Wissen wir immer was wir sagen? Welche Normalitäten stellt unsere Sprache her…
…und wie kann jede_r Einzelne diese verändern?
Welche_r tagtäglich versucht, sich selbst solche Fragen zu stellen, nach Möglichkeit vielleicht sogar Antworten zu finden und sie auch Kindern nahe zu bringen, sieht sich oft vor Herausforderungen. Ich bin daher sicher, dass sich viele Kinder-Bezugspersonen begierig auf Bücher wie machtWORTE!, das „gesellschaftskritische ABC-Buch für Kinder“, stürzen – so wie auch ich es getan habe.
Das Ende 2012 im Berliner Jaja Verlag erschienene Buch machtWORTE! 26 und mehr Anregungen Sprache immer wieder neu zu erleben ist hervor gegangen aus einem Uni-Seminar zu sprachlichen Diskriminierungen. Dort hatten sich die Autorinnen Cindy Ballaschk, Maria Elsner, Claudia Johann und Elisabeth Weber kennengelernt und gemeinsam mit Illustratorin Ka Schmitz ihr Buchprojekt auf den Weg gebracht. Das Buch, zu dem es auch eine informative Website gibt, ist folgendermaßen aufgebaut:
Wir kombinieren zu jedem Buchstaben des deutschen Alphabets Worte und Illustrationen, in der Art und Weise, dass Alternativen zum vermeintlich Normalen lesbar und sichtbar werden. So folgen die Bilder den ver_rückten Assoziationsketten und lösen viele verschiedene Gedanken aus.
Damit eröffnet sich die Möglichkeit, den eigenen Sprachgebrauch zu überdenken und als machtvolle Handlung bewusst zu machen. Es soll ermutigen, aktiv am Wortschöpfungsprozess teilzunehmen.
Ohne ausgewiesene Kinderbuchexpertin™ zu sein, lehne ich mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: machtWORTE! ist kein „Standard-Kinderbuch“. Das finde ich toll. Gleichzeitig machen seine Besonderheiten für mich eine angemessene Würdigung ehrlich gesagt etwas heikel.
Eine differenzierte und ausführliche Besprechung findet sich bei kritisch-lesen.de. Ich finde diese Rezension größtenteils (bis auf einige Bemerkungen im Abschnitt „Sprachphilosophische Voraussetzungen“, die mich doch arg an Haupt- und Nebenwiderspruchsdebatten erinnern) nachvollziehbar, daher mache ich es mir an dieser Stelle einfach und verweise für eine umfänglichere Analyse einfach mal auf sie. Ihr Fazit, dass das Buch einen „Ansatz, der die Bedürfnisse der jungen Leser_innen in den Mittelpunkt stellt“ verfolgt, teile ich allerdings nur bedingt.
Ich freue mich wie Bolle über jedes deutschsprachige Kinderbuch, das Normen über Bord wirft. Ich kenne kein anderes Buch wie machtWORTE! und möchte es daher ausdrücklich empfehlen. Auch wenn ich leider sagen muss: Für das konkrete Setting „ich und das Kind, mit dem ich das Buch angeschaut und vorgelesen habe“, hat das Konzept nicht funktioniert. Die Hinweise am Ende des Buches, die zu jeder Buchseite Anregungen zur Auseinandersetzung geben, habe ich allerdings erst später entdeckt.
Einerseits enthält das Buch recht wenig Text und mutet insgesamt eher Bilderbuch-haft an, andererseits erwies sich der vorhandene Text teilweise als zu voraussetzungsvoll und zu wenig bezogen auf des Kindes Erlebniswelt, um zu fesseln und ein wirkliches Vorlesevergnügen zu erzeugen. Das Kind konnte mit vorgelesenen Sätzen wie „Entsteht be_Hinderung durch betroffene Blick_e_winkel?“ oder „Ist ich Intimität?“ oder „Die Nächstenliebe des Norm_Aals macht den Nixer normal“ spontan einfach recht wenig anfangen und wollte meistens relativ schnell zum nächsten Buchstaben weiter blättern. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das Kind sich durch die Lektüre angeregt fühlte: Eher erschien es mir etwas ratlos angesichts der teilweise doch ziemlich ambitionierten bis abstrakten Sprachspiele. An denen ich widerum zuweilen meine Freude hatte, doch ich sah mich nicht dazu in der Lage, sie dem Kind zu vermitteln oder mit ihm zu teilen.
