Am 26. Februar 2012 besuchte Trayvon Martin, ein afroamerikanischer Siebzehnjähriger, seinen Vater und dessen Verlobte in Sanford, Florida. Sein Vater lebt in einer sogenannten „gated community,“ also einem Wohnviertel (meist) wohlhabender Anwohner_innen, das unter anderem durch strikte Ein- und Ausgangskontrollen, „neighborhood watches“ (Nachbarschaftspatrouillen) und andere Abschottungsmaßnahmen besonders geschützt sein soll vor Verbrechen (…worunter manche gated communities auch die bloße Anwesenheit Marginalisierter zählen). Trayvon Martin war auf dem Weg nach Hause von einem Supermarkt, in dem er Süßigkeiten und Getränke für sich und einen Freund gekauft hatte, als er bemerkte, dass er von George Zimmerman verfolgt wurde. Es entstand eine Auseinandersetzung, die mit Zimmermans tödlichem Schuss auf Martin endete.
Zimmerman, ein (selbsterklärter) Nachbarschaftspatrouillen-Koordinator, war Martin zuvor in seinem Auto gefolgt, da er dessen Verhalten „verdächtig“ fand und er den Teenager nicht kannte. Berühmt-berüchtigt wurde hierbei Zimmermans Aussage, dass Trayvon verdächtig wirke, da er einen „Hoodie“, also einen Kapuzenpullover, trug, und umstritten bleibt, ob Zimmerman sich auch explizit rassistischer Schimpfwörter bediente, als er die Polizei anrief, um Trayvon Martin zu melden. Deutlich wurde in jedem Fall, dass Zimmerman sich des Racial Profiling bediente. Der Polizeibeamte wies Zimmerman an, in seinem Auto zu bleiben bzw. sich zu diesem zurück zu begeben und Trayvon Martin nicht anzusprechen, da eine Streife auf dem Weg sei. Zimmerman entschied sich für das Gegenteil.
Laut Rachel Jeantel, einer Freundin Trayvon Martins, mit der er an diesem Abend während der Geschehnisse telefonierte, bemerkte Martin, dass Zimmerman ihn verfolgte, und es kam schließlich zur Konfrontation. Hier gibt es unterschiedliche Darstellungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, von wem die Konfrontation und der erste körperliche Angriff ausging – Fakt ist, Trayvon Martin war derjenige, der unbewaffnet war und er war derjenige, der erschossen wurde. Als die Polizei eintraf, wurde Zimmerman verhaftet und später vernommen, aber aufgrund des „Stand Your Ground“-Gesetzes in Florida, das in einer als lebensgefährlich wahrgenommenen Bedrohungssituation auch tödliche Gewalt zur „Selbstverteidigung“ zulässt (auch bei Rückzugsmöglichkeit), wieder freigelassen. Erst eine massive Informations- und Protestkampagne der Eltern Trayvon Martins und zahlreicher Unterstützer_innen führte zu einer erneuten Verhaftung und der Anklage Zimmermans. Der Prozess wurde vor drei Wochen vor einer sechsköpfigen Jury, bestehend aus fünf weißen Frauen und einer Frau of Color, eröffnet. Diese Jury sprach George Zimmerman am vergangenen Samstagabend frei, sowohl vom Vorwurf des „Mord zweiten Grades“ (second-degree murder) als auch des Totschlags.
