Es ist die letzte Abfahrt. Wer die großartige US-amerikanische Rapperin Angel Haze nicht kennt, sollte spätestens jetzt reinhören. Anschnallen bitte nicht vergessen. Ihr aktuellster Remix von Mackelmores & Ryan Lewis „Same Love“ Version stellt die Frage, wer für wen sprechen kann und welche Stimme fehlt. Mackelmores Lied „Same Love“ wurde zu großen Teilen als Hymne für die gleichgeschlechtliche Liebe und Ehe gefeiert. Schöne Sprache, schönere Bilder und die Liebe eines schwarzen Mannes, der schwul ist und am Ende des Musikclips sehen wir Trauringe. Macklemore selbst ist weiß und heterosexuell. Irgendwie ist es nett.
Und dann kommt Angel Haze. Ihre Version von „Same Love“ knallt und sofort ist klar, was fehlte. Ihre Wörter sind gewaltig, sie schießen ins Herz. Es ist ihre Geschichte, ihre Sexualität, ihr Finden zu sich, dem Begehren und den damit verbundenen Ausschlüssen, und der homophoben Gewalt. Es ist Tagebuch, nicht so schön wie wir uns das Leben vielleicht wünschen, sondern verletzlich, intim und zart.
Wir bekommen es zu spüren, wenn sie in ihren Zeilen rappt:
“Hi Mom/ I’m really scared right now but I have to…/ At age 13 my mother knew I wasn’t straight/ She didn’t understand but she had so much to say/ She sat me on the couch, looked me straight in my face/ She said, ‘You’ll burn in hell or probably die of AIDS,”
„Hi Mom/ Ich habe gerade richtig Angst, aber ich muss…/ Mit 13 Jahren wusste meine Mutter, dass ich nicht Hetero war/ Sie verstand es nicht, aber hatte so viel zu sagen / Sie setzte mich auf das Sofa, schaute mir direkt ins Gesicht/ Sie sagte: „Du wirst in der Hölle brennen oder wahrscheinlich an AIDS sterben,“
Worte, die in der Seele brennen, Luft anhalten lassen, weil es weh tut. Haze lässt sich nicht in Identitäten eingrenzen und rappt gegen Kategorisierungen ohne wegzuwischen, was da an Schmerz und Verletzungen ist:
“No, I’m not gay/ No, I’m not straight/ And I sure as hell am not bisexual/ Damn it, I am who I am when I am it.”
„Nein, ich bin nicht homosexuell/ Nein, ich bin nicht heterosexuell/ Und ich bin todsicher nicht bisexuell/ Verdammt, ich bin wer ich bin, wenn ich es bin.“
Haze ist versöhnlich, weil sie an den Wandel glaubt, dass sich Einstellungen ändern und Akzeptanz kommen wird. „Same Love“ hat diese Interpretation gebraucht, nicht weil sie die beste Version wäre, sondern weil eine Stimme fehlte. Angel Haze nimmt uns in ihren intimen Ort, in ihre Kindheit, und legt sie offen.
Es ist sicherlich nicht voreilig zu sagen, dass mit diesem Lied, das Lied des Jahres geschrieben wurde. Die Rapperin ist ZWEIUNDZWANZIG! Das ist irgendwie krass, weil ihre Texte so viele Leben spiegeln und Tiefe haben. Und vielleicht ist das so, wenn Menschen nicht in normierten Bereichen leben. Vielleicht auch nicht. Sie ist zumindest eine Rapgöttin. Ihr neues Album „Dirty Gold“ steht schon in den Startlöchern.
Unbedingt auch reinhören: „Werkin Girls“
Und „New York“
Ein schönes Portrait über Angel Haze hat Antonia Baum in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) geschrieben.
Das erste mal bin ich auf Angel Haze furch ‚cleaning out my closet‘ gestoßen, einem Track, in dem sie sexuellen Missbrauch thematisiert. Hat mich sehr, sehr tief berührt; und auch ihre restlichen Sachen sind große Klasse.
Was ich vergessen habe: der Track wurde nicht geschrieben! Das ist komplett Freestyle, sehr bemerkenswert.
Das hier
“No, I’m not gay/ No, I’m not straight/ And I sure as hell am not bisexual/ Damn it, I am who I am when I am it.”
ist übrigens ein Zitat der großartigen Andrea Gibson, spoken word artist, aus ihrem Gedicht „Andrew“, das ich absolut ALLEN wärmstens ans Herz lege.