Die Crux des Vermittlungsbedarfs sehe ich allerdings nicht exklusiv bei Büchern wie machtWORTE! – vielmehr ist die Idee, Lektüre mit Kindern ausführlich zu besprechen, zumal parallel zum Vorleseprozess, meiner Erfahrung nach nicht immer sonderlich erfolgversprechend. Meine ganz persönliche Erfahrung: Wenn das bereits erwähnte Kind ein Buch vorgelesen haben möchte, dann möchte es nicht mit mir konferieren, sondern es möchte eine fesselnde Geschichte hören – möglichst ohne Unterbrechungen oder Zwischenbemerkungen meinerseits. Diese Geschichte kann ruhig „bizarr“ sein, ein Comic mit Sprechblasen sein oder anderweitig außergewöhnlich erzählt – aber damit das Kind sich in diese Geschichte versenken, das vielzitierte Kopfkino anwerfen, sich dem Erzählfluss hingeben kann, funktioniert es nicht, wenn ich ständig unterbreche, um irgend etwas zu erklären, zu fragen, zu kommunizieren, zu diskutieren… Das gilt übrigens auch für Sachbücher. Dem Kind macht das schlicht und ergreifend kein Vergnügen, es stellt von sich aus auch nur wenige Fragen während des Vorlesens, geschweigedenn Fragen, die vom unmittelbaren Text weg zu kritisch-philisophischen Betrachtungen oder zu vertieften Auseinandersetzungen mit der vorlesenden Person führen würden, und wird bei ausführlichen Anmerkungen meinserseits ungeduldig. Verständlich.
Das eben geschilderte ist übrigens ein ganz entscheidender Punkt, warum ich auch aus der Perspektive der weißen Kinderbuchvorleserin das gebetsmühlenartig vorgetragene Argument, man könne Kindern Rassismus in Kinderbüchern doch erklären (und damit dann auch gleich magischerweise irgendwie beseitigen), gelinde gesagt skeptisch betrachte.
Es ist natürlich gut möglich, dass mir einfach eine ordentliche Portion Kreativität, Einfühlungsvermogen und/oder Vermittlungsfähigkeit fehlt. Oder dass machtWORTE! völlig unabhängig von irgendwelchen konzeptionellen Erwägungen schlicht und ergreifend nicht den Geschmack besagten Kindes traf. Genauso gut kann es sein, dass dieses Kind von der gemeinsamen Lektüre mit jemand anderem als mir durchaus viel gehabt hätte. Oder zu einem anderen Zeitpunkt haben wird. So bleibt für mich erstmal der Eindruck, dass machtWORTE! ein ambitioniertes, liebe- und gedankenvoll gemachtes, poetisches, kritisches und extravagantes Buch ist – für Erwachsene oder besser gesagt für Menschen, die bestimmte Voraussetzungen zum Umgang mit (subversiver) Sprache mitbringen. Was natürlich kein Schaden ist, denn auch von derartigen Büchern kann es nie genug geben. Antinormativität ist ja kein Genre an sich. Und umso mehr es davon gibt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich für jeden Geschmack etwas dabei ist!
Für ein Kinderbuch als Ziel hätten die Autorinnen wohl besser noch eine_n Pädagogin_en.
So fehlt einfach der spielerische Faktor und es wirkt eben wirklich nur wie graphisch aufbereitete, akademische Gedankenexperimente.
Schade. :(