Wieso die EU nur wenig am Abtreibungsrecht in ihren Mitgliedsstaaten ändern kann

Bonjour,

heute möchte ich auf Leonies Frage eingehen. Sie schrieb beim letzten Mal: „Was sagt eine Europapolitikerin dazu, dass die EU bereit ist, Irland weiterhin ein totales Abtreibungsverbot zu zugestehen, nur um einen EU-Vertrag durchzubringen? Der Zweck heiligt die Mittel? Sehr interessant ist dies auch, da die EU eigentlich einheitlich beschlossen hatte, das alle Frauen in EU-Ländern ihr Recht auf einen Abbruch einfordern können. Kann die EU in diesem Fall wirklich Frauenrechte so ernst nehmen? Müsste in diesem Fall nicht eigentlich der europäische Gerichtshof einschreiten, denn immerhin werden hier die Grundrechte von einigen EU-Bürgern mit Füßen getreten?“

Zuerst einmal zum Hintergrund: Die EU hat nie einheitlich beschlossen, dass alle Frauen ihr Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch einfordern können. Das hat der Europarat getan – das Gremium mit 47 Mitgliedsstaaten, unter anderem Russland, dessen Entscheidungen nicht bindend sind – und nicht die Europäische Union (EU). Deswegen hat die irische Staatspräsidentin Mary McAleese auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats die geltenden Regelungen in Irland verteidigt. Vielleicht erinnert ihr euch jetzt an europäische Gerichtsverfahren, unter anderem den Fall der polnischen Frau, die trotz eklatanter Gesundheitsrisiken nicht abtreiben durfte, und dann auch tatsächlich erblindete. Dafür wurde die polnische Regierung verurteilt – aber nicht von einem EU-Gericht, sondern vom Europäischen Menschengerichtshof (der nichts mit der EU zu tun hat). Das hört sich jetzt kompliziert an, bringen Journalisten auch ständig durcheinander, aber ist wichtig für eine politische Debatte.

Das Recht auf Abtreibung ist also kein europäisches Sekundärrecht im Sinne von bindendem EU-Recht. Es wurde (leider) noch nie so von den Regierungschefs beschlossen. Das hat vor allem einen Grund: Bis jetzt argumentieren die Regierungschefs, dass eine solche Entscheidung nicht im Kompetenzbereich der EU läge. Die EU habe gar kein Recht darüber zu entscheiden, genauso wenig wie zum Beispiel über die Gliederung des Schulsystems. Das Argument lautet wahlweise: Abtreibung ist eine „Gesundheitsfrage“ oder eine „kulturelle/moralische“ Frage und damit nationale Kompetenz. Würden die Regierungschefs das Recht auf Abtreibung als Menschenrecht verstehen, könnte die EU die richtige Plattform sein. Aber diesen Schritt zu tun weigern sich bis jetzt die EU-Regierungen.

Basierend auf dem Argument „Gesundheit“ darf nach den aktuellen Verträgen – und auch dem Lissabonvertrag – die EU in diesem Bereich also gar nichts entscheiden. Die irischen Gegner, die sich auf das Abtreibungsrecht im Lissabonvertrag beriefen, wollten vor allem sicherstellen, dass die EU nicht irgendwann doch das Recht auf Abtreibung als Menschenrecht definiert und es damit zur EU-weiten Durchsetzung diesen Rechts kommen könnte. Was die Iren also bekommen haben, ist die Zusage, dass der Lissabonvertrag der EU keinerlei Kompetenz überträgt im Bereich der Abtreibung (es also weiterhin bei ihrem „Gesundheits“verständnis bleibt).

Am 3. Juli 2002 hieß das Europaparlament mit 280 zu 240 Stimmen eine Resolution gut, in welcher den Mitgliedstaaten und den Beitritts-Kandidaten in Mittel- und Osteuropa empfohlen wurde, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren. Im Vorfeld der Debatte waren die Abgeordneten von Zuschriften der Abtreibungsgegner überschwemmt worden. Mit der aktuellen Sitzverteilung nach der Wahl am 7. Juni 2009, bei der die Konservativen als Sieger hervorgingen, wäre auch so eine – unverbindliche – Resolution nicht mehr denkbar.

Eine mögliche Kompetenzverlagerung hat außerdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabonvertrag erschwert. Das Gericht spricht, dass „kulturell“ besonders bedeutsame Entscheidungen auf nationaler Ebene bleiben sollen. Das Abtreibungsrecht wurde bis jetzt auch häufig mit Verweis auf die „kulturellen“ Unterschiede der Mitgliedsländer von der europäischen Ebene ferngehalten.

