist auch klar, dass keine Frau ein solcher Entscheid leicht nimmt. Und der Eingriff selbst, das ist doch genau so beschissen.
Und so komm ich zum Schluss: Abtreibungsgegner_innen denen das ungeborene Leben tatsächlich am Herzen liegt, sind engagierte Feminist_innen.
„Ich frage mich, ob wir wirlklich en Detail die Argumente der Gegner eines legalen Schwangerschaftsabbruchs diskutieren müssen, wenn so klar ist, mit welchen Mitteln diese Zahlen tatsächlich sinken.“
Ich halte es für wichtig, zu wissen, wieso ich für welche Form des Schwangerschaftsabbruch bin. Ich, wie vermutlich auch ein Teil der Gesellschaft, können den prinzipiellen Argumenten der Gegener zustimmen, auch wenn nicht voll. Ich gestehe dem Fötus kurz vor der Geburt Rechte zu, dem Zellhaufen zu Beginn der Schwangerschaft nur sehr bedingt. Ich halte es für wichtig wie Sarah Diehl zeigt, was ein Embryo vor der 24 Woche bedeutet um mir wiederum klar zu machen, wieso die Übertragung meines Bildes eines Fötus kurz vor der Geburt auf den gesamten Werdegang des Embryos unsinnig ist.
Für mich macht es einen Unterschied, ob ich dem straffreien Schwangerschaftsabbruch zustimme, weil es sowieso illegale Abbrüche gibt, oder ob ich für einen legalen Schwangerschaftsabbruch bin, weil ich das Selbstbestimmungsrecht einer Frau über ihren Körper höher einschätze als die eines Zellhaufens.
So kommt auf mich (in der Schweiz) in etwa 2-3 Jahren eine Abstimmung über die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruch über die Krankenkasse zu. Unter anderem mit der Begründung, dass es so weniger Abtreibungen gebe, wie Studien aus den USA gezeigt haben sollen (http://www.drs.ch/www/de/drs/nachrichten/schweiz/282292.krankenkasse-soll-abtreibungen-nicht-mehr-bezahlen.html).
@alex: Ich bitte dich noch einmal, deinen Ton zu mäßigen. Es geht hier nicht um „Dummheit“ irgendwelcher Leute und auch nicht nur um deine persönliche vermeintliche Freiheit, es geht um eine hochkomplexe Materie. Diese Komplexität findet in der Diskussion hier bisher angemessene Behandlung, finde ich, und es wäre schön, wenn das bei aller Emotionalität, die hier ins Spiel kommen kann, so bliebe.
@ alex
„du meinst, die einschätzung bezüglich der einschränkung MEINER freiheit der praxisfrau ist interessanter als meine meinung (…)“
Nö, natürlich nicht per se, aber mich persönlich hat jetzt mal grade beim Stellen der Frage eben spezifisch diese Perspektive besonders interessiert, also ob da überhaupt was dran ist. Mehr wollte ich gar nichht sagen.
„(…) mir nicht mit dieser billigen “es geht ums allgemeinwohl”-polemik schuldgefühle einreden lassen zu wollen(…)“
Ich finde die Überlegung erstmal weder billig noch polemisch und sehe auch nicht, wieso er Dir Schuldgefühle einreden will. Es ging mir darum, abzuklopfen, ob es nicht auch Aspekte gibt, die eine Beratungspflicht evtl. nicht komplett ablehnungswürdig erscheinen lassen. Es geht auch nicht ums Allgemeinwohl, sondern um individuelle Frauen. Kann ja auch sein, dass das Ganze Quatsch ist (nochmal: es war eine FRAGE), aber das kann ich aus meinem von der Praxis entfernten Blick eben schwer einschätzen.
„(…)ich mir MEINE freiheit nicht gewillt bin einschränken zu lassen, weil hier ein paar herum laufen, die zu dumm sind oder sich in abhängigkeitsverhältnissen befinden, diese entscheidung ohne beratung treffen zu können und ich weiters nicht gewillt bin, das ausbaden zu müssen, dass die zu dumm sind, weil sie nicht richtig aufgeklärt wurden, weil sich die selben leute, die MEINE freiheit einschränken wollen, auch dagegen wehren, den nachwuchs vernünftig aufzuklären, und gleichzeitig auch diejenigen sind, die zwang auf die frauen ausüben und auch die, die das thema abtreibung tabuisieren?“
Hmmm, also ganz ehrlich: Ich finde Du redest hier erstens von einem extrem privilegierten Standpunkt aus, zweitens hat das was ich geschildert hatte, NICHTS mit Dummheit zu tun (ich mein, bitte: seit wann reden wir hier über Milieu- und Sprachbarrieren unter dem Chiffre „Dummheit“?!) und drittens geht es doch gerade darum Abhängigkeitsverhältnisse zu umgehen. Und ja, auch Deine persönliche Freiheit ist ein abwägbares Grundrecht, genau wie meine und die von allen Menschen. Und genauso wie ich finde, das unsere heutige Freiheit ganz massiv zugunsten der Rechte von Menschen in anderen Weltregionen und künftigen Menschen eingeschränkt gehört, könnte man natürlich grundsätzlich auch darüber diskutieren, ob die Freiheit der selbstbestimmteren und sozial gebildeteren Frauen zugunsten der weniger selbstbestimmten und sozial gebildeten Frauen eingeschränkt werden dürfte – mit welchem Ergebnis auch immer…
„warum wird nicht die “freiheit”, die diese leute sich heraus nehmen, eingeschränkt, die solche unaufgeklärten frauen produzieren oder frauen unter druck setzen und dazu beitragen, strukturen zu erhalten, die ungewollt/ ungeplant schwangere in notsituationen bringen, sondern meine?“
Ja, fänd ich natürlich auch besser und erstrebenswert, aber ich sehe einfach das Problem (wenn es empirisch denn eins ist, deswegen ja meine Frage oben) im Hier und Jetzt: Die Frau die JETZT ungewollt schwanger ist, kann es sich nicht leisten, darauf zu warten, dass wir Milieus, Unterdrückung und das Patriachat abschaffen… So ein bißchen wie bei der Street-Harassment-Sache: Natürlich müssen sich auf gesellschaftspolitischer Ebene Strukturen ändern, damit es gar nicht so weit kommt, aber bis dahin/ parallel dazu kann man Frauen auf der individuellen Ebene auch den „praktisch“ orientierten Tip geben, Selbstverteidigungskurse zu machen und Belästigern die Fresse zu polieren.
Und nochmal – das geht jetzt nicht nur in Deine Richtung, Alex: Mir ist klar, dass teilweise Punkte wie von mir hier vorgebracht, sehr gerne von Abtreibungsgegnern instrumentalisiert werden, in der Regel aber sehr verdreht und mit falschen Schlussfolgerungen und und und. Dennoch würde ich darum bitten, mir nicht Tendenzen in den Mund zu legen oder hier eine Diskussionssituation aufzubauen, die sich in erster Linie aus berechtigter Empörung über Abtreibungsgegner speist. Ich glaube, damit verschwenden wir alle unsere Energie. Falls das bei irgendwem noch nicht richtig angekommen ist: Ich argumentiere GEGEN die Illegalität von Abtreibung – hier und weltweit. Nur über den konkreten Modus der Ausgestaltung bin ich – aufgrund mangelnder Expertise – bislang in einigen Fragen unentschlossen.
„Und gleichzeitig ist auch klar, dass keine Frau ein solcher Entscheid leicht nimmt. Und der Eingriff selbst, das ist doch genau so beschissen.“
Ich habe vorhin selbst etwas in diese Richtung geschrieben, finde es aber nach Sarah Diehls Ausführungen im Video und im Kommentar inzwischen fast schon wieder problematisch. Wir bauen hier in vielen Kommentaren so ein wenig das selbstverständliche Bild auf: „Die RICHTIGE Schwangerschaftsabbrecherin denkt ganz viel drüber nach und grämt sich und hat danach auch noch Schmerzen, wissen wir doch alle, wie schwer so eine Entscheidung ist“.
Würde ich zu den Frauen gehören, die ohne viel emotionalem Heckmeck und halt „mal eben so“ abgetrieben haben (und unter den hier zur Verfügung stehenden verhältnismäßig unkomplizierten medizinischen Bedingungen), würde ich mich jetzt schon wieder moralisch hinterfragt fühlen, wenn ich diesen Thread gelesen habe. Deswegen ist es m.E. auch wichtig, immer wieder klar zu machen (Anna-Sarah hat das oben schonmal irgendwann gesagt): Selbst WENN Abtreibung für alle Frauen was ganz Leichtes und Unproblematisches WÄRE, würde das noch lange nicht bedeuten, dass Abtreibung DESWEGEN was Problematisches ist.