Schon während des Prozesses sorgte die Verteidigungsstrategie der Anwälte Zimmermans für Kopfschütteln, unter anderem aufgrund der Bemerkung Mark O’Maras in seinem Abschlussplädoyer, dass an dem fraglichen Abend „nur“ George Zimmerman und nicht Trayvon Martin „verletzt worden“ sei – „abgesehen“ vom tödlichen Schuss. Auch Martins vermeintlicher, stereotyp unterfütterter „Gangster-Lebensstil“ (der sich als sehr durchschnittlich entpuppte) wurde zur Angriffsfläche im Prozess – eine Routinemethode des victim blaming (Opferbeschuldigung), das selbst Taten wie die George Zimmermans als verständlich oder gar gerechtfertigt erscheinen lassen soll, und nur vermeintlich „perfekte“ Opfer einer Gerechtigkeit würdig anerkennt. Selbstverständlich ist die Aufgabe der Verteidigung ihre Klient_innen nach allen Möglichkeiten zu vertreten – Mark O’Mara und sein Kollege haben aber immer wieder schwer erträgliches Terrain betreten mit ihrer Strategie, Zimmerman als das eigentliche Opfer darzustellen und Trayvon Martin als den eigentlich Schuldigen. Das muss man sich erst einmal trauen, wenn das tatsächliche, unbewaffnete Opfer vom Angeklagten verfolgt und durch einen Schuss getötet wurde – ein unumstrittener Fakt, auch für die Verteidigung. Mark O’Mara war sich allerdings auch nicht zu schade, bei der Pressekonferenz nach dem Urteil die Behauptung aufzustellen, dass, wäre Zimmerman Schwarz, er niemals angeklagt worden wäre.
Nicht nur O’Maras bewusste Instrumentalisierung von race und Rassismus macht Trayvon Martins Tod zum Politikum: angefangen von prominenten Basketballteams in den USA, die solidarisch Hoodies trugen oder Barack Obama, der anmerkte, dass, wenn er einen Sohn hätte, dieser aussähe wie Trayvon Martin, Martins Tötung und die darauffolgenden Debatten offenbarten erneut weiterbestehende, rassistische Gesellschaftsstrukturen, die nicht nur die USA systematisch durchziehen.
Martin wurde getötet, weil er als Schwarzer Jugendlicher in einer gated community als auffällig und nicht dazugehörig galt. George Zimmerman wurde freigesprochen, da institutionalisierter Rassismus so weit reicht, dass das Stalking und die anschliessende Erschiessung eines unbewaffneten Schwarzen Jugendlichen noch nicht einmal als Totschlag gilt. Und wie Talib Kweli auf Twitter schrieb: dass George Zimmerman sich als „Hispanisch“ definiert, ändert nichts an der Tatsache, dass Trayvon Martin für sein Schwarzsein verfolgt und getötet wurde.
Dass das „Stand Your Ground“-Gesetz in Florida rechtswirksam ist, hat die Bewertung und Beurteilung dieses Falls juristisch schwieriger gemacht. Wo ist initiierte Aggression zu verorten; wo beginnt und bis wohin reicht Selbstverteidigung? Festzuhalten gilt: George Zimmerman nahm Trayvon Martin ins Visier, ohne dass dieser irgendetwas anderes getan hatte als Süßigkeiten und Getränke vom Supermarkt zurück zur Wohnung des Vaters zu bringen. George Zimmerman begann Trayvon Martin zu verfolgen, entgegen der Anweisung der Polizei. George Zimmerman fühlte sich dann durch Trayvon Martin bedroht, als es zur Konfrontation kam und sagte aus, dass Martin ihn derart körperlich angegriffen habe, dass er um sein Leben fürchtete und er deshalb Martin habe erschiessen müssen. Ich frage mich, wie eine solche Verhaltensweise wie die Zimmermans als Selbstverteidigung definiert werden kann, die dementsprechend zu einem Freispruch führen musste. Selbst wenn man die Überlegung nicht mitgeht, dass man Zimmermans Verhalten als Mord 2. Grades einstufen könnte – wie kann es kein Totschlag sein, einen unbewaffneten Jugendlichen, entgegen der Anweisung der eigens gerufenen Polizei, zu verfolgen und zu erschiessen? Wie kann Trayvon Martins Reaktion auf jene Verfolgung/Bedrohung, sei sie so brutal gewesen wie Zimmerman diese darstellte (…wenngleich ihm offenbar dieser Schilderung entsprechende Verletzungen fehlten), nicht als die eigentliche Selbstverteidigung gewertet werden laut des „Stand Your Ground“-Gesetzes? Adam Serwer versucht sich hier an einer juristischen Erklärung. Die andere Erklärung: institutionalisierter Rassismus.
