Kathrin bloggt gelegentlich unter buildingsnbridges, wo auch der folgende Beitrag kürzlich erschienen ist – den sie uns erfreulicherweise als Crosspost angeboten hat.
Programmieren war ja mal ein frauen*dominierter Job, bevor es ein männer*dominierter Job wurde. Als erste Person, die Programme schrieb, ist Ada Lovelace in die Geschichte eingegangen. Damals, im 19. Jahrhundert, konnten Rechen-Maschinen noch nicht so viel – die Mathematikerin schuf mit ihrer Arbeit jedoch eine wichtige Grundlage für ihre Weiterentwicklung. Davor und danach sind auf dem Zeitstrahl der Informatik-Historien dann oft nur noch weiße Männer zu finden. Klar: in Geschichtsschreibung und Wissenschaft werden die Beiträge nicht männlicher, nicht weiß/westlicher Protagonist_innen routinemäßig unsichtbar gemacht. (Ich wusste bis vor ein paar Wochen nicht, woher das Wort Algorithmus kommt.)
Und nachdem einige Jahrzehnte lang die professionelle Nutzung von Computern von Frauen* geprägt worden war (Biografien u.a. hier oder hier) – ohne, dass sie dafür unbedingt viel Anerkennung bekommen hätten – wurde ihr Anteil in den 1980ern dann auch tatsächlich kleiner. Während die Rechenmaschinen zu immer mächtigeren Werkzeugen wurden. Und das Prestige, das mit ihrer Bedienung verbunden war, wuchs.
Unter anderem dieser Prestigegewinn wird dafür verantwortlich gemacht, dass Informatik – wie vieles, was als ‘Technik’ gilt – heute vielerorts ein Männerjob ist. Nicht schön, aber mächtig: das Klischee des Programmierers oder ‘Nerds’ ist das eines Typens, der nicht gut aussieht und seine nur spärlich vorhandenen sozialen Kompetenzen selten nutzt – aber durch sein Technikverständnis potenziell die Welt beherrschen kann.
Seit ich vor zwei Jahren meinen Rechner mit einem BIOS-Update kaputtgemacht habe – da wusste ich noch nicht, was eine BIOS ist und wollte verstehen, was passiert war – habe ich angefangen, mich auch technisch mit Computern zu beschäftigen. Und seitdem fällt mir auf, wie viele Institutionen und Gruppen offenbar gerade damit beschäftigt sind, Informatik aus der Nerd-Ecke zu holen. Besonders Programmieren wird zugänglicher, und es wird immer wieder betont, dass auch Menschen es lernen können, die nicht schon ihr ganzes Leben lang genau das gemacht haben. In Berlin gibt es wöchentlich mehrere kostenfreie Workshops, die ich besuchen kann, wenn ich will. (Auch, weil für mich bestimmte Barrieren keine Rolle spielen – selbstverständliches Englisch-Sprechen zum Beispiel oder Rolli-Unzugänglichkeit vieler Veranstaltungsorte.) Es gibt bergeweise Ressourcen online, darunter richtig gut konzipierte Kurse – von meinem ersten Python-Kurs zehre ich jetzt im Informatikstudium noch. Und es gibt Initiativen wie die Rails Girls, die sich besonders an Frauen richten (über die Offenheit gegenüber nicht-binären Genderidentitäten weiß ich nichts). Quasi in jeder Stadt, in der es gentrifizierende Cafés mit Free Wifi gibt.
Seit ich mich mehr mit Rechnern beschäftige, bin ich – simsalabim! – in einer neuen Erzählung über feministisches Empowerment gelandet. Als Protagonistin mit Superheldinnen-Faktor: Leute machen High Five mit mir, wenn ich erzähle, was ich studiere! Die Stimmung: yey, Frauen* lernen programmieren! Wir holen die ganze Nerdigkeit nach, die wir in unserer Jugend nicht haben konnten (oder hatten, aber dafür ausgelacht wurden) und zeigen es den Mackern. Und so übernehmen wir die Weltherrschaft dann doch noch.
