Heute habe ich mich wieder sehr aufgeregt. Ein Kommentator bei Spiegel Online, namentlich Claus Christian Malzahn, musste zum Xten Mal zu Andrea Ypsilantis „Wahlkampflüge“ schreiben – wie kreativ…! Doch nicht nur, dass das Thema mittlerweile total zum Gähnen ist, nein, er schreibt einfach Mist:
Es ist im Rückblick geradezu gespenstisch, wie es einer Person gelingen kann, fast im Alleingang das kostbarste Gut ihrer Partei zu verspielen: Vertrauen.
Ich habe schon einmal einen ausführlichen Artikel zum Thema Politik, Macht, Wahlversprechen etc. geschrieben und belasse es deswegen bei folgender knappen, aber eigentlich ganz einfachen Feststellung: Andrea Ypsilanti hat in der Hessenwahl vor einem Jahr zwei Wahlversprechen gegeben: 1. Ich werde Koch ablösen. 2. Nicht mit der Linkspartei. Das Ergebnis war hinterher derart, dass man sich für eines von beiden – und damit gegen das andere – entscheiden MUSSTE. Was war Andrea Ypsilanti dabei wichtiger? Ist diese Prioritätensetzung etwa falsch? Dass die Entscheidung gegen Koch als Lüge, als Bruch eines Versprechens und als Vertrauensbruch hochstilisiert wurde ist doch nicht Andrea Ypsilantis Verdienst, sondern in erster Linie das ihrer GegnerInnen – zu denen offensichtlich auch die Mehrheit der deutschen Medien zählte. Niemand stellte fest, dass Ypsilanti sich nicht nur FÜR eine Duldung durch die Linke sondern auch FÜR das Ablösen Roland Kochs entschieden hatte und damit ihr vielleicht wichtigstes Wahlversprechen hielt.
Genug zu diesem Thema. Ich wollte eigentlich etwas anderes herausstellen, nämlich, dass es eine Sache gibt, die mich wirklich tierisch nervt:
Die männliche Vormachtstellung in der politischen Berichterstattung und Meinungsmache der deutschen Medien.
Ich habe jetzt wirklich fünf Minuten lang gesucht, aber bei Spiegel Online finde ich keinen einzigen Artikel zum Thema Politik von einer Frau. Eine grobe Schätzung des Frauenanteils der Artikel auf sueddeutsche.de im Politikteil: vielleicht ein Fünftel (wenn’s hochkommt). FAZ.net: Null. Ich könnte so weitermachen. Selbst bei der Taz dominieren im Politik-Teil die Männer.
Die alte Frage: Gibt es sie nicht, die Frauen, die etwas Schlaues zur Politik zu sagen haben? Oder traut man es ihnen nicht zu? Haben sie einfach keine Lust und ziehen sich lieber in „weichere“ Themen zurück? Sind sie zu defensiv erzogen und überlassen dieses Feld lieber den Männern? Sind sie einfach gerade in Baby-Pause?
Im Grunde ist es mir recht wurscht, was die Gründe für diesen absolut nervigen Zustand sind. Im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung, im Sinne einer geschlechterdemokratischen Gesellschaft ist dieser unhaltbar! Und ich behaupte, dass die Mainstream-Meinung in Bezug auf Andrea Ypsilanti in den deutschen Medien war/ist, wie sie war/ist, hängt auch damit zusammen. Und das nervt mich tierisch!
Die Chefs der Zeitungen sollten sich was schämen! Wenn die Politik-Frauen nicht in Scharen daher gerannt kommen und um eine Anstellung bitten, dann ist es doch – sollte man meinen – nur ein kleiner Schritt zu erkennen, dass dies mit der immer noch zweigeteilten Gesellschaft durch die traditionellen Geschlechterrollen zusammenhängen muss. Frauenförderung beginnt nicht von alleine. Doch anscheinend gibt es diesbezüglich nicht einmal in Ansätzen ein Problembewusstsein. Und das ist das eigentlich schlimme daran. Denn während vordergründig die Themen „Feminismus“, „Geschlechterrollen“, „Geschlechtergerechtigkeit“ in den Medien an Präsenz gewinnen und viele der oben Genannten sich mit ihren Inhalten als wahnsinnig progressiv in diesen Fragen generieren – ein Blick in den Politik-Bereich zeigt schnell: Es ist nur hohles Gelaber.
