Revolutionserklärung der Frauen Saudi-Arabiens

Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog der Journalistin Mona Kareem. Ins Deutsche übersetzt haben ihn Sara Mously und Rasha H. Khayat.

Vier Frauen, zwei unverschleiert, eine mit Kopftuch, eine im Niqab, sie halten Plakate hoch: I want Equality – I want freedom – I want to Participate - I want to Speak
copyright: Manal Al-Hazzaa

Soziale Netze spielen eine immer größere Rolle, wenn es darum geht, ge­sell­schaft­liche Veränderungen anzustoßen. Über Twitter haben viele saudi-arabische Frauen unter dem Hashtag #SaudiWomenRevolution ihrem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit in ihrer Gesellschaft Ausdruck verliehen. Sie liefern Beispiele, er­zäh­len von der Ungerechtigkeit, der sie ausgesetzt sind.

Die Medien haben zwar über die Twitter-Diskussion berichtet, aber nichts dafür getan, die Sache selbst voranzutreiben. In der Hoffnung, Unterstützung für ihren Kampf gegen gesellschaftlich legitimierten Sexismus zu erhalten, haben sie eine Revolutions-Website auf Facebook eingerichtet. Die folgende Erklärung fasst die dort gesammelten Forderungen zusammen. Sie wird an Menschen­rechts­or­ga­ni­sationen und Medienvertreter gesendet.

Erstens – Frauen können ihre Rechte nicht wahrnehmen, solange nicht das System der männlichen Vormundschaft vollständig aus den Regeln und Gesetzen des saudi-arabischen Staates getilgt ist. Der männliche Vormund, der „Mahram“ kann der Vater, Bruder, Ehemann oder sogar der Sohn einer Frau sein. Er verfügt über vielerlei Rechte, mit denen er ihr Leben fast vollständig kontrollieren kann. Das Königreich Saudi-Arabien sicherte der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2009 zu, die männliche Vormundschaft und staatlich legitimierten Sexismus zu beenden. Doch bisher blieben diese Versprechen unerfüllt.

Vor allem aus folgenden Gründen leiden saudi-arabische Frauen unter der männlichen Vormundschaft:

– Saudische Frauen dürfen ohne die Erlaubnis ihres Vormunds weder arbeiten noch sich für einen Stelle bewerben.

– Saudische Frauen dürfen ohne Begleitung ihres Mahram nicht verreisen, es sei denn, sie haben seine schriftliche Erlaubnis dazu. Das saudi-arabische Innen­ministerium gestattet Frauen über 45 zwar Reisefreiheit, jedoch stellte die Orga­nisation „Human Rights Watch“ im April 2008 fest, dass Flughafenbeamte diese trotzdem an der Ausreise hinderten.

– Saudische Frauen dürfen ohne die Erlaubnis ihres Vormunds keine Universität besuchen und keine Ausbildung absolvieren. Sie dürfen das Land nicht verlassen, um im Ausland zu studieren, selbst dann nicht, wenn sie ein Stipendium für das betreffende Land haben. Zudem stehen saudischen Frauen weniger Studienfächer zur Verfügung als Männern, obwohl sie, wie Statistiken beweisen, die besseren Abschlüsse machen als Männer.

– Saudische Frauen haben kein Recht ohne die Einwilligung des Vormunds zu heiraten oder sich scheiden zu lassen. Verschiedene Beispiele zeigen, wie sehr Frauen besonders unter diesem Aspekt des Vormundschaftssystems leiden. In ihrem Bericht von 2010 nennt „Human Rights Watch“ zwei Fälle in Braida und Riad, in denen Männer ihre Schwestern gleich fünf mal hintereinander verheiratet und wieder geschieden haben, um das Brautgeld zu bekommen.

– Saudische Frauen haben kein Recht dazu, ohne die Erlaubnis ihres Vormunds Formulare und amtliche Dokumente auszufüllen und zu unterzeichnen. Auch dürfen sie nicht ohne ihren Vormund an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Human Rights Watch berichtete 2010 von einer Frau, die mit 300 Peitschenhieben und einem halben Jahr Gefängnis dafür bestraft wurde, weil sie ohne Vormund vor Gericht erschien. Das Justizministerium versprach im Februar 2010, Frauen zu gestatten, als Anwältinnen zu arbeiten, doch blieb dieses Versprechen bisher unerfüllt.

– Saudische Frauen können ohne die Zustimmung ihres Vormunds keine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen. Viele Frauen erzählen von Schäden, die sie dadurch erlitten haben. Im Juli 2009 berichtete „Human Rights Watch, dass saudi-arabische Frauen sogar für das Betreten oder Verlassen eines Krankenhauses einen Vormund benötigen. Nach einer Krankenhausbehandlung muss eine Frau so lange in der Klinik bleiben, bis ihr Mahram sie abholt.

– Saudische Frauen können ohne die Erlaubnis des Vormunds kein Bankkonto für ihre Kinder eröffnen, sie an keiner Schule anmelden, keine Einsicht in die Schul­akten bekommen und nirgendwo hin mit ihnen verreisen.

Zweitens – Saudi-Arabien muss Gewalt gegen Frauen verbieten, verfolgen und bestrafen. Die Regierung muss Gesetze schaffen, die es Frauen ermöglichen, jeden zu verklagen, der Gewalt gegen sie ausübt.

Drittens – Saudi-Arabien muss Kinderheiraten verbieten. Viele Mädchen werden noch vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, oft bekommen ihre Familien dafür Geld. „Human Rights Watch“ berichtete 2010 von einem geschiedenen Mann, der seine zwölfjährige Tochter für 80 000 saudische Riyals (15 000 Euro) an einen alten Mann verheiratete.

Viertens – Saudi-Arabien muss Frauen das Recht geben, Auto zu fahren. Heute sind sie darauf angewiesen, männliche Fahrer zu engagieren, damit sie ihre täglichen Besorgungen erledigen und zur Arbeit zu fahren können. Ein Fahrer kostet um die 1000 Saudi Riyals (190 Euro) im Monat, und viele Frauen können sich diese Summe nicht leisten.

Fünftens – Saudi-Arabien muss völlige Geschlechtergleichheit einführen, und Männern und Frauen die gleichen Rechte und Pflichten einräumen, einschließlich dem Recht, ihre Staatszugehörigkeit an ihr Kind weiterzugeben, ein Recht, das in Saudi-Arabien bisher den Männern vorbehalten ist.

Sechstens – Saudische Frauen müssen dieselben politischen Rechte haben wie Männer. Dazu gehören das Recht, sich an der Wahl der Gemeindeverwaltung zu beteiligen und das Recht, selbst zu kandidieren. Frauen sollten am „Shura-Rat“, (Eine Art Gremium, das in rechtlichen Fragen zurate gezogen werden kann) teil­nehmen und an allen staatlichen Institutionen und Stiftungen, dazu gehören auch das Justiz- und das Außenministerium.

Siebtens – Nachdem alle bevorstehenden Rechte garantiert sind, muss der Königliche Gerichtshof ein starkes Frauenkomitee errichten, um die Rolle von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft zu aktivieren und zu stützen, um Sexismus gesetzlich zu bekämpfen, und um das Bewusstsein der Öffentlichkeit auf die Gefahren von Sexismus zu lenken.

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