@ Betti
Dieses aktuell verbreitete Bild einer Frau in einer puren Verzweiflungslage ist problematisch. Sicher werden die alten Sprüche wie „mein Bauch gehört mir“ der Komplexität der Entscheidungsfindung nicht gerecht. Aber heute argumentiert man für eine Legalisierung der Abtreibung immer wieder mit dem Argument absolut verzweifelter Frauen, die so etwas ganz ungern tun, sich aber gezwungen sehen. Das ist ein falsches Bild, da der Abbruch einer Schwangerschaft die günstigere Option sein kann, zum Beispiel damit die Betroffene ihren Lebensentwurf verwirklichen kann, der mit einem Kind nicht möglich wäre. Viele Frauen entscheiden sich eben für einen Abbruch nicht weil sie vergewaltigt worden sind, der Partner von dem sie sich trennen wollen gewalttätig ist, sie in ihrer 3 Raumwohnung kein viertes Kind aufziehen können. Die Gründe sind häufig viel banaler. Und das ist eben legitim, eine Schwangerschaft abzubrechen, weil dies von der Frau so gewünscht wird, nicht weil es eine absolute Ausnahmesituation ist. Das stört mich an der aktuellen Diskussion immer wieder, die mit Extremfällen arbeitet. Diese Fälle gibt es natürlich immer wieder und sie sind besonders tragisch, für die Frau auch schwer zu verarbeiten, wenn sie von ihrer Einstellung her ein Kind wollen würde, oder allgemein ethische Vorbehalte gegen Abbrüche hat, auf Grund der Zwangslage aber so entscheidet. Aber man soll dies immer als Extremfall sehen und ganz ehrlich sagen, daß in sehr vielen Fällen solche extremen Gründe nicht vorhanden sind.
Und noch eine Ergänzung, um das mit der Pflicht-Beratung nochmal ein wenig zu entschärfen und zu zeigen, was ich meine mit „vielleicht grundsätzlich ja nicht abzulehnen, sondern inhaltlich anders auszurichten und zu organisieren“:
Dem Vergleich mit der Street-Harassment-Sache könnte man jetzt entgegnen „Ja, aber Selbstverteidigungskurse sind ja nicht verpflichtend“
Ich würde halt sagen, dass es doch auch andere Möglichkeiten gäbe, so etwas – wie auch die Abbruchsberatung – zu organisieren, parallel zum Kampf gegen die ermöglichenden Strukturen. Man könnte zum Beispiel theoretisch im Sportunterricht sowas wie „Selbstverteidigung für Mädchen“ implementieren (also quasi eine Art Grundausbildung für alle „verpflichtend“ machen). Genauso könnte man das Thema Abtreibung auf die Lehrpläne setzen, mit vernünftiger/umfassender Aufklärung über alle möglichen Aspekte. Damit hätte man auch so eine Art „Pflicht-Beratung“ für alle implementiert und würde vielleicht eine allgemeinen Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Thema fördern. Zusätzlich könnte es weiterhin freiwillige individuelle Beratung geben, zu der dann nur eben vielleicht der allgemeine Zugang erleichtert wäre.
Auch das wäre natürlich Zukunftsmusik, aber ich will eben versuchen, deutlich zu machen, dass es vielleicht nicht immer ein absolutes JA oder NEIN sein muss.
@ Kathleen
Stimmt, Du hast schon oben mehrfach darauf aufmerksam gemacht! Ich finde, damit hast Du total recht: Auch (vielleicht sogar GERADE) der ganz banale Abtreibungsgrund „will kein Kind, punkt!“ muss aus dieser Schmuddelecke raus, in die er durch öffentliche Debatten, das herrschende Verständnis des geltenden Rechts und die Finanzierungssituation herrscht.
Frage nochmal an die Expertinnen: Weiß hier jemand ad hoc, ob die Frau, die ihre Abtreibung selbst zahlen muss, weil sie ohne medizinische oder kriminologische Indikation abtreibt, theoretisch einen Anspruch auf hälftige Kostenübernahme durch den Mann hätte?
@ Betti
Der pure Wille der Frau keine Schwangerschaft auszutragen ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Das verstehe ich gerade bei den Embryo-Schützern am wenigsten, weil, gehen sie von einem Lebensrecht des Embryos aus, dann spielt es für seine Entfernung keine Rolle, ob die Frau abtreibt, weil sie eben kein Kind will oder in einer Zwangslage handelt. Wenn man so argumentiert, macht man immer „mildernde Umstände“ geltend, eine Abtreibung ist schlecht, aber, aber wenn, dann kann man es der Frau verzeihen… das ist der falsche Ansatz.
Zweitens, es besteht kein Anspruch, da der Abbruch ja auch gegen den Willen oder ohne das Wissen des Mannes geschehen kann. Rechtlich ist es deshalb nicht durchsetzbar. Bei einem Anspruch auf hälftige Kostenübernahme wäre dann ja auch dem Mann Rechte bei der Entscheidungsfindung zuzuweisen und das geht nicht.
Ich finde wie oben bereits gesagt diesen Hinweis sehr wichtig – aber eben auch, dass wir dafür sorgen, dass alle Betroffenen sich und ihre Perspektive hier in der Diskussion angemessen wiederfinden können. Daher meine Bitte um Vermeidung von Fremdzuschreibungen wie „Frauen, die abtreiben, machen es sich bequem und haben kein Gewissen“ – genauso vermeiden sollten wir natürlich Fremdzuschreibungen wie „Frauen, die abtreiben, sind erbarmungswürdige Opfer dramatischster Umstände, die unter auch nur ansatzweise anderen Bedingungen sofort gern ein Kind hätten“.
„Zweitens, es besteht kein Anspruch, da der Abbruch ja auch gegen den Willen oder ohne das Wissen des Mannes geschehen kann. Rechtlich ist es deshalb nicht durchsetzbar. Bei einem Anspruch auf hälftige Kostenübernahme wäre dann ja auch dem Mann Rechte bei der Entscheidungsfindung zuzuweisen und das geht nicht.“
Danke für die Info, das hatte ich schon „befürchtet“. Hab mir halt grad überlegt, warum man da keine Parallele zum Umterhaltsanspruch ziehen kann: Auch das Austragen des Kindes kann ja ohne das Wissen des Mannes geschehen, was ihn nicht davor schützt, grundsätzlich dennoch unterhaltspflichtig zu sein. Und auch bei der Entscheidung pro-Kind hat der Mann ja kein Mitspracherecht – der Unterhaltsanspruch bleibt aber (bevor jetzt wieder Missverständnisse aufkommen: ZU RECHT, s.o.!). Deswegen hatte ich mir grad überlegt, warum die Frau eigentlich – wenn sie sich entscheidet, dem Mann gegenüber offenzulegen, dass sie schwanger war und abtreibt – nicht die Hälfte der entstehenden Kosten einfordern kann.
@betti
dann nehme ich ein vergleichbares beispiel: ich könnte nach dieser logik auch fordern, dass alle muslimas ihr kopftuch ablegen, aus solidarität denen gegenüber, die zum tragen des kopftuches gezwungen werden. @anna-sarah, wenn ich das tatsächlich fordern würde, würde mein kommentar hier sofort gesperrt werden, wieso werden kommentare, die so subtil diskriminieren, wenn es um abtreibung geht, nicht gelöscht? bzw. noch als ernsthafte diskussionsbeiträge gewertet?
und nochmal betti: ich verwende den begriff dumm, weil das, was du schreibst, frauen als dumm hinstellt. ich bin nicht der meinung, dass die mehrheit unfähig ist, diese entscheidung zu treffen. auch für die entscheidung, ob nun eine beratung in anspruch genommen wird oder nicht, halte ich die frauen nicht für zu dumm. nur wenn man sich gedanken darüber macht, ob es nicht besser wäre, das ganze verpflichtend zu machen, bzw. das befürwortet, dann impliziert das, dass die frauen zu dumm sind selbst zu entscheiden.
solche gedankenspiele lassen frauen verstummen oder ist mir etwas entgangen und es ist in der öffentlichkeit normal, dass eine frau darüber spricht, dass sie abgetrieben hat, so wie frau auch mitteilt, dass sie die pille nimmt oder eine brustvergößerung machen hat lassen? warum ist das thema tabuisiert, wieso sprechen frauen nicht über abtreibungen, über ihre abtreibung? weil sie sich dafür rechtfertigen müssen. immer und überall. und dieses sich rechtfertigen müssen entsteht durch ein kontinuum, das von „mörderin“ über „berechtigte ängste von behinderten“, „die soll das selber zahlen, außer sie wurde vergewaltigt“ bis hin zu „verpflichtende beratung als schutz für nicht privilegierte“ reicht.
