Strauss-Kahn und das Ewigmännliche

Wir wissen nicht, ob die Vorwürfe gegen Dominique Strauss-Kahn stimmen. Unabhängig davon, ob tatsächlich etwas dran ist, müssen wir aber feststellen, dass die Debatte um diese Affäre einen bitteren, ekelhaften, ja empörenden Nachgeschmack hinterlässt. Die Wortwahl von vielen LeitartiklerInnen und anderen KommentatorInnen tendiert zu einer Verharmlosung der Vorwürfe, wie Nadine bereits berichtete. Und zwar nicht nur in Deutschland.

Drei feministische Gruppen auf Frankreich kritisieren in einer von Le Monde veröffentlichen Petition den Sexismus und die tiefsitzende Frauenfeindlichkeit, die in der französischen Debatte um die Affäre ans Licht kommen. „Diese Art von Sprache erzeugt eine nicht tolerierbare Verwechslung von sexueller Freiheit und Gewalt gegen Frauen“, heißt es in dem Protestschreiben.

Spiegel berichtet zwar darüber, widmet aber der Affäre ein ganzes Titelthema, wo die Fragestellungen genauso allgemein und unkritisch formuliert werden, wie in der Einladung zur Forum-Debatte. Dort heißt es etwa:

„Mächtige tendieren dazu, ihren Einfluss auszudehnen, oft ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen. Liegt dieses Phänomen vom Austesten der Grenzen im Wesen der Macht? Ist diese Möglichkeit die eigentliche Attraktivität von Macht? Ist Macht sexy – oder verführt sie prinzipiell zum Missbrauch?”

Das Verstörende an dieser Art von Problematisierung ist, abgesehen vom leichtpopulistischen Ansatz, vor allem die Tatsache, dass der konkrete soziale und historische Kontext völlig ausgeklammert wird, um eine langweilige Diskussion über „die Macht“ und „den Menschen“ zu provozieren. Kein Wunder also, dass die LeserInnenschaft sich bald mit ähnlich allgemeinen Schnapsweisheiten meldet, wie der User jujo:

„Aus eigener Erfahrung und Erleben kann ich sagen, dass Frauen sich zu mächtigen (?) Männern hin orientieren. Hat man eine gewisse Position erreicht, legen sich die Frauen beinahe ohne eigenes zu tun ins Bett. Die Frage ist wie geht der Mann damit um, kann er seine Attraktivität aus der Position heraus richtig einordnen. Da scheint mir das Hauptproblem zu liegen. Es sind nicht die Frauen schuld aber auch nicht die Männer. Es ist die Natur die uns so agieren lässt“

Und ewig grüßt der platte Essentialismus, der immer ganz genau weiß, was sich „die Frauen“ wünschen, wie „die Mächtigen“ sind, und natürlich auch, was „die Männer“ wollen. Die wollen nämlich immer Sex mit Frauen, und zwar möglichst „ohne eigenes zu tun“. Damit sind wir aber zurück bei den verharmlosenden Kommentatoren gelandet. Denn Vergewaltigung erscheint jetzt als kleiner Zwischenfall in der Biographie eines von seiner Natur her sexbesessenen Wesens, das sich manchmal nur schlecht kontrollieren kann.

Der unangenehme Nachgeschmack bleibt also, und die Debatte wird sich bestimmt bei der nächsten Gelegenheit unverändert wiederholen. So lange, bis man(n) versteht, dass man(n) sich nicht aus einer vermeintlichen Gefangenschaft des eigenen Schwanzes befreien muss, sondern aus der der eigenen Sprache.

26 Kommentare zu „Strauss-Kahn und das Ewigmännliche

  1. Siehe dazu auch einen Skandal im österreichischen Parlament (http://tiny.cc/69fi9), der wohl leider, wie in Österreich üblich, keinerlei Konsequenzen haben wird.

    Oder auch:
    Au vu de tout cela, je suis convaincu que même si Dominique Strauss-Kahn est reconnu coupable et va en prison, il rentrera un jour en France, publiera son autobiographie (qui, bien entendu, sera portée à l’écran par Polanski) et finira par devenir ministre. Peut-être en charge de la condition féminine ?
    http://www.courrierinternational.com/article/2011/05/19/l-indulgence-coupable-des-elites-francaises

  2. Übrigens hatte die Petition der französischen Feministinnen am Sonntag bereits über 15.000 Unterschriften, und dass, obwohl sie erst am Freitag in Umlauf gebracht worden war. Zu der Spontandemo am Sonntag in Paris kamen 3000 Menschen und jede Menge Presse.
    Go activism!

