Mein Körper und die tschechischen Behörden

Menschen, die aus ihren Ländern flüchten, weil sie aufgrund ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen sexuellen Orientierung Verfolgungen oder sogar den Tod fürchten müssen, sollten am besten die Tschechische Republik meiden. Denn die Behörden in der Heimat Franz Kafkas prüfen gerne genau den Grund des Asylantrags, indem sie dem/der AntragstellerIn Hetero-Pornofilme vorspielen und dabei den Blutfluss im Penis oder in der Vagina messen. Gegen die Proteste der EU verteidigen die tschechischen Bürokraten ihre atemberaubende Neugier: Der Test sei freiwillig und diene nur als letztes Mittel der Feststellung der sexuellen Orientierung.

Also, abgeschoben und eventuell erhängt werden, oder lieber die Hose runterlassen? Wie die meisten – vor diese tolle Alternative gestellten – AsylbewerberInnen entscheiden, lässt sich leicht raten, wie die Spiegel-Geschichte zwei iranischer Jungen zeigt. Wie groß der psychologische Druck in einer solchen Situation ist, und was die ersten europäischen Eindrücke der AntragstellerInnen sind, können wir uns vorstellen. Hinzu kommt, dass die AntragsstellerInnen meistens keine Ahnung von ihren Rechten haben, um sich den Tests zu verweigern. Die Genauigkeit der Methode als empirischer Test lässt ebenso wenig Zweifel an der Intelligenz und Vernunft der Beamten vom tschechischen Innenministerium wie die Annahme, dass nur „echte Homosexuelle“, und nicht etwa bisexuelle oder vermeintlich Homosexuelle tatsächlich verfolgt werden können.

Merkwürdig ist auch die Geschichte der Tests. Die erste Version war nur für Männer geeignet und wurde in den 1950er Jahren ausgerechnet in der stalinistischen Tschechoslowakei erfunden, mit dem Zweck, „falsche Schwule“ zu identifizieren, die angeblich versuchten, unter dem Vorwand der sexuellen Orientierung den Wehrdienst zu umgehen. Später wurden neuere Versionen der Tests entwickelt, die den Blutdruck nicht nur im Penis, sondern auch in der Vagina messen können. Nicht nur der Körper der Militärverweigerer bot damals den tschechischen Ärzten und Bürokraten eine Oberfläche für ihre medizinisch-politischen Interventionen. Die Sterilisierung von Roma-Frauen fing ebenfalls unter dem Staatssozialismus an und ging nach der Wende weiter. Die letzten bekannten Fälle aus 2007 haben die tschechische Regierung zwar dazu bewegt, sich offiziell zu entschuldigen, Reparationsgeld wurde aber noch nicht bezahlt .

8 Kommentare zu „Mein Körper und die tschechischen Behörden

  1. Nur ein Schwulen-Test? Nein. Den Test gibt es in der Tschechei auch zur Entdeckung falscher Lesben.
    http://www.spiegel.de/international/europe/0,1518,734422,00.html
    Sexualtherapeuten und Psychiater waren schon zu Ostblockzeiten gut geeignet, Menschen zu unterdrücken und zu quälen.
    Ekelhafte Homophobie wie sie leider in ehemaligen Ostblockstaaten weiter um sich greift.
    Aber Hauptdsache, sie dürfen sich so der Asylanten entledigen. Haben EU-Staaten sich nicht an Menschenrechte zu halten?

    Da glaubt eine, gar nicht in der EU oder im Jahr 2010 zu leben.

  2. Schlimm, dass so etwas im 21. Jahrhundert noch immer nicht der Vergangenheit angehört. Zumal so ein Test ja sicherlich mega-zuverlässig ist… einerseits wirkt die sexuelle Stimulation von Pornos oft auch, wenn das „falsche“ Geschlecht auf dem Bildschirm ist (zumal ja bei Hetero-Pornos zumindest einer der Kandidaten wohl Potential hat), andererseits kann es passieren, dass man unter ärztlicher/polizeilicher Beobachtung null erregt wird, selbst wenn man 110% hetero ist. Also völliger Blödsinn in meinen Augen.

    @GwenDragon: Sorry, aber die westliche Welt war/ist ja wohl keinen Deut besser. ⌐_⌐

  3. @GwenDragon: Mag OffTopic sein, aber ich finde die Bezeichnung „Tschechei“ sehr unangebracht, weil sie durch den NS geprägt wurde.

    Ein allgemeine Frage, an alle die es wissen könnten: Es werden doch im Beitrittsverfahren die Gesetze des Beitrittslandes auch in Bezug auf Menschenrechte angepasst. Fällt da da Asylrecht nicht drunter? Oder haben da die alten EU-Staaten nicht so genau hingeschaut, damit besser auch niemand nach der Menschenrechtsverträglichkeit ihrer Asylgesetze schaut.

  4. @Nele

    @GwenDragon: Mag OffTopic sein, aber ich finde die Bezeichnung “Tschechei” sehr unangebracht, weil sie durch den NS geprägt wurde.

    Verzeihung, das sollte nicht passieren. Ich habe das ärgerlich verwechselt. :(
    Tschechien heißt die Republik ja seitdem die Tschechoslowakei sich in Tschechien und Slowakei trennte.

  5. @Jana
    @GwenDragon: Sorry, aber die westliche Welt war/ist ja wohl keinen Deut besser. ⌐_⌐
    In Bezug auf die in Zwangseinweisung in Psychiatrien, um politische Kritiker mundtot zu machen, nein, das gab es jeden falls in Westeuropa meines Wissen nicht. Ansonsten kann man allerdings mit der richtigen Diagnose jeden in die Psychiatrie bringen, es ist nur eine Frage eines wohlwollenden Gutachters.
    In der Psychiatrisierung von abweichender Sexualität als Krankheit war der Westeuropa genauso menschenfeindlich wie der damalige Ostblock. In Deutschland bekommt eine_r schon mal Pädophilie vorgeworfen weil lesbisch oder schwul. Kein Einzelfall.

  6. @Nele: Die Mitgliedstaaten haben erst 1999 angefangen, ihre nationale Asylpolitik und ihre entsprechenden Gesetze abzustimmen. In der ersten Phase, die erst 2005 – also nach dem Beitritt der ersten 8 osteuropäischen Länder – ihre Ziele erreichte, wurden nur minimale Standards etabliert. Eine zweite, ambitioniertere Phase sollte bis 2012 mehr Harmonisierung bringen und bessere Kontrollmechanismen implementieren. Gleichzeitig versuchen aber Mitgliedstaaten wie Deutschland, die jetzt keine außergemeinschaftlichen Grenzen mehr haben, die ganze Asylproblematik loszuwerden. Ein Asylantrag ist inzwischen nur in dem Land möglich, wo der/die AntragstellerIn zum ersten Mal EU-Boden betreten hat. Das erhöht den Druck auf die sogenannte EU-Peripherie, d.h., auf die süd- und osteuropäischen Länder. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist in den letzten Jahren entsprechend gesunken. Wenn aber die „Kernländer“ so ein Geschenk bekommen, ist es natürlich nicht zu erwarten, dass sie die „Peripherieländer“ auch noch kritisieren…

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