Eine Feier in weiß. May Ayim zum wiedervereinigten Deutschland.

das wiedervereinigte deutschland
feiert sich wieder 1990
ohne immigrantInnen flüchtlinge jüdische
und schwarze menschen
es feiert im intimen kreis
es feiert in weiß
doch es ist ein blues in schwarz-weiß
es ist ein blues

(aus: blues in schwarz weiss von May Ayim, erschienem im gleichnamigen Gedicht-Band)

Zur Wiedervereinigung gibt es die immer gleichen Bilder: Menschenmassen, die „Wir sind das Volk“ rufen, fröhliches Steineklopfen an der Berliner Mauer, Staus an Grenzübergängen. Mitgeliefert die Annahme, es wäre ein guter(tm) Bezug auf den Volksbegriff möglich. Ausgeblendet eine ganze Vielzahl von Lebensrealitäten.

Eine andere Perspektive auf diese Zeit lieferte bereits in den 1990ern die Autorin und Aktivistin May Ayim. Ob in Gedichten oder Interviews, sie machte deutlich, wer aus dem Jubel allgemein ausgeschlossen war und wie sich der Alltag nach 1989 in Bezug auf Rassismus änderte. Über diese Themen sprach sie auch 1994 in der WDR-Sendung Frauen-Fragen, welche glücklicherweise online bei Youtube auffindbar ist, und gerade im Kontext der aktuellen Feierlichkeiten noch einmal herausgekramt gehört:

Zunächst habe ich mich erst einmal gefreut. Gleichzeitig war eine ganz komische Stimmung in der Luft. So eine Stimmung von einerseits wird von Brüdern und Schwestern in Ost und West geredet und gleichzeitig wurden die Gesetzgebungen MigrantInnen und Asylsuchende diskutiert und zwar im Hinblick auf Verschärfungen. Und ich hatte das Gefühl, jetzt auf einmal werden Willkommensbotschaften versandt und niemand spricht mehr davon, dass das Boot voll ist in Deutschland, dass wir sowieso schon zu viele sind. Auf einmal ist Platz, aber nur für bestimmte Leute. Und auch in der gesamten Medienlandschaft waren die Bilder immer nur von weißen Deutschen. Und für mich war das zum Teil richtig unheimlich.
Zum ersten Mal in Berlin habe ich auch sehr negative Erfahrungen gemacht, auf der Straße angepöbelt zu werden, komische Sprüche zu hören – auch von Freunden und Freundinnen komische Sprüche zu hören oder Erfahrungen mitgeteilt zu bekommen. Zum Beispiel von einem Freund, der auch aus Ghana kommt, dessen kleiner Bruder wurde 10-jährig aus der Ubahn herausgestoßen, damit einem anderen Platz gemacht werden kann, einem weißen Deutschen. Und einer weißen Freundin von mir, die in der Ubahn saß und ihr afrodeutsches Kind auf dem Schoss hatte, wurde ganz laut gesagt: „Solche wie euch brauchen wir jetzt nicht mehr, wir sind ja schon selber mehr als genug.“ Und das war keine Seltenheit.
Ich hatte das Gefühl, plötzlich trauen sich Leute Sachen zu sagen, die sie vorher gedacht haben. Also nicht so, dass jetzt plötzlich Rassismus aufgekommen ist, ich denke der war vorher da, aber plötzlich, war so ein Freiheitsgefühl, dass damit einherging „So jetzt zeigen wir’s dem Rest der Welt“. Mir ist aufgefallen, dass in den Tagen nach dem 9. November, wo unglaublich viele Leute auf der Straße waren, waren ganz viele ImmigrantInnen und Schwarze Deutsche nicht auf der Straße. Und ich erinnere mich, dass ich an der U-Bahn stand, der ganze Bahnsteig war voll von Leuten und ein türkischer Mann sprach mich an: „Jetzt wird es schlimmer für uns.“
Also dieses Jahr 1989/1990 war schon so ein Jahr der Schlüsselerlebnisse, und zwar gerade auch in der Hinsicht, was die gerade begonnene Auseinandersetzung mit Rassismus betrifft. Ich hatte schon das Gefühl, dass sich seit Mitte der 80iger Jahre einiges zum positiven geändert hat.

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