Als „eine wissenschaftliche Fantasie des Frauseins“ versteht Autorin Natalie Angier ihr Werk “Woman: An Intimate Geography”. Tatsächlich dreht sich alles um den Teil der Menschheit, der von der Wissenschaft bis heute noch zu oft vernachlässigt wird: Die Frau und alles, was sie ausmacht.
Warum gibt es einen weiblichen Orgasmus und warum wird die Durchschnittsbrust seit Jahrzehnten immer umfangreicher? Nur einige von zahlreichen Fragen, deren Antwort noch immer ausstehen. Hier fasst Angier die verschiedenen Theorien und Beweise zusammen, gibt Einblicke in die (männlich geprägte) Wissenschaftsgeschichte und zeigt die komplexen Verwicklungen mit Alltagskultur und Politik auf. Auch die Geschichte der weiblichen Hysterie, ausgehend von der Gebärmutter (griech. ὑστέρα/hystera) darf da nicht fehlen. Dabei geht es nicht nur um die harten Fakten von Gebärmutter und Genetik, sondern auch die gesellschaftliche Einordnung. Die Frau als schwaches, passives und weiches Wesen – naturgegeben sei das nicht.
Als Mutter, die sich für ihre eigene Tochter ein noch besseres und gerechteres Leben wünscht, zeigt sich Angier auch als ausgesprochene Feministin, die unter den tausenden Jahren patriachaler Traditionen die Möglichkeit zu mehr globaler, weiblicher Solidarität sieht. Ausgehend von Naturvölkern oder unseren nächsten Verwandten, die Affen, lehnt sie sich hier etwas aus dem Fenster. Aber schließlich soll das Buch auch mehr sein, als nur das Vorstellen wissenschaftlicher Erkenntnisse, eben eine „Fantasie“. Und: viele populäre Annahmen stehen auf wissenschaftlich wackligeren Füßen. Die Verbindung von Aggression und Testosteron ist so wenig bewiesen, wie evolutionäre Psychologie sich auf historische Fakten berufen kann.
Derzeit neu leider nur auf englisch erhältlich, ist “Woman” für Nicht-Muttersprachler_innen eine Herausforderung – aber eine, die sich lohnt. Mit einem Wörterbuch zur Hand erschließt sich die liebevolle und bildreiche Sprache des Buches, auf hochkomplexe wissenschaftliche Ausdrücke verzichtet die Pulitzerpreisträgerin bewußt. Wer es dennoch genauer wissen will, findet im 16 Seiten langen Quellenverzeichnis Forschungsartikel und weiterführende Bücher. Darüber hinaus hat Angier mit vielen Forscher_innen selbst gesprochen, auch erläutert sie medizinische Phänomene und Krankheiten mit den Worten von Betroffenen.
So geht es etwa um Intersexualität, genauer gesagt das Androgen-Insensivitäts-Syndrom (AIS) und die Frage, wann genau eine Frau eine Frau ist. Ansonsten konzentriert sich das Buch leider sehr auf heterosexuelle cis-Frauen – Homosexualität, Transgender oder Asexualität kommen nicht vor. Themen, die hoffentlich eines Tages in einem weiteren Buch aufgegriffen werden. Denn inzwischen hat “Woman” bereits über 10 Jahre auf dem Buckel. Trotz des Alters bleibt es ein spannender Einstieg in Welt der weiblichen Biologie.
Auf Deutsch als „Frau. Eine intime Geographie des weiblichen Körpers.“ erschienen bei Goldmann (Taschenbuch, 2000) und Bertelsmann (gebunden, 1999) – derzeit nur gebraucht erhältlich.
Auf Englisch als “Woman: An Intimate Geography” bei Anchor Books (Taschenbuch, 2000), ab ca. 14 €.
Wow, das ging aber schnell! Danke. Mein Exemplar wohnt jetzt erst mal unten im Stapel auf dem Nachttisch, bis es mit der Zeit nach oben ‚wandert‘.
Eigentlich schon krass, wenn man denkt, dass wir Frauen gar nicht vorgesehen waren um einen Orgasmus zu haben *seufz*