So, ich schreib mal den ersten Kommentar, damit dieser Artikel auch unter den letzt-Kommentierten auftaucht und ihr alle ihn schneller findet – ich freue mich nämlich schon auf die hitzige Diskussion :)
Ich hab den Eindruck, dass auch der Wirtschaftsteil o.g. Zeitungen von Männern dominiert werden…
Klar fängt Frauenförderung auch bei den Chefs an, aber ich finde ebenso bei den Journalistinnen. Keine Ahnung, ob Politik- oder Wirtschaftsartikel von einer Journalistin häufiger abgelehnt werde als die von einem Journalisten, und ja, erst wenn an den Entscheidungsstellen ein Bewusstsein dafür herrscht, dass Journalistinnen in bestimmten Bereichen unterrepräsentiert sind, ergibt sich daraus vielleicht ein Dominoeffekt.
Hier gibt es doch einige Journalistinnen, welches sind denn eure Themen, mal abgesehen vom Feminismus?
Mal abgesehen davon, dass sich Frauen (aus verschiedenen Gründen) nur halb so oft in politischen Parteien engagieren wie Männer und es damit die „Frauenlobby“ schwer hat Spitzenpolitikerinnen den Rücken in der Partei zu stärken und sie gezielt zu „promoten“ und damit auch weniger Politikerinnen wahrgenommen werden, wie sieht es denn eigentlich im Journalismus aus?
Wer von euch hat Journalismus „live“-Erfahrung und kann uns aus dem Alltag aus den Redaktionen berichten? Wie hoch ist da der Frauenanteil? Wer bestimmt die Themenauswahl? Kann man als als Schreiberling (w/m) Einfluss auf die Themengestaltung ausüben und z.B. einfach mehr über Politikerinnen berichten oder wie läuft das ab? (bin völlig fachfremd)
Das wäre ja mal interessant.
ich habe einmal einen Monat im Inlandsressort der taz ein Praktikum gemacht – genau zur Urlaubszeit. Deswegen wäre das jetzt nicht repräsentativ.
Die meisten Medienunternehmen funktionieren da eigentlich wie jedes andere Unternehmen auch: Je höher man kommt, desto weniger Frauen. Auch wenn die Ambitionen haben – Stichwort: gläserne Decke.
Was die Themenauswahl angeht, ist das schon sehr „klassisch“ – Frauen = weiche Themen, Männer = harte Themen. Kann man ja auch im Internet an den Themen der Blogs sehen, dass das recht ungleich gewichtet ist. Viele Frauen machen Kultur oder Mode/Beauty oder noch Soziales. Mehr Männer machen Politik und Wirtschaft.
Gut wäre sicher, wenn sich mehr Frauen mit „harten“ Themen beschäftigen würden, weil dann die Medienrealität in unserem Lande vielleicht auch eine andere wäre. Ich schreibe aber extra „vielleicht“, weil das auch nicht sein muss. Auch Frauen machen den männerzentrierten Journalismus, den wir heute haben.
Aber je weiter in der Hiararchie nach oben es geht, desto weniger Frauen schaffen es dorthin, und zwar egal, ob im Mode-Ressort oder im Politik-Ressort. Und: Es gibt in Deutschland eine einzige Chefredakteurin. Bascha Mika bei der Taz. Alles also genauso wie im Rest des Landes.
Jaa, guter Post, er sagt einmal, wie traurig manchmal die Politikberichterstattung ist. Ich bin Politologin und habe auch schon bei Zeitungen gearbeitet. Stimmt schon, in den Redaktionen, die sich mit Politik beschäftigen, sitzen eher wenig Frauen. Ich habe auch den Eindruck, Politik werde von vielen als zu kompliziert, als „Männersache“ gesehen. Ist nicht so!!! Das könnte wohl wieder einmal an Bildern liegen, die man beim Aufwachsen mitbekommt, und vielleicht daran, dass man als politinteressierte Brillenträgerin in der Pubertät von vielen leider als unattraktiv empfunden wird. Es sollte mehr Frauen in einflussreiche Positionen, gerade auch bei den Medien, geben. Leider wird das öfters durch in den seriösen Tageszeitungen immer noch präsente Männerclubs verhindert. Da hilft nur kontinuierliches Stossen und Schreiben.
