Für die Anthologie „Dekonstruktion und Evidenz“ haben sich Kulturwissenschaftlerinnen der Universität Lüneburg zusammen getan, um soziale Kategorien wie „Geschlecht“, „Rasse“ und „Nation“ in ihrer medialen Darstellung zu untersuchen.
Die Einsicht, dass in medialen, wissenschaftliche und politischen Diskursen produziertes Wissen gesellschaftliche Wirklichkeit nicht abbildet, sondern ‚Wahrheit’ durch bestimmte Diskursregeln erst hergestellt wird und zudem immer mit Machtwirkungen verknüpft ist, zieht sich als roter Faden durch die Texte der Autor_innen dieses Bandes
Dieser Satz, den die vier Herausgeber_innen, Irina Hennig, Merle-Marie Kruse, Steffi Hobuß und Tanja Thomas ihrer Einleitung voranstellen, wird für die meisten ihrer Leser_innen nicht bahnbrechend neu sein, gibt aber den Hinweis, dass sich hier auch nicht Gender-Initiierte zurecht finden können. Unter dem Stichwort „Ausgangspunkte“ folgen zwei Kapitel, die Grundsätzliches über poststrukturalistische Theorien vorstellen und auch wenn ich persönlich die Theorie nonchalant überblättert habe, ein Seitenblick zeigt mir, dass die grundlegenden Ideen und Prinzipien dekonstruktiver Theorie greifbar vermittelt wird.
Diesem Prinzip – anschaulich den theoretischen Ansatz darlegen und dann die Analyse mit gut dokumentierten Beispielen vorstellen – folgen auch die Aufsätze dieses Sammelbands. Egal ob Miriam Stehling die neoliberalen Prinzipien geschlechtsspezifisch verlangter Handlungen anhand von „Germany’s next Topmodel“ analysiert oder Wera Mohns Patten den „Konstruktionen von Mutterschaft und Gender in den Filmen Juno und Knocked Up“ nachspürt, die Autor_innen bleiben nah am Forschungsgegenstand und nutzen den popkulturellen Bezug alltagsnah.
Überhaupt liegt hier die große Stärke der Anthologie: Sie stellt die Verunsicherung der Autor_innen anhand der Beschäftigung von (De)Konstruktionen in Medienkulturen genauso bewusst heraus, wie das Positive der Weiterentwicklung von Gedanken und Wissen:
Wie wichtig ihnen in diesem Rahmen auch die Gelegenheit für die Reflexion über Denkbewegungen, der Austausch über Verstörung und Verunsicherung wie über Freude an Erkenntnisfortschritten war, haben die Autor_innen beschrieben. […] Die Beschäftigung mit Rassismus- und Nationalismustheorien oder Critical Whiteness Studies produziert häufig Phasen der Sprachlosigkeit angesichts der Anstrengung der Vermeidung, aber auch angesichts der Unvermeidlichkeit des Wiederholens von Verallgemeinerungen, kollektivierenden und differenzstiftenden Formulierungen.
Denn ein Problem, was mir persönlich in akademischen Diskursen immer wieder begegnet ist das fehlende Eingeständnis, an Grenzen zu stoßen oder auch stoßen zu dürfen. Stattdessen wird vielmehr die hundertprozentig dekonstruktive Performanz gefordert, um ja kein doing gender, doing race oder was auch immer zu produzieren und das Konstrukt damit gar noch anzufüttern.
Dass diese Anthologie über „Dekonstruktion und Evidenz“ deshalb die „Ver(un)sicherungen“ im Titel trägt, verdient freundlich erleichterten Beifall. Akademische Hardcore-Cracks mögen das genau anders sehen, aber vielleicht ist das dann auch nicht das richtige Buch für sie. Ob es außerdem dem neuesten Forschungsstand entspricht, vermag ich nicht zu sagen, auch wenn Chris Kövers Betrachtungen über die „Heldinnen-Performance“ der Serienfigur ‚Buffy’ schon mehrfach Thema ähnlicher Aufsatzsammlungen war.
Genauso wirkt der Beitrag von Sonja Oehler über „Performative Transformationen von Maternalität durch die Madres de Plaza de Mayo“ eher der Nostalgie als einem aktuellen medienkulturellen Rahmen geschuldet. Ganz anders „Das Kopftuch als Konfliktstoff“. Marte Sybil Kessler untersucht „Diskursive Kontroversen in deutschsprachigen Tageszeitungen“. Ein Forschungsprojekt, das leicht gegenwärtiger Gegenstand der eigenen Alltagsbeobachtungen sein kann.
Neu dagegen war für mich der Ansatz der „Critical Whiteness Studies“, den Sandra Landsfried in ihrem Aufsatz über „die Verhandlung von Whiteness am Beispiel Barack Obama in der Spiegel-Berichterstattung“ wählt.
Whiteness, Weiße Hegemonie und Weiße Menschen rücken in den Blick kritischer Analysen. Bis dato hatte ihre Reflexion viel zu lange nur in kritischen Schwarzen Diskursen stattgefunden […] – und somit in der diskursiven Peripherie der Weißen Mehrheitsgesellschaft.
Aber auch hier gilt, wer sich stark mit aktuellen Forschungsströmungen kulturwissenschaftlicher Gender Studies beschäftigt, wird sich angesichts der thematischen Auswahl auf den ersten Blick möglicherweise nicht angesprochen fühlen. Aber vielleicht ist doch einiges zu entdecken. Mir ging es jedenfalls so und dazu ist es noch eine geeignete Leselektüre für Sonne im Park, ohne dass der Kopf zu rauchen beginnt.
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Danke für die schöne Zusammenfassung! Ich finde auch die Bemerkung gut, dass in akademischen Diskussionen oft das Einverständnis fehlt, an Grenzen zu stossen. Oft ist in solchen Debatten vielmehr der Reflex da, sofort andere auf ihre eigenen Grenzen hinzuweisen und sich dabei selbst in die Position der ‚grenzenlos Wissenden‘ zu begeben. Etwas verwirrt hat mich die Bemerkung zu Critival Whiteness: die gehört doch eigentlich schon längst zu den aktuellen Forschungsströmungen kulturwissenschaftlicher Gender Studies, oder?
@Rubi – Ja, das mag sein, dass „Critical Whiteness Studies“ schon längst Bestandteil der Forschung sind. Aber weil ich keine Kulturwissenschaftlerin und auch schon seit ein paar Jahren mit meinem Studium fertig bin, wußte ich das nicht. Deshalb war es für mich neu, und ich fand es gut, wie die Autorin die Idee dahinter so anschaulich erklärt hat, als wäre es ein noch nicht allgemein bekanntes Prinzip.
Ah, OK. ich weiß auch gar nicht, ob das überall zum ‚Kanon‘ gehört – ich kenn mich da auch nur im Berliner Kuwi-Gender-Kontext aus. Liebe Grüsse jedenfalls!