Hier herrscht der Handlungsdruck also vor allem auf der nationalen Ebene (für die Umgestaltung der nationalen Politik und die Positionierung der Regierung in Brüssel) und erfordert die Solidarität der Frauenbewegungen untereinander.

Au revoir, eure Franziska

15 Kommentare zu „Wieso die EU nur wenig am Abtreibungsrecht in ihren Mitgliedsstaaten ändern kann

  1. Schönes Erklärstück! Aber mal als Frage – klar ist es Schwachsinn, wenn Irinnen nach Glasgow oder Belfast müssen für eine Abtreibung, aber ich kann auch nachvolziehen, daß man diese für konservative Iren offenbar so identitätsstiftende Frage nicht von außen diktieren will, auch wenn sich die irische Haltung zur EU ja in den letzten Monaten etwas gedreht hat. Denn durch die Freizügigkeit hat ja de facto auch jede Irin die Möglichkeit dazu, wenn auch erschwert durch eine kleine Reise. Wenn ihr die Fahrt von Cork nach Belfast aber zu weit ist, dann kann das Problem ja nicht so groß sein. Und ob sich am sozialen Druck in ländlichen Gegenden irgendwas ändern würde, nur weil man ein Gesetz ändert, das darf ja wohl getrost bezweifelt werden…

  2. Hallo Franziska,

    nochmal ich..

    Ich habe erst kürzlich erfahren, das drei irische Frauen vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen wollen, da sie in ihrem Land keinen Abbruch durchführen können.
    http://diestandard.at/fs/1246542622900/Abtreibungsverbot-in-Irland-Klage-vor-Menschenrechts-Gerichtshof
    „Sie sehen in den irischen Regelungen u.a. einen Verstoß gegen das Recht auf Privatleben der Menschenrechtskonvention. Auch stellten sie eine verbotene Diskriminierung dar, weil begüterten Frauen ein Schwangerschaftsabbruch im Ausland leichter möglich sei als mittellosen Schwangeren“

    Was würde denn im dem Falle passieren, wenn die Klägerinnen gewinnen? Hätte dies keinen Einfluss auf den Lissabon-Vertrag, oder sonst etwas in der EU?
    Was kann diese Klage dann überhaupt bringen?

    Und abschleißend wenn der Menschenrechts-Gerichtsho keinen Einfluss auf die Politik hat, warum gibt es ihn dann überhaupt?

    liebe Grüße

  3. ich würde gern noch kurz zum bundesverfassungsgerichtsurteil was hinzufügen: klar, den iren wird hierdurch erschwert, ein abtreibungsrecht auch für ihr land auf eu-ebene durchzusetzen. andererseits muss man meiner ansicht nach bedenken, dass das bverfg mit der entscheidung, kulturell bedeutsame entscheidungen der nationalen ebene vorzubehalten und sich selbst weiterhin die unabhängige kompetenz zuzusprechen, grundrechtlich relevante entscheidungen zu fällen den deutschen staatsbürgern weiterhin den umfassenden grundrechtsschutz garantiert, den wir in der brd haben. von den judikativ-instanzen der eu werden die grundrechte, wie wir sie in deutschland haben im verhältnis zwischen bürger und staat nämlich bei weitem nicht so eingehend geprüft wie vom bverfg – ein verzicht auf entscheidungskompetenzen seitens des bverfg könnte also auch für uns auf dauer zu weitergehenden freiheitsbeschränkungen führen.
    ich stehe der eu grundsätzlich sehr positiv gegenüber und denke, dass auch in puncto abtreibungen, wenn auch erstmal nur durch die vereinfachung der mobilität hier für irinnen große chancen bestehen, die selbstbestimmung über ihren körper bzgl. schwangerschaften zu leben. dennoch ist es prinzipiell durchaus fragwürdig, ob man der eu solch umfassende kompetenzen überhaupt übertragen sollte – denn sie werden aufgrund der anhaltend verworrenen machtverteilung auf eu-ebene für die bürger weiterhin undurchsichtig und kaum kontrollierbar sein – ein mangel an demokratischer legitimation also, welcher aber die chance birgt, nach und nach behoben zu werden.