  3. Der aktuelle Spiegel (Printausgabe) geht das Thema in seiner Titelstory sehr viel besser an finde ich.

    Es wird ein Zusammenhang gezogen zwischen Machtmenschen/männern, Realitätsverlust und narzistischen Persönlichkeitsbildern. Wobei aus meiner Sicht offen bleibt, ob die Macht die entsprechenden Männer korumpiert oder ob von vornherein nur ein bestimmter Typus Mann besonders erfolgreich zur Macht strebt.

  4. zum Thema „Macht“: das ist erst einmal ein neutraler Begriff – also Macht ist nichts schlechtes – hat mit Kompetenz und Verantwortung zu tun. Dass Macht korumpiert, ist an sich schon falsch herum gedacht. Es ist immer der Mensch, der mit Macht nicht verantwortlich umgeht.

  5. Ist schon interessant, wie unterschiedlich Wahrnehmungen sein können. Der schwarze Kanal auf SpOn schreibt, daß DSK Gnade von den Medien erfährt, weil er links sei, Du findest, es werde generell gnädig mit ihm umgegangen, während mein Eindruck ist, daß schon allein die öffentliche Anklage einer versuchten Vergewaltigung von der sozialen Wirkung einem Schuldspruch nahe kommt.

  6. Das Wort „Macht“ hat für mich nicht zwingend etwas mit Kompetenz oder Verantwortung zu tun. Macht zu haben bedeutet aus meiner Sicht primär, die Möglichkeit die eigene Vortstellungen durch andere Menschen umsetzen lassen zu lassen zu können, ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen.

  7. @jj

    Ich denke, jede Interessengruppe versucht Kapital aus dem Fall zu schlagen. Und Fleischauer vom „schwarzen Kanal“ versucht eben (wie immer) platte Kritik an allem, was nach seiner Meinung „Links“ ist anzubringen.

    Andere widerum nutzen die Chance das amerikanische Justizsystem zu kritisieren. Der Spiegel (Printausgabe) kritisiert die angebliche Tendenz der französischen Presse derartige Vorfälle generell zu bagatellisieren.

  8. @black – bei deiner definition sind wir schon bei der perversion von macht. ich will einfach nur darauf hinaus, das keiner von der macht verdorben wird, im sinne von passiv, sondern immer nur aktiv macht missbraucht. seinen willen gegen den von anderen durchsetzen ohne deren willen zu berücksichtigen, ist macht-missbrauch. und das ist immer aktiv, aus einer haltung die gekennzeichnet ist von egoismus und gier. das schließt die einstellung, frauen seien eine art gegenstand, der für die eigene sexuelle befriedigung da ist, mit ein.

  9. @Inge

    Wieso findest Du, dass meine definition von Macht, bereits die Pervertierung (nicht Perversion) darstellt? Nach der von mir gewählten Definition von Macht ist sowohl der positive, als auch der negative Gebrauch dieser Macht möglich.

    Ob „die Macht“ den Menschen nun „aktiv“ verdirbt ist aus meiner Sicht eine irrelevante frage, denn Macht ist ja keine Person, kein Lebewesen , das eigenständig handeln könnte. Natürlich ist immer der Mensch aktives Individuum. Macht ist nur ein Zustand und kann daher weder „schuldig“ noch „unschuldig“ im moralischen Sinne sein.

  10. Mit der Aussage „Macht korumpiert“ wird lediglich versucht das Fehlverhalten weniger Männer zu entschuldigen, die in den Medien aber völlig überpräsent sind, „sex sells“. Man betrachte nur mal die Forbesliste der reichsten Menschen der Welt, die ja ohne Frage auch alle mächtig sind. Fallen die regelmäßig durch Sexeskapaden auf? Nein. Durch Gestalten wie Berlusconis, DSK(vielleicht) und co sollte man sich nicht den Blick vernebeln lassen.
    Weil 50% der Frauen nach neueren Statistiken bereits sexuell belästigt wurden heißt dies nicht das 50% auch dafür verantwortlich sind. Im Normalfall ist es doch so das jedes Fehlverhalten von einigen wenigen, dafür aber massiv ausgeht.

