Zum Freispruch für George Zimmerman

Am 26. Februar 2012 be­such­te Tray­von Martin, ein afro­ameri­kani­scher Sieb­zehn­jähri­ger, seinen Vater und dessen Ver­lobte in San­ford, Florida. Sein Vater lebt in einer so­genann­ten „ga­ted commu­nity,“ also einem Wohn­viertel (meist) wohl­haben­der An­wohner_innen, das unter anderem durch strik­te Ein- und Aus­gangs­kontrollen, „neighborhood watches“ (Nach­bar­schafts­pa­trouil­len) und andere Ab­schot­tungs­maß­nahmen be­sonders ge­schützt sein soll vor Ver­brechen (…wo­runter manche gated commu­nities auch die blo­ße An­wesen­heit Mar­gi­na­li­sier­ter zäh­len). Tray­von Mar­tin war auf dem Weg nach Hause von einem Super­markt, in dem er Süßig­keiten und Ge­trän­ke für sich und einen Freund gekauft hatte, als er bemerkte, dass er von George Zim­mer­man verfolgt wurde. Es entstand eine Auseinandersetzung, die mit Zim­mer­mans töd­lichem Schuss auf Martin endete.

Zim­mer­man, ein (selbst­erklär­ter) Nach­bar­schafts­pa­trouil­len-Koor­di­na­tor, war Martin zuvor in seinem Auto gefolgt, da er dessen Ver­halten „ver­dächtig“ fand und er den Teenager nicht kannte. Berühmt-berüchtigt wurde hier­bei Zimmermans Aus­sage, dass Tray­von verdächtig wirke, da er einen  „Hoodie“, also einen Ka­pu­zen­pul­lo­ver, trug, und um­strit­ten bleibt, ob Zim­mer­man sich auch explizit rassisti­scher Schimpf­wörter be­diente, als er die Polizei anrief, um Tray­von Martin zu melden. Deutlich wurde in jedem Fall, dass Zimmerman sich des Racial Profiling bediente. Der Po­li­zei­beamte wies Zimmerman an, in seinem Au­to zu blei­ben bzw. sich zu diesem zurück zu begeben und Trayvon Martin nicht anzusprechen, da eine Strei­fe auf dem Weg sei. Zim­mer­man ent­schied sich für das Ge­gen­teil.

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Quelle: Wikipedia.

Laut Rachel Jeantel, einer Freun­din Tray­von Mar­tins, mit der er an die­sem Abend während der Ge­scheh­nisse te­le­fo­nier­te, be­merk­te Mar­tin, dass Zim­mer­man ihn ver­folgte, und es kam schließ­lich zur Kon­fron­ta­tion. Hier gibt es unter­schied­liche Dar­stel­lungen der Staats­an­walt­schaft und der Ver­tei­di­gung, von wem die Kon­fron­ta­tion und der er­ste kör­per­liche An­griff aus­ging – Fakt ist, Tray­von Mar­tin war der­jen­ige, der un­be­waf­fnet war und er war der­jenige, der er­schos­sen wurde. Als die Poli­zei ein­traf, wurde Zim­mer­man ver­haftet und spä­ter ver­nom­men, aber auf­grund des „Stand Your Ground“-Gesetzes in Florida, das in einer als lebensgefährlich wahr­ge­nom­men­en Be­drohungs­situa­tion auch töd­liche Ge­walt zur „Selbst­ver­teidigung“ zu­lässt (auch bei Rückzugsmöglichkeit), wie­der frei­gelas­sen. Erst eine massive In­for­ma­tions- und Pro­test­kam­pagne der Eltern Tray­von Martins und zahl­reicher Un­ter­stützer_innen führ­te zu einer erneuten Verhaftung und der Anklage Zimmermans. Der Prozess wurde vor drei Wo­chen vor einer sechs­köpf­igen Jury, bestehend aus fünf weißen Frauen und einer Frau of Color, er­öffnet. Diese Jury sprach Geor­ge Zim­mer­man am ver­gan­genen Samstag­abend frei, so­wohl vom Vor­wurf  des „Mord zweiten Grades“ (second-degree murder) als auch des Tot­schlags.