  4. „Und abschleißend wenn der Menschenrechts-Gerichtsho keinen Einfluss auf die Politik hat, warum gibt es ihn dann überhaupt?“

    Gute Frage.
    Bis jetzt hat er nichts gebracht. Die gigantische Mordmaschinerie der EU, die jährlich hundertausende Flüchtlinge das Leben kostet, läuft zumindest ungestört weiter, trotz großartigen Reden von Menschenrechten usw. (stört das eigentlich die Verfasserin des Artikels oder beschäftigen sich Parlamentarier lieber mit wichtigen Dingen wie KFZ-Verordnungen und der Jagd nach Filesharern als mit unwichtigen Afrikanerleben)
    Die EU gehört aufgelöst, denn sie ist nichts anderes als ein Instrument für die Auflösung von Bürgerrechten und eine nächsthöhere Disziplinierungsinstanz für das Kapital.

  5. @ jj Nur zu Deinem letzten Satz: Und ob sich am sozialen Druck in ländlichen Gegenden irgendwas ändern würde, nur weil man ein Gesetz ändert, das darf ja wohl getrost bezweifelt werden… – ein Gesetz reicht meist nicht aus, aber ist trotzdem essentiell! Sonst sähe die Welt ganz anders aus…
    zum Rest: es ist immer eine Gradwanderung, was man europäisch regelt und was nicht, und sicherlich ist der „Hauptkampf“ für das Abtreibungsrecht in Irland von Iren und Irinnen selbst zu führen, genauso wie bei uns die Auseinandersetzung um §218. Aber die EU ist ein gemeinsamer Rechtsraum in dem die Menschenrechte EU-weit gelten. Und dazu zählt für mich das Recht jeden Menschens über seinen Körper.

  6. @ Leoni: wenn diese Frauen den Fall gewinnen hat das Null Einfluss auf Lissabon oder irgendeine andere EU Institution. Der Europäische Menschengerichtshof hat sicherlich nicht so viel Macht wie der Europäische Gerichtshof (EuGH), aber seine Urteile haben häufig doch eine gewisse Wirkung in den betroffenen Ländern, da diese sich nicht gerne verurteilt sehen. So hat seine Rechtsprechung zum Beispiel in der Türkei sehr viel verändert.

  7. @ stadtpiratin ich teile Deine Auffassung, dass man immer genau überprüfen sollte, was man gemeinsam zu 27 macht und was nicht. Da gibt es keinen Automatismus. Ich teile teilweise Deine Einschätzung zum EuGH – aber er trifft auch Urteile, wie z.B. Kadi, die wirklich vieles übertreffen. Meiner Meinung nach hängt da sehr viel von der Besetzung ab, genauso wie beim Bfverg. Ich bin für beide Gerichte, Bfverg und EuGH, für andere Berufungsverfahren, ähnlich wie in den USA. Die „Kultur“-Klausel im Urteil betrifft aber diesen gesamten Komplex nicht, von daher ist sie für diesen „zu schützenden Raum“ nicht notwendig.

  8. @ access denied „Die EU gehört aufgelöst, denn sie ist nichts anderes als ein Instrument für die Auflösung von Bürgerrechten und eine nächsthöhere Disziplinierungsinstanz für das Kapital.“

    Und wenn wir dann die EU aufgelöst haben – und die 27 Mitgliedstaaten auch, denn die sind es ja, die die Politik beschlossen haben, die Du anprangerst – was machen wir dann?
    Sitzen in unseren Kleinstaaten und bekämpfen uns, so wie vorher? – Spielen weltpolitisch keine Rolle. Bauen die Grenzen wieder auf. Haben jeder eigene Umweltgesetze, nur leider halten sich dreckige Luft und schmutziges Wasser nicht an die Schlagbäume. Schaffen den Verbraucherschutz ab. Soll doch jeder Kleinstaat selber regeln. Wenn die nicht alle die Kompetenz und Kapazität haben, ist doch ihr Problem.
    Ironie off.

    Im Ernst – was ist Deine Alternative?
    Auf die EU schimpfen ist einfach. Wer sie abschaffen möchte, sollte schon wissen, was sie an die Stelle setzen möchte – und das dann auch mal ein bischen ausführen.

