Tine macht seit über zehn Jahren in verschiedenen Bands wie zum Beispiel Respect My Fist Musik und hat bereits ganz schön viel diskriminierenden Mist auf und hinter der Bühne erlebt. Sie befasst sich in ihrem Studium mit Geschlechterverhältnissen in der Musik und kritisiert in einem Beitrag, den wir freundlicherweise crossposten dürfen, den Zensur-Vorwurf, der immer dann laut wird, wenn auf Veranstaltungen Musiker_innen und Bands ausgeladen werden, die diskriminierende Texte haben.
„Habt ihr euch bewusst dafür entschieden, eine reine Mädchenband zu sein?“, „ Wow, ihr seid ne Frauenband!“, „Irgendwie hört man eurer Musik an, dass ihr nur Frauen seid“, „Hat die Tatsache, dass ihr Musik macht etwas mit eurer sexuellen Orientierung zu tun?“
Mit solchen oder ähnlichen Kommentaren und Fragen wird eine konfrontiert, wenn sie (besonders mit mehreren anderen Frauen) Musik macht. Ich glaube nicht, dass eine Typenband schonmal gefragt wurde, zu welchem Zeitpunkt sie entschieden haben, nur Musiker in die Band aufzunehmen oder ob sie aufgrund ihrer Heterosexualität angefangen haben Gitarre zu lernen.
Mädchen, die zusammen Musik machen sind eine Mädchenband. Jungs, die zusammen Musik machen sind ne Rockband, ne Punkband, ne Funk-Ska-Reagge Band oder was auch immer. In Interviews werden Musiker wohl selten auf ihr Geschlecht angesprochen, ihr Umfeld veranlasst sie kaum dazu sich mit ihrer eigenen Subjektposition auseinanderzusetzen. Es ist normal, männlich, weiß und heterosexuell zu sein, wenn man in einer Band spielt. Folglich können jene auch sagen: Es geht nur um die Musik!
Es geht nie immer nur um Musik als ästhetisches Klangdingens, autonomes Kunstgebilde, was auch immer! Das merken all jene, von denen nicht erwartet wird, dass sie sich in diesem Bereich betätigen und es trotzdem tun. Sie müssen sich in Interviews, Diskussionen, beim Soundcheck oder der Anmoderation vor dem Konzert damit auseinandersetzen, dass sie von der Norm abweichen: durch blöde Sprüche, unqualifizierte Fragen, ungläubige Blicke.
Musik hat IMMER was mit denen zu tun, die Musik hervorbringen. Ersteinmal eröffnet die soziale Welt nicht allen gleichermaßen Zugang zur musikalischen Betätigung. Darüber hinaus beeinflussen gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse die Produktion von Musik, die Texte, die Performance, die CD-Cover und die Darstellungen in Musikvideos.
Sexistische, homophobe und rassistische Inhalte sind hier keine Seltenheit, aber leider repräsentieren sie auch den gesellschaftlichen beschissenen Normalzustand. Meistens müssen sich jene, die diesen Bockmist namens Kunst hervorbringen auch gar nicht mit dem menschenverachtenden Scheiß auseinandersetzen, den sie da produzieren. Sie stabilisieren ja vorherrschende Verhältnisse. Wenn sie dann doch mal kritisiert werden oder bei einer Veranstaltung nicht spielen dürfen, dann schreien sie lauthals „Zensur“!!!!!
Das kann ich nicht mehr hören!
Zensur ist dazu da, einen Informationsverkehr zu unterbinden, um das herrschende System nicht ins Wanken zu bringen. Meistens eher in Form bestehender Gesetze von Staaten eingesetzt als von Individuen (oder gar sexismus_rassismuskritischen Gruppen).
Hier wird etwas vollständig durcheinandergebracht: Wenn sich Menschen GEGEN Sexismus, Homophobie, Rassismus stellen, dann stellen sie sich gegen das, was gegenwärtig im Kulturbetrieb und darüber hinaus Normalzustand ist. Es ist also eine widerständige Praxis und will gerade nicht die herrschende Ordnung stabilisieren. Deswegen ist hier der Begriff Zensur vollkommen fehl am Platz!
Nun gibt es Personen oder Gruppen, die Räume schaffen oder zumindest schaffen wollen, in denen Menschen sich artikulieren können, deren Stimme_Musik_Kunst in einer männlich und weiß dominierten Gesellschaft selten Gehör findet. Einige üben Kritik an Theateraufführungen, Werbeplakaten, CD Covern, Songtexten, Performances bei Konzerten und intervenieren in den sexistischen, rassistischen, homophoben Alltag. Die fünfköpfige Typenband, die über eine Exfreundin mit freundlichen Worten wie „Schlampe“ und „Fotze“ singt, ist beim anstehenden Festival mal ausnahmsweise nicht dabei. Es werden Texte geschrieben und Aktionen geplant, um die Absetzung eines Theaterstücks zu fordern, in dem Blackfacing praktiziert wird. Der DJ wird ausgeladen, weil er bei der letzten Party mit homophoben Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht hat.
Das ist doch Zensur! Ach ja?
Der Zensurvorwurf ist ein Mittel um sich nicht mit eigenen Privilegien auseinandersetzen zu müssen und jene mundtot zu machen, die kritisieren, intervenieren, von Diskriminierung betroffen sind und/oder sich auflehnen. Wenn ich Kritik von mir abwende, muss ich mein Musik_Kunstverständnis nicht hinterfragen. Ich muss mir auch nicht eingestehen, dass ich sexistische, homophobe und rassistische Strukturen und somit das herrschende System durch mein Handeln stabilisiere.
Also wer zensiert hier bitte wen?