Institutionalisierter Rassismus (und Sexismus), z.B. vor Gericht, führt dazu, dass die Afroamerikanerin Marissa Alexander aus Jacksonville, Florida, ein Jahr zuvor für einen Warnschuss (der niemanden verletzte) während einer Konfrontation mit ihrem gewalttätigen Ehemann zu 20 Jahren Haft verurteilt und ihr somit die Anwendung des „Stand Your Ground“-Gesetzes zur Selbstverteidigung, auf das sich auch ihre Verteidigung berief, explizit vorenthalten wurde (Ergänzung: wie auch CeCe McDonald in Minnesota, deren Anklage und Gerichtsprozess von Rassismus, Sexismus und Transphobie durchzogen war). Institutionalisierter Rassismus führt dazu, dass drei Mal mehr Schwarze US-Bürger_innen zur Todesstrafe verurteilt werden als weiße. Jener institutionalisierte Rassismus führte auch dazu, dass das Verfahren gegen George Zimmerman auch zum Verfahren darüber wurde, wie Schwarz Trayvon Martin war: wie sehr hood(ie), wie stereotypisierbar, wie entmenschlich- und entindividualisierbar genug, um eine „beiläufige“ Erschiessung zu rechtfertigen. Wie Zimmermans Anwalt O’Mara sagte: Martin sei, anders als Zimmerman, nicht zu Schaden gekommen, abgesehen vom Schuss. Institutionalisierter und die Gesellschaft durchdringender Rassismus zeigt sich, wenn George Zimmermans Legal Defense Fund über 130,000 Dollar an Spenden einnimmt, er von manchen als Held gefeiert wird und Menschen sich über seine Autogrammkarte freuen.
Trayvon Martin hat seinen Vater besucht. Er war einkaufen und wollte sich auf den Heimweg machen. Sein Stalker hat ihn erschossen. Und der Rechtsstaat findet: Alles richtig gemacht (…oder zumindest nichts so falsch, dass es eine Konsequenz benötigte). Das ist institutionalisierter Rassismus und seine Konsequenz: nicht-weiße Menschen sind weniger wert als weiße. Schwarze Menschen gelten als so bedrohlich, dass ihre reine physische, öffentliche Präsenz als Gefahr wahrgenommen wird, die eine gewaltsame Reaktion rechtfertigt. Allein das Gefühl, dass ein kapuzenpullitragender Schwarzer Jugendlicher eine Gefahr darstellen könnte, hat Zimmerman dazu veranlasst, Martin zu verfolgen und in einer Konfrontation zu erschiessen. Und mithilfe dieser rassistischen Konstrukte ist die Tötung eines unbewaffneten Schwarzen noch nicht einmal Totschlag vor Gericht, sondern die legitime, vermeintliche Rettung des eigenen Lebens vor einer projezierten Gefahr. Trayvon Martin war nur zu Besuch und er hielt Süßigkeiten und Eistee in seinen Händen. Er war dabei aber Schwarz, das hat gereicht.
Die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) hat eine Petition an das US-Justizministerium gestartet – unterschreiben könnt ihr hier.
Update (16. Juli): Ein Mitglied der Jury, die Zimmerman freisprach (Frau „B37“), hat dem CNN-Journalisten Anderson Cooper ein Interview zu ihrer Entscheidung gegeben. Wer starke Nerven hat, kann hier Beispiele zirkulärer „Logik“, des victim blamings und rassistischer Grundannahmen (u.a. in Form ausgeblendeter Strukturen und Annahme einer „Farbenblindheit“ [sic]) lesen.