  9. „Im Ernst – was ist Deine Alternative?“
    Eine freie Gesellschaft, die es nicht nötig hat, jährlich hundertausende ertrinken zu lassen, um ihren Lebensstandart zu erhalten. Eine freie Gesellschaft in der nicht Charaktermasken das Sagen haben, sondern jeder selbstbestimmt leben kann und die basisdemokratisch aufgebaut ist. Eine freie Gesellschaft, die nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert und nicht für die Bedürfnisse einiger weniger. Such Dir was aus.
    Fakt ist, die EU ist eine Mordmaschinerie und die Verfasserin des Artikels hat sicher nichts dagegen, dass Frontex auf offener See Flüchtlingen die Lebensmittel und den Sprit wegnehmen, sie hat offensichtlich auch nichts dagegen, dass Flüchtlinge in Italien und Griechenland in Lagern mit grauenhaften Bedingungen dahinvegitieren, die Liste könnte ich noch beliebig erweitern. Denn hätte sie was dagegen, würde es ihr zumindest mal eine Erwähnung auf ihrer Website wert sein, auf der ironischerweise geschrieben ist: „Meine thematischen Schwerpunkte sind die Menschen- […]rechtspolitik“. Und das bei der Mitgliedschaft in einer Partei, die, während sie an der Regierung war, all das mitgetragen und forciert hat. Fazit: ich halte die werte Frau Brantner für eine Heuchlerin und sehe nicht ein, worin ihre Legitimierung bestehen soll, mir Vorschriften zu machen oder was mir eine Organisation nutzt, die solche Zustände erschafft.

  10. @access denied:
    schonmal was von netiquette gehört?
    ‚Ich halte XY für eine Heuchlerin‘
    Diskutantinnen persönlich zu diffamieren ist inakzeptabel.

    Die „freie Gesellschaft“, ohne staatliche Strukturen ist übrigens im „Simplicius Simplizissimus“ ausführlich beschrieben. Ich empfehle die Lektüre. Leider hat das eher zu Mord und Totschlag geführt.

    Basisdemokratische Utopien sind schön. Funktioniert das irgendwo bei größeren Gruppen, sagen wir mehr als 1 Million Menschen?
    Sobald die Struktur größer wird als ein Dorf brauchst Du einen Überbau, und damit Volksvertreter. Wir können auch nicht alle aufs Land ziehen und unsere Kartoffeln selber anbauen. Und ich kann auch nicht den Strom für mein internetfähiges Laptop selbst erradeln. Deshalb brauche ich jemanden, der sich darum kümmert, dass die Kraftwerke funktionieren. Und wenn ich AKWs prinzipiell schlecht finde, kann ich eine Partei wählen, die genauso denkt, damit mein Laptop nicht auf Atomstrom läuft.

    So, genug off topic.

  11. Du scheinst das Wort basisdemokratisch nicht wirklich zu verstehen…
    Und Romane aus dem Mittelalter, die auch noch unter dem Eindruck des 30 jährigen Krieges entstanden sind nun wirklich kein Argument.
    Achja, eine Heuchlerin bleibt eine Heuchlerin, da hilft keine Netiquette
    „Und wenn ich AKWs prinzipiell schlecht finde, kann ich eine Partei wählen, die genauso denkt, damit mein Laptop nicht auf Atomstrom läuft.“
    Hast Du etwa die Grünen gewählt, haha. Mal sehen wie lang der 30 jährige Ausstieg noch währt.
    Und so off topic ist das nicht

  12. @access denied –
    ich verstehe das Wort „basisdemokratisch“ sehr gut. Gerade deshalb bezweifle ich ja, dass es ein Wort ist, das auf größere Menschengruppen Anwendung finden kann. Wenn Du mir Gegenbeispiele zeigen kannst bin ich sehr interessiert.
    Bitte komme nicht mit der Schweiz. Dort haben nur Schweizer das Recht mitzumachen. Alle anderen können nur zuschauen. Das kann es ja auch nicht sein. – Und ausserdem ist die Anwendung basisdemokratischer Prinzipien auf Abstimmungen beschränkt.
    Wie gesagt – wenn Du was Besseres weisst – nur zu.

    Ansonsten fällt mir zu staatsfreiem Raum im Moment Somalia ein. Nicht sehr basisdemokratisch.

  13. Erstens: Somalia ist kein staatsfreier Raum. Somalia ist nur auf dem Weg zum islamistischen Staat.
    Zweitens, die Zapatistas versuchen sich in Basisdemokratie und die Anarchisten vor Franco waren recht erfolgreich damit.
    Die Schweiz ist viel, nur nicht basisdemokratisch und wenn ich mir den Durchschnittsschweizer so ansehe, ist das ganz gut so.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