Unsere Leserin Patricia hat uns auf einen Umstand hingewiesen, der anscheinend bei einigen Jobcentern bundesweit gang und gäbe zu sein scheint: Lange Wartezeiten für Jobcenter-Kundinnen, die das Jobcenter mit einem Baby aufsuchen (müssen).
Bei Patricia ist es so, dass selbst für die Antragstellung – bzw., das Abholen des Formulars – kein fester Termin vergeben wird. Sie schreibt uns:
„Leider bin ich nach dem Ende meines Mutterschutzes auf die Beantragung von ALG2 angewiesen (denn wer stellt schon eine schwangere Frau ein oder verlängert Ihren Vertrag), und muss dies nun auch alsbald erledigen. Ich habe versucht einen Termin zu bekommen, um meinen Antrag abzuholen, da ich einen Säugling habe, der voll gestillt wird (ca. alle 2 Stunden). Ich sehe nicht die Möglichkeit, eine dreiviertel Stunde in einer Schlange zu verharren, wie mir am Telefon gesagt wurde. Darüber hinaus soll ich meinen Säugling möglichst keinen Bakterien und Viren aussetzen (…). Wenn ich einen Termin beim Arzt vereinbare, bekomme ich einen Platz in einem extra Warteraum oder muss gar nicht warten. Im Jobcenter muss ich das aber. Was ist da los?, frage ich mich. Was ist das denn bitte für ein Umgang mit Frauen? Ich hatte niemals die Illusion, Teil einer Gesellschaft zu sein, die Frauen tatsächlich gleichstellt oder Strukturen schafft, die die Bedürfnisse von Frauen angemessen abbildet, aber ich bin doch schockiert, über eine solchen Umgang.“
Da Patricia sich Austausch wünscht, veröffentlichen wir ihre Schilderung des Sachverhaltes gerne. Ihre/unsere Frage: Habt Ihr ähnliches erlebt? Gibt es Möglichkeiten, auf einen festen Termin zu bestehen? Gibt es Ansprechpartner_innen, an die mensch sich wenden kann? Habt Ihr ansonsten irgendwelche Hinweise? Dann immer ab damit in die Kommentare.
Als ich auf diese Leistungen angewiesen war, bin ich immer einfach zum Schalter vor gegangen und habe gesagt, dass ich mit Baby sei. Ich wurde dann immer vorgelassen. In einigen Centern ist das auch normal und man wird als Mutter von Sicherheitsleuten hinausgepickt. Ich glaube, Du musst dort nur ein Bewusstsein dafür schaffen.
Selbst erlebt und auch viele Male beobachtet. Und übles ‚Anherrschen‘ von Müttern (besonders gern solchen, die es wagen mehrere Kinder zu haben und auch mitzubringen), die kurz mal mit dem Kinderwagen inkl. schlafendem Baby im Gang stehen. Eine wurde gezwungen ihr schlafendes Kind zu wecken und mit den beiden anderen sich anzustellen, damit sie unverzüglich den Wagen woanders hinstellen konnte. ‚Wir sind hier nicht im Kindergarten‘ oder so blaffte der ‚Security‘-Typ sie an, obwohl sie ihn schon anflehte ihr zwei Minuten zu geben, damit sie ihr Kind nicht wecken müsse. Ich spekuliere (nicht ohne mich auf Erfahrungen zu berufen), dass der Ton gröber gewählt war, weil sie auch noch einen Akzent hatte, der sie wohl als nicht urururdeutsch identifizierte. Einschränkend kann ich sagen, dass mein Mann mir erzählt hat, dass Mütter mit Babys zumindest in Reinickendorf an der Schlange vorbei gelotst werden… Neukölln kann das nicht.
Leider keine Hinweise in der Sache, aber gefühlsmäßig würde ich mal vermuten, dass auf diese Umstände keine Rücksicht genommen wird. (ironie/on) Schließlich will Frau sich ja auf Kosten des Staates ausruhen und noch n bißchen länger mit ihrem Baby spielen, da kann man doch wohl erwarten, dass sie sich ne Dreiviertelstunde mit ihrem Kind zu den anderen Asozialen in die Schlange stellt (ironie/off). Auf einen festen Termin zu bestehen klappt erst, wenn Vermittlungsgespräche vereinbart werden. Ausgabe und Abgabe der Anträge laufen nur so, wie oben geschildert (nach den Erfahrungen meiner Freund_innen, denen diese Praxis aus anderen Gründen völlig schleierhaft geblieben ist).
