Bei diesem Olympischen Spielen ist es gerade keine Thema: Nach der Kontroverse um das Geschlecht von Caster Semenya ist das Internationale Olympische Kommitee trotzdem auf der Suche nach neuen Regeln, so die Falls Post. Doch schon das Fazit des Kommitees klingt wenig vielversprechend. Statt den Fokus auf die Fairness der Wettkämpfe zu legen, werden medizinische Bedenken künftig in den Vordergrund gerückt. Athletinnen, deren Geschlecht uneindeutig ist, sollten künftig eine Diagnose und Behandlung bekommen. Die weiteren Vorschläge sind bestenfalls vage, wie die „Fall-zu-Fall“-Entscheidungen oder Einrichtung spezieller Behandlungszentren und im schlimmsten Fall furchterregend:
Sports authorities would send photographs of athletes to experts […]. If the expert thinks the athlete might have a sexual-development disorder, the expert would order further testing and suggest treatment.
Auf Deutsch: Sportbehörden würden Fotos von Athleten an Experten senden. Wenn der Experte eine mögliche Störung der sexuellen Entwicklung sieht, würde der Experte weitere Tests anordnen und Behandlungen vorschlagen.
Falls da tatsächlich keine Aufnahmen von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen gemeint sein sollten, bin ich ja schon gespannt, wie man das umsetzen will. Schminke, gezupfte Augenbrauen und erkennbar lange Haare verbieten auf solchen Fotos, damit das „eigentliche“ Gesicht zu sehen ist? Oder genau anders herum jede Athletin weiteren Tests unterziehen, die sich konventionellen Schönheitsidealen verweigert?
Nobel mag es sein, jeder die Teilnahme ermöglichen zu wollen, aber Menschen ohne gesundheitliche Probleme als krank und behandlungsbedürftig einzustufen und eine Therapie zu verlangen ist alles andere als nobel. Und natürlich landet man wieder einmal bei der Frage, wo genau die „biologischen Grenzen einer Frau” liegen.
Consider […] an athlete with a disorder that gives her a high testosterone level. Does she have to be treated to bring her testosterone level down to the average range for women? Or can it be in the high range? And how often must she be tested to be sure she is complying with her treatment?
Auf Deutsch: Betrachte eine Athletin mit einer Störung, die ihr einen höheren Testosteronspiegel beschert. Muss sie so behandelt werden, dass ihr Testosteronspiegel dem einer durchschnittlichen Frau gleicht? Oder darf sie am oberen Rand der Werte sein? Und wie oft muss sie getestet werden, damit man sicher ist, dass sie sich an die Behandlung hält?
Wie Intersex and the City darlegt, sind die Olympischen Spiele auch eine Plattform für die physischen Fähigkeiten natürlicher menschlicher Körper – deswegen ist der Einsatz von Doping verboten, ebenso der von Prothesen, deswegen darf Michael Phelps trotz seiner großen Füße mitschwimmen und Menschen mit Genmutationen, die ihnen den Aufbau von mehr Muskelmasse oder bessere Verwertung von Sauerstoff erlauben, wurden bisher nicht von Wettkämpfen ausgeschlossen. Nun soll es auf einmal leistungsmindernde Maßnahmen geben?
In Zukunft werden wir dank verbesserter Technik noch häufiger feststellen, dass Athlet_innen genetische Vorteile haben, es wird mehr künstliche Körperteile geben und bessere (Gen-)therapien. Immer wieder werden wir uns fragen müssen: Was ist fair?
Sehr empfehlenswert ist auch der gestern erschienene Artikel von Oliver Tolmein auf faz.net.
„Was ist fair?“
Genau. Und so wie es z.B. beim Boxen Gewichtsklassen gibt, gibt es halt eine Klassifizierung nach Geschlecht, weil die sich (bisher) als zumeist richtig erwiesen hat, wenn es z.B. um die Muskelmasse geht. Ist so wie im Leben: Bekommt man die Goldmedaille für genetischen Vorteil? Besseres (teureres?) Training? Härteres Training? Stärkeren Willen? Wird mit Medaillen die beste Leistung gemessen? Wenn, dann ja wohl nur, wenn die Klassen einigermaßen eng gefaßt sind, und da wird eine Testosteronanalyse eben unter Umständen eine Option.
Mir fällt da immer nur ein: Wenn ein Mädchen von klein auf immer beigebracht bekommt, sie werde selbst bei besten physischen Voraussetzungen niemals unter 10 Sekunden auf 100 Meter kommen, und zwar ihrer biologischen Beschaffenheit wegen, stehen ihre Chancen wahrscheinlich ziemlich niedrig, das dann entgegen aller Erwartungen zu schaffen. Wenn ich meinen Kindern, so ich welche hätte, beibrächte, dass sie, weil sie blond sind, dumm wie Bohnenstroh wären, werd ich sicherlich nicht der Vater der neuen Hannah Arendt oder des neuen Wittgenstein.