@alex
Ehrlich gesagt verstehe ich gerade nicht, was du meinst: Was hast du angeblich gefordert bzw. habe ich dir unterstellt, dass du es forderst? Und welche/wessen Kommentare meinst du? Wenn da bei der Moderation was entgangen ist, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
Das erscheint mir etwas zu sehr vereinfacht. Es geht dabei doch auch um die Frage der Zugänglichkeit und Niedrigschwelligkeit von Beratungsangeboten. Betti hat dazu allerhand sehr Differenziertes geschrieben, deshalb möchte ich das jetzt nicht alles wiederholen, nur kurz soviel: Die Kategorie „dumm“ fasst das, was Frauen oder Mädchen vom Aufsuchen einer Beratung abhalten kann, überhaupt nicht. Ich fände es überaus wünschenswert, den Begriff aus der Diskussion herauszuhalten – zumal hier bis jetzt auch keine_r, die/der das Thema Pflichtberatung aufgegriffen hat, diesen Begriff verwendet hat. Und gefordert bzw. bedingungslos verteidigt hat die Beratungspflicht hier, wenn ich das richtig sehe, sowieso niemand.
@ alex
„ich könnte nach dieser logik auch fordern, dass alle muslimas ihr kopftuch ablegen, aus solidarität denen gegenüber, die zum tragen des kopftuches gezwungen werden.“
Hm, also erstens KANN man natürlich grundsätzlich über sowas diskutieren, ich persönlich würde jetzt aus dem Bauch raus wohl erstmal zu dem Ergebnis kommen, dass ich den Eingriff in die Autonomie der Frau beim Kopftuch-Ablege-Zwang im Verhältnis zum Eingriff in die Autonomie beim unfreiwilligen Tragen des Kopftuchs weniger gerechtfertigt fände, als den Eingriff in die Autonomie der Frau bei allgemeiner Pflichtberatung (wobei ich ja jetzt auch schon mehrfach deutlich gemacht habe, dass das nicht unbedingt heißt, dass alles so bleiben soll, wie es ist!) im Verhältnis zum Eingriff bei einer unfreiwilligen Abtreibung. Weißt Du, was ich meine? Ich finde, erstmal ist alles diskutierungswürdig, es kommt ja auf die Argumente für und gegen das ein oder andere an. Und spontan käme mir ein allgemeiner Kopftuchablegezwang da eben unverhältnismäßig vor (wobei die Diskussionen im Umfeld des Burka-Verbots ja durchaus zeigen, dass auch feministische Positionen hierzu durchaus gespalten sein können). Bei der Pflichtberatung habe ich immer noch offene Fragen, zum Beispiel eben, ob die oben dargestellte Überlegung reine Propaganda von Abtreibungsgegnern ist oder ob in der Praxis durchaus die Problematik entsteht, bestimmte Frauen sonst nicht zu erreichen/ ihnen eine wirkliche Entscheidung zu ermöglichen. Und das wäre für mich persönlich eben ein relevanter Abwägungsbelang.
„wieso werden kommentare, die so subtil diskriminieren, wenn es um abtreibung geht, nicht gelöscht? bzw. noch als ernsthafte diskussionsbeiträge gewertet? “
Meinst Du damit meine Beiträge? Wenn ja, dann bin ich etwas ratlos. Ich bin wirklich keine Freundin von Abwehrreflexen a la „ich habs nicht diskriminierend gemeint und deswegen ist es auch nicht diskriminierend“, deswegen brauch ich vielleicht nochmal eine Erklärung, warum meine erstmal eher empirische Frage diskriminierend ist. Für mich sind hier grade drei Optionen gleich wahrscheinlich: Entweder ich versteh Dich nicht richtig, oder Du legst mir was in den Mund was ich nicht gesagt habe, oder wir haben hier schlicht und ergreifend einen Dissens. Vielleicht lässt sich das ja noch aufklären.
Zum Beispiel diese Sache mit dem „Dummheits“-Begriff. Ich bin mir sehr sicher, dass ich nichts von dem gesagt habe, was Du dazu schreibst, vielleicht hab ich mich auch missverständlich ausgedrückt. Nochmal: Ich habe die Frage gestellt, ob es in der Praxis tatsächlich ein Problem ist, dass bestimmte Frauen nur mit einer Pflicht-Beratung erreicht werden können und was „die Praxis“ zu der Folgerung sagt, dass deswegen die Pflichtberatung auch ihr Gutes haben kann. Das hat NICHTS mit individuellen Unfähigkeiten zu tun, sondern mit der Tatsache, dass wir nunmal in gesellschaftlichen Strukturen leben, in denen bestimmte Menschen wesentlich weniger Zugang zu bestimmten sozio-kulturellen und anderen Ressourcen haben, als andere. Das ist ein gesellschaftspolitisches Problem, dass – wie Du oben ja auch schon selbst gesagt hast – auf der individuellen Ebene nicht zu LÖSEN ist. Aber dennoch kann man doch darüber nachdenken und diskutieren, wie man diesen Menschen auf der INDIVIDUELLEN Ebene dennoch die Benefits dieser Ressourcen zugänglich machen kann. Es kann ja sein, dass das mit der MOMENTANEN Ausgestaltung der Pflichtberatung nicht sinnvoll ist (hab ich aber jetzt auch schon tausend mal gesagt) oder auch, dass das in der Praxis gar kein Problem darstellt, aber wie gesagt: Ich verstehe einfach nach wie vor nicht, was an einem solchen Gedankengang per se diskriminierend sein soll oder Frauen Entscheidungshoheit streitig macht…
„dann impliziert das, dass die frauen zu dumm sind selbst zu entscheiden.“
Dazu ganz entschieden: NEIN! Es geht mir doch gerade darum, zu klären, ob für manche Frauen nicht gerade die Beratung wichtig ist, um zu einer AUTONOMEN Entscheidung zu kommen, da ihnen ansonsten z.B. wichtige Informationen fehlen oder Ängste/ Zwänge vorherrschen, die ihnen in einer Beratung auch genommen werden könnten. Vielleicht habe ich ja auch völlig falsche Vorstellungen davon, was so eine Beratung leisten kann (deswegen ja meine primär an die Praxis gerichtete Frage), aber die Frauen, mit denen ich über ihre Abtreibungen gesprochen habe, haben alle erzählt, dass für sie die Beratung ganz gut war, um zum Beispiel Ängste vor der Abtreibung abzubauen oder auch, um sich in einem Fall selbstbewusst pro Kind zu entscheiden, da bestimmte Hilfsangebote vorher schlicht nicht bekannt waren. Vielleicht ist deswegen mein Bild von der Beratung auch ein wenig geschönt, das kann ja sein.
Und nur nochmal zur Info, vielleicht für die Kontextualisierung der Überlegung ganz interessant: Das letzte mal, dass mir jemand sagte, sie sei froh über die Pflichtberatungsregelung, war das eine feministische Schulsozialarbeiterin an einer Problemviertel-Schule, da sie meinte, für ihre Mädels dort wären die Beratungsstellen im Falle einer überraschenden Schwangerschaft oft total wichtig und gut, dass sie aber eben davon ausginge, dass kaum eine von ihnen sich von allein dorthin oder auch vorher an sie wenden würde, wenn sie nicht dazu verpflichtet wären.
@betti
„Es geht mir doch gerade darum, zu klären, ob für manche Frauen nicht gerade die Beratung wichtig ist, um zu einer AUTONOMEN Entscheidung zu kommen, da ihnen ansonsten z.B. wichtige Informationen fehlen oder Ängste/ Zwänge vorherrschen, die ihnen in einer Beratung auch genommen werden könnten.“
eben. d.h. du vermutest, ohne beratung könnten die frauen nicht fähig sein zu entscheiden, z.b. die aus problemviertelschulen und du findest, dass es legitim wäre, alle ungewollt schwangeren zu einer beratung zu verpflichten, wenn damit problemviertelmädchen geholfen werden kann.
mein beispiel war vielleicht nicht optimal, ich verändere es: schicken wir alle frauen, die das kopftuch tragen zu einer beratung, um sicher zu stellen, dass sie das kopftuch autonom tragen. was denkst du, wird das in der praxis bringen?
ich habe kein unschönes bild von der beratung und den beraterinnen, im gegenteil.
@ alex
Ich glaube, wir haben unsere Punkte im Wesentlichen ausgetauscht. Ich finde es nach wie vor etwas anstrengend, dass Du mir Positionen unterstellst, die ich nicht eingenommen habe, weil ich das Gefühl habe, mich immer und immer wieder erklären zu müssen und damit den Thread zu verstopfen. Und ich weiß nicht, wie ich den Unterschied zwischen offenen und geklärten Fragen noch deutlicher machen soll, als ich es schon getan habe. Auch in dem von Dir zitierten Abschnitt habe ich geschrieben „es geht mir darum zu KLÄREN, OB (…) KÖNNTE“ (wie tausendmal schon gesagt: deswegen die eher empirisch ausgerichtete Frage an die Praxis!). Ich „vermute“ und „finde“ gar nichts (bzw. ich vermute und finde so einiges, aber wie deutlich soll ich denn noch machen, dass ich selbst noch UNENTSCHLOSSEN in dieser Frage bin). Das gleiche gilt für die Sache mit der konkreten Ausgestaltung (die Du in Deinem Vergleichsbeispiel ansprichst), aber ich leier das jetzt nicht alles nochmal runter.