Es gibt übrigens einiges an wiss. Literatur über das Politikinteresse von Frauen. Meiner Meinung müsste man nicht unbedingt so viel über Politikerinnen als Personen schreiben, als über Politikerinnen und deren politische Ideen und Vorstösse. Es wäre doch wunderbar, wenn politische Programme und Ideen mit den Namen berühmter Politikerinnen verbunden werden. Dann geht es um Sachpolitik, und gleichzeitig werden Frauen sichtbar.
Nachdem ich heut morgen diesen Beitrag gelesen hatte, schlug ich die Lokalzeitung auf und fand ein Interview mit der Allensbach Chefin die beklagt das Frauen sich weniger als Männer für Politik interessieren. Und das obwohl „sie seit 90 Jahren die gleichen Rechte haben.“
http://www.neue-oz.de/information/noz_print/interviews/20090118_Frauen_interessieren_sich_erheblich_weniger_fuer_Politik_als_Maenner.html
Interesse für Politik kann nicht verordnet werden, und Moralappelle an Einzelne verdecken den Punkt dass sich eine Person nur dann einbringt wenn sie sich etwas von diesem Einsatz verspricht. Daher glaube ich, dass Medien und wie sie politische Thematiken präsentieren einen großen Anteil daran haben, wer sich am Ende in politischen Debatten wiederfindet (und einbringt) und wer nicht.
Man könnte sicher eine höhere Vertretung der Frauen im Politjournalismus erwarten – grundsätzlich dafür qualifizierte Frauen gäbe es ja wohl genug und die Untervertretung (v.a. bei den grossen Zeitungen?) hat wahrscheinlich damit zu tun, dass man dafür schon einige Karriereschritte gemacht haben muss. Mich selber (Politikstudentin) würde der Politjournalismus interessieren – ich habe allerdings schon oft gehört, dass das ein enorm hartes Pflaster ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass Frauen wie in anderen sehr kompetitiven Berufen unterdurchschnittliche Chancen haben.
Die Übervertretung von Männern im Politjournalismus zementiert natürlich das Bild, dass Politik „männlich“ ist.
Ich finde auch, dass die Darstellung von Ypsilanti in den Medien von einem höhnischen Ton geprägt ist. Im Stil von: Sie hatte sich halt zu viel rausgenommen. Bei einem Mann würde das viel eher als kämpferisches, hartnäckiges Verhalten interpretiert – jedenfalls sind mir ähnliche Kommentare mit Bezug auf einen männlichen Politiker noch nicht aufgefallen. Auch hierzu habe ich nirgends ein Problembewusstsein erkennen können.
Was ich an dem Zitat aus dem Artikel besonders frappierend finde: was Frauen „fast im Alleingang“ so alles zerstören können… Im Vergleich dazu, wie es dargesteltl wird, wenn Frauen etwas Bedeutendes leisten… Schön, dass sich eine Frau als Sündenbock anbietet, der dazu auch noch vorgeworfen wird, egozentrisch und inkompetent zu sein (Oder wie ist „Isch. Das war Ypsilantis Programm“ sonst zu verstehen?). Schließlich befand sich die SPD ja vorher im Höhenflug und genoss riesiges Vertrauen in der Bevölkerung. Deswegen wurde ja auch rot-grün abgewählt und musste die Partei eine historische Niederlage nach der anderen einstecken. Alles ein perfider Plan von Andrea Ypsilanti? Schon Jahre vor der Hessen-Wahl 2008?
Wie hätte die Berichterstattung wohl ausgesehen, wenn die SPD gewonnen hätte?
„dargestellt“, nicht „dargesteltl“.