Danke für die ausführliche Zusammenfassung eines dir so nahen Themas :/
Kann man eine Verteidigung auf Notwehr aufbauen und kein Victim Blaming betreiben?
Übrigens (unabhängig vom Fall) kann man auch in Deutschland tödliche Gewalt einsetzen um einen gegenwärtigen Angriff abzuwehren. Es gilt im deutschen Strafrecht der Grundsatz „Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen“ (s. § 32 StGB).
@ich: Zum Beispiel kann man sich auf die Situation und den Ablauf des fraglichen Abends konzentrieren und nicht die Mutter des Getöteten fragen, ob sie nicht auch denke, dass ihr Kind selbst am Tod Schuld sei, wenn er denn so verdächtig mit Kapuzenpulli herumlaufe (ja, das wurde gemacht). Oder nicht jemanden als schwerkriminell (und implizit tötungswürdig) darstellen, weil er angeblich Joints rauchte und sogar mal „Fuck“ gesagt haben soll. Oder sich fragen, was an der Aussage, dass ja nur Zimmerman zu Schaden gekommen sei in dieser Auseinandersetzung (abgesehen vom Schuss) ein bisschen fragwürdig ist. Oder nicht jede Taktik mit ordentlich Rassismus unterfüttern. Doch selbst wenn all das unabdingbar gewesen wäre für eine Notwehr-Behauptung: wird es dadurch besser? Wird die Schlussfolgerung sinnvoller? Aber hey, gut, dass wir am Thema vorbei geredet haben. (Übrigens wäre, wenn wir nun schon Äpfel mit Birnen vergleichen, §35 des StGB bedeutsam für den Fall Zimmerman). /derailing.
Vielen Dank Accalmie, auch für die Geduld, noch auf Trolle einzugehen…
@Esme & Sula: Danke :)!
Ich warte jetzt schon seit gestern darauf Empörung in den von mir regelmäßig frequentierten großen Nachrichtenportalen zu finden.
Anscheinend ist es nicht mehr populär sich über Rassismus aufzuregen.
Wenigstens hier. Danke accalmie
..wo wir schon beim deutschen Notwehrrecht sind: es gibt sowohl den Begriff des intensvien oder extensiven Notwehrexzesses als auch jenen der Notwehrprovokation, zumindest letzteres scheint mir hier durchaus gegeben zu sein. Fuer die Nicht-Strafbarkeit des intensiven Notwehrexzesses in D. ist es notwendig, dass der Angegriffene aus Furcht oder Verwirrung zum Exzess griff, ein sogenannter sthenischer, also ‚kraftvoller‘ Notwehrexzess ist immer strafbar, auch das scheint mir in diesem Falle diskutierbar, auch wenn der Anwalt es versuchte, anders darzustellen. Es haette hier in jedem ‚rechtsstaatlichen‘ Rechtssystem Handhaben gegeben, das scheint mit voellig unzweifelhaft. Zur Notwehrprovokation:
„Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Angegriffene die Notwehrlage selbst (etwa durch Provokation des Angreifers) entweder mit Vorsatz oder auf andere Weise herbeigeführt hat. In diesem Fall spricht man von einer Notwehrprovokation. Die Rechtsprechung geht gegenwärtig davon aus, dass in diesem Falle dem Provokateur zumindest das Ausweichen zumutbar ist, der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht weichen müsse, damit nicht zur Anwendung kommt.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Notwehr
Auch wenn es Notwehr war, ist festzustellen:
1) Die Notwehrreaktion war unverhältnismäßig.
2) Wer sich selbst in eine Lage bringt, in der er nach der Lebenserfahrung mit dem Auftreten einer Notwehrsituation rechnen muss, kann sich nur begrenzt auf einen Notwehrexzess berufen.
3) Deshalb hätte Zimmerman wegen Totschlags verurteilt werden müssen.
4) Die ganze Institution des bewaffneten neighborhood watch ist einzustellen.
