„Was zieh ich an, was zieh ich an…

… damit man mich auch gut sehen kann? Gelb leuchtet hell, rot sieht man schnell, grau oder braun das sieht man kaum. Ja wie kann man da noch fragen, was sollte ich wohl tragen?“

Soweit das Kinderlied. Eines, das uns Erwachsenen bei dieser Frage weiter hilft, habe ich bisher nicht finden können.

Es ist inzwischen schon eine Weile her, dass ich meinen aktuellen Job antrat. Dieser ist nominell zwar ein Studentenjob, ist aber von den Aufgabenbereichen her so gestaltet, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen gar nicht wissen, dass ich „nur“ eine Studentin bin. Und obwohl man bei meinem Arbeitgeber eher leger unterwegs ist, war ich nach der ersten „Juhu, ich hab die Stelle!“-Euphorie doch ein wenig verunsichert: Mein Kleiderschrank, im klassischen „Jeans mit alten Shirts und ausgelatschten Turnschuh“-Stil bestückt, war dieser neuen Aufgabe meiner Meinung nach nicht gewachsen. Für die Uni oder auch das ein oder andere Praktikum völlig ausreichend, für die kommenden Aufgaben aber eher ungeeignet. Denn nein, ich war nicht mehr die Praktikantin und wollte auch nicht so aussehen.

(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de

Die nächste Phase war recht schwierig. Wer sich in Hosen und Chucks zu Hause fühlt, trägt nicht auf einmal Röcke und Stiefel. Ich unternahm also Streifzüge durch verschiedene Klamottenläden und versuchte, mit mir selber auf eine Linie zu kommen. Meine Lösung bestand am Ende aus etwas besseren Jeans und ein paar normalen Hosen, einem Stapel unifarbenen T-Shirts ohne wilde Aufdrucke, und der Cardigan mit Loch wurde gegen einen Pulli mit V-Ausschnitt getauscht. Schuhe gab’s auch neue, unter anderem Modelle mit Absatz. Nichts hohes und auch nicht total ungewohnt für mich, aber trotzdem als täglicher Schuh irgendwie fremd. Alles in allem also kein übertriebenes, bestimmt aber auch kein besonders spannendes Outfit.

Doch so unspektakulär das Ergebnis, so schwierig der Prozess dort hin. Ich habe viel mit mir gerungen, posierte mit Kleidung vor dem Spiegel, die einfach „nicht ich“ war oder versuchte mich zu erinnern, was eigentlich die Leute, die ich beim Bewerbungsgespräch gesehen hatte, so anhatten. Auch auf die Frage, wo die Grenze zwischen „Ver-“ und „angemessener Kleidung“ verläuft, versuchte ich eine Antwort zu bekommen. Nicht nur von mir, sondern von meinen Freundinnen.

Dort gehen die Ansichten zu diesem Thema erstaunlich weit auseinander. Da gibt es die, die um das Kostüm zur Arbeit nicht herum kommen, weil der Arbeitgeber es nicht zulässt, aber auch die, die diese Uniform brauchen, um Privates und Arbeit zu trennen. Da ist die Sozialpädagogin, die sich bei ihrer Jugendarbeit von den zu betreuenden quasi nicht unterscheidet. Dann einige Stimmen in der Mitte, die sich auf einem ähnlichen Weg wie ich befunden haben und noch befinden. Und da war die Freundin, die sich überhaupt nicht vorstellen konnte, ihre Kleidung jemals anzupassen, „sich zu verbiegen“, wie sie es nannte.

Sie als Freiberuflerin wird vielleicht Glück haben. Doch ich habe die Beobachtung gemacht, dass es um ernst genommen zu werden unerlässlich zu sein scheint, „richtig“ gekleidet zu sein. Natürlich ist diese „richtige Kleidung“ im Musikbusiness vielleicht eine andere als im Wirtschaftsunternehmen. Nun, für das Musikbusiness kann ich leider nicht sprechen, aber die Erfahrung, die ich bei meiner Arbeit gemacht habe, ist die:
Um zu erkennen, wann wichtige Termine anstehen, muss ich nicht in den Kalender schauen. Wichtige Termine stehen immer an den Tagen an, an denen die Kolleginnen und Kollegen, die sonst in Chucks und Strickjacke zur Arbeit kommen, auf einmal in schicken Schuhen und mit Blazer morgens in der Kaffeeküche stehen.