  11. @black – du hast geschrieben:

    Macht zu haben bedeutet aus meiner Sicht primär, die Möglichkeit die eigene Vortstellungen durch andere Menschen umsetzen lassen zu lassen zu können, ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen.

    mir ist klar, dass das die „gängige“ definition von macht ist. das ist es aber wert, hinterfragt zu werden. „ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen“ – kann deiner meinung nach positiv und negativ sein. in welchem fall ist soetwas jemals positiv? die gängige definition berücksichtigt nur das schon pervertierte „macht haben über…“ – tatsächliche macht bedeutet kompetenz (eigenmacht, das tatsächliche „macht haben“) und verantwortung (das unbedingte berücksichtigung des willens anderer bzw. das wohl aller – das tatsächliche anwenden der macht)

    es geht hier nicht um mächtige männer – es sind schlicht gierige egomanen die unseren planeten und uns zu grunde richten, weil sie sich das recht heraus nehmen zu machen, was ausschließlich ihren eigenen interessen dienlich ist.

  12. @nandoo – von wieviel prozent werden denn die 50% dann belästigt? von nur 2%? die rechnerei bringt es nicht. in unserer gesellschaft werden frauen und ihre körper grundsätzlich als voneinander abgespaltet betrachtet. die körper werden vielfältig genutzt (werbung, zeitschriften, prostituiton, table-dance…) ohne das irgendwie mit frauen als person, als mensch in verbindung zu bringen. das ist kopfsache – bewusstsein – eine angelegenheit von uns allen.

  13. @ Nandoo

    „Man betrachte nur mal die Forbesliste der reichsten Menschen der Welt, die ja ohne Frage auch alle mächtig sind. Fallen die regelmäßig durch Sexeskapaden auf? Nein“

    Ich habe zwar noch nie etwas von dieser Forbesliste gehört, aber der Name Frau Kladden (BMW) sollte ihnen ein Begriff sein. Ist ja auch nur rausgekommen, weil der Typ sie dann wegen den Seitensprüngen erpresst hat.

    Mit Geld lässt sich auch schweigen verkaufen.

  14. @inge

    [quote]
    mir ist klar, dass das die “gängige” definition von macht ist. das ist es aber wert, hinterfragt zu werden. “ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen” – kann deiner meinung nach positiv und negativ sein. in welchem fall ist soetwas jemals positiv?[/quote]

    Ich gebe mal ein paar alltägliche Beispiele von Macht, um das zu verdeutlichen:

    Eltern haben eine Form von Macht über ihr Kind und können daher gegenüber dem Kind etwas bestimen und durchsetzen, auch wenn das Kind einen abweichenden Willen hat. Das bedeutet nicht, dass Eltern damit (im Regelfall) dem Kind schaden.

    Ein Lehrer hat eine Form von Macht über seine Schüler, und kann diesen Aufgaben auftragen und diese Sanktionsbewährt, auch wenn die Schüler einen abweichenden Willen haben und diese aufgaben nicht erledigen mögen.

    Ein Polizist oder ein Richter hat eine Form von Macht gegenüber einem Straftäter und kann Sanktionen festsetzen, die dem Täter selbst nicht zu Willen sind.

    Bei allen diesen Beispielen handelt es sich natürlich nicht um unbegrentze Machtausübung.

  15. @black

    Eltern – Kind: Eltern haben die Kompetenz zu wissen, wann ein Kind gestoppt werden muss, damit es sich keinen Schaden zufügt. Der Stopp kann dem Kind auch erklärt werden.

    Lehrer – Schüler: Schule ist ein Thema für sich. Genau diese Ausübung von Macht sehe ich auch nicht positiv. Gibt andere Ansätze, Montesori-Pädagogik

    Gefängnisse – nicht positiv – völlig veraltetes Strafsystem, auch ein Thema für sich, sprengt den Rahmen hier.

    aber bleiben wir doch bei dem Beispiel der „mächtigen Männer“ – was gibt es da positives, das gegen den Willen anderer gemacht wird?

  16. @ Black: Genau diese Diskussion, die auch beim Titelthema von Spiegel vorkommt, finde ich nicht wirklich relevant. Denn „die Macht“, „den Menschen“, „die Mächtigen“, „die Männer“ und so weiter gibt es eben nie einfach so, an und für sich. „Die Macht“ einfach so, ohne Weiteres, ist lediglich eine fast leere Abstraktion. Zu fragen, ob jetzt „die Macht“ „den Menschen“ korrumpiert, ob sie zu Realitätsverlust oder Missbrauch führt, halte ich deshalb nicht unbedingt für interessant.

