Untertauchen dank Klischees: Psychopathinnen

Auf Spiegel Online ist vor kurzem ein Artikel zu einem bislang kaum beachteten Thema erschienen: Psychopathinnen. Im Gegensatz zu Psychopathen wurden sie bisher kaum erfasst und weiß kaum jemand etwas über sie. Wie die Berliner Psychologin Anja Lehmann der Freien Universität Berlin nun untersuchte, liegt dies auch an den Diagnosekriterien. So sei die Hare-Skala besonders auf Männer zugeschnitten, Psychopathinnen erreichten teilweise deutlich weniger Punkte, als für eine Einordnung nötig sind.

So ist ein wichtiges Element der Checkliste die Frage nach frühen Verhaltens­auffälligkeiten. Psychopathische Jungs zeigen meist schon im Sandkastenalter alarmierende Anzeichen einer seelischen Unwucht: Sie quä­len Tiere, legen Feuer, sind mitunter extrem gewalttätig und be­drängen häufig schon mit zehn oder zwölf Jahren Mitschüler oder Ge­schwister sexuell. Ein ähnliches Muster ließ sich bei Mädchen bisher nicht ausmachen. … Die von Lehmann befragten Frauen dagegen waren als Mädchen eher durch Bagatelldelikte aufgefallen: „Sie klauen im­mer wieder Haargummis oder Lippenstifte – das sind Verfahren, die dann wegen Gering­fügigkeit eingestellt werden.“

So heißt es in einem der Vorschläge für die Überarbeitung der Kriterien: „Be­ziehun­gen sind für Psycho­pathinnen bloßes Mittel zum Zweck.“ Dass Psychopathen mehr Wert auf Beziehungen legen, scheint kaum vorstell­bar – so­lange Frauen aber als gefühlsbetont und immer um zwischenmenschliche Beziehungen bemüht gelten, fällt davon abweichendes Verhalten vielleicht deutlicher auf. Von Männern heißt es schließlich oft genug, ihre Freundschaften basierten auf gemeinsamen Schweigen.

Insgesamt scheinen männliche wie weibliche Psychopathen auch nicht allzu ver­schieden zu sein, neben „rätsel­hafter Seelen­kälte“ versuchen sie ihre Mit­menschen zu kontrollieren und Macht aus­zuüben. Da­ge­gen variiert die Wahl der Mittel: Während Psycho­pathen eher charmant erscheinen, nutzen Psycho­pathinnen ihre Sexualität. Dies hängt sicher auch mit den Geschlechterbildern und -rollen unserer Gesellschaft zusammen. Für Männer ist es ungleich schwieriger, sich als hilflos und schützenswert zu positionieren, um so parasitär leben zu können. Darüber macht sich auch Lehmann Gedanken, wenn auch etwas unerwartet.

Mitunter beschleichen die Psychologin Anflüge eines schlechten Ge­wissens. In solchen Momenten fürchtet sie, mit ihrer Forschung das Ansehen der Frau an sich zu untergraben. Aber dann besinnt sie sich wieder auf die eigentliche Erkenntnis: „Dass Frauen auf ähnlich er­schreckende Weise psychopathisch sein können wie Männer – ist das nicht auch ein Beitrag zur Gleichberechtigung der Geschlechter?“

Die Frau an sich, der bessere Mensch?! Überhöhung als Strategie ist alt. Kaum zu glauben, aber tatsächlich auch ein Mechanismus des Patriarchats. Wie die denkwerkstatt vor einem Jahr bereits schrieb: „Haben Sie schon einmal versucht, jemanden zu kritisieren, der ein Gespräch mit dem Satz: ‚Ja, ich weiß, ich bin eben nicht so toll / gut / moralisch / gescheit wie du‘ beginnt?“

5 Kommentare zu „Untertauchen dank Klischees: Psychopathinnen

  1. „Die Frau an sich, der bessere Mensch?! Überhöhung als Strategie ist alt.“

    Meinem Wissenstand zufolge ein Klassiker, Geschlechterhierarchien zu begründen und zu festigen – Wegloben :

