Die Drogeriemarkt-Kette Schlecker ist ja selten für gute Schlagzeilen bekannt: Die Arbeitsbedingungen seien so schlecht, dass Kritik häufig nur anonym geäußert wird. Die Angestellten seien in den jeweiligen Filialen oft allein und hätten daher kaum eine Möglichkeit Pausen zu machen. Sie würden unter enormen Druck gesetzt und daran gehindert Betriebsräte zu gründen. So mussten die Mitarbeiter_innen viele Jahre um grundlegende Arbeitsstrukturen kämpfen, wie z.B. die Gründung von Betriebsräten, Tarifverträgen und den Stopp konzerninterner Leiharbeit.
Seit einigen Jahren schreibt Schlecker rote Zahlen und meldete daher Anfang des Jahres Insolvenz an – allerdings sollten vorerst keine Filialen geschlossen werden. Ende Februar kam dann die katastrophale Nachricht: ca. 2.000 Filialen sollen geschlossen und rund 12.000 Stellen gestrichen werden. Dies betrifft in der Mehrzahl Frauen. Im Gespräch mit der Brigitte schätzt die Schlecker-Betriebsrätin Karin Lübke, dass 99 Prozent der Verkäufer_innen bei Schlecker Frauen sind. Lediglich auf den nächsten Ebenen, in der Bezirksleitung und Verkaufsleitung gäbe es auch männliche Kollegen. Absurd wirken da Schlagzeilen wie „Zukunft der Schlecker-Mitarbeiter unklar“, wenn doch in der Mehrzahl Frauen betroffen sind.
Der arbeitsmarktpolitische Sprecher und Vorsitzende der NRW-Linksfraktion, Wolfgang Zimmermann betont, dass sich die Verkäuferinnen in den letzten Jahren ein ungeheures Know-How erarbeitet hätten, weil „sie häufig Filialen ganz alleine oder lediglich mit einer Kollegin betreiben mussten“. Gewürdigt wird das allerdings nicht – die Zukunft der Mitarbeiter_innen ist ungewiss.
So gingen am internationalen Frauenkampftag hunderte Schlecker-Mitarbeiter_innen in Stuttgart auf die Straße. Zum (mäßigen) Engagement der Politik nach den Nachrichten der letzten Wochen stellte die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Christel Hoffmann fest:
„Wenn man sich Fälle wie Opel anschaut, da war das ganz anders. Da bin ich jetzt mal ganz ketzerisch und sage: da ging es ja auch um Männer-Arbeitsplätze.“
Auch die Gewerkschaftlerin Leni Breymaier appelliert an die Politik, nicht mit zweierlei Maß zu messen:
„Bei der Abwrackprämie für die männerdominierte Autoindustrie hat man Kreativität und Tempo an den Tag gelegt, die wir auch für Schlecker bräuchten.“
In ganz Deutschland finden Aktionstage statt, wie z.B. in Frankfurt/Main. Die Forderung: Transfergesellschaften sollen die rund 12.000 Mitarbeiter_innen aufnehmen. Das Problem: Die Schlecker-Filialen sind deutschlandweit verteilt und für eine Auffanggesellschaft mit einer so dezentralen Struktur gibt es bislang kein Vorbild. Über die Finanzierung der Übernahme in eine Transfergesellschaft soll unter anderem am Montag (heute) in Berlin entschieden werden.
Bereits diesen Samstag, am 24. März, sollen die rund 2.000 Filialen zum letzten Mal öffnen.
Disclaimer: Dieser Artikel spiegelt den Stand vom 17. März wieder.
Parallele zu Opel? Ich vermute, dass aufgrund der Vernetzung vieler Betriebe, vor allem in den Branchen Logistik und Zubehörteile, der Konkurs eines Autobauers grosse Kreise ziehen würde. Ein Opel mag zwar nicht so „systemrelevant“ sein wie eine Commerzbank oder HüppoIrgendwas, macht aber wahrscheinlich ähnliche Wellen. Im Vergleich dazu hängt an Schlecker (auch aufgrund der Struktur mit vielen kleinen Läden) wenig.
