Mein Teller, meine Entscheidung

Kaffee und Kuchen

Carmen: Na, das ist jetzt aber schon das zweite Stück Kuchen, das du da isst. Bist du eigent­lich irgend­wann mal satt? Wenn du nicht aufpasst, gehst du auf wie ein Hefe­kloß!

Ruhiyyih: Och mensch, Carmen! Wann ich satt bin, weiß ich selbst am besten. Und wenn ich Lust auf ein zweites Stück Kuchen habe, dann ist das doch wohl meine Ent­scheidung.

Carmen: Nun komm‘ doch mal wieder runter, so war das doch nicht gemeint… Ich mache mir doch nur Sorgen, dass du zunimmst!

Ruhiyyih: Ja und? Wenn ich mich damit wohl fühle? Immer diese Angst vor’m Dick­werden, als wäre das irgend­wie schlechter als schlank zu sein.

Carmen: Na ja… also, hm… darüber habe ich noch nie nach­gedacht. Ich kann schon ver­stehen, dass das nervt: Ich will ich ja auch nicht, dass immer alle auf meinen Teller starren und jedes Stück Kartoffel nach­zählen, aber…

Ruhiyyih: …nee, kein aber! Dein Teller, deine Entscheidung!

Carmen: Haha, das ist wohl wahr! Ach Ruhiyyih, sorry für meine un­bedachten Worte!

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Klatschzeitung

Kim: Mein Kumpel hat mir so ’ne Klatschzeitung mitgebracht. Ich finde die ja dusselig, aber in der S-Bahn lese ich die schon mal. Und krass – die Christina Aguilera erkennst du nicht wieder! Wie dick die geworden ist! Gesund ist das nicht mehr… Und sie muss mal auf­hören so knappe Kleider zu tragen. Das tut ja weh beim An­schauen!

Leo: Äh, wie bitte??

Kim: Ja, schlimm, ne?

Leo: Nee, ich meine: Das ist doch nicht dein Ernst! Mich nervt es total, wenn Leute über die Körper von anderen Frauen herziehen. Was spricht denn dagegen, enge Kleidung zu tragen, wenn eine darauf Lust hat? Diese Scheiß-Normen kotzen mich an! Überprüf mal deine Seh­gewohn­heiten! Klingt so, als ob du Schön­heits­ideale gar nicht hinter­fragst. Und woher weißt du denn, was gesund für Christina Agu…

Kim: … aber das kann die Aquilera doch gar nicht hören, was ich dir hier sage! Und du weißt doch: Ich meine das nicht so. Jede soll doch machen, was sie will. Ich sag doch nur meine Meinung…

Leo: Aber über Körper von anderen Menschen zu lästern ist doch keine Meinung! Worte können ver­letzen… und stützen die gesell­schaft­liche Idee davon, was schön und gesund ist. Vor­sicht mit komischen Annahmen, was gesund ist. Du kennst sie doch gar nicht!

Kim: Hm. Ok. Wusste nicht, dass du so empfindlich bei dem Thema bist…

Leo: Ja, ich reagiere immer empfind­lich auf Menschen, die sich über andere Körper lustig machen.

Kim: Na gut, ich hab’s ja schon ver­standen! Diese Fixiert­heit auf eine bestimmte Körper­form nervt, das sehe ich ein. Und ich fänd’s ja auch mega uncool, wenn Leute über meine Figur her­ziehen würden.

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Tanzschule

Nisma: Schau‘ dir mal den Flyer an, den ich für die Tanz­schule gemacht habe! Ist voll schick geworden.

Maxi: Joa, sieht ganz gut aus…

Nisma: Du schaust ja nicht so begeistert, dabei habe ich daran tage­lang gesessen!

Maxi: Es geht mir auch nicht ums Design, das sieht voll cool aus. Es wundert mich nur, dass die Menschen, die darauf zu sehen sind, hm.. irgend­wie alle gleich aus­sehen!

Nisma: Wie meinst du das? Das sind doch vier unter­schied­liche Menschen drauf.

Maxi: Na, ich meine: Von Körper­vielfalt kann man bei diesem Flyer nun nicht sprechen. Ihr wollt doch neue Tänzerinnen anwerben. Ich liebe tanzen, aber fühle mich von dem Flyer nicht an­ge­sprochen, weil ich denke: Noch so ’ne Tanz­gruppe, wo ich Angst haben muss, nur mit schlanken, gestählten Menschen zu tanzen. Ich habe damit schon meine Er­fahrungen gemacht.

Nisma: Was meinst du?