    „Wenige Mythen sind für die herrschende Kaste vorteilhafter gewesen als der Mythos Frau : er rechtfertigt alle ihre Privilegien und begünstigt sogar deren Missbrauch.“ (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 312)

    Dieser Effekt ist mir aus bestimmten Ecken bestens bekannt :

    „Das Lächerlich Machen :
    „Die Gender Mainstreaming Menschen sind erst zufrieden, wenn es BundeshymnIn heißt“…Gerne auch bei der „QuotInnen-Regelung / RegelungIn“. “

    Ich sehe es traditionell als Weiblichkeitsabwertung im Hinlick auf Leistung/männliche Normen bei gleichzeitiger Mythologisierung/moralische Idealisierung.

    Diese Prozesse wirken zu meinem Erschrecken nach wie vor weiter und erneuern immer wieder die Geschlechterhierarchien und -segregationen.

    Diese begründen immer wieder bestimmte „blinde Flecken“ im Geschlechterdiskurs, wie es H.J.Lenz formuliert hat.

    „Für Männer ist es ungleich schwieriger, sich als hilflos und ..“

    Für Männer in unseren Gesellschaftssystemen ein ko-Kriterium, für Frauen begünstigt. Auch hier sehe ich einen damit erklärbaren Klassiker :

    http://terra-x.zdf.de/ZDFde/inhalt/18/0,1872,8210994,00.html

    „Frauen und Kinder zuerst!
    Der bekannte Rettungsbefehl geht auf die dramatische Geschichte des britischen Militärschiffs „Birkenhead“ aus dem Jahr 1852 …“

    Und genauso will man(n) m.E. auch Psychopathinnen nicht so gerne so wahrnehmen – genauso wenig wie männliche Verletzlichkeit.

  2. „Haben Sie schon einmal versucht, jemanden zu kritisieren, der ein Gespräch mit dem Satz: ‚Ja, ich weiß, ich bin eben nicht so toll / gut / moralisch / gescheit wie du‘ beginnt?“
    Alles eine Frage der Übung ;)
    Je nachdem wie sehr ich die sprechende Person kenne, wird das abgebrochen mit „Komm zum Punkt.“ oder unterlaufen mit „Dann lass es doch gleich, wenn ich es eh besser weiß.“ (dafür muss ich aber schon sehr genervt sein).

    Ich finde es ja eher spannend, dass die Psychologin sich wirklich Gedanken gemacht hat, ob sie dem Ansehen der Frau an sich mit ihrer Forschung schadet. Sie hat sie ja ganz gut gerettet – aber was wäre, wenn?

  3. „Im Gegensatz zu Psychopathen wurden sie bisher kaum erfasst und weiß kaum jemand etwas über sie. “

    Ahja. Mal wieder ein schillerndes Beispiel darüber, wie die Wissenschaft hinter Themen, die in der Populärkultur längst bearbeitet wurden, hinterherhinkt. Ich erinnere nur an die vielen wunderbaren Horrorklassiker wie „Misery“, in denen Frauen mit einem veritablen Sprung in der Schüssel in Szene gesetzt werden. Deren wissenschaftliche Betrachtungen sich interessanterweise doch eher an Genderaspekten aufhängt, offenbar ist es politisch unkorrekt, über böse Frauen jenseits des Schwiegermutter-Komplexes zu reden.
    Ich empfehle in diesem Zusammenhang, auch weils kurzweilig ist, „Science of Horror“, eine Doku (leider auch mit Genderschwerpunkt, aber hey! immerhin) http://www.scienceofhorror.de/.

  4. Wer mit welchem Verhalten wird hier als Psychopath definiert? Was ist ein Psychopath?
    Ab wann ist man ein Psychopath, welche Auffälligkeiten müssen wie stark ausgeprägt sein, um in diese Kategorie zu passen?

  5. Auf Youtube kann man sich auch die Stone-Skala angucken, find ich sehr interessant. Wobei ich die Berwertung doof finde.

Kommentare sind geschlossen.

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