Ich glaube, in die Programmier-Euphorie spielt neben der Freude, sich vom weißen Macker nichts mehr sagen lassen zu müssen, auch das Bewusstsein rein, dass ‘Code’ die neue weltweit verstandene und bedeutsame Sprache ist – die auf allen Arbeitsmärkten gefragt ist, Tendenz steigend. Das Wissen, eine größere Absicherung in Bezug auf zukünftige Jobs zu haben, ist ziemlich angenehm – das merke ich an mir selbst und höre ich ähnlich von anderen Leuten, auch wenn es nicht für alle die gleiche Rolle spielt.
Selbstständigkeit und Zugang zu besser bezahlten Jobs können Empowerment bedeuten. Ja, in dieser Gesellschaft ist Überleben leider immer auch Überleben im Kapitalismus, und da gibt es keine ‘Chancengleichheit’. Wenn ich aber mit dem Slogan “If they can do it, I can do it as well!” zum Programmieren motiviert werden soll – wie auf der Seite der Rails Girls Berlin unter der Rubrik ‘Success Stories’ – hört sich das für mich nicht unbedingt feministisch an. Keine Erwähnung von Sexismus und anderen -ismen, mit denen Menschen davon abgehalten werden, zu lernen oder ihr Wissen anzuwenden. Sondern nur das “from zero to hero(ine)”-Motiv: trau dich, du schaffst das! Programmieren macht total Spaß, es ist leicht zu lernen und spannend und du kriegst coole Jobs!
Das mit den “coolen Jobs” ist halt auch so eine Sache. Während bestimmte Skills so viel zugänglicher werden (und sich das Berufsbild vom stereotypen Nerd, der in seinem Leben nie was anderes gemacht hat als zocken/hacken/nerden) weg bewegt, schwindet auch tatsächlich der Weltherrschafts-Faktor des Programmierens. Wenn ich mir mal anschaue, wer so alles Programmier-Kurse für Frauen und/oder die breite Masse unterstützt: Da ist zum Beispiel die Initiative Jeder kann programmieren, gefördert unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Riesen-Unternehmen Intel. Das ist nicht Zugänglichkeit, damit wir uns alle empowern können, sondern das Bemühen darum, dass wir genau das Richtige lernen – denn Programmieren ist die neue Schlüsselkompetenz, und es werden Arbeitskräfte gebraucht, die das drauf haben. Ja, auch Frauen* – und ja, auch hochmotivierte Menschen außerhalb der EU und der USA. Und gut, dass Long-Distance-Beschäftigungsverhältnisse durch das Internet so einfach sind, denn da lassen sich Kosten sparen. Wird da eigentlich irgendwas demokratisiert, oder vor allem Angestellte für boomende Branchen produziert? (Und für welche Branchen eigentlich? Die in vielen Darstellungen zweitberühmtesten Programmiererinnen sind Jean Bartnik, Grace Hopper und ihre Zeitgenossinnen – die meisten von ihnen arbeiteten für die US-Armee.)
Das “Ich kann alles lernen”-Gefühl, das sich nach dem ersten, und dem zweiten, und dem xten selbstgeschriebenen Programm einstellt, möchte ich nicht missen. Oder die Möglichkeit, selbstbewusst über Technik, die ich benutze, zu entscheiden. Und die Chance, im Informatikstudium Kompetenzsimulation von den Profis zu lernen. Aber ich weiß nicht, ob der Ort, den ich damit erreichen werde, sich irgendwie unabhängiger anfühlen wird. Oder vielleicht genauso stressig und prekär, wie Arbeitsleben bisher auch war.
Meine Freundin studiert Informatik auch. In GB, wo zwar auch viele deutsche Firmen vertreten sind, die dann doch wieder eher Männer einstellen, aber viele Firmen sehen es als wertvoll an, wenn Frauen* Informatikerinnen sind. Bzw- was mich freut, als Beobachterin, Informatik ist dort ein eher „Frauen*studium“ aber trotzdem angesehen.