Kathrin – ich nehme mal an, das Du den Artikel geschrieben hast, wegen des ersten Kommentars –
„Das Ergebnis war hinterher derart, dass man sich für eines von beiden – und damit gegen das andere – entscheiden MUSSTE. Was war Andrea Ypsilanti dabei wichtiger?“
Sorry, aber das ist eine etwas merkwürdige Analyse. Hätte sie nicht darauf bestanden Ministerpräsidentin zu werden hätte es jede Menge zusätzliche Optionen gegeben. Sie hat sich für das entschieden, was ihr wichtiger war. Ganz genau. Und sie hat das in einer Situation gemacht, in der ihre Entscheidungen für die gesamte SPD von besonderer Bedeutung waren. Sie kann nichts dafür, daß es die SPD soziologisch gerade zerlegt, wir sie wohl als Volkspartei verloren haben und das die Koalitions- und Regierungsoptionen deutlich einschränkt. Aber wenn man das ignoriert und den geradezu offensichtlichen Wählerwillen offensiv mißachtet und noch dazu die eigene Partei wie eine Kindergartengruppe behandelt, dann endet das halt so wie bei Andrea Ypsilanti.
Aber ist es nicht toll, wenn man eine politische Fehlleistung auf das böse Patriarchat schieben kann? Da fühlt man sich doch gleich viel besser…
mach ich gar nicht, jj – ich schiebe das nicht NUR darauf, ich weise nur darauf hin, dass die Berichterstattung dazu sehr fraglich ist, sehr einseitig, höhnisch, nur anklagend. Ich zitiere mal einen Kommentar, den ich bei Neon.de sehr gut fand:
(von Oceaneyes)
Dass Ypsilanti auch Fehler gemacht hat – oder die SPD als Partei – das stelle ich doch gar nicht in Frage. ich frage nur nach der Verhältnismäßigkeit. Und ja: Der Kommentar war ein Aufhänger/Aufreger, der mich veranlasste, mal zu gucken, wer eigentlich so alles über Politik schreibt… Nun ja.
Aber ich würde mich sehr freuen, wenn du mir zusprechen würdest, keine der jenigen zu sein, die alles, was ist, auf ein „böses Patriarchat“ schiebt.
Ich sage nicht, dass es die alleinige Schuld der Männer ist, wenn die Frauen in den Politik-Teilen unterrepräsentiert sind, aber es ist ihre MIT-Schuld, wenn es so bleibt. Da sie die jenigen sind, die „oben“ sind. Ich suche weniger den Schuldigen an diesem Zustand – weil die Gründe wechselseitig sind und Frauen und Männer dazu beitrugen.
Katrin,
ich will ja keine Beleidigungsklagen provozieren, deswegen lasse ich einfach mal weg, als was Roland Koch alles gilt. Ich meine, erinnere Dich mal an die Kampagne 1999 oder die Sache mit den kriminellen Jugendlichen letztes Jahr. Es gibt doch einen Grund, warum er 15% verloren hat.
Die Frage ist aus meiner Sicht also eher – ist politisch und moralisch fragwürdiges Verhalten aus instrumenteller und ideoloscher Perspektive bei Männern tolerabler als bei Frauen? Sind die Integritätserwartungen an Frauen höher als an Männer? Und wenn dem so sein sollte, wäre das dann ein Vorteil für Männer oder für Frauen? Aber wer als „Kraft der Erneuerung“ in den Wahlkampf zieht, kann sich so was sicher weniger erlauben als jemand dem man ohnehin fast alles zutraut.
Das wäre ja so, als ob Obama am Mittwoch das Waterboarding wieder erlaubt…
„Ich sage nicht, dass es die alleinige Schuld der Männer ist, wenn die Frauen in den Politik-Teilen unterrepräsentiert sind, aber es ist ihre MIT-Schuld, wenn es so bleibt.“
Also, ohne das jetzt weiter vertiefen zu wollen. Aber wenn ich mich richtig erinnere, mußte ja jeder „von der Frauenbewegung „erkämpfte““ institutionelle Vorschlag von „patriarchal dominierten“ Institutionen gesetzlich und kulturell verankert werden, denn die Frauen hatten dazu ja der eigenen Ansicht nach per Definitionem nicht die Macht, oder?