Schon während des Prozesses sor­gte die Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie der An­wälte Zim­mer­mans für Kopf­schütteln, unter anderem auf­grund der Be­merkung Mark O’Maras in seinem Ab­schluss­plä­doyer, dass an dem frag­lichen Abend „nur“ Geor­ge Zim­mer­man und nicht Tray­von Martin „verletzt worden“ sei – „ab­gesehen“ vom töd­lichen Schuss. Auch Martins ver­meint­licher, stereo­typ unter­fütter­ter „Gang­ster-Lebens­stil“ (der sich als sehr durch­schnitt­lich ent­puppte) wurde zur An­griffs­fläche im Pro­zess – eine Routine­me­tho­de des vic­tim blaming (Opfer­beschuldigung), das selbst Taten wie die Geor­ge Zimm­er­mans als ver­ständ­lich oder gar ge­recht­fer­tigt er­schei­nen lassen soll, und nur ver­meint­lich „perfekte“ Opfer einer Ge­rechtig­keit wür­dig an­erkennt. Selbst­ver­ständ­lich ist die Auf­gabe der Ver­tei­digung ihre Klient_innen nach allen Mög­lich­kei­ten zu vertreten – Mark O’Mara und sein Kolle­ge haben aber im­­mer wieder schwer er­träg­liches Ter­rain b­e­tre­ten mit ihrer Stra­te­­gie, Zim­­mer­­man als das eigent­­liche Opfer dar­­zu­­stellen und Tray­von Martin als den eigent­lich Schul­digen. Das muss man sich erst ei­n­mal trauen, wenn das tat­­säch­­liche, unbewaffnete Opfer vom An­­ge­­klag­ten verfolgt und durch einen Schuss ge­tö­tet wurde – ein un­um­strit­tener Fakt, auch für die Ver­tei­digung. Mark O’Mara war sich aller­dings auch nicht zu schade, bei der Presse­kon­ferenz nach dem Ur­teil die Be­haup­tung auf­zu­stellen, dass, wäre Zim­mer­man Schwarz, er nie­mals an­ge­klagt wor­den wäre.

Nicht nur O’Maras be­wusste Instru­menta­li­sierung von race und Rassis­mus macht Tray­von Martins Tod zum Poli­ti­kum: angefangen von promi­nenten Basket­ball­teams in den USA, die soli­darisch Hoo­dies trugen oder Barack Obama, der an­merk­te, dass, wenn er einen Sohn hätte, dieser aus­sähe wie Tray­von Martin, Martins Tötung und die darauf­fol­gen­den De­batten offen­bar­ten er­neut weiter­be­stehende, rassisti­sche Ge­sell­schafts­struk­turen, die nicht nur die USA syste­ma­tisch durch­ziehen.

Martin wurde getötet, weil er als Schwar­zer Jugend­licher in einer gated community als auf­fäll­ig und nicht dazu­gehörig galt. George Zimmerman wurde frei­gesprochen, da in­sti­tutio­nali­sier­ter Rassis­mus so weit reicht, dass das Stal­king und die an­schliessen­de Er­schiessung eines un­be­waffneten Schwarzen Jugend­lichen noch nicht einmal als Tot­schlag gilt. Und wie Talib Kweli auf Twitter schrieb: dass Geor­ge Zim­mer­man sich als „Hispa­nisch“ defi­niert, ändert nichts an der Tat­sache, dass Tray­von Martin für sein Schwarz­sein ver­folgt und ge­tötet wurde.