5) Zimmerman muss erneut angeklagt werden, sonst müssen vor allem Schwarze in den USA weiterhin mit der ständigen Angst leben, in irgendeiner Auseinandersetzung, die sie nicht gesucht haben, „aus Notwehr“ erschossen zu werden.
In der Gated Community lebten etwa 50% Weiße, 25 Hispanics und 20% Schwarze, es war nicht ungewöhnlich, dort einen schwarzen Jugendlichen zu sehen. Neben Rassismus ist hier offenbar eine Form von neighborhood bullying, die sich als neighborhood watch tarnt und mit der US-amerikanischen gun culture zu tun hat, am Werk.
Nach dem kleinen Notwehr im deutschen Strafrecht-Exkurs würde ich gerne zum Punkt des Beitrags zurückkehren in dieser Diskussion: institutionalisierter Rassismus und die Gleichsetzung von Schwarzsein mit Gefährlichkeit. Für people of color ist das übrigens keine graue Theorie oder blosses Gedankenspiel, was in diesem Beitrag geschildert wird – es wäre toll, wenn das zur Kenntnis genommen werden könnte. Danke.
Du schreibst: „Und der Rechtsstaat findet: Alles richtig gemacht“.
Daran teile ich zwei Punkte nicht. Zum einen muss eine Jury einstimmig entscheiden (ansonsten gibt es kein Urteil, sondern eine „Hung Jury“, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jury_%28angels%C3%A4chsisches_Rechtssystem%29). Auch die Frau of Colour hat also für Freispruch gestimmt.
Das könnte daran liegen, dass ein Freispruch nicht gleichbedeutend ist mit „alles richtig gemacht“. Ein Freispruch kann genauso gut bedeuten: Wahrscheinlich war es Mord, aber die Beweise reichen nicht, um ganz sicher zu sein. Dieses sicher sein ohne jeden vernünftigen Zweifel – das ist die Messlatte.
Es ist unwahrscheinlich, dass Trayvon Martin einen Angriff auf George Zimmerman gestartet hat. Nach der Vorgeschichte mit dem Anruf bei der Polizei scheint es wahrscheinlicher, dass George Zimmerman den Angriff gestartet hat.
Wie hätte ich als Mitglied der Jury gehandelt? Man darf auch nicht vergessen, dass es in Florida die Todesstrafe gibt. Hätte ich jemanden wegen Mordes verurteilt und damit zum Tode verurteilt, der zwar sehr wahrscheinlich der Täter war, aber nicht ganz sicher überführt?
@Patrick: Zum einen ignorierst du den zweiten Teil des von dir zitierten Satzes; zum anderen würde eine Verurteilung des Totschlags oder Mord 2. Grades nicht die Todesstrafe bedeuten – das war in diesem Verfahren überhaupt keine Option (siehe z.B. den Link zu „second degree murder“). Die Jury hatte jedoch andere Optionen, die sogar von der Staatsanwaltschaft (…die sich in diesem Verfahren nun wirklich nicht mit Ruhm/Kompetenz bekleckert hat – das sollte man neben Verteidigung und Jury auch noch einmal erwähnen, da auch dies Teil strukturellen/institutionalisierten Rassismus‘ ist) von „second degree murder“ zu „Totschlag“ ausgeweitet wurden – es gab also durchaus graduelle Abstufungen möglicher Verurteilungen.
Subjektivität ist immer ein Bestandteil von Urteilen, aber bereits angesichts der vorgetragenen Fakten wird meiner Meinung nach deutlich, von wem die Aggression ausging, für wen hier „Stand Your Ground“ gilt und für wen nicht (im übertragenen Sinne auch: wessen „ground“ öffentlicher Raum ist, also wem jener gehört und wem nicht) und wer hier wen getötet hat steht ebenfalls außer Frage. Es ist also falsch zu sagen, dass Zimmerman „wahrscheinlich der Täter war“ – das war nie umstritten. Umstritten ist die Behauptung, dass Zimmerman Trayvon zwecks Selbstverteidigung getötet hat/keine andere Option hatte außer Stalking und einem anschließenden Schuss, aus nächster Nähe, in Martins Brust, aufgrund ursprünglich rein „gefühlter“ Gefahr. Wenn das kein Mord 2. Grades ist, ist es zumindest Totschlag. Das Beispiel von Marissa Alexander zeigt auch, wie unterschiedlich das Gesetz angewandt wird – bei ihr kam noch nicht einmal eine Person zu Schaden.