@jj Der „offensichtliche Wählerwillen“ in Hessen war im Januar 2008 ein eindeutiges Votum für eine eher linke Politik und gegen Koch. Ypsilantis Versprechen, nicht mit den Linken zusammen zu arbeiten, war stark von bundespolitischen Überlegungen beeinflusst. Insofern stimme ich Katrin voll zu, dass nach dem Wahlergebnis Prioritäten gesetzt werden mussten. Ypsilanti hat ja im Sommer mit SPD, Grünen und Linken einige Entscheidungen gegen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten durchgesetzt. Vielleicht hätte sie so weitermachen und nicht versuchen sollen, Ministerpräsidentin zu werden – aber es war auch nicht unbedingt vorherzusehen, dass ihr die eigenen Leute derart in den Rücken fallen würden. Schließlich hatte sie im Januar 2008 die Wähler/innen so motiviert, wie das sonst keiner geschafft hätte, besonders auch nicht ihr Nachfolger, wie man jetzt gesehen hat (siehe auch hier: und die äußerst scharf beobachteten Kommentare von Albrecht Müller zum Thema Hessen u.a. hier: zur Medienkampagne gegen Ypsilanti) – Zum Vorwurf Machtgeilheit kann ich nur sagen, hat das eigentlich schon mal jemand jemandem wie Koch vorgeworfen? Immerhin ist er immer noch Ministerpräsident, obwohl die CDU mit ihm auch bei der zweiten Wahl kaum zum desaströsen Ergebnis von letztem Jahr dazu gewonnen hat (gar nicht, wenn man die Wahlbeteiligung berücksichtigt) und unzählige viel wichtigere Wahlversprechen gebrochen hat! Ach, ich wünschte, Frauen wären manchmal nur halb so machtgeil wie Männer :-)
Andrea,
„Ypsilantis Versprechen, nicht mit den Linken zusammen zu arbeiten, war stark von bundespolitischen Überlegungen beeinflusst. Insofern stimme ich Katrin voll zu, dass nach dem Wahlergebnis Prioritäten gesetzt werden mussten.“
Na klar, sie hat ja auch Prioritäten gesetzt.
„Vielleicht hätte sie so weitermachen und nicht versuchen sollen, Ministerpräsidentin zu werden“
Nein, sie hätte eine große Koalition mit CDU Ministerpräsident ohne Koch anbieten sollen. Oder eine Neuwahl nach 3 Monaten vergeblichem Versuch, die FDP zur Koalition zu bewegen. Sie hätte mehr Stimmen bekommen als im Januar 2008, die FDP weniger. Dann hätte sie auch in einer großen Koalition Ministerpräsidentin werden können.
Sie wollte nach Links (sie kommt aus Hessen-Süd!) und die Situation gab ihr die Möglichkeit dazu, das halbwegs mit einem Sachzwang zu rechtfertigen. Sie glaubt/e, daß die SPD mit der Linken koalieren soll, sie hält das wohl immer noch für eine strategische Option. Wer auch immer von einer Mehrheit links der Mitte in Deutschland spricht, hat einfach kein Gespür dafür, welche Teile der SPD da nicht mitgehen werden.
Bei Gesine Schwan wird sich das im dritten Wahlgang wieder zeigen. Und dann stellt sich für die nächsten drei Monate die Frage, warum die SPD eigentlich einen Kanzlerkandidaten aufgestellt hat. Immerhin tut das der deutschen Außenpolitik gut im Moment.
“ – aber es war auch nicht unbedingt vorherzusehen, dass ihr die eigenen Leute derart in den Rücken fallen würden.“
SIE ist den eigenen Leuten in den Rücken gefallen, das sollte man nicht vergessen.