Dass das „Stand Your Ground“-Gesetz in Florida rechts­wirk­sam ist, hat die Be­wer­tung und Be­ur­tei­lung dieses Falls jurist­isch schwie­riger gemacht. Wo ist initi­ierte Aggression zu ver­orten; wo be­gin­nt und bis wo­hin reicht Selbst­ver­tei­di­gung? Fest­zu­halten gilt: George Zim­mer­man nahm Tray­von Martin ins Visier, ohne dass dieser irgend­etwas anderes ge­tan hatte als Süßig­keiten und Ge­tränke vom Super­markt zurück zur Wohnung des Va­ters zu bringen. George Zim­mer­man begann Trayvon Martin zu verfolgen, ent­ge­gen der An­weisung der Poli­zei. George Zimmerman fühlte sich dann durch Trayvon Martin bedroht, als es zur Kon­fron­ta­tion kam und sag­te aus, dass Mar­tin ihn der­art kör­per­lich an­ge­grif­fen habe, dass er um sein Leben fürchtete und er des­halb Mar­tin habe er­schies­sen müs­sen. Ich frage mich, wie eine solche Ver­hal­tens­weise wie die Zim­mer­mans als Selbst­ver­tei­di­gung de­fi­niert werden kann, die dementsprechend zu einem Frei­spruch führen musste. Selbst wenn man die Über­legung nicht mit­geht, dass man Zim­mer­mans Ver­halten  als Mord 2. Grades ein­stu­fen könnte – wie kann es kein Tot­schlag sein, einen un­be­waf­fneten Jugend­lichen, ent­gegen der An­weisung der eigens gerufenen Poli­zei, zu ver­folgen und zu er­schiessen? Wie kann Trayvon Martins Reaktion auf jene Verfolgung/Bedrohung, sei sie so bru­tal ge­wesen wie Zim­mer­man diese dar­stellte (…wenngleich ihm offenbar dieser Schilderung entsprechende Verletzungen fehlten), nicht als die eigent­liche Selbst­ver­tei­di­gung gewertet werden laut des „Stand Your Ground“-Ge­setzes? Adam Serwer versucht sich hier an einer juri­sti­schen Er­klärung. Die an­de­re Er­klär­ung: insti­tutio­nali­sier­ter Rassis­mus.

Insti­tutio­nali­sier­ter Rassismus (und Sexis­mus), z.B. vor Ge­richt, führt da­zu, dass die Afro­ameri­kaner­in Marissa Alexander aus Jacksonville, Flo­ri­da, ein Jahr zuvor für ei­nen Warn­schuss (der nie­man­den ver­letzte) während ei­ner Kon­fron­ta­tion mit ihrem gewalt­täti­gen Ehe­mann zu 20 Jahren Haft ver­ur­teilt und ihr so­mit die An­wen­dung des „Stand Your Ground“-Gesetzes zur Selbstverteidigung, auf das sich auch ihre Ver­tei­di­gung be­rief, ex­pli­zit vor­ent­halten wurde (Ergänzung: wie auch CeCe McDonald in Minnesota, deren Anklage und Gerichtsprozess von Rassismus, Sexismus und Transphobie durchzogen war). Institutionalisierter Rassismus führt dazu, dass drei Mal mehr Schwar­ze US-Bür­ger_in­nen zur To­des­strafe verurteilt werden als weiße. Jener institutionalisierte Rassismus führte auch dazu, dass das Ver­fah­ren ge­gen Geor­ge Zim­mer­man auch zum Ver­fahren darüber wurde, wie Schwarz Tray­von Mar­tin war: wie sehr hood(ie), wie stereo­typi­sier­bar, wie entmenschlich- und entindividualisierbar genug, um eine „beiläufige“ Er­schiessung zu recht­fer­ti­gen. Wie Zimmermans Anwalt O’Mara sagte: Martin sei, anders als Zimmerman, nicht zu Scha­den ge­kommen, ab­ge­sehen vom Schuss. Institutionalisierter und die Gesellschaft durchdringender Rassismus zeigt sich, wenn Geor­ge Zim­mer­mans Legal Defense Fund über 130,000 Dollar an Spenden einnimmt, er von manchen als Held gefeiert wird und Menschen sich über seine Autogrammkarte freuen.