Am politischen Zögern generell gibt es natürlich genug zu kritisieren. Ich frage mich auch, wie es sein kann, dass ein Unternehmen mit so vielen Angestellten so krass vor die Wand gefahren wird, sich das Filialsterben nicht schon über Monate entwickelt hat. Hoffentlich bleibt wenigstens den „Kleinen“ die Rückforderung von Lohn durch den Insolvenzverwalter erspart.
Also, ich sag mal so: Das Konzept Schlecker ist auf dem Markt durchgefallen. Es war schon lange bekannt, dass Schlecker seine Mitarbeiterinnen schlecht behandelt, die Filialen waren meist unschön usw. Insofern ist es nur recht so, dass sich da die Macht von uns Kundinnen zeigt und solche Läden von der Bildfläche verschwinden.
Da sollte der Staat nicht noch ein schlechtes Konzept belohnen – das Signal wäre ja schließlich, dass so ein Geschäftskonzept nicht wirklich sanktioniert wird.
Es bleibt natürlich zu hoffen, dass die betroffenen Mitarbeiterinnen schnell anderswo eine Arbeit finden.
Interessant erscheint mir eine Alternative zur Entscheidung, Schlecker zu retten oder pleite gehen zu lassen: die Umwandlung in eine GenossInnenschaft und damit im Grunde die Übernahme Schleckers durch die ArbeiterInnen.
Ein kurzer Bericht z.B. hier:
http://peter-nowak-journalist.de/2012/02/12/%C2%BBwir-konnen-es-besser%C2%AB/
@Zelig
Das halte ich für keine gute Idee.
Die Lage ist schon schlimm genug, aber den Mitarbeiterinnen jetzt noch zuzumuten ihre letzten Ersparnisse rein zu stecken, mit dem Risiko des Totalverlustes, finde ich komisch.
Selbst wenn der Staat vorübergehend Geld zur Verfügung stellen sollte, wird dieses ja nicht reichen (können), da Schlecker aktuell immer noch jeden Monat Geld verliert.
Das in dem Artikel beschriebene Konzept „EDEKA“ finde ich sehr gut, aber passt aus diversen Gründen überhaupt nicht als Vergleich mit einer Schlecker-Genossenschaft.
Ich schätze mal, dass es nicht nur an der Geschlechterverteilung liegt, dass Opel geholfen wurde und Schlecker nicht, aber es hat sicher auch nicht nur damit zu tun, dass das Konzept Schlecker nicht funktioniert. Ein wesentlicher Faktor ist bestimmt die Lobby der Autohersteller, -fahrer, … die es mal wieder geschafft hat, die Politik zu überzeugen. Und Schlecker ist schätzungsweise nicht so lobby-stark.
Es bleibt zu hoffen, dass einige Filialen und Mitarbeiterinnen von den anderen Drogerieketten übernommen werden, die Arbeitsbedingungen jedenfalls würden sich verbessern.
Die Betrachtung der Pleite von Schlecker führt zu der Frage, warum die Politik sich für eine Transfergesellschaft einsetzen sollte, die er auch noch selber bezahlt. Diese würde nämlich die Aufgabe übernehmen, die eigentlich von den „Agenturen für Arbeit“ (vulgo: Arbeitsämtern) ausgeführt werden muss. Der „Mehrwert“ einer solchen Auffanggesellschaft für den Staat ist also gleich null.
Natürlich kann man sagen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werden solle und dass damals bei Opel auch gerettet wurde und die Abwrackprämie die Autoindustrie subventioniert hat. Andererseits stellt sich die Frage, ob man falsche Entscheidungen wirklich zum allgemeinen Standard erheben möchte und ob der Staat sich wirklich in jeden Mist einmischen sollte (das gilt natürlich nicht, wenn man sowohl Opelrettung als auch Abwrackprämie richtig fand; ich erinnere mich aber an die ein oder andere lebhafte Diskussion, die ich im Netz über die Richtigkeit dieser Maßnahmen mitbekommen habe.).
Mir kamen die bisherigen Argumente komisch vor.
1. Argument: Schlecker ist auf dem Markt durchgefallen.
Gegenargument: wenn die Automobilbranche keine Abnehmer mehr findet, ist offenbar auch deren Modell durchgefallen – das wurde aber im Gegensatz zu Schlecker künstlich durch die Abwrackprämie am Leben gehalten.