„Schließlich hatte sie im Januar 2008 die Wähler/innen so motiviert, wie das sonst keiner geschafft hätte,“
Roland Koch hat die Wähler im Januar 2008 motiviert, ihn nicht zu wählen. Die wollten sie aber jetzt auch nicht mehr, also haben entweder nicht oder alles dazwischen gewählt, was zur Verfügung stand. Indirekt bedeutet das halt Koch, aber gestärkt geht der immerhin auch nicht aus der Wahl hervor. Aber sie hätte die Chance gehabt, ihn loszuwerden. Und das hat sie vermasselt, bei aller Komplexität der Mandatsverteilung.
„Zum Vorwurf Machtgeilheit kann ich nur sagen, hat das eigentlich schon
mal jemand jemandem wie Koch vorgeworfen?“
Von Machtgeilheit gehe ich bei Koch aber ganz sicher aus. Bei männlichen Politikern geht man ja schon a priori gar nicht mehr von positiven Charakterzügen aus. Die Vorwürfe sind da gewissermaßen implizit. Aber wenn jemand Wandel ruft und dann wieder abbestellt, dann ist das halt eine Enttäuschung.
„Ach, ich wünschte, Frauen wären manchmal nur halb so machtgeil wie Männer :-)“
Ich auch, dann wäre alles einfacher.
@jj Das kann man natürlich alles so oder so sehen; eine große Koaliton ohne Koch aber war ja nicht möglich, weil Koch nicht gehen wollte. Außerdem ist eine große Koalition auch nicht der Wähler/innenwille gewesen, was man jetzt auch daran sieht, dass beide ehemals „großen“ Parteien dieses Mal kaum gewählt wurden; Unzufriedenheit mit der großen Koalition auf Bundesebene spielte sicher auch eine Rolle.
Ypsilanti plante keine Koalition mit den Linken, sondern, nach langem Ringen und Verhandlungen, eine Duldung der Entscheidungen einer Minderheitsregierung, was etwas Anderes ist.
Und was ich jetzt nicht verstehe: Inwiefern ist Ypsilanti „ihren Leuten in den Rücken gefallen“? Als die Wähler/innen 2008 SPD wählten, mussten sie realistischerweise schon damit rechnen, dass die SPD evtl. mit den Linken zusammen arbeiten würde. Wer das partout nicht wollte, hat auch schon 2008 nicht SPD gewählt.
Andrea,
so oder so kann man natürlich alles sehen. Aber daß eine große Koalition wegen Koch nicht möglich gewesen sein soll, halte ich für ein Gerücht. In einer schnellen Neuwahl hätte Ypsilanti profitiert und dann auch realistisch den Posten für sich fordern können. Das wäre eine glaubhafte Drohung an die CDU gewesen in die Puschen zu kommen und Koch los zu werden um ohne Neuwahl in einer großen Koalition den Ministerpräsidenten zu stellen. Daß Koch nicht gehen wollte, ist doch klar. Aber Machtgeil sind ja auch andere.
Wollte Ypsilanti nicht. Schnelle Neuwahl wollte sie auch nicht. Irgendwann wird halt schon klar, was sie wohl wirklich wollte…
„Als die Wähler/innen 2008 SPD wählten, mussten sie realistischerweise schon damit rechnen, dass die SPD evtl. mit den Linken zusammen arbeiten würde. Wer das partout nicht wollte, hat auch schon 2008 nicht SPD gewählt.“
Also, wer selbst zentrale Wahlversprechen ernst nimmt ist zu dumm zum Wählen? Ja, das ist so ungefähr das Selbstverständnis, das ich bei Andrea Ypsilanti in den letzten Monaten gespürt habe.
@jj „Also, wer selbst zentrale Wahlversprechen ernst nimmt ist zu dumm zum Wählen?“
Das habe ich nun wirklich nicht gesagt und auch nicht sagen wollen. Ich meinte, dass die Wähler/innen im Januar 2008 SPD gewählt haben, obwohl sie ahnen konnten, dass die SPD evtl. mit den Linken zusammenarbeiten würde; das also in Kauf genommen und sich offenbar nicht so sehr daran gestört haben, wie es hinterher aufgebauscht wurde. Ypsilanti wurde von Vielen damals gewählt, gerade weil sie eine eher linke Politik vertritt; ein Zusammengehen mit der CDU hätten Einige auch als Wortbruch empfunden.