Das soll jetzt weder pampig noch konfrontativ rüberkommen, aber ich glaub, ich steige damit jetzt mal aus unserem bilateralen Austausch zu diesem Punkt aus.
Ein Hinweis in moderationstechnischer Sache: Ich bitte um genaues Lesen und Durchdenken unserer jeweiligen Kommentare hier und um Rückfragen bei Unklarheiten, denn es führt keinen Schritt weiter, wenn wir uns im Kreis drehen, weil Kommentator_innen gezwungen werden, sich ständig zu wiederholen, um schwer nachvollziehbaren Unterstellungen zu begegnen. Ich halte diese Diskussion hier für wichtig und hilfreich und fände es nicht akzeptabel, wenn Kommentator_innen, die Gewinnbringendes beizutragen haben, die Lust verlieren, sich zu beteiligen.
Danke.
@betti
ich fühle mich nicht persönlich angegriffen von dir, da kommt nichts pampig rüber.
noch ein punkt, den du in deine entscheidungsfindung mit einbeziehen kannst: da du dir ja gedanken darüber machst, wie man die ganzen frauen erreichen kann, wie erreicht man die frauen, die sich in abhängigkeitsverhältnissen befinden und das kind bekommen (müssen), obwohl sie gar nicht wollen? da wäre es wohl sinnvoll, wenn wir gleich alle schwangeren pflichtberaten, nicht?
Noch eine Ergänzung zu den Rechtswissenschaften:
Ich finde es hier etwas bedenklich wie Rechtswissenschaften als objektiv, neutral und damit auch irgendwie unschuldig dargestellt werden.
Mir ist das Erkenntnisinteresse in den RW suspekt, wenn es nicht die Verantwortung übernehmen will, welche Diskurse es in unserer Gesellschaft unterstützt: unserer eben patriarchal organisierten Gesellschaft. Davon sind die RW nicht losgelöst.
M.E. ist das einzige was davon profitiert, wenn man die (abwägbaren) „Halbrechte“ von Embyonen anerkennt, der Machterhalt eines patriarchalen Systems. Die Abwägung von der Betti spricht wird somit immer unter der Leitkultur des Patriarchats stattfinden.
Betti schreibt es sei „nicht “mein Job” bzw. besser: meine selbstgewählte Rolle, Probleme in irgendeiner Praxis zu lösen“. Ich will Dich da jetzt nicht persönlich kritisieren, weil ich wie gesagt auch finde, dass Du hier sehr gute und differenzierte Beiträge geschrieben hast.
Aber eben das löst bei mir auch das Unbehagen aus, wenn man sich auf die diskursive Seite zurückzieht, anstatt das Thema von seinen realen Konsequenzen für Frauen her zu denken und zu analysieren.
In meinem Buch Deproduktion – Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext wird der Fall einer Frau in Argentinien geschildert, die dazu gezwungen worden ist, einen ausserhalb ihres Körpers nicht lebensfähigen Fötus auszutragen. Sie hat extreme psychische Probleme entwickelt, nicht nur durch diese körperliche Enteignung, sondern auch weil sie mit ihrem realen Problemen und Bedürfnissen nicht gegen diese abstrakten Rechtskonstruktionen ankam, die sie komplett entmündigt haben. Das wird nach meiner Erfahrung immer passieren, wenn man dem Embryo Rechte gibt und deshalb ist das für mich die elementare Frage: WEM schadet es, wenn der Embryo (von dessen Subjektstatus ich wie gesagt nicht ausgehe) keine Rechte hat? Es schadet patriarchalen Herrschaftsstrukturen, sonst niemandem.
Und ich finde es extrem wichtig, diese konsequente Haltung zu demonstrieren, um überhaupt denkbar zu machen, dass Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch raus muss. Und ich sag jetzt mal ganz oldschool: ich finde es unverantwortlich unseren Schwestern mit der wohlwollenden Abwägung abstrakter Rechtskonstruktionen in den Rücken zu fallen, 1. deren Konsequenzen wir in dem Maße nicht mehr tragen müssen und 2. während sie gerade noch um IHREN EIGENEN Subjektstatus gegenüber der Idealisierung des vorgeburtlichen Lebens kämpfen müssen.
Das richtet sich jetzt nicht speziell gegen Betti, sondern gegen die Tendenz, die ich hier in vielen Beiträgen sehe, sich von dem Diskurs „Rechte für den Embryo“ zu sehr einnehmen zu lassen, was die wichtigen Fragen und Forderungen für Frauen verschleiert.
Ich bin es halt auch von Diskussionen nach meinem Film gewohnt, dass Abtreibungsgegner immer versuchen, jede Diskussion über Frauenrechte zu unterbinden, in dem sich nur noch von Rechten des ungeborenen Lebens reden. Die Fokusierung auf die Rechte des Embyos führen dazu, dass Frauen wie der letzte Dreck behandelt werden (Verweigerung von Schmerzmitteln zur Bestrafung, etc), wenn sie wegen ungewollten Schwangerschaften bzw. selbstgemachten Aborten in Kliniken sind.
@alex
du schreibst
„da du dir ja gedanken darüber machst, wie man die ganzen frauen erreichen kann, wie erreicht man die frauen, die sich in abhängigkeitsverhältnissen befinden und das kind bekommen (müssen), obwohl sie gar nicht wollen? da wäre es wohl sinnvoll, da wäre es wohl sinnvoll, wenn wir gleich alle schwangeren pflichtberaten, nicht?“
Ich denke auch, dass die Absurdität oder Voreingenommenheit bei unserem Umgang mit Abtreibungen besonders deutlich wird, wenn man den Spiess mal umdreht. Eine Schwangerschaft auszutragen hat schliesslich viel weitreichendere körperliche und soziale Auswirkungen. „Sind sie sicher, dass sie das wollen??? Haben sie alles durchdacht????“
Warum gehen wir eigentlich davon aus, dass Abtreibungen problematischer sind als Schwangerschaften auszutragen, so dass wir bei der Abtreibung die Pflichtberatung hinnehmen?
Die Radikalität, dass zu hinterfragen, fehlt mir bei der aktuellen Frauenbewegung.
@ Sarah Diehl
Erstmal allgemein und vorweg: Ich finde die Diskussion, die wir hier führen wirklich sehr gut und nebenbei für meine ganz persönliche Standpunktentwicklung auch extrem hilfreich – in diesem Sinne noch einmal dankeschön für Deine ausführlichen Anmerkungen bzw. generell Deine Arbeit zu diesem Thema.
„Ich finde es hier etwas bedenklich wie Rechtswissenschaften als objektiv, neutral und damit auch irgendwie unschuldig dargestellt werden.
Mir ist das Erkenntnisinteresse in den RW suspekt, wenn es nicht die Verantwortung übernehmen will, welche Diskurse es in unserer Gesellschaft unterstützt: unserer eben patriarchal organisierten Gesellschaft. Davon sind die RW nicht losgelöst.“
Natürlich nicht (im Gegenteil!!) – das seh ich genauso. Deswegen ist es ja aber in meinen Augen umso wichtiger, auch rechtswissenschaftliche Diskurse nicht denen zu überlassen, die sie normalerweise führen und dementsprechend zu den Ergebnissen kommen, die sich jetzt eben in Gesetzgebung und Rechtsprechung manifestieren: Alten, weißen, wohlhabenden Männern.
„M.E. ist das einzige was davon profitiert, wenn man die (abwägbaren) „Halbrechte“ von Embyonen anerkennt, der Machterhalt eines patriarchalen Systems. Die Abwägung von der Betti spricht wird somit immer unter der Leitkultur des Patriarchats stattfinden.“
Das seh ich nicht ganz so. Denn es gibt schon noch andere, die davon profitieren, wenn man Rechte von ungeborenem Leben (also eben nicht nur für Embryonen) anerkennt – nämlich eben die künftigen Rechtsträger. Und insgesamt würde ich halt schon auch sagen, dass es „der Gesellschaft“ im Ganzen, „den Frauen“ und insgesamt „der Gerechtigkeit“ dient, wenn Entscheidungen wie die nach Legalität/Illegalität von Abtreibung und den damit einhergehenden Folgefragen (z.B. Embryonenforschung, „ab wann ist der Mensch ein Mensch“, Nachhaltigkeitsrechte, unfreiwillige Abtreibung etc., hab ich ja schon genug zu geschrieben) auf soliden begründungstheoretischen Füßen stehen würden (im Gegensatz zum geltenden Recht und der herrschenden Meinung in den Rechtswissenschaften) und damit auch dauerhaft und universell verfassungsrechtlich vertretbar blieben. Und in meinen Augen ist die Auffassung, der Embryo habe keine eigene Rechtsposition, eben genauso wenig verfassungsrechtlich und rechtsphilosophisch begründbar/haltbar, wie die „herrschende Meinung“, ihm käme ein absoluter Menschenwürdeschutzanspruch zu.