Dass du allerdings als Jurymitglied es schwierig fändest, einen Menschen, der einen unbewaffneten Jugendlichen grundlos verfolgte und schließlich erschoss, zu verurteilen (wie gesagt, die Todesstrafe war hier nie eine Option), finde ich wiederum schwierig. Zimmerman war Trayvon Martins Leben nämlich nichts wert, und dank institutionalisiertem Rassismus wird er in seiner Bewertung bekräftigt. Welche Prioritäten manche in dieser Diskussion also festlegen, ist schon ein bisschen bitter. Es gibt erstaunliche Ressourcen an Sympathie/Empathie für die Jury oder die Gesetzeslage oder gar Zimmerman, aber Trayvon Martin ist nicht wichtig. Warum das (offenbar auch hier) so ist, wird im Beitrag erläutert. /eod.
Ich möchte jetzt gar nicht versuchen, die Entscheidung der Jury zu beurteilen.
Viel wichtiger ist hier meiner Meinung nach, dass in einigen Artikeln verschiedener Medien und vielen Kommentaren Verständnis dafür gezeigt wird, dass ein junger schwarzer Mann grundsätzlich als potentiell gefährlich(er) wahrgenommen wird. Und dass diese Haltung sich durch alle Schichten zieht, unabhängig von Bildung und Lebenserfahrung, und auf diese Weise natürlich jegliche Entscheidung, von der ein schwarzer Mensch betroffen ist, beeinflusst. Was, wie wir an diesem Fall sehen konnten, gefährlich für Leib und Leben sein kann.
Der Freispruch für Zimmerman ist einfach nur schrecklich. Nach all den Demos und Solidaritätsbekundungen für Trayvon Martin und nach allen Menschen, die den Fall thematisiert haben, muss das mehr als nur ein Schlag ins Gesicht sein für diejenigen, die ständig institutionalisierten Rassismus erleben. Ich weiss nicht was man noch tun oder sagen hätte können, damit der Groschen fällt. Er ist wohl nicht gefallen. Ein sehr trauriger Tag.
wenn man sich dann reinzieht, dass genau zum fast gleichen zeitpunkt, auch im staate florida, eine schwarze frau zu 20 !!!!!! jahren gefaengnis verurteilt wird (obwohl sie sich auch auf dieses „stand your ground“ – gesetz berufen hat), weil sie warnschuesse auf ihren misbraeuchlichen eheman, gegen den auch schon eine restraining order ihrerseits vorlag …. da kann man nur noch mit dem kopf schuetteln…. da fehlen mir echt die worte. 20 jahre, dafuer, dass niemand gestorben ist oder verletzt wurde. im land der waffen. und der weisse typ spielt mal einfach so sheriff, obwohl sogar die polizei sagt, er soll sich zurueckhalten, bringt dabei einen unschuldigen jungen menschen um (ob nun gewollt oder nicht, was allerdings sehr fragwuerdig ist) und geht als freier mensch nach hause. obwohl es einen toten zu beklagen gibt. nicht mal fuer fahrlaessigen totschlag o.ae. muss sich dieser mensch verantworten…. mir bleibt die spucke weg.
http://www.cbsnews.com/8301-201_162-57433184/fla-mom-gets-20-years-for-firing-warning-shots/
Das Urteil stinkt alleine schon zum Himmel, der Gipfel ist aber die kontextuelle Einbettung in das schon erwähnte Urteil gegen die schwarze Frau, die sich mit Warnschüssen gegen eine tatsächliche Gefahr wehrte.