Andrea,
aha. Ich glaube, wir haben einfach nicht die gleiche Realitätswahrnehmung.
..iss ja nicht so, dass gar keine Journalistin sich zu Ypsilanti geäussert hätte. Hier eine in leitender Position (Politik, nix Kochrezepte):
http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/Andrea-Ypsilanti-Hessen;art141,2659753
Sehr schön:
danke dafür.
(Und ich wollte doch noch einmal eine Lanze für die taz brechen: Ich war zwar nur kurz dort, aber es war schon sehr deutlich: im Inlands-Ressort arbeiteten gerade drei Frauen trotz Urlaubszeit und auch das Auslandsressort glänzte bei den Redax-Sitzungen mit Weiblichkeit – die Ressortleitung ist eine Frau. Oben genannte Schätzung bezog sich nur auf die Zahl der Artikel, die vorgestern im Politik-Bereich der Homepage auf Anhieb zu sehen waren. Aber WENN eine Zeitung aktiv etwas für ihren Frauenanteil tut, dann immer noch die taz.)
Genau dieses Thema bringt mich ebenfalls auf die Palme. Da könnt mensch ewig drüber schreiben.
Ich finde es ebenfalls im Fall Ypsilanti sehr ärgerlich, wie sie in den Medien dargestellt wird. Fehlende politische und strategische Fähigkeiten würde ich noch eher den vier AbweichlerInnen unterstellen, die kurzfristig ihr Gewissen entdecken. Ist ja auch nicht das erste Mal, dass die SPD so mit ihrem Spitzenfrauen öffentlicht demütigt und auflaufen lässt, s. Heide Simonis, von den Medien als „Pattex-Heide“ verspottet. Über Roland Koch, der sich als abgewählt verstehen könnte und für große Verluste beim CDU-Ergebnis verantwortlich ist, habe ich das nicht gelesen. Und den Moralapostel braucht der ohnehin nicht zu machen, ich sage ja nur Spendenskandal, aber das kann ein Mann mit mächtigen Unterstützern halt ausitzen. Die SPD killt halt ihre Hoffnungsträgerinnen…
Zum Thema Politjournalismus eine Kuriosität aus meinem Alltag:
Ich hab die Süddeutsche abboniert und da rief mich eine Frau an und wollte eine Umfrage machen. Auf die Frage „Welche Teile lesen Sie denn?“ habe ich dann geantwortet: „Den Politik- und Wirtschaftsteil“, worauf sie erstaunt meinte, ich sei doch ein Frau und was ich denn machen würde.
Ich bin selbst auch politisch aktiv und sehe immer wieder wie junge, talentierte Frauen oft ausgebremst oder verheizt werden. Dann reden man immer noch, dass ist das Mädchen vom [hier bitte den Namen eines männlichen, älteren Politikers einsetzen]. Bei Männern sagt das kaum jemand, da heißt es dann, der ist mit dem befreundet, vernetzt, wird unterstützt.
Zum Kotzen. Ich könnte noch ewig so weitermachen, aber ich lass es mal…
Muss ich Ypsilanti mögen, nur weil ich eher für Rot als für Schwarz bin? Muss ich Ypsilanti mögen, weil wir beide das gleiche Geschlecht haben?
Ganz schlechtes Einführungsbeispiel also, an dem Rest des Artikels ist wiederum was dran.
Ich denke auch nicht, dass die Medien über sie hergefallen sind, nur weil sie eine Frau ist. Hier spielt auch der Inhalt eine Rolle imho.
Ich lebe nicht in Deutschland und kenne die Details der Ypsilanti-Geschichte nicht. Ich habe mir nun nochmals ein paar Artikel angeschaut, die über das letzte Jahr hinweg erschienen sind. Mir drängt sich folgender Eindruck auf:
– In der SPD war/ist man sich intern uneinig, ob eine Koalition unter Tolerierung der Linken akzeptabel ist oder nicht. Im Nachhinein war für alle Medien „klar“, dass es nicht klappen konnte, aber das war nicht von Anfang an so. Ich würde darauf wetten, dass es früher oder später solche Koalitionen geben wird.