Und dass die Abwägung unter patriachalen Bedingungen stattfinden würde, stimmt natürlich, so lange es diese Strukturen noch gibt (und momentan siehts nicht danach aus, als würden wir sie demnächst abschaffen). Dennoch kann auch der Gesetzgeber und die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht daran vorbei, dass sich die Interpretation der Menschenrechte in den letzten 50 Jahren schon auch bereits geändert hat, was das angeht: Die Abtreibungsregelungen haben sich ja bereits deutlich verbessert (also „hier“ = in Deutschland). Dafür sollte man sich aber vielleicht auch nochmal vor Augen führen, dass das was ich hier vertrete keinesfalls die Mehrheitsmeinung in der Juristerei ist, sondern eine fundamentale Umkehr im Grundrechte- und Menschenwürdediskurs bedeuten würde (und von alteingessenen Verfassungsrechtlern wohl eher mit einem jovialen Lächeln beiseite gewischt würde). Die herrschende Meinung würde es noch nichtmal auf eine ehrliche Abwägung ankommen lassen, deswegen steht ja Abtreibung auch noch im StGB und die Beratungsregelung darf laut BVerfG nicht den gleichen Status haben wie die Abtreibung nach kriminologischer und medizinischer Indikation – Rumgeeier eben.
„(…) Aber eben das löst bei mir auch das Unbehagen aus, wenn man sich auf die diskursive Seite zurückzieht, anstatt das Thema von seinen realen Konsequenzen für Frauen her zu denken und zu analysieren.“
Wieso geht nicht beides, wieso muss das ein Gegensatz sein? Ich (bzw. entpersonalisiert: man) kann gleichzeitig versuchen, alteingesessene Verfassungsrechtler davon zu überzeugen, dass ihr Verständnis von absolut wirkender Menschenwürdeträgerschaft des Embryos falsch ist (und welche Folgen ein solches Verständnis für Frauen hat), gleichzeitig an Women on Waves spenden und im Alltag mit Freundinnen und Freunden darüber streiten, warum es so ekelhaft ist, dass Abtreibung stigmatisiert ist und wie es in anderen Teilen dieser Welt dazu aussieht [z.B. mit Verweis auf Deine Arbeit ;)]. Ich empfinde die diskursive Seite aber eben auch nicht als Rückzug oder Anbiederung an bestimmte Diskurse, sondern im Gegenteil als wichtigen Beitrag der Übernahme von Diskurshoheit in Sektoren, wo diese Diskurshoheit bislang eben bei alten, weißen, wohlhabenden Männern liegt.
„(…)Fall einer Frau in Argentinien geschildert (…) Das wird nach meiner Erfahrung immer passieren, wenn man dem Embryo Rechte gibt (…)“
Dem würde ich halt widersprechen, bzw. es einschränken wollen: In Deutschland zum Beispiel spricht auch bereits jetzt die „herrschende Meinung“ dem Embryo eine gewisse Rechtsposition („Menschenwürde“) zu, und dennoch ist Abtreibung auf Wunsch der Schwangeren (unter bestimmten diskussionswürdigen Voraussetzungen natürlich) straflos bzw. legal (je nachdem welches Verständnis des geltenden Rechts man zugrunde legt). Natürlich ist die Anerkennung ANDERER Rechtspositionen als derer der Frau, also entweder des Mannes oder des Kindes, EINE elementare Voraussetzung für die Entrechtung der Frau – was im Umkehrschluss aber doch nicht heißt, dass das eine AUTOMATISCH zum anderen führt. Oder verstehe ich Dich hier falsch?
Wenn man wie ich eine Postion vertritt, die in diesem Falle eindeutig zu dem Ergebnis kommen würde, dass das Recht in Argentinien dann offensichtlich menschenrechtswidrig ist und verändert gehört, ist es halt schwer erträglich, wenn die eigene Position für solche Ergebnisse in „Sippenhaft“ genommen wird, nur weil sie bestimmte Grundannahmen teilt – wahrscheinlich aber aus völlig anderen Begründungen und dementsprechend auch mit anderen Schlussfolgerungen. Wenn zum Beispiel irgendein Kirchen-Fredi sagt, Abtreibung wäre prinzipiell gegen das göttliche Lebensrecht und deswegen des Teufels und alle Abtreibungen gehören verboten, bejaht der zwar auch eine Rechtsposition des Embryos, aber deswegen ist doch nicht jede Position, die aus völlig anderen Gründen und mit anderen Konsequenzen das selbe tut, auch gleich verantwortlich für die falschen Ergebnisse, zu denen der Kirchen-Fredi (oder eben auch der alteingesessene Verfassungsrechtler) kommt…
„Und ich finde es extrem wichtig, diese konsequente Haltung zu demonstrieren, um überhaupt denkbar zu machen, dass Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch raus muss.“
Genau. Und das kann man mit bestimmten Auffassungen eben auch, OBWOHL man die Rechtsposition des Embryos bejaht. Und nochmal zum Thema „Konsequenz“, „Selbstwusstsein der modernen Frauenbewegung“ etc.: Ich empfehle jeder, mal solche Positionen wie ich hier vertrete, als junge Frau auf einem Kongress mit „Normal-Juristen“ (männlich, weiß, alt, beruflich erfolgreich) einzunehmen und zu gucken, was dann passiert und wie lange man bereit ist, dem standzuhalten. Meiner Erfahrung nach kann man da eine Menge Konsequenz, Kampfbereitschaft und Selbstbewusstsein gebrauchen, und kanns da umso besser trainieren…
Und dann hätte ich noch eine Verständnisfrage (WIRKLICH eine Verständnis- und keine Herausforderungs-Polemik-Ätsch-Überführungsfrage!): Wenn Du sagst, Abtreibung muss aus dem Strafgesetzbuch raus, meinst Du dann ausschließlich die Abtreibung auf Wunsch der Schwangeren oder dass nach Deinem Verständnis von Nicht-Rechtsträgerschaft des Embryos auch generell der Schwangerschaftsabbruch kein eigener Straftatbestand sein sollte, sondern sozusagen unter „normale“ Körperverletzung an der Frau fiele oder so ähnlich? Oder müsste man vielleicht dann sozusagen einen eigenen Straftatbestand (in der Nähe der Nötigung) schaffen, der quasi die Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Frau (auf Schwangersein) bestraft? Und wie würdest Du aus Deiner Position heraus andere Fragen beantworten, die Rechte künftiger Menschen betreffen (ein paar habe ich oben schonmal in einem Kommentar gestellt, 26. September 2011 um 02:04)? Mir ist bewusst, dass das schnell diese Diskussion überfrachten/ derailen könnte, aber mir ist einfach nicht klar, wie man diese Fragen auflösen kann, wenn man per se dem Embryo in einem gewissen Stadium (z.B. geknüpft an eine wie auch immer zu bestimmende Subjektivität) die Möglichkeit einer Rechtsposition abspricht.
„Und ich sag jetzt mal ganz oldschool: ich finde es unverantwortlich unseren Schwestern mit der wohlwollenden Abwägung abstrakter Rechtskonstruktionen in den Rücken zu fallen, 1. deren Konsequenzen wir in dem Maße nicht mehr tragen müssen und 2. während sie gerade noch um IHREN EIGENEN Subjektstatus gegenüber der Idealisierung des vorgeburtlichen Lebens kämpfen müssen.“
Ich finde das eigentlich gar nicht oldschool, sondern völlig wichtig und bejahenswert!! Ich verstehe nur einfach nicht, warum eine Positionierung, die begründen kann, warum es ein Recht auf Abtreibung gibt (bei gleichzeitiger Bejahung bestimmter Rechtspositionen künftigen Lebens), irgendwem, deren Rechtsposition dadurch ja gerade erst einmal anerkannt und gestärkt wird, in den Rücken fällt. Denn alles was ich sage, ist menschenrechtlich hier genauso zutreffend wie in Argentinien, Somalia, Polen oder im Iran. Aus genau den gleichen Gründen wie hier, ist und bleibt es falsch und menschenrechtswidrig, Abtreibung zu illegalisieren und Frauen daran zu hindern, ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung entsprechend auszüben.