Auch die gegenwärtige Finanzökonomie ist eindeutig durchgefallen. Aber selbst hier wurden teilweise Bankerboni mit Steuergelden bezahlt, die keinen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert hatten.
2. Argument: Der Staat soll so ein schlechtes Konzept nicht noch belohnen, das setzt die falschen Signale.
Gegenargument: es geht nicht darum, das Konzept zu retten, sondern wenn dann die Mitarbeiterinnen (die Abwrackprämie war ein überaus kreatives, wenn auch fragwürdiges Konzept, das relativ schnell entwickelt und umgesetzt wurde. In jedem Fall war die Rettung der Regierung etwas wert. Dabei war es unerheblich, ob die Branche mit guten oder schlechten Konzepten an die Wand gefahren ist. Der Punkt war es, Konzepte zu entwickeln, die dem entgegentreten. Dabei muss nicht das Schlecker-Konzept mitgekauft werden.
3. Argument: Schlecker war nicht so lobbystark:
Ja, aber warum? Schlecker war nicht so lobbystark, weil es keinerlei Bündnisse zwischen den Beschäftigten gab (das wurde ja auch weitestgehend durch die Arbeitssituation verhindert), in diese Arbeitssituation müssen sich überwiegend Frauen begeben. Sie sind es, die in prekären Verhältnissen arbeiten. Deswegen ist die Frage der Lobby auch immer eine Frage des Geschlechts.
Die Solidarisierung mit der Autobranche ist schon eine internalisierte Sicht der Dinge – und diese Sicht der Dinge ist nicht herrschaftslos, sondern wird nur nachträglich rationalisiert.
Deswegen meine Schlussfolgerung: diese Entscheidung kann man nicht ohne die Kategorie Geschlecht betrachten. Für manchen Gruppen sind eben Dinge selbstverständlich und für andere nicht. Als ich letztes beim Fußball war und gesehen habe, wie viel Polizei da ist, die auch bezahlt werden muss: und man bedenke: das findet jedes Wochenende in mehren Städten statt, dachte ich so: wäre es wohl möglich, eine „Frauenveranstaltung“ zu etablieren und zu legitimieren, bei der ständig Polizeieinsatz nötig wäre? – ich denke nicht.
Die Interpretation und Wahrnehmung von allem ist eben immer schon durch eine Gender-Brille verzerrt. Deswegen interessiert die Rettung von Schlecker auch kaum jemanden – weil es um Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen geht – also auch Frauen ohne ökonomisches Kapital – welche Schalthebel sollen sie schon haben?
@Stefanie
Eine interessante These, aber ich denke etwas zu kurz gedacht, bevor der Absprung zu „es liegt am Geschlecht“ kommt. Die Folgerung kann immer noch richtig sein (und ich würde sagen, ja, das ist auf jeden Fall ein Faktor) aber so arg verkürzt wie es oben dargestellt ist kann die Argumentation zu leicht zerpflückt werden.
Z.B. Die Abwrackprämie wurde nicht nur für Opel geschaffen. Die haben davon Profitiert, ja, aber weder war es für Opel besonders zugeschnitten noch hat Opel überdurchschnittlich stark davon profitiert.
Letztlich sollte nur eine Zeitspanne überbrückt werden, bis der Markt wieder besser läuft. Das hat, erstaunlich gut, funktioniert.
Z.B. Die Lobby von Opel liegt zu einem guten Teil daran, dass es nur wenige Standorte mit vielen Menschen gibt, der Druck auf die Kommunen ist daher viel größer. Selbst wenn 100 Schleckerfillialen schließen ist das nur ein Bruchteil von einem 10.000 Personen-Werk.
Z.B. Schlecker ist am Markt durchgefallen, Rossmann und DM aber nicht (und Müller und Budnikowski und …). Für die Dienstleistung selber scheint also ein Markt da zu sein, nur für diesen Anbieter nicht. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Automobilindustrie eher zu vergleichen mit dem Beispiel Nokia.
Ich finde es immer sehr schade wenn an sich wirklich spannende und bedenkenswerte Thesen mit leicht abzuwehrenden Thesen begründet werden.