Trayvon Martin hat seinen Vater besucht. Er war einkaufen und wollte sich auf den Heimweg machen. Sein Stalker hat ihn erschossen. Und der Rechtsstaat findet: Alles richtig gemacht (…oder zumindest nichts so falsch, dass es eine Konsequenz benötigte). Das ist institutionalisierter Rassismus und seine Konsequenz: nicht-weiße Menschen sind weniger wert als weiße. Schwarze Menschen gelten als so bedrohlich, dass ihre reine physische, öffentliche Präsenz als Gefahr wahrgenommen wird, die eine gewaltsame Reaktion rechtfertigt. Allein das Gefühl, dass ein kapuzenpullitragender Schwarzer Jugendlicher eine Gefahr darstellen könnte, hat Zimmerman dazu veranlasst, Martin zu verfolgen und in einer Konfrontation zu erschiessen. Und mithilfe dieser rassistischen Konstrukte ist die Tötung eines unbewaffneten Schwarzen noch nicht einmal Totschlag vor Gericht, sondern die legitime, vermeintliche Rettung des eigenen Lebens vor einer projezierten Gefahr. Trayvon Martin war nur zu Besuch und er hielt Süßigkeiten und Eistee in seinen Händen. Er war dabei aber Schwarz, das hat gereicht.

Die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) hat eine Petition an das US-Justizministerium gestartet – unterschreiben könnt ihr hier.

Update (16. Juli): Ein Mitglied der Jury, die Zimmerman freisprach (Frau „B37“), hat dem CNN-Journalisten Anderson Cooper ein Interview zu ihrer Entscheidung gegeben. Wer starke Nerven hat, kann hier Beispiele zirkulärer „Logik“, des victim blamings und rassistischer Grundannahmen (u.a. in Form ausgeblendeter Strukturen und Annahme einer „Farbenblindheit“ [sic]) lesen.

20 Kommentare zu „Zum Freispruch für George Zimmerman

  1. Kann man eine Verteidigung auf Notwehr aufbauen und kein Victim Blaming betreiben?

    Übrigens (unabhängig vom Fall) kann man auch in Deutschland tödliche Gewalt einsetzen um einen gegenwärtigen Angriff abzuwehren. Es gilt im deutschen Strafrecht der Grundsatz „Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen“ (s. § 32 StGB).

  2. @ich: Zum Beispiel kann man sich auf die Situation und den Ablauf des fraglichen Abends konzentrieren und nicht die Mutter des Getöteten fragen, ob sie nicht auch denke, dass ihr Kind selbst am Tod Schuld sei, wenn er denn so verdächtig mit Kapuzenpulli herumlaufe (ja, das wurde gemacht). Oder nicht jemanden als schwerkriminell (und implizit tötungswürdig) darstellen, weil er angeblich Joints rauchte und sogar mal „Fuck“ gesagt haben soll. Oder sich fragen, was an der Aussage, dass ja nur Zimmerman zu Schaden gekommen sei in dieser Auseinandersetzung (abgesehen vom Schuss) ein bisschen fragwürdig ist. Oder nicht jede Taktik mit ordentlich Rassismus unterfüttern. Doch selbst wenn all das unabdingbar gewesen wäre für eine Notwehr-Behauptung: wird es dadurch besser? Wird die Schlussfolgerung sinnvoller? Aber hey, gut, dass wir am Thema vorbei geredet haben. (Übrigens wäre, wenn wir nun schon Äpfel mit Birnen vergleichen, §35 des StGB bedeutsam für den Fall Zimmerman). /derailing.

  3. Ich warte jetzt schon seit gestern darauf Empörung in den von mir regelmäßig frequentierten großen Nachrichtenportalen zu finden.

    Anscheinend ist es nicht mehr populär sich über Rassismus aufzuregen.

    Wenigstens hier. Danke accalmie

  4. ..wo wir schon beim deutschen Notwehrrecht sind: es gibt sowohl den Begriff des intensvien oder extensiven Notwehrexzesses als auch jenen der Notwehrprovokation, zumindest letzteres scheint mir hier durchaus gegeben zu sein. Fuer die Nicht-Strafbarkeit des intensiven Notwehrexzesses in D. ist es notwendig, dass der Angegriffene aus Furcht oder Verwirrung zum Exzess griff, ein sogenannter sthenischer, also ‚kraftvoller‘ Notwehrexzess ist immer strafbar, auch das scheint mir in diesem Falle diskutierbar, auch wenn der Anwalt es versuchte, anders darzustellen. Es haette hier in jedem ‚rechtsstaatlichen‘ Rechtssystem Handhaben gegeben, das scheint mit voellig unzweifelhaft. Zur Notwehrprovokation:

    „Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Angegriffene die Notwehrlage selbst (etwa durch Provokation des Angreifers) entweder mit Vorsatz oder auf andere Weise herbeigeführt hat. In diesem Fall spricht man von einer Notwehrprovokation. Die Rechtsprechung geht gegenwärtig davon aus, dass in diesem Falle dem Provokateur zumindest das Ausweichen zumutbar ist, der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht weichen müsse, damit nicht zur Anwendung kommt.“

    http://de.wikipedia.org/wiki/Notwehr

  5. Auch wenn es Notwehr war, ist festzustellen:
    1) Die Notwehrreaktion war unverhältnismäßig.
    2) Wer sich selbst in eine Lage bringt, in der er nach der Lebenserfahrung mit dem Auftreten einer Notwehrsituation rechnen muss, kann sich nur begrenzt auf einen Notwehrexzess berufen.
    3) Deshalb hätte Zimmerman wegen Totschlags verurteilt werden müssen.
    4) Die ganze Institution des bewaffneten neighborhood watch ist einzustellen.
    5) Zimmerman muss erneut angeklagt werden, sonst müssen vor allem Schwarze in den USA weiterhin mit der ständigen Angst leben, in irgendeiner Auseinandersetzung, die sie nicht gesucht haben, „aus Notwehr“ erschossen zu werden.
    In der Gated Community lebten etwa 50% Weiße, 25 Hispanics und 20% Schwarze, es war nicht ungewöhnlich, dort einen schwarzen Jugendlichen zu sehen. Neben Rassismus ist hier offenbar eine Form von neighborhood bullying, die sich als neighborhood watch tarnt und mit der US-amerikanischen gun culture zu tun hat, am Werk.

  6. Nach dem kleinen Notwehr im deutschen Strafrecht-Exkurs würde ich gerne zum Punkt des Beitrags zurückkehren in dieser Diskussion: institutionalisierter Rassismus und die Gleichsetzung von Schwarzsein mit Gefährlichkeit. Für people of color ist das übrigens keine graue Theorie oder blosses Gedankenspiel, was in diesem Beitrag geschildert wird – es wäre toll, wenn das zur Kenntnis genommen werden könnte. Danke.

  7. Du schreibst: „Und der Rechtsstaat findet: Alles richtig gemacht“.

    Daran teile ich zwei Punkte nicht. Zum einen muss eine Jury einstimmig entscheiden (ansonsten gibt es kein Urteil, sondern eine „Hung Jury“, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jury_%28angels%C3%A4chsisches_Rechtssystem%29). Auch die Frau of Colour hat also für Freispruch gestimmt.

    Das könnte daran liegen, dass ein Freispruch nicht gleichbedeutend ist mit „alles richtig gemacht“. Ein Freispruch kann genauso gut bedeuten: Wahrscheinlich war es Mord, aber die Beweise reichen nicht, um ganz sicher zu sein. Dieses sicher sein ohne jeden vernünftigen Zweifel – das ist die Messlatte.

    Es ist unwahrscheinlich, dass Tray­von Martin einen Angriff auf George Zimmerman gestartet hat. Nach der Vorgeschichte mit dem Anruf bei der Polizei scheint es wahrscheinlicher, dass George Zimmerman den Angriff gestartet hat.

    Wie hätte ich als Mitglied der Jury gehandelt? Man darf auch nicht vergessen, dass es in Florida die Todesstrafe gibt. Hätte ich jemanden wegen Mordes verurteilt und damit zum Tode verurteilt, der zwar sehr wahrscheinlich der Täter war, aber nicht ganz sicher überführt?

  8. @Patrick: Zum einen ignorierst du den zweiten Teil des von dir zitierten Satzes; zum anderen würde eine Verurteilung des Totschlags oder Mord 2. Grades nicht die Todesstrafe bedeuten – das war in diesem Verfahren überhaupt keine Option (siehe z.B. den Link zu „second degree murder“). Die Jury hatte jedoch andere Optionen, die sogar von der Staatsanwaltschaft (…die sich in diesem Verfahren nun wirklich nicht mit Ruhm/Kompetenz bekleckert hat – das sollte man neben Verteidigung und Jury auch noch einmal erwähnen, da auch dies Teil strukturellen/institutionalisierten Rassismus‘ ist) von „second degree murder“ zu „Totschlag“ ausgeweitet wurden – es gab also durchaus graduelle Abstufungen möglicher Verurteilungen.