Irgendwie doch passend zum Thema Arbeitsagentur/Frauen* fand ich folgenden Artikel im Netz: http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Panne-Arbeitsagentur-schickt-junge-Frau-ins-Bordell-id23898846.html
Da hat die Arbeitsagentur mindestens 8 jungen Frauen mit „ansprechendem Äußeren“ Vorstellungsgespräche in einem Großbordell vermittelt. Nicht als Sexarbeiterin, sondern als Thekenkraft (speaking of Zumutbarkeit). Immerhin gibt das Amt vor, aus dem „Fehler“ gelernt zu haben, und entsprechende Stellen nicht mehr anzubieten. Na, warten wir’s ab.
Warten im JobCenter ist Alltag. Nicht nur junge Mütter, auch Menschen, denen es sehr schwer fällt zu stehen, Menschen, die aufgrund von psychischen Problemen kaum in der Lage sind, sich lange in Menschengruppen aufzuhalten etc. werden nicht bevorzugt beghandelt. Das Prinzip der Jobcenter ist es, den Sachbearbeiter möglichst zu entlasten und vor den ‚Kunden‘ abzuschirmen.Daher ist der erste Anlaufpunkt immer der Empfang durch schlecht bezahlte Verwaltungassistenten. Es werden keine Telefonnummern von Sachbearbeitern und Fallmanagern herausgegeben. Es werden keine Termine vereinbart sondern erteilt. Es werden keine Nummern von Vorgesetzten herausgegeben. Das ist Teil des Systems. Auf diese Weise ist es leicht möglich, den ‚Kunden‘ Meldeversäumnisse vorzuwerfen. Es gibt inzwischen in fast jeder Stadt ArbeitslosenInitiativen, die sich hervorragend in der Materie auskennen. In vielen Städten ist es zudem möglich, dort Mitläufer_innen zu bekommen.
Ich habe meine Kinder immer betreuen lassen, wenn ich zum JobCenter musste, denn die Zustände können dort unhaltbar werden.
Wenn man in einer Großstadt lebt, findet sich meistens auch eine Erwerbslosenberatungsstelle, wie das Kalz (Köln), Falz (Frankfurt) und andere. Das Kölner Arbeitslosenzentrum ist unabhängig, macht das schon um die 20 Jahre, kennt die Jobcenter. Außerdem haben die Begleitprojekt, mit Ehrenamtlichen, die auch geschult werden.
Darüber hinaus gibt es in jeder ARge ein „Kundenreaktionsmanagement“ oder vulgo „Beschwerdestelle“, da gibt es Telefonnummern und die sind den Beratungsstellen auch bekannt.
Wenn man nicht in einer Großstadt lebt, kann man auch bei einer überregionalen Nummer anrufen: http://www.arbeitslosen-telefonhilfe.de/. Das lohnt sich manchmal auch, sich da weiterhelfen zu lassen.
tipp: Wenn ihr im Gang von euer zuständigen Sachbearbeiterin* seid, lauft den Gang ab und guckt nach der Teamleitung und wie die heißen, die kann man auch einschalten.
Weiterhin niemals ohne Begleitung gehen, am besten beim Hauch einer Unsicherheit, was die von euch wollen, eine Erwerbslosenberatungsstelle aufsuchen. Das ist aufwändig aber lohnt sich in jedem Fall. Alles was wichtig ist, immer schriftlich machen, eine Kopie des Schreibens mitbringen und mit Stempel und Tagesdatum und Unterschrift wieder mitnehmen.