„Ich bin es halt auch von Diskussionen nach meinem Film gewohnt, dass Abtreibungsgegner immer versuchen, jede Diskussion über Frauenrechte zu unterbinden, in dem sich nur noch von Rechten des ungeborenen Lebens reden. Die Fokusierung auf die Rechte des Embyos führen dazu, dass Frauen wie der letzte Dreck behandelt werden (Verweigerung von Schmerzmitteln zur Bestrafung, etc), wenn sie wegen ungewollten Schwangerschaften bzw. selbstgemachten Aborten in Kliniken sind.“
Ja, das glaube ich SOFORT und verstehe auch wirklich, dass sich bei jemandem, die sich da mitten im Praktischen steht, alle Nackenhaare aufstellen, wenn dieses Stichwort fällt. Aber ich glaube wirklich, dass es langfristig nicht anders gehen wird, als (auch) über den Menschenrechts-Diskurs-Umweg, bzw. dass dieser ein wichtiger Hebel ist, wenn wir eine Verbesserung – auch und gerade der weltweiten – Situation für die Frauen erreichen wollen. Und nach allem was ich bislang zu diesem Thema gelesen habe, gibt es halt keine andere verfassungstheoretisch und philosophisch begründbare Position, die sowohl gewährleistet, dass die Rechte der Frau berücksichtigt sind, als auch eine überzeugende Antwort darauf liefert, wie es sich mit den Rechten künftigen Lebens verhält (und da ist der Embryo eben „mit drin“)…
„Eine Schwangerschaft auszutragen hat schliesslich viel weitreichendere körperliche und soziale Auswirkungen. „Sind sie sicher, dass sie das wollen??? Haben sie alles durchdacht????“
Warum gehen wir eigentlich davon aus, dass Abtreibungen problematischer sind als Schwangerschaften auszutragen, so dass wir bei der Abtreibung die Pflichtberatung hinnehmen?“
Das alles sehe ich uneingeschränkt genauso.
„Die Radikalität, dass zu hinterfragen, fehlt mir bei der aktuellen Frauenbewegung.“
Da hast Du mit Sicherheit mehr empirische Erfahrung als ich, aber interessieren würde es mich schon: Ist das denn wirklich so? Mein Eindruck (auch in dieser Debatte hier) ist eigentlich eher andersrum, also dass man sich ziemlich „in die Nesseln setzt“, wenn man in feministischen Zusammenhängen bestimmte Begriffe nutzt oder in bestimmten Positionen eine gewisse Unentschlossenheit zeigt.
Ganz abgesehen davon, dass ich – um am Ende nochmal persönlich zu werden – meine Position schon ziemlich radikal finde, wenn ich sie mit der gängigen Rechtsmeinung abgleiche. Und wie schonmal gesagt: Ich kann IN EINER DISKUSSION nicht eine Position die ich für richtig halte, der Radikalität zuliebe verlassen. Ich kann aber dennoch natürlich radikalere HANDLUNGSFORMEN gleichzeitig gutheißen und unterstützen (wie z.B. Women on Waves).
Das „ich“ im letzten Absatz kann auch gern durch ein allgemeineres Wort ersetzt werden. Was ich meine ist, dass ich es etwas schwierig finde, bestimmte Aspekte eines Themas zu marginalisieren und damit gleichzeitig mehr oder weniger indirekt zu formulieren, dass diejenigen die sich diesen Aspekten widmen, aus Mangel an Radikalität das Thema insgesamt quasi „schwächen“ würden.
„1. welche rechtsposition hat der embryo nach kanadischem recht?“
Weiß ich ad hoc nicht.
„2. wäre die logische konsequenz aus der jetzigen gesetzlichen regelung des schwangerschaftsabbruchs eine mögliche begründung für ein gesetz, das alle zum blutspenden verpflichtet?“
Nö.
„3. „kommendes leben“ ist eine vorstufe des embryo?
kennst du das spiel, wo dir mehrere begriffe gesagt werden und dann die frage ist: welcher passt nicht dazu? bsp. hund, katze, maus, auto. es ist das auto.
deine paare sind:
jetzige generation – kommende generationen
geborener mensch – embryo
richtig?
welcher passt nicht dazu? (ratehilfe: das wort “geboren” könnte sich als wichtig erweisen.)“
Keine Ahnung, was Du mir damit sagen willst.
„gegenfrage: was wenn die naturwissenschaften heraus finden, dass embryonen schon vor der im moment geltenden frist eine gewisse subjektivität haben?“
Ohne Dir zu nahe treten zu wollen, aber ich glaube, Du hast die von mir hier vertretene Position und ihre Abgrenzung gegenüber der in Deutschland herrschenden Rechtsmeinung zu diesem Thema entweder nicht wirklich verstanden oder missverstehst mich absichtlich auf eine Weise, die meine Position mit anderen gleichmacht, die ich nicht vertrete – das les ich zumindestens aus Deinem Kommentar und Deinen Fragen heraus. Ich vertrete doch gerade die Auffassung, dass es sich nicht begründen lässt, Grundrechtsfähigkeit an Subjektivität (von der mir auch immer noch nicht klar ist, nach welchen Kriterien sie sich bestimmen lassen soll und warum ausgerechnet diese Kriterien dann gelten sollen etc.) zu knüpfen. Deswegen kommt es nach MEINER Auffassung auch gar nicht darauf an, wann dem Embryo diesse „Subjektivität“ zukommt, deswegen ja die FRAGE an diejenigen, in deren Auffassung diese Subjektivität eine Rolle spielt.
„definiere mensch.
erklär mir, warum “wir” den zeitpunkt vor der geburt gewählt haben bzw. vor der geburt definieren müssen. versteh ich nicht.“
Wie gesagt: Das musst Du nicht MICH fragen, sondern diejenigen, die vertreten, dass es auf die Subjektivität des Embryos/Menschen ankommt, wenn es um seine Rechtspositionen geht. Deswegen hab ich doch diese RÜCKFRAGE gestellt!! Bzw. diejenigen, die von einem Zeitstrahlmodell ausgehen, in dem es eine Phase gibt, in dem es unproblematisch begründbar zu sein scheint, den Embryo rechtlos zu stellen.
Und zuletzt:
„ich registriere erfreut, dass du langsam die lebenswirklichkeit von frauen, die abgetrieben haben, wahrnimmst.“
Sorry, aber das ist einfach nur eine Frechheit! Du hast KEINE Ahnung von mir und meinem Verhältnis zur Lebenswirklichkeit abtreibender Frauen. Du hast keine Ahnung, ob ich selbst noch nie, einmal oder mehrfach abgetrieben habe, ob/wie intensiv ich mich in meinem echten Leben mit diesem Thema befasse und ob/wie intensiv ich Freundinnen betreut und begleitet habe, die abgetrieben habe. Ich empfinde es als bodenlose Unverschämtheit, dass Du mir aufgrund meiner Position (die Du nach meiner Wahrnehmung Deiner Reaktionen entweder nicht richtig oder missverstehst) unterstellst, ich würde die Lebenswirklichkeit abtreibender Frauen negieren oder ignorieren, bzw. das „erfreulicherweise“ „langsam“ ein bißchen weniger tun… Wenn es DAS ist, was Du aus meinen Beiträgen hier rausliest, dann lohnt sich eine weitere Diskussion für mich wirklich nicht.
Ach, und nochwas, so zum Thema Perspektivennegierung und -anmaßung und so: „Die“ Lebenswirklichkeit von Frauen, die abgetrieben haben, gibt es genauso wenig wie es „die“ Frau oder „den“ Umgang mit der eigenen Abtreibung gibt. Aber Du kennst „die“, ja? Und kannst deswegen beurteilen, wann und ob ich „die“ – erfreulicherweise – wahrnehme? Interessanter Standpunkt…
Im Übrigen finde ich es wirklich erstaunlich, in was für eine Ecke man hier teilweise gerückt wird, wenn man ein globales und universelles Recht auf Abtreibung vertritt und es einfach nur anders begründet, als einige andere Mitdiskutantinnen…
„Welche rechtsposition hat der embryo nach kanadischem recht?“
sehr interessante Frage, ich versuche das mal rauszufinden.
Zitat von Betti:
„Wenn Du sagst, Abtreibung muss aus dem Strafgesetzbuch raus, meinst Du dann ausschließlich die Abtreibung auf Wunsch der Schwangeren oder dass nach Deinem Verständnis von Nicht-Rechtsträgerschaft des Embryos auch generell der Schwangerschaftsabbruch kein eigener Straftatbestand sein sollte, sondern sozusagen unter “normale” Körperverletzung an der Frau fiele oder so ähnlich? Oder müsste man vielleicht dann sozusagen einen eigenen Straftatbestand (in der Nähe der Nötigung) schaffen, der quasi die Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Frau (auf Schwangersein) bestraft? “
Ich kenne den Unterschied zwischen Nötigung oder Körperverletzung nicht, deshalb fällt mir schwer das zu beantworten. Wenn eine Frau, das Kind austragen wollte und sich bereits eine Zukunft damit vorgestellt hat, kann das vielleicht weiter gehen als Körperverletzung, weil es ein psychologisches Trauma sein kann. Aber viele Körperverletzungen lösen psychologisches Traumata aus, weil sie die eigene Selbstbestimmung verletzt haben. Da hab ich keine Erfahrung, wie man das juristisch aufdröseln könnte.
