Bahareh Sharifi hat Theater, Literatur und Soziologie in Hamburg und London studiert. Nach einem kurzen Abstecher in New York und dem kläglichen Versuch, nach London auszuwandern, lebt sie mittlerweile in der Stadt von Else Lasker-Schüler und Walter Benjamin. Sie arbeitet in prekären Arbeitsverhältnissen im Kontext von Literatur, bildenden und performativen Künsten und ist mittlerweile wieder an dem Ort angelangt, von dem sie bereits vor langer Zeit geglaubt hatte, sich verabschiedet zu haben, dem Stadttheater.
Der Text ist ein Versuch, aktuelle, kritische Diskurse im und am Theaterbetrieb zusammenzudenken, auch im Hinblick auf die Frage, welchen nachhaltigen Effekt bisherige, kritische Interventionen am Stadttheater hatten.
Nach den Diskussionen der letzten Jahre um Blackface und das Fehlen von Diversität an deutschen Stadttheatern, schien diese Spielzeit 2013/14 zunächst ein Paradigmenwechsel stattzufinden. Mit dem Festival „Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzer Perspektive“ eröffnete das Ballhaus Naunynstraße im August und zeigte vielschichtige Stücke, vor allem von afrodeutschen Künstler_innen und widerlegt ganz nebenbei die abstruse Behauptung, dass es kaum schwarze Schauspieler_innen in Deutschland gäbe.
Auch am Theater Bremen scheinen die Diskurse der letzten Zeit ihre Spuren hinterlassen zu haben. So wurde in der Inszenierung von „Unschuld“ nicht wie zuletzt bei dem Regisseur Michael Thalheimer am Deutschen Theater weißen Schauspielern schwarze Farbe aufgetragen, sondern anhand einer pluralen Besetzung eine zeitgemäße Produktion gezeigt. Die Autorin des Stückes, Dea Loher, die sich bei der Diskussion um Blackface am DT kein einziges Mal zu Wort gemeldet hatte, versuchte hingegen, dem Theater Bremen die Aufführung von „Unschuld“ zu untersagen. Die Streichung einer Figur war für sie nicht hinnehmbar, die rassistische Praxis des Blackface aber anscheinend schon.
Zunächst 2007 als Intendantin am Schauspiel Köln unter der Prämisse angetreten, dass sich die gesellschaftliche Realität der Stadt auch in der Ensemblebesetzung widerspiegeln sollte, wurde vergleichbar politischer Diskurse, bereits innerhalb kurzer Zeit nach Amtsübernahme diese Verheißungen wieder über Bord geworfen. Auch am Deutschen Schauspielhauses in Hamburg sieht Karin Beier weiterhin die Notwendigkeit, soziale Diskurse im Spielplan abzubilden. So wird analog zur Kinderbuchdebatte, das Festhalten an rassistischer Sprache (Inhaltswarnung: rassistische Sprache) zum immanenten Identitätsmerkmal des Bildungsbüger_innentums. Ganz in dieser christlich-abendländischen Theatertradition kann in dem kürzlich durch einen Zusammenbruch des Bühnenbodens verursachten Erstarren des Spielbetriebes ein symbolhafter Charakter gesehen werden.
Bereits seit längerem fordert auch der Intendant des Münchener Residenztheater Martin Kusej eine interkulturelle Öffnung des Theaters. Zur neuen Spielzeit scheinen seine Kolleg_innen von den Münchener Kammerspiele nun das perfekte Projekt gefunden zu haben: die Kunstinstallation „Niemandsland“ des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven, bei dem Migrant_innen durchs Münchener Bahnhofsviertel führen sollen. Dafür suchen die Kammerspiele derzeit „Frauen oder Männer im Alter von 27 – 70 Jahren aus dem türkischen, persischen, arabischen, muslimischen oder afrikanischem Kulturkreis. (…) Bezahlung für diesen Zeitraum sind 80 Euro netto pro Tag (…) Voraussetzungen sind Grundkenntnisse im Deutschen oder Englischen, eine gute körperliche Verfassung, da während der Produktion 6-8 km täglich gelaufen werden müssen“. Die von Tuncay Acar öffentlich geführte Debatte über diese neo-koloniale „Migranten-Safari“ kann auf seinem Blog nachgelesen werden.
Das Thalia Theater Hamburg inszenierte unterdessen mit der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek. Ursprünglich mit Bezug auf die Ereignisse um die Wiener Votivkirche, die Geflüchtete im vergangenen Winter besetzt hatten, wurde mit dieser Inszenierung auf die Lage der zum Großteil aus Libyen geflüchteten Gruppe in der Hansestadt verwiesen. In einer Rezension des digitalen Theaterfeuilletons nachtkritik hieß es, dass diese Inszenierung „wahrscheinlich das Maximum an politischer Intervention (ist), das ein Stadttheater leisten kann.“
Dass es noch weit darüber hinausgehen kann, bewies der Billeteur Christian Diaz jüngst am Wiener Burgtheater. So hatte er beim Jubiläumskongress „Von welchem Theater träumen wir“, in der Umbaupause eigenständig das Wort ergriffen und sowohl auf seine prekären Arbeitsverhältnisse als auch auf die weltweiten Menschenrechtsverletzungen seines Arbeitgebers, dem Sicherheitsunternehmen G4S, aufmerksam gemacht. Er wurde nicht nur kurz nach Beginn seiner Rede von der Chefdramaturgin von der Bühne verwiesen, sondern auch danach fristlos gekündigt. Mittlerweile haben sich u.a. diverse Künstler_innenvereinigungen und der Abenddienst des Schauspiel Leipzig mit Christian Diaz solidarisiert. Auch Elfriede Jelinek nahm in Ihrer Dankesrede zum Theaterpreis „Nestroy“ auf Ihn Bezug und verwies auf die oftmals ausgeblendeten Interdependenzen von politischer Realität und dem Stadttheater.
Während dessen geht das Maxim Gorki Theater unter der neuen Leitung von Shermin Langhoff in die Startlöcher und unternimmt den Versuch, die diversitäre Perspektiven, die bereits zuvor am Ballhaus Naunynstraße etabliert wurden, auch auf das deutsche Stadttheater auszuweiten. Damit beschreitet das Gorki einen Schritt hin zu dem vom Nachwuchs des Jugendtheaterbüros so dringlich geforderte Notwendigkeit des „KulTür Auf!“.
Mit diesen Wort, toi, toi, toi!
Liebe Frau Sharafi,
Danke für diesen klugen und umfangreichen Überblick. Als Autor des entsprechend zitierten Artikels möchte ich allerdings anmerken: nachtkritik.de ist von seinem Selbstverständnis her kein Blog, sondern ein „unabhängiges und überregionales Theaterfeuilleton im Internet“.
Aber sonst – guter Text.
Hallo Falk, habe die Änderungen vorgenommen!