Habe ich auch so erlebt. Ich erinnere mich an elende Telefonate, in denen versucht habe zu erreichen, den HartzIV-Antrag schriftlich stellen zu können, die bei bei x emotionslosen und/oder arroganten Namenlosen endeten, die nicht interessierte, dass ich weder arbeiten musste (weil ich gerade ein Kind gekriegt hatte) noch mein neugeborenes Kind mitten in der Hoch-Grippe-Phase den versammtelten Viren aussetzen wollte. Die Schleife endete immer bei ‚Das ist nicht vorgesehen, da kann ich nichts machen‘.
(anne roth)
andrea günter hat passend dazu zum thema dienstanweisungen und verlorene menschlichkeit geschrieben. lesenswert.
Frau kann die Formulare online runterladen, da hätte man einen Gang gespart. Da die Abgabe aber immer mit Bestätigung erfolgen sollte, weil sie sonst ganz schnell verschwinden („Das passiert hier schon mal“) kommt man um das Warten nicht drumherum – jedenfalls in „meinem“ Jobcenter nicht. Einmal hat mich ein Mann nach vorne gelotst, der fast schon selbst dran war und so habe ich mir das warten ersparen können. Es gibt aber die Möglichkeit, eine Vollmacht zu erteilen, in deren Namen jemand anderes Papiere abgeben, Unterschriften leisten kann etc. Wenn also im Jobcenter selbst keine Möglichkeit besteht, da vorgelassen zu werden, dann kann man vielleicht eine Freundin mit den Unterlagen hinzuschicken, wenn es nur um eine Abgabebestätigung geht.
Ach und was mir noch auffiel: Immerhin „darf“ frau jetzt als Schwangere in der Empfangsschlange nach vorne. Das war eine ganze WEile nicht so, da musste man sich die Beine in den Bauch stehen und nur mit einer nachgewiesenen (Blick in den Mutterpass) Risikoschwangerschaft durfte die Schwangere nach vorne. Nun also geht das wieder. Aber erst nach der 12. Woche, als ob das die magische Grenze wäre – weil, na? Man da nicht mehr abtreiben darf oder was? Als ob nicht grade in den ersten Wochen vielen Frauen kotzübel ist und die Luft in diesen Empfangsschläuchen da sicherlich zur Übelkeit beiträgt.
Und was mich wirklich ärgert, ist: Man muss jedes Mal den Mutterpass abgeben, damit der oder die Sachbearbeiter_In zu der man vorgelassen wird, sich angucken kann, ob man wirklich schwanger ist. Eigentlich muss man den Mutterpass niemandem zeigen, er ist ein privates Dokument und das finde ich ganz richtig, weil unter den „Risikofaktoren“ so private Dinge stehen wie ob man ein Drogenproblem hat, ob man schon mal eine Fehlgeburt oder Abreibung hatte etc. Das Jobcenter besteht aber drauf, dass der Mutterpass jedes Mal vorgelegt wird, auch, wenn ein eindeutig schwangerer Bauch zu sehen ist.
Und weiterhin problematisch finde ich es, dass auf der angeforderten Kopie aus dem Mutterpass, die man anfertigen und abgeben soll, wenn man den sogenannten „Schwangerenmehrbedarf“ beantragt, private Details zum Kinderwachstum und Uterusstand zu finden sind. Auf meinen Kommentar, dass das private Dinge seien und ob eine andere Kopie, auf der zwar die Schwangerschaft bestätigt zu finden sei aber keine Details zu finden sind, nicht ausreichend wäre, hat die Bearbeiterin sehr genervt geäußert, dass diese privaten Dinge keinen hier interessieren würden und ich die andere Kopie nicht ausreichend sei. Kein Uterusstand; kein Schwangerenmehrbedarf quasi.
Joah.
Ich hab da auch nicht mehr interveniert ehrlich gesagt, weil ich da nur rauswollte, wenn ich drin war.
In Erwerbslosenforen wird geschrieben, dass man nicht dazu gezwungen werden kann, den Mutterpass vorzulegen. Vielleicht weiß das Jobcenter das noch nicht. Wahrscheinlicher ist es, dass es ihnen egal ist, was sie dürfen und was nicht.