– In einigen Medien wurde geschrieben, dass Ypsilanti vor einem Dilemma stehe: Koch weiterregieren lassen oder eine von der Linken tolerierten Koalition bilden. Vor diesem Hintergrund ist ihr Versuch eigentlich nachvollziehbar. Jedenfalls hätte sie auch verlieren können, wenn sie es nicht gewagt hätte, vielleicht wäre sie dann als „zu zaghaft“ bezeichnt worden.
– Beim zweiten Versuch, sich wählen zu lassen, fand vorher eine Probeabstimmung statt, in der Ypsilanti die nötigen Stimmen erhielt. Die „abtrünnigen“ SPDler haben sich erst im letzten Moment geäussert. So etwas kann man selbst bei besten strategischen Fähigkeiten nicht unbedingt voraussehen.
Vor diesem Hintergrund finde ich die harschen, verurteilenden Artikel, die nach den Wahlen erschienen sind, übertrieben. Ich bin mehrmals bei Formulierungen zusammengezuckt, die ich als geschlechterspezifische Abwertungen empfinde (zum ersten Mal aufgeregt über die Berichterstattung über Ypsilanti habe ich mich, als ich beiläufig am (Schweizer) Radio einen Beitrag über sie hörte, und ich war da in Gedanken sicher nicht gerade bei „gender“ gewesen).
Mein Eindruck ist, dass ein Bild von einem „dummen Mädchen, das viel zu ehrgeizig war und von Strategie keine Ahnung hatte“ gezeichnet wird und gleichzeitig eines von einer „Tyrannin, die ihre Parteigenossen böswillig unterdrückte“. Die meisten JournalistInnen können da einfach nicht widerstehen. Und die LeserInnen sind sich an ungleiche Darstellung von Frauen so gewöhnt, dass ihnen nichts Besonderes auffällt.
Hm, die Berichterstattung über Ypsilanti war nicht sonderlich nett, selten entschuldigend (obwohl ich mich an solche und an solche Artikel erinnern kann), aber bleiben wir bei der Sache.
Ypsilanti hat ein äußerst sensibles Wahlkampfversprechen gebrochen und das wurde – wie ich finde – zurecht angegriffen. Wie lange man darüber reden muss, nun gut, das ist ein anderes Thema, aber dann gleich Misogynie unterstellen?
Zunächst ist es nicht richtig, dass die Entscheidung, eine Rot-Rot-Grüne Koalition zu bilden unumgänglich war. Wäre dem so gewesen, könnte man die Diskussion hier sicherlich anders führen. Außerdem zeigt ein Vergleich mit dem Fall Simonis, wie ich finde, dass es eher um den Wortbruch ging, als um Ypsilanti als Person und Frau. Der mediale Umgang mit Beck war im Übrigen auch nicht sonderlich nett, Schröder wird bis heute für seinen Einstieg bei Gasprom kritisiert, die Grünen werden von der Antifa nach wie vor als Kriegstreiber beschimpft.
Und überhaupt: Es ist ja gar nicht von der Hand zu weisen, dass es Männer gibt, die Frauen schräg anschauen, wenn sie einen Wirtschaftsteil lesen. Von einer ähnlichen Klasse Mensch werden Männer schräg angeschaut, wenn sie Fußball nicht leiden können oder sich beim besten Willen nicht für schnelle Autos interessieren. Ja diese Menschen gibt es, aber das hat nichts mit Geschlecht, sondern mit einem konservativen Weltbild zu tun, in dem fehlende Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsbild als Ausnahme und somit als unnormal gebrandmarkt wird. Es wäre traurig, wenn wir in das gleiche Schema verfallen würden.
Alltag in den Redaktionen?! Als Freie für Tageszeitungen hab ich viel Kultur und minimal Politik produziert. Dann durfte man mal… Frauenthemen oder sowas. Wurde dann aber vom Cheffe noch so umgeschrieben, dass man sich für den eigenen Namen drunter geschämt hat. Kultur nie. Und irgendwie hatte man darauf keine Lust. Seltsam, oder?