Ich weiss aber, dass die christliche Rechte in manchen US Staaten gerade versucht durchzusetzen, dass jem der eine schwangere Frau umbringt wegen 2 Morden angeklagt wird, womit sie aber laut Center for reproductive rights nur versuchen durch die Hintertür dem Embryo Personenrechte zu geben, was wiederum Abtreibung illegalisieren müsste.
Mittlerweile können in manchen Bundesstaaten deshalb sogar Schwangere angeklagt werden, wenn sie den Embryo z.b. durch Alkoholkonsum, oder weil sie einen Autounfall hatten, gefährden, weil sie ja eine andere Person gefährdet haben, die als unabhängiges Subjekt wahrgenommen wird.
„Denn es gibt schon noch andere, die davon profitieren, wenn man Rechte von ungeborenem Leben (also eben nicht nur für Embryonen) anerkennt – nämlich eben die künftigen Rechtsträger.“
Das klingt jetzt auch polemisch, ist es aber nicht: Was ist den mit dem künftigen Rechtsträger, der aus meinen Eizellen entsteht? Die Eizelle ist ebenso ein potentieller Mensch wie ein Embryo. Ist das Geschmacksache? Arbeitet die Rechtswissenschaft da mit der Konstruktion der Empfängnis, Verschmelzung?
Das ist halt tatsächlich der Punkt, wo wir im Widerspruch bleiben werden, aber das ist ja auch ok. Für mich fängt da halt das Christentum, bzw. die Esoterik an, wenn man einen künftigen Rechtsträger konstruiert, den es noch noch gibt, also faktisch niemandem geschadet wird. Das will ich dir damit nicht vorwerfen, aber das ist der Grund, warum ich das nicht mittragen kann.
Stammzellenforschung u.ä. :
Da finde ich eine rechtliche Auseinandersetzung auch sehr interessant, aber eben auch was ganz anderes, weil es ausserhalb eines anderen Körpers stattfindet. Frage wäre nun (und das ist ja auch das von dem du hier redest, wie ich dich verstehe): Sollte ein Embryo ausserhalb des Frauenkörpers andere oder nur dann überhaupt Rechte haben? Das wäre ja eigentlich quatsch. Deshalb findest du die Feststellung, nehme ich an, auch wichtig, dass der Embryo eben überhaupt irgendwelche Rechte hat und sprichst dann von Abwägen.
Meine Gegenfrage wäre dann: Aber müssen wir um ethische Verantwortung zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen dem Embryo überhaupt Rechte geben? Warum ist das überhaupt notwendig, um die Frage zu klären, wie weit wir in den Genpool, in die DNA medizinisch eingreifen, und wir das unserem kapitalistischen Optimierungsdrang von Menschen zu nutze machen.
Ich will diese Frage diskutieren können, ohne den Umweg dem Embryo Rechte zu geben (= m.E. eine Behelfskonstruktion um das Thema massenkompatibel verständlicher, damit aber auch emotionaler/irrationaler und skandalös zu machen), weil das für mich den Punkt der Debatte verfehlen würde, nämlich z.b. Kapitalismuskritik und Wettbewerbswahn.
Wie ich es drehe und wende, ich sehe immer einen letztlich antiaufklärerischen Punkt und eine Verschleierungstaktik dabei, dem Embryo Rechte zu geben.
Ethische Fragen können und müssen anders gelöst werden.
Aber vielleicht ist das letztlich bei uns beiden nur eine Frage, der verschiedenen Disziplinen von denen wir kommen. (Vielleicht liegt da auch der Grund für die Auseinandersetzung zwischen Dir und Alex. Auch wenn ich Alex in vielen Punkten zustimme, finde ich den Ton auch nicht so schön, d.h. Produktiv.)
Vielleicht geht es in der Juristerei eben nicht ohne diese Behelfskonstruktion, aber dann würde ich eben, und du wohl auch, die Rechtswissenschaften einer fundamentalen Kritik unterziehen.
Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass es sehr hart für dich ist, dich bei dem Thema mit eher konservativen Juristen herumzuschlagen (und jetzt auch noch hier). Hast du da konkrete Erfahrungen gemacht, wie sie mit deiner Position umgehen?
Danke, dass Du das machst.
Da bin ich auf jeden Fall das nächste Mal mit Dir im Geiste…
Cheers!
@betti
sorry für den irrtum, ich hielt das folgende für deine meinung.
„Wie gesagt: Ich würde künftigem Leben keine sog. Vollrechte zugestehen, aber eine Vorwirkung der “in ihm angelegten” Rechtspositionen, die aber eben auch in eine Abwägung einzustellen ist. Und das gilt eben genauso, wenn ich begründe, warum ich Klimaschutz für zwingend geboten halte, wie wenn ich sage, dass der individuelle Embryo bestimmte “Rechte” hat, die aber ja nicht absolut (gegen die Frau) wirken. Alles andere ließe sich m.E. auch nur schwer begründen: Ich kann nicht einerseits sagen, dass ich in Ausübung meiner Grundrechte die der kommenden Generationen massiv beschneide und deswegen für fundamentale politische Neuausrichtungen in der globalen Umwelt- und Sozialpolitik votieren, wenn ich gleichzeitig nicht auch die “manifeste” Form des Embryos (sozusagen zwischen kommendem Leben und geborenem Menschen) genauso einsortiere. Und das alles knüpft sich in meiner Position eben nicht an vorhandene Subjektivität, sondern ans potenzielle Menschsein.“
mir ist nicht klar, wie wer auch immer den embryo einsortiert. „zwischen kommendem leben und geborenem menschen“. was ist „kommendes leben“? „embryo“ ist gleich zu setzten mit „kommender generation“? die annahme von „potentiellem menschsein“ ist demnach etwas, was für „kommende generationen“ und „embryo“ gilt? „potentielles menschsein“ ist nicht “subjektivität“?
kanada: die haben vor über 20 jahren anscheinend die strafbarkeit des schwangerschafstabbruchs ersatzlos gestrichen und jetzt läuft das unter „medizinischer eingriff“. das ist dann vielleicht so in deine richtung, falls dort eine rechtsposition des embryos verankert ist, da du ja meinst, selbige und die entscheidungsfreiheit der frau, schlössen einander nicht aus, wenn ich dich richtig verstanden habe.
@betti
„Ach, und nochwas, so zum Thema Perspektivennegierung und -anmaßung und so: “Die” Lebenswirklichkeit von Frauen, die abgetrieben haben, gibt es genauso wenig wie es “die” Frau oder “den” Umgang mit der eigenen Abtreibung gibt. Aber Du kennst “die”, ja? Und kannst deswegen beurteilen, wann und ob ich “die” – erfreulicherweise – wahrnehme? Interessanter Standpunkt…“
ja, das verstehe ich, entschuldige bitte. das ist ja fast so, als ob ich dir das etikett „privilegiert“ auf die stirn gepickt und dir damit jede anerkennungsgrundlage deiner position genommen hätte.
ich glaube, ich werde nie verstehen, wie man einerseits die subjektivität der situation der einzelnen erkennen kann und andererseits aber ein universelles recht auf abtreibung ableiten können will. letzteres ist nicht notwendig, wenn man aus einer abtreibung nicht mehr macht als einen medizinischen eingriff.
Ich habe noch eine Rückfrage zum patriarchalen System wie z.B. von Sarah Diel hier erwähnt
„M.E. ist das einzige was davon profitiert, wenn man die (abwägbaren) „Halbrechte“ von Embyonen anerkennt, der Machterhalt eines patriarchalen Systems.“
Für mich ist die Verwendung des Begriffs „patriarchal“ ein Kampfbegriff, der gerne diffarmierend verwendet wird, ähnlich zur Zuschreibung „Neoliberal“ (wenn auch nicht im selben Ausmass).
Wird hier angesprochen, dass die Väter sich mit allgemeinen Gesetzen davor zu Schützen versuchen, dass ihr eigener Nachwuchs in einer von ihnen nicht kontrollierbaren Entscheidung der Frau abgetrieben wird?