    Vielmehr müssen wir m.E. immer von einem bestimmten konkreten sozialen Kontext ausgehen. Die Macht von Strauss-Kahn hat einfach zu wenig mit der Macht von Friedrich dem Großen oder mit der von Caesar gemeinsam. Eine Debatte über die allgemeine Definition der Macht kann natürlich theoretisch / analytisch interessant sein, aber ich glaube einfach nicht, dass eine Antwort auf diese abstrakte Frage uns tatsächlich weiterhilft beim Versuch, konkrete gegenwärtige Missbrauchsfälle und deren Hintergründe besser zu verstehen.

    Strauss-Kahn steht nicht einfach als „mächtiger Mensch“ dem Zimmermädchen gegenüber, sondern als eine Person, die in unserem heutigen sozialen Kontext in diverse Macht- und Diskurskategorien (Banker, Präsidentschaftskandidat, Europäer, weißer Mann etc.) fällt, während das Zimmermädchen eine konkrete schwarze Migrantin mit einem konkreten nicht-so-tollen Job bei einem konkreten Luxushotel in New York ist. Diese „Intersektionalität“ von verschiedenen Kategorien finde ich viel interessanter als einfach nur „die Macht“.

  17. @lisa – der schlusssatz des von dir genannten beitrags ist sehr passend:
    „Es wäre naiv zu glauben, dass alle Personen, die ihre Amtsmacht für selbstsüchtige Zwecke missbrauchen, dies tun, ohne es zu bemerken; bei dem Gedanken kann man die Geister von Hobbes, Macchiavelli und Nietzsche vor Lachen brüllen hören.“

  18. @Inge:
    Doch. Rechnerei ist notwendig. Ich finde es nicht in Ordnung wenn auch nur ein anständiger Mann wegen „der Gesellschaft“ oder einseitigen Statistiken die nur die Opfer ohne Anzahl der Täter wiederzugeben in Miskredit gebracht wird. Ansonsten ließe sich auch anhand anderer Statistiken feststellen das jeder und jede von uns im Leben 1,3 schwere Diebstähle begeht, obwohl die Wahrheit jawohl eher so aussieht das die allermeisten nie etwas tun, die Straftaten also von wenigen ausgehen.
    Prüf in deiner eigenen Firma nach und frag mal die Frauen von welchen männlichen Kollegen sie sich schonmal unangenehm belästigt fühlten. Wollen wir wetten das immer wieder die selben Namen fallen?

    @Kurt:
    Dann guck nach und überleg mal wieviele der dort genannten reichen und mächtigen denn mit solchen Sachen auffallen. Ein Bruchteil, gesamtgesellschaftlich gesehen jedenfalls nicht besonders auffällig. Nur das eben nicht die ganze Weltpresse durchdreht wenn irgendein No-Name scheiße baut. Aufgrund medialer Schwerpunkte eine „je mächtiger desto sexistischer“ Relation aufzubauen ist Unsinn und dient nur als platte Ausrede für nicht entschuldbares Verhalten.

  19. @ Nandoo

    Die Reichen und Mächtigen kontrollieren aber die Presse und was nicht rauskommen soll kommt in der Regel auch nicht raus.

    Ausserdem sind Vergewaltigungen und sonstige Staftaten nichts im vergleich zu dem, was diese Herren UND Damen sonst noch so alles anstellen.

    Mord und Völkermord etwa.

  20. @nandoo – ich denke dass es uns alle was angeht, weil wir ja „die gesellschaft“ sind, in dem sinne habe ich das gemeint. natürlich ist ein „mächtiger mann“ nicht auch einfach gleichzeitig ein vergewaltiger und/oder mörder, bzw. wie ich hier schon irgendwie versucht habe zu erklären, ist es nicht die macht, die jemanden dazu bringt, sondern immer der jeweilige mensch selbst, der seine macht missbraucht. und es ist wichtig, dass klar gestellt wird, dass niemand so etwas duldet, in dem sinne ist die öffentliche diskussion notwendig, gerade wenn es sich um menschen mit macht handelt, die ja eine sehr große verantwortung für viele menschen haben bzw. sich ihr handeln auf viele menschen auswirkt. (wir, die „normalen“ menschen, haben ganz allgemein im falle von machtmissbrauch sowieso viel zu wenig kontrolle – aber das ist wieder ein anderes thema… )

    in dem sinne meinte ich auch die „wortklauberei“ – ich möchte damit darstellen, dass es kein Macht-Sex Thema ist, sondern ein Machtmissbrauch-Vergewaltigung Thema.

  21. @Kurt:
    Verschwörungstheoretischer Unsinn.

    @Inge:
    Aaah alles klar, Missverständniss. :-)

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