In Rumänien wird zum ersten Mal seit der Wende spontan protestiert. Seit mehr als einem Monat sammeln sich BürgerInnen aller sozialen Schichten und Altersgruppen, um gegen drastische Sparmaßnahmen und extreme Ungleichheiten zu demonstrieren. Es fing heftig an. Staatspräsident Traian Basescu und seine rechtsliberale Regierungsmehrheit wollten – unter dem Vorwand der vom IWF (Internationaler Währungsfonds) verlangten Haushaltssanierungen und hinter dem Rücken der Öffentlichkeit – das ganze Gesundheitssystem privatisieren. Es flogen Steine, Schaufenster von Banken und Geschäften gingen zu Bruch, Menschen lieferten sich erstmals seit 20 Jahren handfeste Auseinandersetzungen mit der Gendarmerie.
Die Regierung versuchte, die Wut der BürgerInnen mit Zugeständnissen abzuwenden, doch das funktionierte nicht mehr. Aus einem monothematischen Protest wurde bald eine Bewegung. Trotz Schnee und klirrender Kälte demonstrieren hunderte, manchmal tausende Leute in den Großstädten und vor allem auf dem Universitätsplatz in Bukarest, jenem Ort, wo auch 1989 protestiert wurde. Von Anfang an forderten sie den Rücktritt der Regierung und Anfang der Woche ist diese auch tatsächlich zurückgetreten. Angesichts der katastrophalen Umfragewerte und der anstehenden Wahlen gab es kaum andere Optionen.
Doch den „armen Schluckern“ von der Straße, wie ein Abgeordneter der rechtsliberalen Mehrheit sie nannte, geht es nicht nur um ein arrogantes Kabinett und seinen kläglichen Premier. Sie wollen ein Ende des Wildwest-Kapitalismus, der nach der Wende viele Länder Osteuropas plagt. Und sie kämpfen für viele kleinere, aber wichtige Ziele: Ernstzunehmende Umweltschutzprogramme, ein Ende des umstrittenen Bergbauprojektes von Rosia Montana, eine anständige Finanzierung von Bildung und Gesundheit statt massiver Privatisierungen, eine Diskussion statt einer sofortigen Ratifizierung des ACTA-Abkommens.
Die feministische Gruppe Filia, aber auch viele BloggerInnen und AktivistInnen beteiligen sich täglich an den Protesten und zeigen, dass Gender-Ungleichheiten, Sexismus und Homophobie auf die politische Agenda gehören und kein vermeintlich privates Problem darstellen. Die autistische neoliberale Spar- und Privatisierungspolitik und ihre konkreten Konsequenzen für Frauen als eine der am meisten betroffenen Gruppen werden dadurch endlich problematisiert. Ebenfalls wird der Regierungsmehrheit zu Recht vorgeworfen, dass sie in den letzten Jahren wenig bis nichts für mehr Gleichheit und Gleichberechtigung getan hat. Es werden keine Wunder über Nacht geschehen, doch diese breite Front an Protest ist ein guter Anfang.
Endlich wird da mal was gemacht. Da kann man ja schon garnicht mehr zuschauen. Zumal die Hilfseinsätze auf lange Sicht in einem solchen Land auch nichts bringen. Da hilft nur ein Anstoß aus der Bevölkerung.
Dass die Rumänen gegen ACTA protestieren ist zwar wünschenswert, aber sie haben dann doch andere Probleme: schlechtes Bildungswesen, Gesundheitssystem, Infrastruktur, große Abhängigkeit von Russland und und und. Gut, dass die Proteste gegen ACTA ein Anstoß für die Proteste waren. Hoffentlich wird dieses Mal eine richtige Wende produziert. Die Rumänen haben es verdient.