Oder schiesst dies mehr in die Richtung, dass der Schwangeren nicht zugemutet wird, selbständig die ‚richtige‘ Entscheidung zu treffen. Ein Punkt, der meist in der Diskussion um einen (rechtlichen) Anspruch des Embryos auf Leben nicht zur sprache kommt, ist, wer Fähig ist zu entscheiden. Durch die Beratungspflicht wird, wie alex in ihren Beiträgen angetönt hat, der Schwangeren unterstellt, dass sie nicht Informiert genug ist oder dass sie nicht in der Lage ist selbst Entscheiden zu können. Während bei den Erziehungsentscheidungen für das Kind der Mutter weitgehend zugetraut wird, die für das Kind richtigen Entscheidungen mit oft weitgehenden Konsequenzen zu treffen, besteht diese Hürde bei der Abtreibung. So in etwa „Nach der Geburt wird die Mutter schon das Beste für das Kind machen, aber vorher ist sie nicht in der Lage das recht des Embryos miteinzubeziehen.“
„ich glaube, ich werde nie verstehen, wie man einerseits die subjektivität der situation der einzelnen erkennen kann und andererseits aber ein universelles recht auf abtreibung ableiten können will.“
Das ist tatsächlich relativ einfach und lässt sich vielleicht noch eben auflösen – den Rest lass ich jetzt einfach mal so stehen, weil mir ehrlich gesagt die Energie für diese Diskussion hier ein wenig ausgeht (deswegen auch keine neue Antwort mehr @ Sarah Diehl, ich hoffe, Du siehst es mir nach):
Ein Recht auf etwas besagt ja noch nichts über den individuellen Umgang mit ihm – das sind zwei unterschiedliche Ebenen. Das heißt, trotz bestimmter in meinen Augen begründbarer universeller (also: global und intertemporal wirkender, NICHT: „absoluter“ also nicht abwägbarer) Menschenrechtspositionen, kann sich ja jeder Mensch natürlich immer noch frei entscheiden, ob/wie er/sie seine/ihre eigenen Rechte individuell nutzen und gestalten will. Und das habe ich dann natürlich wiederum als individuelle Perspektive zu respektieren, auch wenn es nicht meiner persönlichen Vorstellung der Ausübung des jeweiligen Rechts entspricht.
So hat in meinen Augen jede Frau das Recht, sich frei zu entscheiden, ein Kopftuch zu tragen, auch wenn sie in meinen Augen ein global und intertemporal wirkendes (also jeder Frau weltweit und in alle Zukunft zukommendes) Recht hätte, sich auch anders zu entscheiden. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben, kann aber für sich auch entscheiden, es sich zu nehmen, hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, kann sich aber auch mit Tattoos und Piercings vollpflastern oder sonstwas mit seinem/ihrem Körper anstellen. Jede Frau hat in meinen Augen ein Recht auf Abtreibung, kann das aber natürlich auch für sich selbst ganz leicht oder ganz schwer nehmen, kann aus selbstgewähltem Glauben auch für sich entscheiden das nicht zu dürfen usw. usf. (Sicherheitshalber und zur Vorbeugung von Missverständnissen: Mir ist klar, dass unter geltenden Bedingungen all diese Rechte nur extrem begrenzt zum Tragen kommen und betone an dieser Stelle nochmal, dass es auf die EIGENE freie Entscheidung ankommt, für deren Ermöglichung der entsprechende Rahmen zur Verfügung zu stellen ist, z.B. durch die Abschaffung bestimmter sozialer, ökonomischer und kultureller Strukturen).
Das meinte ich mit unterschiedlichen Ebenen: Nur weil ich sage, dass jemand ein Recht auf irgendwas hat, heißt das nicht, dass ich deren/dessen individuellen Umgang und die entsprechende Perspektive damit nicht zu achten und zu respektieren hätte – im Gegenteil: Das ist doch gerade der Witz an der Idee universeller Menschenrechte, dass ich eben JEDEM/JEDER diese Rechte und ihre autonome Ausübung erst einmal grundsätzlich zuzugestehen habe, unabhängig von meinem eigenen Geschmack, meiner eigenen Idee vom „guten Leben“. Und nochmal kontextualisiert: Nur weil ich sage, es gäbe in meinen Augen ein gut begründbares universelles Recht auf Abtreibung, heißt das nicht, dass ich etwas über „die Lebenswirklichkeit“ der individuellen Frau aussage, also darüber, wie sie mit diesem Recht umgeht oder eben auch über die Umstände, die es ihr gar nicht erst ermöglichen, ihr Recht auszuüben (außer die Aussage, dass solche Umstände dann wohl menschenrechtswidrig wären). Insofern kann man also eben sehr wohl ein universelles Recht auf irgendwas begründen und gleichzeitig die Subjektivität der Situation des/der Einzelnen (an-)erkennen – man muss es dann sogar.
„letzteres ist nicht notwendig, wenn man aus einer abtreibung nicht mehr macht als einen medizinischen eingriff.“
Natürlich ist das Konzept „universelle Menschenrechte“ oder ein vergleichbares Konzept (z.B. „Rechtlosigkeit des Embryos“) auch dann notwendig, nämlich um zu begründen, WARUM eine Abtreibung nicht mehr ist als ein anderer medizinischer Eingriff, warum „man“ deswegen nicht mehr draus machen sollte und warum das Ganze dementsprechend rechtlich behandelt, sprich: legalisiert werden muss [wobei, btw, auch schon die Frage des „normalen ärztlichen Heileingriffs“ juristisch keine so ganz einfach-selbstverständliche Sache ist, in Sachen Rechtswidrigkeit, Einverständnis, Straflosigkeit und Legalität – auch dazu gibts durchaus rechtswissenschaftlichen Diskurs]. Auch dafür braucht man eine Begründung – ob nun die der universellen Menschenrechte oder die des rechtlosen Embryos…
Wie ich schonmal schrieb: Es geht hier in unserer ganzen Diskussion im Kern „nur“ um unterschiedliche Begründungswege, die zum gleichen Ergebnis kommen, bislang haben wir allerdings die jeweiligen dahinter liegenden Argumente für und gegen die einzelnen Begründungswege noch gar nicht wirklich diskutiert (also WARUM soll es denn überhaupt sowas wie Menschenrechte geben, WARUM sollen die denn überhaupt universell gelten, WIE soll so eine Abwägung überhaupt aussehen und WARUM genau so, WARUM sollte Rechtsfähigkeit an Subjektivität gekoppelt sein, WARUM sollte der Embryo keine Rechte haben, WIE kommen wir auf all das etc.). Das würde dann auch aber wirklich sehr in die Tiefen der Gerechtigkeitstheorie (also der „Ethik“) abdriften, weswegen ich persönlich diesen Diskurs bislang hier vermieden habe und ehrlich gesagt aus energetischen Gründen (s.o.) auch nicht mehr führen möchte.
Vielleicht wirkt das alles in einer Diskussion auf einem „blank sheet of paper“ wie hier erstmal nicht so wichtig, weil man sich denkt „ist doch klar wie es richtig ist“, aber hakelig und höchst relevant wird der Begründungsweg jedenfalls dann, wenn ich mich darüber unterhalte, wie ein gerechter, ein richtiger gesellschaftlicher oder rechtlicher Rahmen für irgendwas auszusehen hat. So ist es eben sinnvoll, BEGRÜNDEN zu können, dass z.B. die Rasse-Gesetze im 3. Reich oder die derzeit geltenden sozio-ökonomischen Bedingungen auf unserem Planeten aus unterschiedlichen Gründen gegen (universelle) Menschenrechte verstoßen und dementsprechend nicht wiederholt bzw. weitergeführt werden dürfen. Und genauso brauch ich eben eine Begründung dafür, ob und warum ich z.B. Abtreibung als medizinischen Eingriff oder als Straftatbestand sehe, wenn ich denn einen bestimmten Rahmen einfordere.
Bin grade in der Süddeutschen von heute über ein Interview gestolpert, das im hiesigen Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant ist, so in Sachen (Nicht-)Sinnhaftigkeit von Fristen und Schwierigkeit ihrer Bestimmung so. Dort geht es um das gar nicht so seltene Phänomen, dass Frauen ihre Schwangerschaft erst sehr spät bemerken (nach Angabe im Text kommt auf 500 Schwangerschaften eine unbemerkte, also die erst nach der 20. Woche festgestellt wird), teilweise erst mit dem Beginn der Geburt.
http://www.sueddeutsche.de/leben/verdraengte-schwangerschaft-kindsbewegungen-als-bauchgrimmen-1.1151474
Ich finde den Tenor im Text teilweise etwas schwieirig, weil das Gesagte teilweise schon etwas nach individualisierter Verantwortungsanlastung an die Frau klingt („verdrängen“, „negieren“), aber zum sich-erstmal-das-Problem-klarmachen ist er vielleicht ganz interessant.
…interessant wäre es natürlich auch noch gewesen, zu fragen, ob es weniger solcher Fälle gäbe, wäre Abtreibung enttabuisiert, weil es den Frauen einen Grund weniger gäbe, ihre Schwangerschaft für sich so stark zu problematisieren.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,631869,00.html
@alex: Könntest du bitte etwas zum Kontext sagen, in dem du diesen Artikel hier verorten würdest, oder konkreter: warum du ihn im Rahmen dieser Diskussion wichtig findest? Es ließen sich dazu ja verschiedenste Dinge sagen… Danke.
@anna-sarah
gerne.
wie christliches erbe den umgang mit dem schwangerschaftsabbruch bestimmt – die praktische anwendung der passion an einem beispiel mit spezifisch deutscher ausprägung