    Subjektivität ist immer ein Bestandteil von Urteilen, aber bereits angesichts der vorgetragenen Fakten wird meiner Meinung nach deutlich, von wem die Aggression ausging, für wen hier „Stand Your Ground“ gilt und für wen nicht (im übertragenen Sinne auch: wessen „ground“ öffentlicher Raum ist, also wem jener gehört und wem nicht) und wer hier wen getötet hat steht ebenfalls außer Frage. Es ist also falsch zu sagen, dass Zimmerman „wahrscheinlich der Täter war“ – das war nie umstritten. Umstritten ist die Behauptung, dass Zimmerman Trayvon zwecks Selbstverteidigung getötet hat/keine andere Option hatte außer Stalking und einem anschließenden Schuss, aus nächster Nähe, in Martins Brust, aufgrund ursprünglich rein „gefühlter“ Gefahr. Wenn das kein Mord 2. Grades ist, ist es zumindest Totschlag. Das Beispiel von Marissa Alexander zeigt auch, wie unterschiedlich das Gesetz angewandt wird – bei ihr kam noch nicht einmal eine Person zu Schaden.

    Dass du allerdings als Jurymitglied es schwierig fändest, einen Menschen, der einen unbewaffneten Jugendlichen grundlos verfolgte und schließlich erschoss, zu verurteilen (wie gesagt, die Todesstrafe war hier nie eine Option), finde ich wiederum schwierig. Zimmerman war Trayvon Martins Leben nämlich nichts wert, und dank institutionalisiertem Rassismus wird er in seiner Bewertung bekräftigt. Welche Prioritäten manche in dieser Diskussion also festlegen, ist schon ein bisschen bitter. Es gibt erstaunliche Ressourcen an Sympathie/Empathie für die Jury oder die Gesetzeslage oder gar Zimmerman, aber Trayvon Martin ist nicht wichtig. Warum das (offenbar auch hier) so ist, wird im Beitrag erläutert. /eod.

  9. Ich möchte jetzt gar nicht versuchen, die Entscheidung der Jury zu beurteilen.

    Viel wichtiger ist hier meiner Meinung nach, dass in einigen Artikeln verschiedener Medien und vielen Kommentaren Verständnis dafür gezeigt wird, dass ein junger schwarzer Mann grundsätzlich als potentiell gefährlich(er) wahrgenommen wird. Und dass diese Haltung sich durch alle Schichten zieht, unabhängig von Bildung und Lebenserfahrung, und auf diese Weise natürlich jegliche Entscheidung, von der ein schwarzer Mensch betroffen ist, beeinflusst. Was, wie wir an diesem Fall sehen konnten, gefährlich für Leib und Leben sein kann.

  10. Der Freispruch für Zimmerman ist einfach nur schrecklich. Nach all den Demos und Solidaritätsbekundungen für Trayvon Martin und nach allen Menschen, die den Fall thematisiert haben, muss das mehr als nur ein Schlag ins Gesicht sein für diejenigen, die ständig institutionalisierten Rassismus erleben. Ich weiss nicht was man noch tun oder sagen hätte können, damit der Groschen fällt. Er ist wohl nicht gefallen. Ein sehr trauriger Tag.

  11. wenn man sich dann reinzieht, dass genau zum fast gleichen zeitpunkt, auch im staate florida, eine schwarze frau zu 20 !!!!!! jahren gefaengnis verurteilt wird (obwohl sie sich auch auf dieses „stand your ground“ – gesetz berufen hat), weil sie warnschuesse auf ihren misbraeuchlichen eheman, gegen den auch schon eine restraining order ihrerseits vorlag …. da kann man nur noch mit dem kopf schuetteln…. da fehlen mir echt die worte. 20 jahre, dafuer, dass niemand gestorben ist oder verletzt wurde. im land der waffen. und der weisse typ spielt mal einfach so sheriff, obwohl sogar die polizei sagt, er soll sich zurueckhalten, bringt dabei einen unschuldigen jungen menschen um (ob nun gewollt oder nicht, was allerdings sehr fragwuerdig ist) und geht als freier mensch nach hause. obwohl es einen toten zu beklagen gibt. nicht mal fuer fahrlaessigen totschlag o.ae. muss sich dieser mensch verantworten…. mir bleibt die spucke weg.