Und meistens kann ich dann mit einem Lächeln im Gesicht auf leisen Turnschuhsohlen in meinem Büro verschwinden.

6 Kommentare zu „„Was zieh ich an, was zieh ich an…

  1. Da ist die Sozialpädagogin, die sich bei ihrer Jugendarbeit von den zu betreuenden quasi nicht unterscheidet.

    same here :D
    das führt manchmal zu witzigen verwechslungen…^^

  2. Dem uniformierten Denken folgt die uniformierte Kleidung – gleichgültig ob Jeans, T-Shirt, Rock, Bluse, Blazer, Stiefel, Stöckelschuhe, a.s.o. Der Unterschied zeigt sich im tatsächlichen oder eingenähten Label, nicht darin, dass ich eine Persönlichkeit bin! Die jeweiligen Systeme lassen dies auch nicht zu bei Karriere- oder Überlebensanstrengungen.

  3. lustig, mir ging es immer andersrum. ich fühle mich nie overdressed und trage auch weder blazer noch kostüme, aber die welt der bedruckten t-shirts und chucks wird mir immer verschlossen bleiben. in dieser zwischensparte annehmbare klamotten zu kriegen und sich in einem umfeld, wo selbst 40-jährige in sportswear für 16-jährige gekleidet sind, nicht wie 86 zu fühlen, ist auch ein balanceakt.

    meine arbeitgeber tragen sandalen und haben breiflecke von ihren kindern an den schultern. wenn man da mit schlips und kragen im vorstellungsgespräch erscheint, hat man schon verloren.

  4. Nüchtern betrachtet ist es ziemlich sinnlos, Kompetenz an der Kleidung auszumachen. Praktisch fällt es mir jedoch auch einfacher, diszipliniert zu arbeiten, wenn ich nicht in Jogginghose zu Hause vorm Rechner sitze, sondern besser angezogen in der Bibliothek. Es zieht einfach eine Grenze zum Alltag und lässt Grübeleien über Privatkram etwas Außen vor.

    Der Gedanke, irgendwann berufsbedingt Kostüm, hohe Schuhe, Hochsteckfrisur und perfektes Make-Up tragen zu müssen überfordert trotzdem. Ich kann doch so was nicht (Und ehrlich gesagt hab ich wenig Ehrgeiz es zu lernen).

  5. Tja, mit sowas bin ich auch am Kämpfen. Das Bild von mir, dass ich hier in meinem XING-Profil verlinkt habe, täuscht da etwas. So oder ähnlich gekleidet war ich außer zu dem „Fototermin“ zu weniger Gelegenheiten als ich Finger an beiden Händen habe. Zu Unizeiten (auch als Doktorand) war ich so gekleidet, wie auf dem Bild, auf das der Abschnitt „Über mich“ verlinkt.

    Heute suche ich irgendwie einen Mittelweg. Und da geht es mir ähnlich wie Anna es beschreibt. Dummerweise habe ich noch eine gewisse Abneigung gegen Bekleidungsgeschäfte. Das führt dann dazu, dass dieses Mittelwegfinden, ziemlich lange dauert.

    Ganz gut gefahren bin ich glaube ich immer mit der Marschroute, sich einfach keinen Kopf drum zu machen. Zumindest nicht zu sehr.

  6. Wenn ich das lese bin ich froh dass wir Berufskleidung haben. Alle tragen dasselbe und das wird netterweise auch noch vom Unternehmen gestellt.
    Wenn ich die Damen in meiner Bank sehe schüttele ich jedes Mal den Kopf. Ich könnte keine 8 Stunden in derart hohen Schuhen zubringen und ich halte mich durchaus für geübt.
    Mich schreckt solche förmliche Kleidung aber auch immer ab. Ich finde das schafft gleich so eine Distanz zwischen den Menschen.

    lg

Kommentare sind geschlossen.

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