Liebe Patricia,
mit ALG II hast Du Anspruch auf Beratungshilfe bei einer/einem auf Sozialrecht spezialisierten Rechtsanwalt/Rechtsanwältin. Da Jobcenter in dem Ruf stehen, besonders gern Alleinerziehende zu tyrannisieren, würde ich mir von einer Beratungsstelle eine/n Anwalt/Anwältin in Deiner Stadt empfehlen lassen und die Dinge von ihr/ihm schriftlich klären lassen. Ich würde mich dem Scheiß gar nicht persönlich und schon erst recht nicht mit Säugling aussetzen.
Viel Erfolg und soli. Grüße, Chris
Hallo und vielen Dank für die Kommentare! Ich hab schon befürchtet die einzige Frau zu sein, der dieser Umstand unmöglich erscheint. Der Tipp mit dem Beschwerdeservice war sehr hilfreich und auch der mit dem Rechtsanwalt. Schön wäre es natürlich, wenn frau sich das nicht alles erst erstreiten müsste, sondern eine Lösung für alle festgelegt werden würde…
Ich versuche nun eine Beratungsstelle zu kontaktieren. Das einstündige Eingliederungsgespräch (trotz Elternzeit!) steht mir noch bevor und da kommt schon wieder ein Problem auf mich zu, denn was mache ich da mit meinem Baby? Mitnehmen? Das ist ähnlich schlecht wie in der Schlange stehn. Betreuen lassen? Was passiert, wenn er Hunger hat und ich nicht da bin…
Also vielen Dank schonmal und fröhliches kommentieren!
Liebe P.,
bleib tapfer.
Und nimm doch zum „Eingliederungsgespräch“ den kleinen Menschen und jemanden mit (das ist vielleicht sowieso klug und gibt dir Sicherheit, wenn sich das kein*e Freund*in traut, schau doch, ob es in deiner Stadt ÄmterLots*innen gibt). Sprich du bist dann für den kleinen Menschen da, kannst stillen (und ja, dazu sollte dir der/die Sachbearbeiter_in die Möglichkeit geben, also Rückzug und so) und den (Pflicht?)Termin wahrnehmen.
Bestes, P.
Hallo Patricia! ;-)
Ich habe das Baby im Tuch mitgenommen. Als der Bearbeiter gesehen hat, dass ich jemanden zu versorgen habe, hat er geseufzt, warum man mich trotzdem zu ihm schickt und mir einen Termin für in 3 Jahren gegeben. ;-) Und das hat sicher keine Stunde gedauert.
@Anni
Die Erfahrung der 19-jährigen, die das Jobcenter als Servicekraft an ein Großbordell vermitteln wollte ist – anders als vom Jobcenter erklärt – wahrscheinlich kein Fehler oder Missgeschick: dazu kommt es zu oft vor.
Ein Beispiel: Einer Bekannten (alleinerziehender Mutter eines kleinen Kindes) wurde ebenfalls ein Arbeitsplatz in einem Bordell nahegelegt. Als sie verneinte, erklärten die Angestellten, sie sei schließlich arbeitssuchend und dementsprechend verpflichtet, den Job anzunehmen, sonst werde ihr das Geld gestrichen: erst 10%, dann 20% usw…und schließlich, so die Jobcenter-Angestellten, sei es ja mittlerweile ein Beruf wie jeder andere, sie solle sich nicht so anstellen.
@ Anastasia: Das Jobcenter wollte sie aber sicher nicht als Prostituierte vermitteln, oder doch?
Es gibt seit kurzem auch in jedem Jobcenter eine Beauftragte für Chancengleichheit, die auf jeden Fall für die Situation junger Mütter ansprechbar ist und intern einige Weichen stellen kann. Müsste auf der Homepage des betreffenden Jobcenters zu finden sein.
Damit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.
@Auralibby: Das hielte die Männer bestimmt trotzdem nicht davon ab, sie anzubaggern, selbst wenn sie da nur an der Rezeption steht….
@Anastasia: Wie das wohl im Lebenslauf bei einer späteren Bewerbung wirkt? Gerade bei einer 19-jährigen, die sich noch auf „seriöse“ Berufe bewerben will…. Da sieht man mal, wie weit die ganze Bürokratie von der Praxis weggeht.