    http://www.cbsnews.com/8301-201_162-57433184/fla-mom-gets-20-years-for-firing-warning-shots/

  12. Das Urteil stinkt alleine schon zum Himmel, der Gipfel ist aber die kontextuelle Einbettung in das schon erwähnte Urteil gegen die schwarze Frau, die sich mit Warnschüssen gegen eine tatsächliche Gefahr wehrte.
    Die Rechtfertigungsversuche für Zimmermann sind ebenfalls haarsträubend: Selbst wenn Trayvon Martin zuerst zugeschlagen hat: Er wurde von einem zwielichtigen Zivilisten in einer dunklen Straße verfolgt und dann auch bedrängt. Gerade angesichts des absurden „stand-your-ground“-laws MUSS doch jeder Verständnis für diese Reaktion haben. Die unterschiedliche Wertung dieser Handlungen kann nur bei Einbeziehung der Hautfarbe erklärt werden, purer Rassismus, der so offensichtlich und plakativ lange nicht mehr demonstriert wurde. Zum Kotzen!

  13. Danke für den Artikel. Ich dachte schon, das interessiert in Dt keine_n. Und wenn, dann immer nur in der Art und Weise „schaut mal, wie schlimm Rassismus in den USA ist“ (dabei wird impliziert: und wie viel „besser“ Dt angeblich wäre, also angeblich weniger rassistisch). Zumindest haben die dt Medien, die letztes Jahr darüber berichteten, sehr selbstgefällig darüber geschrieben, als ob Polizeigewalt gegen Schwarze, Polizeimorde an Schwarzen oder rassistische Morde ein US-amerikanisches Problem seien..

    Auf einer der „Million Hoodie Marches“ letztes Jahr in Chicago erzählte mir jemensch von Rekia Boyd, einer 22-jährigen Schwarzen Frau, die kurz nach dem Trayvon Martins Tod nationale Aufmerksamkeit erhielt, von einem weißen off-duty Polizisten erschossen wurde. Der Polizist war den Abend zuvor in seinem Auto an einem Park vorbeigefahren und hatte geschrien, die Leute sollten still sein – was er denn machen müsse, dass sie still seien, ob er erst jemanden erschießen müsse. Am Tag darauf erschien er wieder, in zivil, und schrie erneut, die Leute sollten das Maul halten. Dann zog er eine Waffe heraus und schoss in die Menge, wobei er Rekia Boyd in den Kopf traf.
    Die Polizeigewerkschaft machte mal wieder eine „Notwehr“ daraus (sie handeln noch in „Notwehr“, wenn Schwarze Teenager in Handschellen auf dem Boden liegen und sie ihnen in den Kopf schießen) und behauptete, ein Schwarzer Mann hätte eine Waffe auf den Polizisten gerichtet. Es waren etwa 60 Leute im Park. Nur der Polizist hatte eine Waffe gesehen. Es konnte auch keine gefunden werden.
    Der Polizist wurde nicht aus dem Dienst entlassen und mit sowas wie „leichter Körperverletzung/geringfügigem Fehlverhalten/Amtsvergehen“ angeklagt (etwas, was mensch nach einer Prügelei in einer Bar bekommt).

    Wenige Tage zuvor tötete der Hund eines anwesenden off duty Polizisten einen anderen Hund im Park. Der Polizist meldete den Vorfall nicht. Als es herauskam, wurde er sofort aus dem Dienst entlassen: die Polizei argumentierte, er sei ein Ehrverlust für die Polizei und mensch könne nicht verantworten, ihn im Dienst zu lassen.

    Die US-Polizei erschießt statistisch gesehen alle 36 Stunden einen Schwarzen Menschen. In Chicago allein wurden zwischen 2007 und 2011 195 men of color von der Polizei erschossen, nur in Chicago, und nur von der Polizei. Trayvon Martin würde da nicht einmal mitgerechnet werden.

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