Maxi: Na, doofe Blicke und auch ab und zu mal einen Spruch. Und wenn ich die einzige Dicke in der Gruppe bist, fühle ich mich halt un­wohl. Dabei soll das ja Spaß machen!

Nisma: Ja klar! Darum geht es ja auch bei uns in der Tanz­schule!

Maxi: Dann zeigt das doch auch auf eurem Flyer. Vielleicht komme ich dann mal vorbei… und andere eventuell auch! Klar ist ein cooler Flyer nicht alles. Die Gruppe muss auch nett sein. Aber es sollte deut­lich gemacht werden, dass ihr alle an­sprechen wollt, die tanzen möchten, un­abhängig von Figur.

Nisma: Überzeugt. Und danke für deine Kritik!

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Drei Geschichten, drei Lichtblicke.

Leider Fiktion.

6 Kommentare zu „Mein Teller, meine Entscheidung

  1. Ich habe McFit vor kurzem eine E-Mail geschrieben, weil in deren „Bordprogramm“ neben Eigenwerbung und Übungsanleitungen genau folgendes läuft: Videos von „Abenteuersport“ (Cross-Country-Radrennen, Surfen, Skateboarding) mit min. 85% männlichen Protagonisten, Videos von gestählten Männern (100%), die Kraftübungen in Parks machen, und unter dem Label „Fashion.tv“ Videos von Frauen (90%+) auf Catwalks, inklusive Maßen (typischerweise irgendwo bei 85-58-85) und Alter und ohne eine einzige Textzeile über Mode. Diese Videos sollen ja beim Sport motivieren – und zeigen einhellig, dass Männer gefälligst Sport treiben, um Spaß dabei zu haben (oder Bodybuilding betreiben, um groß und stark zu werden) und Frauen Sport treiben, um dünn zu sein oder zu werden. Das vergällt mir nachhaltig die Freude an der Bewegung in den Studios. Leider gibts noch keine Antwort, wenn eine eintrudelt, will ich sie aber gerne mit euch teilen.

  2. Gerne von älteren, weiblichen Verwandten praktiziert: Motzen und Mästen. O-Ton:

    „Was? Du isst nur ein Brötchen zum Frühstück?! Also, bei jemandem der aussieht wie du hätte ich aber erwartet, dass du mehr isst, ich habe jetzt extra vier Eier gekocht und den Schinken hast du auch noch nicht probiert.“ – „Ich bin aber nunmal satt, wer isst den schon vier Eier? Außerdem bin ich Vegetarierin, das weißt du doch, die Wurst esse ich bestimmt nicht.“ – „Also (Blick an mir runter), als ob da eine Scheibe Wurst mehr oder weniger einen Unterschied machen würde. Jetzt iss schon. Der Camembert muss auch weg. Wie du bist schon satt? Es gibt nachher noch Kuchen.“

    Ja, ich bin dick. Aber das heißt weder, dass ich ständig Schokoladenkuchen esse (ich mag gar keine Süßigkeiten), noch, dass ich ständig Unmengen in mich reinfresse oder sonstwie groteske Essgewohnheiten habe. Immerhin habe ich seit Jahren das gleiche Gewicht statt immer weiter zuzunehmen, ich esse also offenbar nicht mehr, als ich verbrauche, sicher weit gesünder und mit mehr Genuss und Bewusstsein als so manch Schlanke und damit nicht mehr als jede andere, die ihr Gewicht hält. Und dieses „Iss doch mehr, du bist doch so fett“ ist ausgesprochen bescheuert.
    Außerdem: WTF, Oma?! Was geht’s dich an?!

  3. Ich hab über ne Beschwerde beim werberat ne eklig sexistische Werbung eines lokalen Fitnesscenters gemeldet-und die wurde auch abgeändert in eine vieeel bessere.

    Besser als nix

  4. @roggen:

    Boah, ist das übel! :-/ Einfach unglaublich… dass diese Verwandten ihre eigenen „double bind“ (heißt das so?)-Botschaften nicht checken. Und dann dieses „zum essen bequatschen“, es geht nicht um Genuss, sondern darum, dass gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Echt zum Abgewöhnen… Wenn Aufklärung nichts nützt, hilft wohl nur Distanz, glaube ich.

  5. @ roggen:

    Am besten noch, wenn man in einem sogenannten Drei-Generationen-Haus aufwächst, in dem die Oma dich vollstopft („Ach komm, die paar Nudeln kannst du jetzt auch noch vollends essen!“) und die Mutter dich dann Diäten machen lässt. Jojo-Effekt und gestörter Stoffwechsel Ahoi!

Kommentare sind geschlossen.

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