Wir freuen uns über diesen Gastbeitrag von Claudus! Der Autor (cis, hetero, weiß, disabled) wohnt derzeit in Bayern, ist seit einigen Jahren queer-feministisch aktiv, schreibt gelegentlich Texte oder hält Vorträge zu Themen rund um Gender und Social Justice.
Sich mit den LGBT-Aktivist*Innen in Russland verbünden – nur wie?
[Hinweis: Ich werde im weiteren Verlauf dieses Beitrags die inklusivere Abkürzung LGBTQI verwenden, in den meisten Artikeln ist jedoch entweder von Lesbian and Gay, homosexual oder LGBT die Rede.]
Die aktuellen Ereignisse in Russland bedürfen wohl kaum einer Zusammenfassung, zumindest LGBTQI-Nachrichtendienste und –medien berichten seit Wochen über die Entwicklungen rund um das jüngst erlassene Gesetz gegen „Homosexuelle Propaganda“, nach dem bereits eine offen getragene Regenbogenflagge schwere Repressionen nach sich zieht. Auch die eindringlichen Bilder von Gewalt gegen LGBTQI-Menschen, die wie im Fall rechtsradikaler Übergriffe und Morde entweder von staatlicher Seite nicht verhindert wird oder aber durch russische Polizei und Sondereinheiten direkt vom Staat ausgeht, sprechen für sich. Eine gute, aber deutlich mit Triggerwarnung für Homophobie und Gewalt zu versehende Zusammenfassung findet sich hier. Umso weniger erstaunt es, dass in der internationalen LGBTQI-Community nicht diskutiert wird, ob etwas sondern vielmehr was getan werden sollte, um den russischen Verhältnissen die Stirn zu bieten und die dort lebenden LGBTQI zu unterstützen. Die viele Fallstricke spannen sich irgendwo zwischen „Lieber gar nicht einmischen, weil man nicht selbst betroffen ist“ und „Anderen die eigenen Vorstellungen von Aktivismus aufrdrücken“.
Was aber bedeutet es in diesem konkreten Fall aktiv zu werden, ohne dabei paternalistisch zu werden? Neben den Protesten vor russischen Botschaften von Glasgow über New York bis Tel Aviv reichen die Angebot etwas zu tun von Händchenhalten bis hin zum Vodka-Boycott und auch ganze Städte zeigen offen Flagge gegen die homophobe Gesetzgebung der Putin-Regierung. Die präsenteste und vermutlich am kontroversesten diskutierte Vorgehensweise ist die Forderung danach, die Winterolympiade in Sochi zu boykottieren oder nach Vancouver in Canada zu verlegen. Die entsprechenden Petitionen haben nicht nur Tausende Unterzeichner*Innen, sondern auch prominente Unterstützer wie den ehemaligen Star Trek-Darsteller und Internetcomedian George Takei und den britischen Showmaster (und ebenfalls Comedian) Stephen Fry, der sich mit einem Brief an David Cameron wandte.
Spätestens seit der Olympiade 1936 in Deutschland, so eines der Hauptargumente, wisse man, dass autokratische, totalitäre und menschenverachtende Regime die Olympischen Spiele dazu nutzen sich als weltoffen zu inszenieren und sich somit als akzeptables Mitglied der Staatengemeinschaft zu präsentieren, die eigenen Verbrechen unter den Teppich des sportlichen Wettkampfes zu kehren und darauf zu hoffen, dass diese auch hinterher aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit rücken. Wenn nicht nach außen, so dienen die Olympischen Spiele, so die Befürchtung, zumindest nach innen als Garantie für den Machterhalt Putins. Wenn die russische Regierung schon anders nicht mit sich reden lasse, dann solle man ihr weder dieses Prestigeprojekt noch die damit verbunden Einnahmen gönnen. Anders gesprochen: Trefft die russische Homophobie da, wo es sie am deutlichsten schmerzt: in Selbstinszenierung und Geldbeutel.
Ungeachtet dessen, ob diese Logik aufgeht, die russische Regierung wirklich wirtschaftlich auf die Spiele angewiesen ist und Putin – der zweifelsohne die Winterolympiade als persönliche Sahnehaube der Selbstglorifizierung nach Sochi geholt hat – ist dies bereits einen Schritt zu weit diskutiert. Woher wissen wir, dass den russischen LGBTQI Aktivist*Innen damit geholfen ist, dass die Olympiade weniger Gewinn einbringt. Die wenigsten der Unterstützer*Innen in Deutschland, dem UK und anderswo haben direkte Verbindungen zur russischen LGBTQI-Community. Wie Brian Paddick, einer der Boykott-Unterstützer*Innen, selbst anmerkte: „Ich denke, wir müssen den LGBT Activists in Russland aufmerksam zuhören, sie sind diejenigen, die die Situation kennen und wir müssen dem folgen, was sie vorschlagen.“
In diesen Worten liegt, würde ich meinen, der Knackpunkt der bisherigen Diskussion. Sicherlich ist es erfreulich, wenn hunderte bzw. tausende Menschen sich offen gegen Homo-, Bi-, Trans*- und Interphobie in Russland stellen wollen, aber nur weil Aktivist*Innen in Deutschland, Großbritannien, den USA und anderswo sofort an Boykott denken, heißt das noch lange nicht, dass damit den russischen LGBTQI Aktivist*Innen am besten geholfen ist. Sich verbünden, so habe ich es zumindest vermittelt bekommen, bedeutet zuhören und sich an den Betroffenen und ihren Wünschen orientieren und nicht etwa sofort zu den Aktionen zu schreiten, die mir gerade am sinnvollsten erscheinen. Letzteres ist der erste Schritt in den Paternalismus und hat im Kontext der Diskussion um die russische Gesetzgebung, wie Erika Lynn Abigail Kreeger zurecht kritisiert, oftmals bereits deutlich neokoloniale Untertöne. Wenn die Gesetzgeber als „barbarisch“ und „primitiv“ diskutiert werden, dann wird aus der gutgemeinten Intervention schnell eine selbstgerechte Abgrenzung des guten, entwickelten Westens gegen den rückständigen Osten, den man in die zivilisatorischen Schranken zu weisen hat und „denen“ mal beibringen sollte, wie LGBTQI-Rechte gehen oder sollte man sagen, wie man die eigenen Ressentiments weniger öffentlich ausgestaltet und die Gewalt besser und subtiler ausübt? Die Schlussfolgerung daraus einen „Gay Imperialism“ zu argumentieren und jede westliche Position als in sich bereits mit dem Geist imperialistischer Unterdrückung zu brandmarken, scheint allerdings auch wenig befriedigend. Was wäre also zu tun und was bedeutet es auf die Betroffenen so zu hören, dass man nicht das eigene Verständnis aufdrückt, aber auch nicht inaktiv zusieht?
[In Teil 2 dieses Beitrags, der morgen bei uns erscheinen wird, wird der Autor versuchen, auf diese Frage eine Antwort zu finden.]