Die Rechtfertigungsversuche für Zimmermann sind ebenfalls haarsträubend: Selbst wenn Trayvon Martin zuerst zugeschlagen hat: Er wurde von einem zwielichtigen Zivilisten in einer dunklen Straße verfolgt und dann auch bedrängt. Gerade angesichts des absurden „stand-your-ground“-laws MUSS doch jeder Verständnis für diese Reaktion haben. Die unterschiedliche Wertung dieser Handlungen kann nur bei Einbeziehung der Hautfarbe erklärt werden, purer Rassismus, der so offensichtlich und plakativ lange nicht mehr demonstriert wurde. Zum Kotzen!
Danke für den Artikel. Ich dachte schon, das interessiert in Dt keine_n. Und wenn, dann immer nur in der Art und Weise „schaut mal, wie schlimm Rassismus in den USA ist“ (dabei wird impliziert: und wie viel „besser“ Dt angeblich wäre, also angeblich weniger rassistisch). Zumindest haben die dt Medien, die letztes Jahr darüber berichteten, sehr selbstgefällig darüber geschrieben, als ob Polizeigewalt gegen Schwarze, Polizeimorde an Schwarzen oder rassistische Morde ein US-amerikanisches Problem seien..
Auf einer der „Million Hoodie Marches“ letztes Jahr in Chicago erzählte mir jemensch von Rekia Boyd, einer 22-jährigen Schwarzen Frau, die kurz nach dem Trayvon Martins Tod nationale Aufmerksamkeit erhielt, von einem weißen off-duty Polizisten erschossen wurde. Der Polizist war den Abend zuvor in seinem Auto an einem Park vorbeigefahren und hatte geschrien, die Leute sollten still sein – was er denn machen müsse, dass sie still seien, ob er erst jemanden erschießen müsse. Am Tag darauf erschien er wieder, in zivil, und schrie erneut, die Leute sollten das Maul halten. Dann zog er eine Waffe heraus und schoss in die Menge, wobei er Rekia Boyd in den Kopf traf.
Die Polizeigewerkschaft machte mal wieder eine „Notwehr“ daraus (sie handeln noch in „Notwehr“, wenn Schwarze Teenager in Handschellen auf dem Boden liegen und sie ihnen in den Kopf schießen) und behauptete, ein Schwarzer Mann hätte eine Waffe auf den Polizisten gerichtet. Es waren etwa 60 Leute im Park. Nur der Polizist hatte eine Waffe gesehen. Es konnte auch keine gefunden werden.
Der Polizist wurde nicht aus dem Dienst entlassen und mit sowas wie „leichter Körperverletzung/geringfügigem Fehlverhalten/Amtsvergehen“ angeklagt (etwas, was mensch nach einer Prügelei in einer Bar bekommt).
Wenige Tage zuvor tötete der Hund eines anwesenden off duty Polizisten einen anderen Hund im Park. Der Polizist meldete den Vorfall nicht. Als es herauskam, wurde er sofort aus dem Dienst entlassen: die Polizei argumentierte, er sei ein Ehrverlust für die Polizei und mensch könne nicht verantworten, ihn im Dienst zu lassen.
Die US-Polizei erschießt statistisch gesehen alle 36 Stunden einen Schwarzen Menschen. In Chicago allein wurden zwischen 2007 und 2011 195 men of color von der Polizei erschossen, nur in Chicago, und nur von der Polizei. Trayvon Martin würde da nicht einmal mitgerechnet werden.
Danke für den Artikel.
Wäre es nicht wichtig, den Klassismus ebenso zu benennen wie den Rassismus?
Zum Hoodie und den bürgerlichen Ängsten und Vorurteilen hatte Lady Sovereign ein Musikvideo veröffentlicht: Lady Sovereign: hoodie